Der Narr, der die Weisheit verkauft

[168] Laß nie dich nah mit Narren ein.

Das ist ein Ratschlag ohnegleichen,

Denn nichts scheint klüger mir zu sein,

Als tollen Köpfen auszuweichen.

Bei Hofe stehn sie oft in Gunst,

Der Fürst erfreut sich ihrer Kunst,

Denn für die Schelme, Toren, Gecken

Sind Narren wahre Vogelschrecken.


Ein Narr lief um und rief an allen Ecken,

Von ihm sei Weisheit zu erkaufen.

Da kamen massenhaft die Gläubigen gelaufen.

Der Narr schnitt ihnen Fratzen,

Dann gab's für gute Batzen

Nebst einem Backenstreich zweiklafterlange Faden.

Die meisten murrten: was sind das für Sachen!

Doch Spott nur folgte ihrem Schaden.

Das beste war, darob zu lachen

Und sich mit Maulschelle und Faden

Geschwinde aus dem Staub zu machen.

Man sann umsonst der Sache nach,

Zu finden, was der Narr versprach.

Steht die Vernunft denn dafür gut,

Was solch ein Narrenschädel tut?

Der Zufall einzig spielt die Rollen

Im Hirne eines armen Tollen.

Der Angeführten einer ging jedoch,

Verwirrt von jenen Narrengaben noch,

Zu einem Weisen hin, den er befragte,

Worauf ihm dieser ohne Zögern sagte:[169]

»Durchsichtig sind mir diese Hieroglyphen.

Vernünftige Leute, die ihr Handeln prüfen,

Tun gut, wenn allezeit und allerwegen

Sie zwischen sich und Narren im voraus

Die Länge dieses Fadens legen,

Sonst bleiben Zärtlichkeiten jener Art nicht aus.

Sei ganz zufrieden! Glaube mir,

Der Narr verkaufte Weisheit dir.«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 168-170.
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