[117] Blick auf! blick auf von deinem Aschenhügel,
Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf,
Warum er schnell durch seines Sturmwinds Flügel
In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?
Im vollen Schmuck sah dich der Mittag schimmern,
Und traurig sah die Abendsonne sich
Noch einmal um, du lagst bei deinen Trümmern
Verhüllt in Dampf, und weintest bitterlich.
[117]
Gott hört die Brut verlaßner Waldesnester,
Er hört nach Brod auch deine Kinder schreyn;
Er haucht in deine königliche Schwester,
In sein Berlin, den Geist des Mitleids ein.
Blick auf! und schau dahin nach jener Seite,
Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,
Und stürzte dich zum Staub herab, und heute
Kömmt wie vom Himmel Trost für dich daher.
Da kommen Wagen dir so vollgehäufet1,
Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,
Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereifet,
Mit Lobgesang ins frohe Dörfchen führt.
Die Männer und die Frauen frommer Sitte
Die theilten ihren Kleiderschrank mit dir,
Vom Pallast an bis zu der kleinsten Hütte
Herrscht Thätigkeit für deine Hülfbegier.
[118]
Kaum kann der Mai mehr auszuschütteln haben,
Wenn ihn die Zeit sein Füllhorn schwingen läßt;
Kaum giebt der Herbst uns mehr Erquickungsgaben,
Als dir Berlin zum süßen Labefest.
Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,
Der nicht für dich zum Wohlthun ward gerühet;
Die Nation gedenkt auch thätig deiner,
Die mächtig aus Egypten ward geführt2. –
Nimm was da kömmt, und eile Dank zu sagen
(Im Tempel, den die Flamme nicht berührt)
Der Vaterhand, die dich so hart geschlagen,
Und dir zum Heil die Herzen jezt regiert.
Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten;
Bis hieher und nicht weiter sollt ihr gehn,
Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,
Die Häuser und die Tempel neu entstehn.
[119]
Du wirst es sehn, wirst nicht die Hand verkennen,
Wenn höher dich dein König hebt empor;
Dann werden dich die Schwestern schöner nennen,
Und seliger dich preisen wie zuvor.
Sie seufzen alle mit in deine Klagen,
Und stellen einen edlen Wettlauf an,
Dir wie auf Windesflügeln zuzutragen
Trost, der dich wieder freudig machen kann.
[120]
1 Es ist bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berliner sich gegen die verunglückten Ruppiner verhielt; nicht allein die Großen und Edlen, sondern auch die armen Dienstboten trugen zur Unterstützung bei, und wol niemals sahe man die angeborne Güte des menschlichen Herzens so allgemein, als bei dieser traurigen Gelegenheit.
2 Die löbliche Judenschaft.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1792)
|
Buchempfehlung
Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.
50 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro