Tod und Dichter

[371] Tod


Deiner bunten Blasen Kinderfreude

Hängt und bricht an meiner Sensenschneide,

Wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum,

Mache dich auf – aus ist der Traum!


Dichter


Halte weg die Sense! Lasse steigen

Meiner Irisbälle bunten Tanz!


Tod


Schon an meinem Schädel platzt der Reigen,

Und ein Ende nimmt der Firlefanz!


Dichter


Laß! ich will dich als das Beste preisen,

Trost und Labsal alles Menschentumes!


[371] Tod


Nicht bedarf ich Schrecklicher des Ruhmes;

Spare deine falschen Schmeichelweisen!


Dichter


Weh, noch schuld ich manche schöne Pflichten!


Tod


Reif genug schon bist du den Gerichten!


Dichter


Doch die lieblichste der Dichtersünden

Laßt nicht büßen mich, der sie gepflegt:

Süße Frauenbilder zu erfinden,

Wie die bittre Erde sie nicht hegt!


Tod


Warum hast du solchen Spaß getrieben,

Schemen zu ersinnen und zu lieben?


Dichter


Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne,

Blühn sie doch wo in der Weltenferne,

Blut von meinem Blute; zu verderben

Bin ich nicht, eh jene sterben!


Tod


Ei, da fahr ich hin, sie wegzumähen,

Und sie müssen gleich mit dir vergehen!


Dichter


Hui! da fährt er hin ins Unermeßne,

Und ich bin der glückliche Vergeßne,

Spiele weiter in des Lebens Fluten,

Bis er findet jene schönen Guten!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 371-372.
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