Anhang zu dem Getraid von dem Brod.

[608] Das Brod ist die gemeinste und gewöhnlichste Speiß uns aller Menschen / die sie auch am meisten nähret und stärcket / um welches wir GOTT täglich bitten (obwohlen durch das Brod auch andere leibliche Nothdurfften / als Kleidrr / Wohnung verstanden werden) es wird aber das Brod in unterschidlichen Ländern auf mancherley Weiß / und aus unterschidlichen Früchten præparirt oder zubereitet / deswegen es auch an sich selher sehr ungleich ist / das eine weiß /das andere schwartz / das eine ringleicht und wohl geschmack / das andere rauhschwer und ungeschmack /anderst ist das Herren-Brod / anderst das Bauren-Brod beschaffen.17 Das beste und gesundeste ist /welches aus einem wohl-gearbeiteten Teig und Weitzen-Meel / das nit gar zu neu und nit gar zu alt ist /mit frischem Bronnen-Wasser / ein wenig Häfel oder Saurteig und Saltz gemengt / und von mäßiger Hitz des Feurs langsam / und durchein wohl gebachen ist. Wobey auch anzumercken / daß wann man 2. Laib Brod von gleicher Grösse und Materi gegen einander abwegt / deren der eine gesaltzen / der andere aber ungesaltzen ist / da wird man finden daß der ungesaltzene um ein merckliches schwerer seye / als der gesaltzene: und dises glaublich darumen / weilen das Saltz verursachet / daß die in dē Teig enthaltene Nässe ober Feuchtigkeiten mehrers evaporiren / odee ausgetrucknet werden / und folgends die Massa des Brods erringeret worden ist.

Der Brod-Mangel ist der gröste Mangel / schier alles kan man leichter manglen als das Brod / und dessentwegen hat GOtt öffters seinen getreuen Dienern / so wohl des alten als neuen Testaments / den Abgang des Brods (nit aber den Abgang unnöthig-und überflüßiger schlechter Bißlein) wunderthätiger Weiß ersetzt.18 Dem Propheten Elias / und dem H. Einsioler Paulo / haben aus göttlicher Verordnung die Raaben täglich das Brod in die Einöde gebracht: mit etlich wenigen Brod hat Christus etlich tausend Menschen gespeiset und ersättiget. Einem Convent voller Religiosē des Ordens des H. Dominici, als sie einstens aus freywilliger Armuth zur Tisch-Zeit gar nichts zu essen hatten / da ist ein Engel in sichtbarlicher Gestalt erschinen / und hat ihnen ein Korb voll des besten Schnee-weissen Brods ausgetheilt.

Ein andere gar merckwürdige Begebenheit / die sich mit dem Brod zugetragen hat / wird erzehlt in den Jahr-Geschichten des H. Capuciner-Ordens: Der gottseelige P. Archangelus von Palermo, hatte ein ungemeine Lieb und grosses Mitleiden gegen den Armen / also / daß er nit leicht einem etwas abschluge / wann es möglich ware ihm zu willfahren. Diser reisete einstens von Alcamo nacher Drepano, zur Zeit da ein grosse Hungers-Noth ware / und die nothwendige Lebens-Mittel schwerlich zu erbetten waren: deßwegen nahme der Gesell dises Patris etliche kleine Leiblein Brod mit sich / damit sie auf dem Weeg etwas zu essen hatten. Sie kamen aber nit weit / da begegneten ihnen zwey gar hungerige Bettler / die sie um ein Allmosen baten:[608] der P. befihlet dem Gesellen /denen Armen etwas zu geben / welches er auch / obwohlen sie noch weit zu reisen hatten / gethan / und ihnen zwey kleine Brod geben hat. Bald hernach kamen schon wieder zwey andere / eben so Hungerige und Armseelige / welche inständig um etwas zu essen baten: P. Archangelus aus grossem Mitleiden bewegt / wolte haben sein Gesell solle auch disen etwas geben / welcher zwar hart daran kame / doch hat er endlich auch disen zwey Leiblein mitgetheilt. Aber es hatte noch kein End: über ein halbe Stund beyläuffig begegneten ihnen noch zwey vor Hunger halb todte Bettler / welche um GOttes Willen um ein Stücklein Brod / das Leben zu erretten / schryen. Ey so gibe ihnen dann / sprach der Pater zu dem Bruder / in GOttes Nahmen / die übrige beyde Brod / GOTT wird uns hoffentlich schon Fürsehung thun / daß wir auf Drepan kommen. Ehrwürdiger Vatter / antwortet der Bruder / wann wir all unser Nothdurfft weggeben / so scheint es als wann wir GOtt versuchen thäten / doch auf Anhalten des Patris gibt er ihnen alles / was sie noch hatten: Sie setzten ihr Reiß fort biß Nachmittag /da sie dann auch so hungerig und matt wurden / daß sie die Füß schier nit mehr tragen wolten / ohne daß sie ein Bißlein hatten sich zu laben und zu stärcken /deßwegen auch der Bruder anfieng kleinmüthig zu werden: der Pater ermahnte ihn zur Gedult / und tröstete ihn mit der Hoffnung / daß sie GOtt nit verlassen / sondern bald beyspringen werde / als deme zu Lieb sie alles ausgegeben haben: und sihe! indem sie also miteinander reden / kamen etliche Herren daher /welche auf Alcamo reiseten / und als sie vernommen /daß dise zwey arme Geistliche vor Hunger schier unterligen / und nit mehr fort kommen kunten / so sprachen sie / eben recht kommen wir da zusammen /dann wir haben biß daher unser Mittag-Mahl einzunehmen verschoben / Zweiffels ohne hat es GOtt also verordnet. Sie setzten sich also zusammen / und weil dise Herren genugsame Speisen bey sich hatten / so haben sie dise zwey Religiosen mit Freuden zu gast gehalten / u. reichlich ersättiget: sie hingegen kunten GOtt und ihren Gutthätern nit genugsam dancken für so grosse freygebige und wunderbarliche Vorsehung. Ja was noch mehr ist / als sie voneinander scheideten / nahme einer aus disen Herren 6. schöne Semel-Brod / die er mitgeführt / gabe sie dem Bruder / selbe mit zunehmen / mit vermelden / daß sie auf dem Weeg sonst nichts mehr bekommen werden / gantz unwissend / daß sie eben auch selbst zuvor ihre sechs Bröd um Christi Willen zu Allmosen geben haben. Als sie aber dises von P. Archangelo vernommen / preiseten sie samentlich die so gütige Vorsichtigkeit GOttes /der disen zwey Geistlichen für 6. kleine und schlechte Brod 6. grössere und bessere so wunderbarlich hat zugeschickt / und ihr mitleydige Freygebigkeit gegen den Armen mit einem reichen Gastmahl vergolten hat. Annales Capuc. ad annum 1587.

Dises Brod hat grosse Freud und Trost verursachet. Aber ein gantz andere Würckung hat gehabt jenes Stücklein Brod / welches ein gewisser Heilliger /einem auf der Straß schlaffenden Bettler aus seinem Bettel-Sack genommen / und ihme in der Still auf sein Brust gelegt hat; dann so bald dises geschehen / hat der Bettler in dem Schlaff angefangen zu seufftzen /und erbärmlich wehzuklagen. Als er aber von dem Schlaff erwacht ist / und man ihn gefragt hat / was ihm doch gefehlt / und warum er also gejammert habe / gab er zur Antwort: es sey ihm nit anderst gewesen /als wann ein grosser schwerer Stein ihm auf dem Hertzen lage / und die Brust eintrucken wolte. Durch welches Wunder GOtt hat wollen zu verstehen geben / wie sehr es ihm mißfalle daß diser Bettler (welcher ein starcker / frisch- und gesunder Mann ware) sein Stuck Brod im Müßigang und mit bettlen suchte /[609] indem er doch wohl mit einer ehrlichen Arbeit sich hätte ernähren können und sollen.

Das Brod hat disem Bettler übel zugeschlagen / es hat ihn gewaltig getruckt und beschwert / weilen er es müßig gesammlet und geessen hat.19 Nun aber seynd wir auch alle Bettler gegen GOtt gerechnet / den wir auch in dem H. Vatter Unser um das tägliche Brod bitten / deßwegen sollen wir uns hüten / daß wir es nit im Müßigang verzehren / sonst wird es uns auch im Gewissen trucken und schwer machen: dann das Urtheil GOttes / in sudore vultus tui vesceris pane tuo.20 Im Schweiß deines Angesichts solt du dein Brod essen: ist nach begangener Erbsünd nit nur über den Adam / sondern über alle seine Nachkömmling ergangen / nit nur über die Arme / Bauren und gemeine Leuth / sondern auch über die Edle / Reiche /und Herrn / über die König und Fürsten. Ja eben dise / weil sie vilmehr von dem Brod-Essen / das ist / von den zeitlichen Gütern geniessen / als die Arme und Gemeine / so seynd sie schuldig auch mehr und fleißiger zu arbeiten / nit zwar mit der Hand / sondern mit dem Kopf oder mit dem Gemüth / ein jeder nach seiner Stands-Gebühr / und nach der Maaß / der von ihm verlihenen Kräfften und Talenten. Es heist da qui non laborat manducet. Der nit arbeitet soll auch nit essen / keiner ist hiervon ausgenommen.

So vil bißhero von dem leiblichen und sichtbarlichen Brod / was aber das geistlich oder sittliche Brod der Seelen anbelangt / so ist selbes vilfältig und unterschidlich.21 Es ist erstlich panis doloris & lachrymarum, das Brod der Reu und Schmertzen über die begangene Sünden / von welchen der reumüthige David in den Psalmen Meldung thut: est ist das Brod des Worts GOttes / und der Cristlichen Lehr oder Unterweisung / von welchem Christus im Evangelio meldet / und sagt / daß der Mensch nit nur von dem Brod allein lebe / sondern von jedem Wort / welches von dem Mund GOttes ausgehet: Es ist ferners das Brod des Trosts und der Süßigkeit / so die Seel aus der Betrachtung himmlischer Dingen schöpfet.

Es ist endlich und absonderlich panis evcharisticus, das hochwürdige Sacrament des Altars / welches fürnemlich im sittlichen Verstand durch das natürliche Brod zu verstehen ist / dann gleich wie das natürliche Brod den Leib des Menschē beym Leben erhaltet / ernähret / sättiget u. stärcket im geistlichen Leben die Seel das sacramental. Brod / von welchē Christus im Evangelio bezeuget / er selbsten seye das lebendige Brod / oder das Brod des Lebens / so vom Himmel herab gestigen / allen Geschmack der Süßigkeit / und allen Wollust in sich haltet / und der es geniesse /werde ewiglich leben. Dises himmlische Englische Brod ist zur Speiß der Menschen worden / die es in sich verwandlete / vorbeditten durch jenes Brod / welches der Engel GOttes dem Propheten Eliä / als er vor der gottlosen Königin Jezabel geflohen ist / und unter einem Wachholderbaum geruhet / gebracht hat: von welchem er also ist gestärckt worden / daß er in Krafft derselben Speiß 40. Täg und 40. Nächt lang biß an den Berg Horeb hat wandlen können. Eben also wird der Mensch / wann er vor der gottlosen Welt fliehet /und auf dem Berg der Gebott GOttes zu dem himmlischen Berg Sion wandert / daß er auf dem Weeg diser mühsamen Wanderschafft nit unterlige: und deßwegen wird es auch Viaticum, oder ein Wegzehrung genennt.

Es bemühen sich zwar die eitle Welt-Menschen vilfältig mit dem Brod der zeitlichen Wollüsten / Ehren und Reichthumen zu ersättigen und zu ernähren / aber umsonst / es wird niemahl geschehen.22 Dises Brod nähret und sättiget nit / ja es macht vilmehr hungerig und begierig / als daß es den Hunger oder die Begird stille. Man wird niemahl hören / daß ein recht ehrgeitziger oder geldgeitziger Mensch mit dem Geld oder Ehren zu friden / und ersättiget[610] seye / also daß er nit mehr zu haben / oder höher zu kommen begehre / sondern je mehr er hat / und höher er gestigen / je mehr will er haben / je höher will er steigen.

Die zeitliche Güter seynd gleich dem Brod eines schlaffend- und traumenden Menschen / von welchem der Prophet Isaias gesprochen hat: So inniat esuriens, & comedit, cum autem fuerit expergefactus, vacua est anima ejus.23 Einem Hungerigen traumet es als wann er esse / er hat auch ein kleine Freud darob /aber wann er erwachet / da hat er ein leeren Magen /es hungeret ihn ärger als zuvor: er ist zwar ergötzet aber nit ersättiget worden. Eben also / die zeitliche Wollüsten / Ehren und Reichthumen ergötzen zwar den Menschen ein wenig / aber sie seynd nit fähig seine Begirden zu ersättigen oder zu erfüllen / sonder vilmehr dieselbe zu entzinden.

Ein gleiche Beschaffenheit hat es mit dem Brod der zeitlichen Wissenschafften. Der weltweise Socrates ware so begirig auf die Weißheit / daß er ihm einbildete / als hät er würcklich alle Weißheit in sich geschluckt: aber als er aufwachte / und seinen Irrwahn erkennte / sprach: O mich Elenden! es traumte mir /als wann ich alles wuste / da ich aber jetzt erwachet bin / weiß ich allein dises gewiß / daß ich nichts wisse.

Hingegen das geistliche Brod der Seelen ist ein Brod der Wachenden und der Lebendigen: es nähret wohl / und ersättiget vollkommen die Begird und Anmuthungen einer reinen und gottseeligen Seel. Aber gleichwie es ein schlimmes Zeichen ist / ein Anzeigen einer Kranckheit oder verderbten Magens / wann der Mensch kein Brod essen mag / und ein Eckel oder Grausen darob hat: also ist es auch ein böses Zeichen / und Andeutung einer schlimmen Constitution oder Beschaffenheit / wann ein Catholischer Christ kein Lust und Neigung hat zu dem geistlichē Brod der Seelen / das ist / zu dem Wort GOttes / und zu dem hochwürdigen Sacrament des Altars. Ubrigens ist es das allergröste und unvergleichliche Lob des Brods / daß Christus sich gewürdiget dise Materi vor allen anderen zu erkisen / daß sie vermittelst der priesterlichen Consecration in seinen heiligsten Leib solte verwandlet werden.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 608-611.
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