Nutzanwendung

[66] Dies war aus alter Zeit ein Weib,

Doch jetzt noch gibt es Frauen,

Frauen, die emsig ihren Leib,

Doch faul den Geist bebauen.

Wie werdet, Eitle, ihr einmal

Nach dem Tod aus Spiegeln blicken!

In des aufgeblasenen Rocks Skandal,

Den Putzhut in dem Rücken.

Um euren Arm den Firlefanz

Von Spitzen, – Gott, welch Schauer!

Beginnet ihr den Totentanz

So um die Kirchhofmauer.

Die Männer, die in gleichem Wahn

Mit euch, ihr Eitlen, stecken,

Mittanzen als Gerippe dann

In ihren läpp'schen Fräcken,

Angströhren, daß sich Gott erbarm'!

Auf ihren Köpfen tragend,

Oder Klapphüte unterm Arm,

Komplimentenräder schlagend.

Stellt euch einmal die Engel vor

In Hüten lächerlich putzig,

Wie jetzt sie sind bei euch im Flor,

Im Nacken sitzend stutzig.

Seht sie in des Ballonrocks Schmach,

Wie euch, o Schauer! wallen,

Gewiß, ihr würdet sagen: ach!

Wie tief sind die gefallen!

Ihr Fraun, die ihr die Eitelkeit

Durch Demut überwunden,

Euer Kopfputz sei ein Tüchlein breit,

Um die blanke Stirn gebunden.

Umhüllen möge euren Leib

Ein weißes Kleid von Linnen,

Das könnt ihr selbst zum Zeitvertreib

Euch mit den Töchtern spinnen.

Die Seele bleibt, auf diese baut,

Ihr Fraun, der Leib ist flüchtig;

Doch mancher, ach! ist ihre Haut

Mehr als die Seele wichtig.

Die Seele, noch so schön umhüllt,[67]

Ist's eine wüste Seele,

Die blicket einst als Schreckensbild

Aus dem Spiegel ohne Fehle.

Ihr aber, deren Seele licht,

Demüt'ge, fromme Frauen!

Ihr werdet nach dem Tode nicht

Aus ird'schen Spiegeln schauen.

Ihr schwebet aus der Erde Nacht

Empor zur Himmelsklarheit,

Schaut, was ihr hier geglaubt, gedacht,

Im Spiegel ew'ger Wahrheit.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 66-68.
Lizenz:
Kategorien: