Jeder Schein trügt

[97] Ich weiß ein Haus, das ragt mit stolzen Zinnen,

Frei spielt das Licht in allen seinen Sälen,

Sein Giebel schimmert frei von allen Fehlen,

Kein Neider schilt's, nicht außen und nicht innen.
[97]

Nur wer es weiß mit Klugheit zu beginnen,

In seine Grundgewölbe sich zu stehlen,

Sieht üppig feuchten Moder dort verhehlen

Von dicken Schlangen wahre Königinnen.


Doch würde der sich auch betrogen haben,

Der rasch empor die Treppen wollte steigen,

Die Feinde mit der Kunde zu erlaben:


Denn tiefer noch, im allertiefsten Schweigen,

Da liegt ein ungehobner Schatz begraben,

Der niemals wird dem Tage wohl sich zeigen.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 97-98.
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