Erkenntnis

[108] Willst du, o Herz! ein gutes Ziel erreichen,

Mußt du in eigner Angel schwebend ruhn;

Ein Tor versucht zu gehn in fremden Schuhn,

Nur mit sich selbst kann sich der Mann vergleichen!


Ein Tor, der aus des Nachbars Kinderstreichen

Sich Trost nimmt für das eigne schwache Tun,

Der immer um sich späht und lauscht und nun

Sich seinen Wert bestimmt nach falschen Zeichen!


Tu frei und offen, was du nicht willst lassen,

Doch wandle streng auf selbstbeschränkten Wegen

Und lerne früh nur deine Fehler hassen!


Und ruhig geh den anderen entgegen;

Kannst du dein Ich nur fest zusammenfassen,

Wird deine Kraft die fremde Kraft erregen.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 108.
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