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[120] Betrogen hast du mich, mein Schatz,
Und fühlst dich hoch und stolz dabei,
Daß eines Dichters großes Herz
Um deinetwillen gebrochen sei.
So traurig ist es doch noch nicht,
Die Wunde heilt in kurzer Zeit
Und das Gefühl, das mich durchtobt,
Ist nur verletzte Eitelkeit.
Gemüt und Seele – deine Brust
Besaß davon nicht eine Spur:
Du hattest einen schönen Leib
Und warst mein Freudenmädchen nur.
[120]
Doch dankbar bin für alles ich,
Für jeden Kuß und jeden Blick,
An all die süßen Stunden denk
Ich immer gerne noch zurück.
Adjüs! wir scheiden ohne Pein,
Kein Antlitz bleich, kein Auge naß –
Schön bist du, doch ich trinke nie
Mit andern aus demselben Glas.
Postscriptum: Dies noch wünsch' ich dir:
Daß deine Seele einst erwacht,
Damit auch du erfahren mögst,
Wie wahre Liebe selig macht.
Münster, 2. Dezember 1889