[222] Heut' ist der erste Dezembertag,
Da ist das Herz uns schwer,
Ich seh' noch, wie er vor mir lag,
Sind's auch schon Jahre her.
Am ersten Dezember vor sieben Jahr
Schien auch die Sonne so blank,
Und als der Tag zu Ende war,
Die Totenglocke klang.
Wir gingen zu Holze bei halber Nacht,
Der Schnee war hell und hart,
Der Himmel stand in Sternenpracht,
Uns fror der Hauch im Bart.
Wir gingen nebeneinander her,
Seine Augen waren weit fort,
Sein Atem ging so tief und schwer,
Er sprach kein einziges Wort.
Und als wir kamen auf das Hai,
Da sagte er: »Johann,
Mir ist so eigen, Junge, sei
Meiner Schwester ein guter Mann!«
Er setzte die Säge an den Baum,
Am anderen Ende ich stand;
Seine Augen waren wie im Traum,
Ich hatt' ihn noch nie so gekannt.
Sonst sah man die Zähne in seinem Mund,
Den Tag, da sah man sie nicht;[222]
Sonst war so fröhlich und so rund,
Nun ernst und lang sein Gesicht.
Wir nahmen die Axt, der Doppelklang
Schallte hell und klar;
Das Echo aus dem Felsen sprang,
Ganz wie sonst es war.
Es gab einen Krach und gab einen Schrei,
Falsch fiel der Buchenbaum;
Er fiel auf ihn: »Es ist vorbei,«
Sprach er, den Mund voll Schaum.
Ich sprach für ihn ein kurzes Gebet,
Daß leicht ihm die Erde sei;
Im Dorfe hat ein Hahn gekräht,
Es war wie ein Jammerschrei.
Der Oberholzhauer trat heran
Und deckte ihm zu das Gesicht,
Und sprach: »Nun sagt es dem Förster an!
Für heute machen wir Schicht.«
Komm', Frau, und laß die Arbeit stehn,
Zieh' an dein Kirchenkleid;
Wir wollen zu seinem Grabe gehn,
Es ist seine Sterbezeit.
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