Der ältliche Mann mit seinen zwei Geliebten

[18] Ein mäßig alter Mann,

Der schon ein Graukopf war.

Gedachte, eh die Zeit entrann,

Zu freien. Da er Krösus war,

So bot sich ihm die Auswahl dar;

Er konnte unter allen

Sich umsehn nach Gefallen.

Doch will er sich nicht übereilen,

Denn gut zu wählen, ist nicht leicht.

Zwei Witwen fesseln ihn zu gleichen Teilen,

So liebt er beide denn einstweilen

Und wartet, welche wohl der andern weicht.

Die eine war noch grün;

Die andre hatte ihre Reife längst erreicht,

Doch wußte sie geschickt sich zu bemühn,

Das aufzufrischen, was das Alter schon gebleicht.

Die beiden schneiden unserm Mann die Cour,

Sie plaudern, lachen, schmeicheln

Und lieben ihm den Kopf zu streicheln,

Als ordneten sie die Frisur.

Doch wenn der Alten Hand

Ihm durch die Haare fuhr,

So trachtete sie nur,

Die schwarzen, die sie fand,

Ihm heimlich auszuziehn,

Damit der Ehe-Spekulant

Besser zu ihr zu passen schien.

Die Junge zupft das weiße Haar.

So eifrig trieb's das Witwenpaar,

Daß Graukopf bald ein Kahlkopf war.[19]

Und nun erkannte er den Streich.

Da sagte er: »Ich danke euch,

Ihr Schönen, die ihr mich so gut geschoren.

Ich habe mehr gewonnen als verloren:

Ich denke nicht mehr an die liebe Ehe,

Denn die ich nähme, sänne, wie ich sehe,

Nach ihrer, nicht nach meiner Art zu leben;

Und daran mag ein andrer sich gewöhnen!

Ich bin euch sehr verpflichtet, meine Schönen,

Für diese Warnung, die ihr selbst gegeben!«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 18-20.
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