November

[119] Um meine Stiefel rauscht das Laub

Der nackten Waldesriesen,

Ein graues, trübes Schummerlicht

Umdüstert Wald und Wiesen.


Die Luft ist rauh und nebelnaß,

Nordwest beginnt zu wehen,

Ein greller, schriller Amselpfiff

Klingt jammernd aus den Schlehen.


Im schwanken Zickzackfluge tanzt

Gespenstig um die Eichen

Der Wintermotten fahle Schar,

Die letzten Lebenszeichen.


Sie treibt der Liebe Peitschenschlag,

Zu suchen ihre Weibchen,

Die hängen flügellos am Stamm

Mit aufgedunsnem Leibchen ...


Zur rechten Hand ein Waidmannssteg

Durch schwarze Tannendichtug,

Und mitten drin, breitästig, schirmt

Ein Buchenbaum die Lichtung –
[119]

Es war im Mai und jubelnd hat

Des Buchfinks Sang geklungen,

Was hier geschah, das habe ich

Im kecken Lied gesungen.


O grüner, sonnenheißer Tag,

O Herbsttag, kalt und trübe –

Im Herzen ächzt der letzte Schrei

Der totgetretnen Liebe.


Frostschmetterling und Menschenweib,

Untrennbar mir zu denken!

Wann wird euch Weibern die Kultur

Die Geistesschwingen schenken?


Ein neuer Mai, ein neues Grün

Und frische Liebessuche,

Und doch verlorne Liebesmüh,

Du weißt es, alte Buche.


Ein starker Ast von deinem Stamm,

Ein Strick um meinen Nacken –

Das wär' ein herbstlich Stimmungsbild,

Die Wirkung würde packen.


Münster, Herbst 1889

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 119-120.
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