Dritter Gesang

[149] Nachdem der Feind den Cißides nicht mehr

Erblickte, der, durch einen Federbusch

Am Helm, erkenntlich war, vermuthet er

Den Tod desselben, und dacht im Triumph

Bald in das Schloß zu steigen, wenn ers jetzt[149]

Aufbiethen ließ'. Ein Herold ward dazu

Befehliget. Sein Roß war stolz, wie er;

Es schien die Erde zu verachten, kaum

Berührt es sie mit leichten Füssen, schnob

Und wieherte zu der Trompete Klang

Und foderte zum Kampf heraus, wie er.


»Euch wenigen, sagt er, indem er sich«

Der Mauer naht, »euch wenigen, die noch

»Die Macht der Waffen des Leosthenes

Bisher verschonet hat, euch biethet er

Das Leben an, und seine Gnad', im Fall

Ihr euch an ihn ergebt. Verwegenheit

Ist euer vermeinter Muth. – Seht um euch! seht,

Was für ein zahlreich Volk euch noch umschließt!

Seht, seine Spieß' erheben sich umher,

Wie Ähren auf dem Feld'! Und Tapferkeit

Wird in den Busen sie euch tauchen, wenn

Ihr länger kämpft. Laßt eure Wuth einmal

Gehorchen der Vernunft, und übergebt

Die Maur der öden Burg dem Heere, das

Voll Langmuth euch bewundert und nicht scheut.

Wählt seine Huld, wo nicht, so wählt den Tod!


Wir haben längst gewählt, sprach Paches. (Ernst

Und Majestät sah aus dem Angesicht

Des Helden.) Tod ist unser Wunsch und Glück,

Wenn wir dadurch des Vaterlandes Wohl

Erkaufen können. Und wir werden es

Gewiß dadurch erkaufen! Schande trift

Den niedern Stolz und Geitz Athens gewiß!

Warum bekriegtet ihr uns ehmals nicht,

Als Alexander uns beherrschte? Glaubt

Ihr, unser Muth sey mit ihm eingescharrt?

Und wenn ihr dieses glaubt; ists edel, daß

Ihr Schwachheit überfallt? – Allein! allein!

Noch lebt des Helden Geist in seinem Heer,[150]

Und eure Scheitel wird es fühlen. – Auch

Raubt uns der Tod des Cißides nicht Muth;

Mit ihm liegt unsre Lust, nicht Tapferkeit.

Nicht euch, nicht Tod, nur Schande fürchten wir.«


Der Herold brachte dem Leosthenes

Die Antwort kaum; als alles um die Burg

Zum Angrif sich bereitete. Wenn Sturm

Aus Äols Höle fällt, wie Wasser aus

Der Schleus', und drückt den Wald, dann neigen sich

Die starken Wipfel zu der Erd herab;

Tumult herrscht überall, und jeder Zweig

Vermehret das Geräusch; der Klüfte Schlund

Brüllt dumpfigt; tauber Lerm erfüllet weit

Des Himmels Raum, drinn Wolke Wolke jagt:

So auch erwacht im ganzen Heer Athens

Schnell Aufruhr. Thurm, Ballist und Katapult

Und Hebel, Bohr und alles regte sich,

Und nahte sich dem Schloß in wildem Lerm.


Zwar Paches ließ an tapfrer Gegenwehr

Nichts mangeln. Pfeil und Steine schlugen den

Erhitzten Feind, wie Schloßen schwaches Korn,

Darnieder. Tieger sind so wüthend nicht,

Wenn man zum Zorn sie reitzet, wie sein Heer

Jetzt war. Doch die Besatzung war zu schwach,

Und allgemein der Sturm. Mißlung es hier

Dem Feinde, so erstieg er dort die Maur.

Das Schloß ward überschwemmt, und ward ein Raub

Des Todes. So verschlingt die Fluth des Meers

Das Ufer nach der Ebb', und was sich ihm

Genaht. Wo Blumen jetzt stolzierten, tobt

In Wasserwogen das Verderben, jetzt. –


Auch Paches ward des Todes Raub, wie sein

Furchtloses Heer. Leosthenes fand ihn[151]

Durchbort und hingestreckt, und kannt ihn an

Der Rüstung. Lange sah mitleidig er,

Nebst seinem Volk, das auf die Spieße sich

Umher gelehnt, den todten Helden an,

Und eine Thräne floß ihm von dem Aug'.

Er sah noch Edelmuth in Zügen des

Erblaßten Angesichts. – Drauf wünscht' er, auch

Den Cißides zu sehn, doch lang' umsonst.

Zuletzt erblickt er einen Teppich auf

Der Erd', erhub ihn und erschrak, als sich

Ein Macedonier aufrichtete,

Der mit dem Cißides darunter lag.

»Was liegst du bey dem Todten? trug man ihn.

Er war mein Herr, erwidert' er; doch mehr

Mein Vater. Ich war, als er lebt' ihm treu;

Solt ich vergessen es anjetzt zu seyn?

Ihr habt ihn mir geraubt, raubt mir nur auch

Das Leben, meine Last! – Ein Thränenguß«

Netzt ihm das Angesicht. Leosthenes

Raubt ihm das Leben nicht, dem redlichen

Schildträger, sondern pries die seltne Treu,

Und tröstete den immer jammernden,

Und schenkt' ihm viel. Betrachtete nachher,

Sammt dem gerührten Volk, den Cißides

Und glaubte die entwichne Seele noch

In großen Zügen des Gesichts zu sehn;

Beweint' ihn, ließ die Asche beyder Freund'

In einer Urn bewahren, ihnen auch

Ein prächtig Denkmal baun, und zog sich drauf

Schnell nach Athen zurück. Sein Heer war so

Geschwächt, daß er vergaß in einer Schlacht

Antipatern zu überwältigen.

Und so ward, durch der beyden Freunde Muth,

Des Vaterlands Verderben abgewandt.
[152]

Ihr Krieger! die ihr meiner Helden Grab

In später Zeit noch seht, streut Rosen drauf,

Und pflanzt umher von Lorbern einen Wald!

Der Tod fürs Vaterland ist ewiger

Verehrung werth. – Wie gern sterb ich ihn auch

Den edlen Tod, wenn mein Verhängniß ruft!

Ich, der ich dieses sang im Lerm des Kriegs,

Als Räuber aller Welt mein Vaterland

Mit Feuer und Schwerdt in eine Wüsteney

Verwandelten, – als Friedrich selbst die Fahn

Mit tapfrer Hand ergrif, und Blitz und Tod

Mit ihr, in Feinde trug, und achtete

Der theuern Tage nicht für Volk und Land,

Das in der finstern Nacht des Elends seufzt. –

Doch es verzagt nicht drinn das treue Land;

Sein Friedrich lächelt, und der Tag bricht an.

Der Tag bricht an! Schon zöge Schwab und Russ,

Lappländer und Franzos, Illyrier

Und Pfälzer, in poßierlichem Gemisch,

Den Helden in Triumph; verstattet' es

Desselben Großmuth. Schon fliegt Himmel an

Die Ehr in blitzendem Gewand', und nennt

Ein Sternenbild nach seinem Namen. Ruh

Und Überfluß beglücken bald sein Reich.


Ende des Cißides und Paches.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 149-153.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon