Gegenwart der Abwesenden

[135] Der Liebe Schmerzen, nicht der erwartenden

Noch ungeliebten, die Schmerzen nicht,

Denn ich liebe, so liebte

Keiner! so werd ich geliebt!


Die sanftern Schmerzen, welche zum Wiedersehn

Hinblicken, welche zum Wiedersehn

Tief aufathmen, doch lispelt

Stammelnde Freude mit auf!


Die Schmerzen wollt ich singen. Ich hörte schon

Des Abschieds Thränen am Rosenbusch

Weinen! weinen der Thränen

Stimme die Saiten herab!
[136]

Doch schnell verbot ich meinem zu leisen Ohr

Zurück zu horchen! die Zähre schwieg,

Und schon waren die Saiten

Klage zu singen verstumt!


Denn ach, ich sah dich! trank die Vergessenheit

Der süssen Täuschung mit feurigem

Durste! Cidli, ich sahe

Dich, du Geliebte! dich Selbst!


Wie standst du vor mir, Cidli, wie hing mein Herz

An deinem Herzen, Geliebtere,

Als die Liebenden lieben!

O die ich suchet', und fand!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 135-137.
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