Der 2. Absatz.

Von dem Getraid.

[604] Das Getraid / Korn oder Weitzen / wie mans zu nennen pflegt / ist Zweiffels ohne die allerbeste / nutzlichste und nothwendigste Frucht / als welche dem Menschen das tägliche Brod verschafft / welches ein allgemeine Speiß der Reichen und Armen / Herrn und Bauren / Grossen und Kleinen ist: alle Früchten kan man ehender / als dise manglen.6 Das Korn ist dasjenige / welchem der Baursmann all sein sauren Schweiß das Jahr hindurch widmet und aufopferet /von disem muß er sich und die Seinige erhalten / ja auch sein Herrschafft befridigen und bezahlen: die Hoffnung zu einem guten Schnitt oder reichen Erndt macht ihm alle Müh und Arbeit ring / und wann dises fehlt / ist ihm alles gefählt. Dises hat gar wohl erkennt und klüglich erwogen jener fürtreffliche Haußhalter des Königs Pharaonis / der Joseph in Egypten: dann als er aus einem Geheimnuß-reichen Gesicht oder Traum / welchen der König Pharao gehabt / aus göttlicher Eingebung verstanden hatte / daß nunmehro 7. überaus fruchtbare Jahr nacheinander folgen werden /und in denselben das Getraid und anders in grossem Uberfluß wachsen werde / hierauf aber 7. andere gantz unfruchtbare und lauter Fehl-Jahr folgen / und gar nichts wachsen werde; da hat er / der allgemeinen Hungers-Noth vorzukommen / dise Klughelt gebraucht. Er hat das überflüßige Korn in einer überaus grossen Menge in gantz Egyptenland zusammen gesammlet / großmächtige Korn-Häusser bauen lassen /selbes darinnen verschlossen aufbehalten: nachmahlens aber / zur Zeit der allgemeinen Noth / selbige wiederum eröffnet / den Egyptier nach Nothdurfft ausgetheilet / ja auch denen Ausländischen / die aus Noth getriben dahin kommen seynd / um einen billichen Preiß hat zukommen lassen: und also hat er das Volck von der allgemeinen Hungers-Noth errettet / und vor dem Untergang bewahret.7

Dieselbige Korn-Häuser / wie die Reisende / so in Egypten gewesen / erzehlen / stehen annoch auf den heutigen Tag / und zwar unter der Bottmäßigkeit des Türckischen Kaysers: sie seynd von überaus starck und dicken Mauren erbaut / sie haben aber kein Tach / weilen es nemlich in Egypten niemahl regnet / sondern der Fluß Nilus giesset sich zu gewissen Zeiten aus / und feuchtet die Felder an; mithin versammlen sich alldorten die Turtel-Tauben tausend weiß / und finden da gar bequem ihre Nahrung bey den aufgeschütten Korn-Häuffen: es ist auch jetziger Zeit das Egyptenland gleichsam der Türckey ihr Korn-Kasten.

Da bey dem Egyptischen Vice-König dem dem Joseph hat es geheissen: Kaufft in der Zeit / so habt ihr in der Noth: und dises ware gar billich und recht / es ware ein kluge Vorsichtigkeit / welche nit auf sein eigenes Interesse, sonder auf die allgemeine[604] Wohlfahrt des Landes abzihlete.8 Aber sehr unbillich und ein grosses Unrecht ist es / kein kluge Fürsichtigkeit /sonder ein unverantwortlicher Geitz ist es / und höchst sträffliche Schinderey / wann die gar zu eigennutzige / sogenannte Korn-Juden das Getraid in grosser Menge in einem ringen wohlfeilen Preiß aufkauffen / zusammen scharren / hinterhalten und versperren / zu grossem Schaden und Nachtheil des gemeinen Manns / wann sie auch gebettèn / und um ein billichen Preiß / um die pare Bezahlung nichts wollen darvon hergeben / biß daß es ihnen recht theur genug worden / und biß auf den höchsten Preiß gestigen /also / daß es ihnen leid ist / wann GOtt die Felder seegnet / und dem Land eine gute Erndt ertheilt / weilen sie nemlich ihre Scheuren voller Früchten haben /und selbe nimmer theur genug zu verschleissen wissen / nur ander Leuthen Leid und Unglück ist ihr Freud: wie sehr aber dises der Christlichen und brüderlichen Lieb widerstrebe / und wie schwer es GOtt mißfalle / das ist genugsam abzumessen aus den erschröcklichen Straffen / mit welchen er öffters / auch noch auf diser Welt / solche Geitzhälß und Wucherer angesehen hat.

Der H. Ambrosius stehet zwar an / und zweifflet /ob er sie Wucherer oder Mörder nennen soll. Latrocinium hoc an Joenus appellem? fragt er l. 3. offi. c. 6. was gewinnen sie aber endlich dardurch? die schwere Verantwortung / den Zorn GOttes / den allgemeinen Fluch des Volcks. Dises bezeuget austrücklich die heilige Schrifft: Qui abscondit frumenta maledicetur in populis, wer das Korn verbirgt / und dardurch ein Theurung verursacht / dem fluchen die Leuth / aber Seegen kommt über den der es verkaufft / und den Bedürfftigen lasset zukommen um einen billichen Preiß. Was haben dise anders zu gewarten / als was dem Nabal begegnet ist / welchen der David um die nothwendige Lebens Mittel ersucht hat / diser grob und ungeschlachte Gesell hat ihms abgeschlagen: Percussit Dominus Nabal & mortuus est: GOtt aber hat ihn geschlagen / sagt der H. Text / und er ist gestorben.

Ein seltsamer Fluch / wie der H. Turonische Bischoff Gregorius erzehlt / ist über ein geitzigen unbarmhertzigen Schiff-Patron, oder Schiff-Herrn ergangen / welcher mit einem Schiff voll Victualien /oder Eß-Waaren bey einem gewissen Meer-Port angelangt ist.9 Unter anderen / die etwas von disen Waaren einzukauffen verlangten / kame auch ein alter Bettler dahin / der von den Schiffleuthen demüthig um etwas zu essen anhielte / aber nichts als böse Wort bekame. Er begab sich also zu dem Schiff-Herrn sellbst / und bate ihn um etwas Speiß / seinen Hunger zu stillen: diser schafft ihn auch mit Unwillen ab /sprechend: packe dich fort du molæster Alter / ich führe ja nichts im Schiff als lauter Stein. Der gute alte Mann schupft die Achsel hierüber / und sagt / nun so sey es dann / daß du nichts als Stein führest / und sihe Wunder! der Wunsch gehet an / und in einem Augenblick seynd alle so häuffige Eß-Waaren in lauter Stein verwandlet worden. Der geitzige Schiff Herr erschrack hierüber / und ließ alsobald den Bettler wieder aufsuchen / aber er ware nit mehr zu finden und zu erfragen. Der sehr betrübte Schiff-Herr erkennte und bekennte sein grosse Schuld / und verübte Unbarmhertzigkeit / und damit andere sich an ihm spiegleten /hat er vil von solchen steinernen Früchten in die umligende Ort abgeschickt. Der gemeldte Heil. Gregorius sagt / er habe selbst Datlen und Oliven darvon gesehen / die so hart waren als wie ein Marmelstein / aber die Farb / Form und Gestalt der rechten natürlichen Früchten behalten haben.[605]

Es schreibt auch Bonif. Bagata, daß zu Leyden in Holland einstens ein grosse Hungers-Neth ware / und ein Weibs-Persohn von ihrer leiblichen Schwester bittlich um ein Brod anhielte / wohl wissend / daß sie mit solchem versehen ware / aber die unbarmhertzige Schwester laugnet einiges Brod zu haben / ja wann ich eins habe / sagte sie / so soll es zu Stein werden. Es ist auch geschehen / wie dann heutiges Tags in S. Peters Kirchen diser Stadt / ein solcher steinerner Laib Brod zum Angedencken gewisen wird.

So vil von der zeitlichen Straff der umbarmhertzigen Geitzhälsen in dem Leben: aber wie wird es ihnen ergehen in dem Tod? der heilige Apostel Jacobus sagt es: Judicem sine misericordia illi, qui non fecit misericordiam.10 Es wird ein unbarmhertzig Gericht über den ergehen / der nicht Barmhertzigkeit gethan hat.

Es hat zwar auch der heilige Remigius, Ertz-Bischoff zu Rhems in Franckreich einstens ein grosse Menge Korn in seinem Bistthum zusammen sammlen lassen / aber nit aus Geitz und Eigennutzigkeit / wie es öffter die Korn-Käuffler jetziger Zeit zu machen pflegen: sondern weilen es ein ungemein fruchtbares Jahr geben hat / in welchem alles in grossem Uberfluß gewachsen ist; GOtt aber disem grossen Heiligen geoffenbahret hat / daß im künfftigen Jahr darauf gar kein Frucht / sondern ein grosse Unfruchtbarkeit /Theurung und Hungers-Noth erfolgen werde / deßwegen hat der H. Bischoff / damit er alsdann denen Bedürfftigen mit nothwendigen Lebens-Mittlen beyspringen möchte / ein grosse Menge Früchten gesammlet und aufbehalten.11 Er befahle / daß man in den Dorffschafften / die seiner Kirchen zugehörig waren / die Frucht-Garben aufeinander gelegt wurden / und also aufgehäufft / daß sie wie kleine Thurn anzusehen warē. Dises ist neben anderen Orten auch in einem Dorff / Zelt genannt / geschehen / um welches etliche dergleichen Thurn um das Dorff herum im Feld gestanden seynd. Von den Inwohnern dises Dorffs aber wird gemeld / daß sie ihrem heiligen Bischoff untreu und widerspennig gewesen: dise haben sich an einem Sonntag zusammen gerottet / rauschig getruncken / und häfftig wider ihren Herrn und Bischoff gemurret: was wird wohl der alte Tättel / sagten sie Spott-weiß untereinander / mit disen Thurnen anfangen? villeicht will er aus unserm Dorff ein Stadt oder Vestung machen wollen / weil er es mit solchen Thurnen umgeben hat? ja sie haben endlich aus Eingebung des bösen Feinds beschlossen / die Korn-Häuser und alle Früchten anzuzinden / und ihm zu Leid alles zu verbrennen. Dises gottlose Vorhaben der Bauren hat man alsobald dem H. Remigio zu wissen gemacht / der nit weit von dannen in einer geistlichen Function sich befande. Diser Heil. Mann aber macht sich alsobald mit den Seinigen auf / und eilet dem Dorff Zelt genannt zu / so grossen Schaden abzuwenden: aber es ware schon zu spath / er fande alles in völligen Flammen. Was soll er nun in solchem Zufall gethan haben? hat er etwan zu GOtt um Rach geschryen / daß er dise Bößwicht auf der Stell straffen solle? oder hat er sie gefangen genommen / selbe abzustraffen und hinzurichten / dem König uberliferet? wohl gewiß nichts wenigers. Sondern weil er von einem hohen Alter / und es damahl im spaten Herbst /und zimlich kalt war / so hat er ohne das mindiste Zeichen einer Ungedult sich dem Feur genäheret / und sich darbey gewärmet / mit lächlendem Mund sprechend: Semper bonus est focus: Es ist allzeit gut bey jedem Feur sich wärmen: das ware all sein Zorn und Rach. O verwunderliche Gedult und Sanfftmuth!

Aber wann die Hoffnung einer guten Erndt bey dem Baursmann / wie gemeld / so vil vermag / daß sie[606] alle Müh und Arbeit / die er das gantze Jahr hindurch in Hitz und Kälte / in Hunger und Durst / fruh und spat anwenden muß ring und erträglich machen: wann er sich so höchlich erfreuet / indem er seine kleine Scheur oder Hütten mit Korn-Garben angefüllt sihet.12 Was solle nit bey einem guten Christen vermögen die Hoffnung der ewigen Belohnung / der unendlichen Gütern / alle Müh und Arbeit ring zu machen / und alle Beschwerden zu übertragen / die er in Erfüllung des göttlichen Gesatzes anzuwenden und auszustehen hat. Wie vilmehr wird er sich zu erfreyen haben in Besitzung der himmlischen Güter? dises ist was der Königliche Psalmist gesprochen hat: Labores manuum tuarum quia manducabis, beatus es & bene tibi erit.13 Wann du die Arbeit deiner Händen essen wirst / ich will sagen / wann du die Früchten deiner Verdiensten geniessen wirst / alsdann wirst du glückseelig seyn und wird dir wohl gehen. Widerum / euntes ibant & flebant mittentes semina sua.14 Sie giengen hin weinend / und warffen aus ihren Saamen /im Widerkommen aber werden sie mit Freuden kommen / und bringen ihre Garben.

Ubrigens gibt es in unterschiedlichen Ländern unterschidliches Korn oder Getraid / dessen Aehren in der Grösse / Farb und Gestalt ungleich seynd.15 Wie es bey uns beschaffen seye / ist jedermänniglich genugsam bekannt. Plinius hat das welsche Korn für das allerbeste gehalten. Es soll auch Italien und Eypten dißfalls die fruchtbariste Landschafft seyn / also /daß zu Zeiten an gewissen Orten ein ausgesäelter Scheffel oder Malter Korn 100. andere aufwachsen machet. Und eben dises ist was Christus im Evangelio gesprochen hat / daß nemlich der Saamen / wann er in ein gute Erden fallt / hundertfältige Frucht bringe. Zu wünschen wäre / daß auch die Erden des menschlichen Hertzens so gut und fruchtbar wäre / daß der Saamen des Wort GOttes in den göttlichen Einsprechungen / so häuffige Früchten der Verdienst und guten Wercken in demselben herfür bringen thäte.

Aber gleich wie hingegen der Saamen in einer schlimmen Erden leichtlich ins Unkraut verwandlet wird / absonderlich bey kalt- und nasser Wütterung: also wann der Saamen des Worts GOttes / und der göttlichen Einsprechungen in ein übel-zubereites Hertz fallet / welches an der Liebe erkaltet / und feucht ist von fleischlichen Wollüsten und Sinnlichkeiten / da thut anstatt des guten Getraids oder Weitzens / das höllische Unkraut der Sünd und Lastern erwachsen.

Es kan auch einiger Massen die H. Schrifft durch das Korn verstanden werden: dann gleichwie das Korn von GOtt zur allgemeinen Nahrung der Menschen erschaffen und verordnet ist / also ist die H. Schrifft zur geistlichen Nahrung der Christen verordnet.16 Aber das Aussere an den Korn-Aehren is rauh und scharff / und die gute reine Weitzen-Körnlein seynd darin verschlossen und bewahret / daß sie nit so leicht von den Vöglen weggefressen werden / oder sonst verderbt werden: auch die Heil. Schrifft ist zu Zeiten dem äusserlichen Ansehen und buchstäblichen Verstand nach rauh oder hart und dunckel / aber innerhalb ist der süß- und reine Kern der Christlichen Wahrheit enthalten / und vor den Raub-Vöglen / das ist / der Ketzer und Irrglaubigen verborgen und bewahret.

Ferners an dem Korn oder Getraid seynd 2. oder 3. Theil zu finden / nemlich die Weitzen-Körnlein selbst / und die Spreuer und Strohalm / jene werden fleißig in den Scheuren aufbehalten / dise aber zum Futter und Dienst des unvernünfftigen Vihs gebraucht / oder gar ins Feur geworffen. Eben also gibt es auch in der Christlichen Gemeind gut und fromme / auch schlimme und gottlose[607] Christen. Jene seynd frumentum electorum, das Korn der Auserwählten / welches in die himmlische Scheuren eingesammlet und aufbehalten wird. Dise aber taugen nit dahin / sondern nur zu den unvernünfftigen Thieren / oder gar in das Feur / und zwar in das ewige Feur. Das Korn wird öffters von dem Unkraut versteckt / und von übermäßigem Regen verderbt / also / daß es nit aufwachsen und zur Zeitigung gelangen kan: auch die gute fromme Christen werden offt von bösen gottlosen Gesellē / oder von überflüßigen Wollust und Reichthumen verhinderet /daß sie nit zu ihrer Vollkommenheit gelangen mögen.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 604-608.
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