Drittes Lied

[12] Lied, werde sanfter, fliesse gelinder fort.

Wie auf die Rosen hell aus des Morgens Hand

Der Thau herabträuft, denn dort kömt er

Fröhlicher heut und entwölkt mein Gellert.


Dich soll der schönsten Mutter geliebteste

Und schönste Tochter lesen, und reizender

Im Lesen werden, dich in Unschuld,

Sieht sie dich etwa wo schlummern, küssen.


Auf meinem Schooss, in meinen Umarmungen

Soll einst die Freundin, welche mich lieben wird,

Dein süss Geschwätz mir sanft erzählen,

Und es zugleich an der Hand als Mutter


Die kleine Zilie lehren. Des Herzens Werth

Zeigt auf dem Schauplatz keiner mit jenem Reiz,

Den du ihm gabst. Da einst die beyden

Edleren Mädchen mit stiller Grossmuth,
[13]

Euch unnachahmbar, welchen nur Schönheit blüht,

Sich in die Blumen setzten, da weint' ich, Freund,

Da flossen ungesehne Thränen

Aus dem gerührten entzückten Auge.


Da schwebte lange freudiger Ernst um mich.

O Tugend! rief ich, Tugend, wie schön bist du!

Welch göttlich Meisterstück sind Seelen,

Die sich hinauf bis zu dir erheben!


Der du uns auch liebst, Olde, kom näher her,

Du Kenner, der du edel und feuervoll,

Unbiegsam beyden, beyden furchtbar,

Stümper der Tugend und Schriften hassest!


Du, der bald Zweifler, und Philosoph bald war,

Bald Spötter aller menschlichen Handlungen,

Bald Miltons, und Homerus Priester,

Bald Misanthrope, bald Freund, bald Dichter,


Viel Zeiten, Kühnert, hast du schon durchgelebt,

Von Eisen Zeiten, silberne, goldene!

Kom, Freund, kom wieder zu des Britten

Zeit, und zurück zu des Mäoniden!
[14]

Noch zween erblick' ich. Den hat vereintes Blut,

Mehr noch die Freundschaft, zärtlich mir zugesellt,

Und den des Umgangs süsse Reizung,

Und der Geschmack mit der hellen Stirne.


Schmidt, der mir gleich ist, den die Unsterblichen

Des Hains Gesängen neben mir auferziehn!

Und Rothe, der sich freyer Weisheit

Und der vertrauteren Freundschaft weihte.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 12-15.
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