Sommer

[156] Über die Heide ziehen Spinneweben

Von Halm zu Halm ihr silberweißes Tuch,

Am Himmelsrande weiße Wölkchen schweben

Und weißes Wollgras wimpelt überm Bruch.


Es glüht die Luft wie ein Maschinenofen,

Kein Menschenleben regt sich weit und breit,

Der Baumpieper nur schmettert seine Strophen

Und hoch im Blau der Mäusebussard schreit.


In rosa Heidekraut den Leib ich strecke,

Das Taschentuch ich auf die Augen breit',

Weit von mir ich die schlaffen Glieder recke

Und dehne mich in süßer Müdigkeit.


O Grabesschlaf, wollüstiges Genießen!

Wenn dieser müde Menschenleib verwest,

Wenn die Atome auseinanderfließen

Und Glied an Glied sich reckend, dehnend löst.


Münster, Juni 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 156-157.
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