Die Braut

[77] Unberufen zum Scherz, welcher im Liede lacht,

Nicht gewöhnet zu sehn Knidia's Götterchen,

Wollt' ich Lieder, wie Schmidt singt,

Lieder singen, wie Hagedorn.


Schon glitt, zärtliche Braut, meine verlorne Hand

Nach Anakreons Spiel, rann es, wie Silberton

Durch die Saiten herunter,

Vom hinfliegenden blonden Haar;


Von dem Kuss, der gerauht, halb nur empfunden wird,

Von der süsseren Lust eines gegebenen;

Von dem frohen Gelispel

Unter Freunden und Freundinnen,
[78]

Wenn die schnellre Musik in die Versamlung sich

Ungestümer ergiesst, Flügel der Tänzer hat,

Und das wildere Mädchen

Feuervoller vorüberrauscht;


Von der bebenden Brust, welche sich sanft erhebt,

Nicht gesehen, will seyn, aber gesehen wird:

Und von allem, was sonst noch

Durch die Lieder zur Freude lockt.


Doch mit Blicken voll Ernst winket Urania,

Meine Muse, mir zu, gleich der unsterblichen,

Tiefer denkenden Singer,

Oder, göttliche Fanny, dir!


Singe, sprach sie zu mir, was die Natur dich lehrt!

Jene Lieder hat dich nicht die Natur gelehrt;

Aber Freundschaft, und Tugend

Sollten deine Gesänge seyn!


Also sprach sie, und stieg zu dem Olymp empor.

Aber darf auch ihr Ernst, bey dem Geräusch der Lust,

Bey den blühenden Minen,

Leises Trittes vorübergehn?
[79]

Ja! du hörest mich, Braut, und dein gebildet Herz

Mischt zur Freude den Ernst, fühlt so die Freude mehr!

Du verkennest das Lächeln

In dem Auge der Tugend nicht!


Wenn die Lippe nicht mehr blühet, die Wange nicht,

Wenn der sterbende Blick sich in die Nacht verliert,

Wenn wir unsrer Verlangen

Thorheit weis' und verachtend sehn;


Wenn, wo sonst uns der Lenz auch zu der Blume rief,

Da, bey unserem Grab' Enkel und Enkelin,

Uns vergessend, sich lieben:

Dann ist, Freundin, die Tugend noch!


Jene Tugend, die du kennst, und bescheiden thust,

Die den, welchen du liebst, neben dir glücklich macht,

Die dem Auge der Mutter

Heimlich Thränen der Freud' entlockt.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 77-80.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon