Siebente Vorstellung.

[102] Unter den Schreibmaterialien auf dem Tische bemerkte ich folgende von einer Männerhand geschriebene Zeilen: sie waren frisch mit Tränen benetzt und an das Mädchen gerichtet:


»Nicht im Tale der süßen Heimat

Beim Gemurmel der Silberquelle –

Bleich getragen aus dem Schlachtfeld

Denk' ich dein, du süßes Leben!


All die Freunde sind gefallen,

Sollt' ich weilen hier der eine?

Nein! schon naht der bleiche Bote,

Der mich leitet zur süßen Heimat.


Und die Freunde alle haben

Angelobet mir im Sterben:

Mitzufeiern meine Hochzeit,

Dort im Tale der süßen Heimat.


Flecht ins Haar den Kranz der Hochzeit,

Halt bereit die Brautgewande

Und die vollen duft'gen Schalen:

Denn wir kehren alle wieder

In das Tal der süßen Heimat.«


Es fiel mir jener Mühlknecht bei, und was er von seiner Geliebten erzählte; hier war ich in seiner Heimat.

Ich löschte das Licht, warf mich auf mein Lager, die Augen dem täuschenden Helldunkel zu schließen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 102.
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