Erster Auftritt

[235] Adam sitzt und verbindet sich ein Bein. Licht tritt auf.


LICHT.

Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!

Was ist mit Euch geschehn? Wie seht Ihr aus?

ADAM.

Ja, seht. Zum Straucheln braucht's doch nichts, als Füße.

Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier?

Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt

Den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst.

LICHT.

Nein, sagt mir, Freund! Den Stein trüg jeglicher –?

ADAM.

Ja, in sich selbst!

LICHT.

Verflucht das!

ADAM.

Was beliebt?

LICHT.

Ihr stammt von einem lockern Ältervater,

Der so beim Anbeginn der Dinge fiel,

Und wegen seines Falls berühmt geworden;

Ihr seid doch nicht –?

ADAM.

Nun?

LICHT.

Gleichfalls –?

ADAM.

Ob ich –? Ich glaube –!

Hier bin ich hingefallen, sag ich Euch.

LICHT.

Unbildlich hingeschlagen?[235]

ADAM.

Ja, unbildlich.

Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein.

LICHT.

Wann trug sich die Begebenheit denn zu?

ADAM.

Jetzt, in dem Augenblick, da ich dem Bett

Entsteig. Ich hatte noch das Morgenlied

Im Mund, da stolpr' ich in den Morgen schon,

Und eh ich noch den Lauf des Tags beginne,

Renkt unser Herrgott mir den Fuß schon aus.

LICHT.

Und wohl den linken obenein?

ADAM.

Den linken?

LICHT.

Hier, den gesetzten?

ADAM.

Freilich!

LICHT.

Allgerechter!

Der ohnhin schwer den Weg der Sünde wandelt.

ADAM.

Der Fuß! Was! Schwer! Warum?

LICHT.

Der Klumpfuß?

ADAM.

Klumpfuß!

Ein Fuß ist, wie der andere, ein Klumpen.

LICHT.

Erlaubt! Da tut Ihr Eurem rechten Unrecht.

Der rechte kann sich dieser – Wucht nicht rühmen,

Und wagt sich eh'r aufs Schlüpfrige.

ADAM.

Ach, was!

Wo sich der eine hinwagt, folgt der andre.

LICHT.

Und was hat das Gesicht Euch so verrenkt?

ADAM.

Mir das Gesicht?

LICHT.

Wie? Davon wißt Ihr nichts?

ADAM.

Ich müßt ein Lügner sein – wie sieht's denn aus?

LICHT.

Wie's aussieht?

ADAM.

Ja, Gevatterchen.

LICHT.

Abscheulich!

ADAM.

Erklärt Euch deutlicher.

LICHT.

Geschunden ist's,

Ein Greul zu sehn. Ein Stück fehlt von der Wange,

Wie groß? Nicht ohne Waage kann ich's schätzen.

ADAM.

Den Teufel auch![236]

LICHT bringt einen Spiegel.

Hier! Überzeugt Euch selbst!

Ein Schaf, das, eingehetzt von Hunden, sich

Durch Dornen drängt, läßt nicht mehr Wolle sitzen,

Als Ihr, Gott weiß wo? Fleisch habt sitzen lassen.

ADAM.

Hm! Ja! 's ist wahr. Unlieblich sieht es aus.

Die Nas hat auch gelitten.

LICHT.

Und das Auge.

ADAM.

Das Auge nicht, Gevatter.

LICHT.

Ei, hier liegt

Querfeld ein Schlag, blutrünstig, straf mich Gott,

Als hätt ein Großknecht wütend ihn geführt.

ADAM.

Das ist der Augenknochen. – Ja, nun seht,

Das alles hatt ich nicht einmal gespürt.

LICHT.

Ja, ja! So geht's im Feuer des Gefechts.

ADAM.

Gefecht! Was! – Mit dem verfluchten Ziegenbock,

Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ich's.

Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam

Ertrunken in den Lüften um mich greife,

Faß ich die Hosen, die ich gestern abend

Durchnäßt an das Gestell des Ofens hing.

Nun faß ich sie, versteht Ihr, denke mich,

Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt

Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,

Und häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr' ich auf

Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock

Die Nase an der Ecke vorgestreckt.

LICHT lacht.

Gut, gut.

ADAM.

Verdammt!

LICHT.

Der erste Adamsfall,

Den Ihr aus einem Bett hinaus getan.

ADAM.

Mein Seel! – Doch, was ich sagen wollte, was gibt's Neues?

LICHT.

Ja, was es Neues gibt! Der Henker hol's,

Hätt ich's doch bald vergessen.

ADAM.

Nun?[237]

LICHT.

Macht Euch bereit auf unerwarteten

Besuch aus Utrecht.

ADAM.

So?

LICHT.

Der Herr Gerichtsrat kömmt.

ADAM.

Wer kömmt?

LICHT.

Der Herr Gerichtsrat Walter kömmt, aus Utrecht.

Er ist in Revisions-Bereisung auf den Ämtern,

Und heut noch trifft er bei uns ein.

ADAM.

Noch heut! Seid Ihr bei Trost?

LICHT.

So wahr ich lebe.

Er war in Holla, auf dem Grenzdorf, gestern,

Hat das Justizamt dort schon revidiert.

Ein Bauer sah zur Fahrt nach Huisum schon

Die Vorspannpferde vor den Wagen schirren.

ADAM.

Heut noch, er, der Gerichtsrat, her, aus Utrecht!

Zur Revision, der wackre Mann, der selbst

Sein Schäfchen schiert, dergleichen Fratzen haßt.

Nach Huisum kommen, und uns kujonieren!

LICHT.

Kam er bis Holla, kommt er auch bis Huisum.

Nehmt Euch in acht.

ADAM.

Ach geht!

LICHT.

Ich sag es Euch.

ADAM.

Geht mir mit Eurem Märchen, sag ich Euch.

LICHT.

Der Bauer hat ihn selbst gesehn, zum Henker.

ADAM.

Wer weiß, wen der triefäugige Schuft gesehn.

Die Kerle unterscheiden ein Gesicht

Von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist.

Setzt einen Hut dreieckig auf mein Rohr,

Hängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter,

So hält so'n Schubiack ihn für wen Ihr wollt.

LICHT.

Wohlan so zweifelt fort, ins Teufels Namen,

Bis er zur Tür eintritt.

ADAM.

Er, eintreten! –

Ohn uns ein Wort vorher gesteckt zu haben.

LICHT.

Der Unverstand! Als ob's der vorige[238]

Revisor noch, der Rat Wachholder, wäre!

Es ist Rat Walter jetzt, der revidiert.

ADAM.

Wenngleich Rat Walter! Geht, laßt mich zufrieden.

Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen,

Und praktisiert, wie wir, nach den

Bestehenden Edikten und Gebräuchen.

LICHT.

Nun, ich versichr' Euch, der Gerichtsrat Walter

Erschien in Holla unvermutet gestern,

Vis'tierte Kassen und Registraturen,

Und suspendierte Richter dort und Schreiber,

Warum? ich weiß nicht, ab officio.

ADAM.

Den Teufel auch? Hat das der Bauer gesagt?

LICHT.

Dies und noch mehr –

ADAM.

So?

LICHT.

Wenn Ihr's wissen wollt.

Denn in der Frühe heut sucht man den Richter,

Dem man in seinem Haus Arrest gegeben,

Und findet hinten in der Scheuer ihn

Am Sparren hoch des Daches aufgehangen.

ADAM.

Was sagt Ihr?

LICHT.

Hülf inzwischen kommt herbei,

Man löst ihn ab, man reibt ihn, und begießt ihn,

Ins nackte Leben bringt man ihn zurück.

ADAM.

So? Bringt man ihn?

LICHT.

Doch jetzo wird versiegelt,

In seinem Haus, vereidet und verschlossen,

Es ist, als wär er eine Leiche schon,

Und auch sein Richteramt ist schon beerbt.

ADAM.

Ei, Henker, seht! – Ein liederlicher Hund war's –

Sonst eine ehrliche Haut, so wahr ich lebe,

Ein Kerl, mit dem sich's gut zusammen war;

Doch grausam liederlich, das muß ich sagen.

Wenn der Gerichtsrat heut in Holla war,

So ging's ihm schlecht, dem armen Kauz, das glaub ich.

LICHT.

Und dieser Vorfall einzig, sprach der Bauer,[239]

Sei schuld, daß der Gerichtsrat noch nicht hier;

Zu Mittag treff er doch ohnfehlbar ein.

ADAM.

Zu Mittag! Gut, Gevatter! Jetzt gilt's Freundschaft

Ihr wißt, wie sich zwei Hände waschen können.

Ihr wollt auch gern, ich weiß, Dorfrichter werden,

Und Ihr verdient's, bei Gott, so gut wie einer.

Doch heut ist noch nicht die Gelegenheit,

Heut laßt Ihr noch den Kelch vorübergehn.

LICHT.

Dorfrichter, ich! Was denkt Ihr auch von mir?

ADAM.

Ihr seid ein Freund von wohlgesetzter Rede,

Und Euren Cicero habt Ihr studiert

Trotz einem auf der Schul in Amsterdam.

Drückt Euren Ehrgeiz heut hinunter, hört Ihr?

Es werden wohl sich Fälle noch ergeben,

Wo Ihr mit Eurer Kunst Euch zeigen könnt.

LICHT.

Wir zwei Gevatterleute! Geht mir fort.

ADAM.

Zu seiner Zeit, Ihr wißt's, schwieg auch der große

Demosthenes. Folgt hierin seinem Muster.

Und bin ich König nicht von Mazedonien,

Kann ich auf meine Art doch dankbar sein.

LICHT.

Geht mir mit Eurem Argwohn, sag ich Euch.

Hab ich jemals –?

ADAM.

Seht, ich, ich, für mein Teil,

Dem großen Griechen folg ich auch. Es ließe

Von Depositionen sich und Zinsen

Zuletzt auch eine Rede ausarbeiten:

Wer wollte solche Perioden drehn?

LICHT.

Nun, also!

ADAM.

Von solchem Vorwurf bin ich rein,

Der Henker hol's! Und alles, was es gilt,

Ein Schwank ist's etwa, der zur Nacht geboren,

Des Tags vorwitz'gen Lichtstrahl scheut.

LICHT.

Ich weiß.

ADAM.

Mein Seel! Es ist kein Grund, warum ein Richter,

Wenn er nicht auf dem Richtstuhl sitzt,

Soll gravitätisch, wie ein Eisbär, sein.[240]

LICHT.

Das sag ich auch.

ADAM.

Nun denn, so kommt Gevatter,

Folgt mir ein wenig zur Registratur;

Die Aktenstöße setz ich auf, denn die,

Die liegen wie der Turm zu Babylon.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 235-241.
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