Lob der Spindel

[47] Die Faust des Mannes zieret

Ein blank geschliffen Schwert,

Das er in Treue führet,

Wo es das Recht begehrt.


Sank er auf blut'ger Heide,

Den Ring, den Edelstein,

Dies seiner Hand Geschmeide

Grab' man mit ihm hinein.


Des Eisens Wucht zu heben

Sind Frauen nicht gewandt,

Sie leben stilles Leben,

Die Spindel in der Hand.[47]


Die zarte Hand der Schönen

Ziert die mit rechter Weis';

Sie tanzt mit süßen Tönen,

Und singt der Frauen Fleiß.


In alter Wälder Dunkel

Auf moosigem Gestein

Sitzt an kristallner Kunkel

Nachtfrau im Mondenschein.


Mondhelle Fäden bringet

Ihr Finger zart hervor;

Seltsam die Spindel singet,

Es lauscht des Wandrers Ohr.


In Schloß und Burgeshallen

Die Spindel emsig sang;

Den deutschen Frauen allen

War sie ein lieber Klang.


Gar spärlich Samt und Seide

Umfing den holden Leib.

Im selbstgesponn'nen Kleide

Ging da manch edles Weib.


Kaum daß in armer Kammer,

In Nächten lang und bang,

Bei Tränen und bei Jammer

Noch tönt der Spindel Sang.


Sing nur! Du singst den Sorgen

Der Armut endlich Tod.

Steig auf, du lichter Morgen!

Bring' das ersungne Brot.


Jetzt im Gemach der Schönen

Hört man wohl Lautenklang,

Wohl welsche Triller tönen,

Gar leis der Spindel Sang.


Die Spindel hält verschoben

Jetzt manche Schöne stolz

Und denkt: wie kann man loben

So ein gemeines Holz!


Nein! liebe deutsche Frauen,

Erkennt der Spindel Wert!

Wollt treulich auf sie bauen,

Treu, wie der Mann aufs Schwert![48]


Indes der sieghaft stehet

In Blut und Kampfes-Schweiß,

Sitzt fromm daheim und drehet

Die Spindel recht mit Fleiß!


So war's in alten Tagen

Sittsamer Frauen Art.

Manch Bild und schlichte Sagen

Die haben uns bewahrt:


Wie in der Frauen Kreise

Die Spindel nie geruht. –

Spinnt fort nach alter Weise

Zart – aber stark und gut!

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 47-49.
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