Der Schatzvergraber und sein Gevatter

[185] Ein Knauser hatte Geld gehäuft

Und wußte nicht, wohin damit.

Der Geiz, der immer gleichen Schritt

Mit Dummheit läuft,

Macht ihm die Wahl eines Verwahrers schwer.

Er suchte einen; »denn,« so sagte er

Bei sich, »der Gegenstand verführt;

Sofern mein Schatz bei mir zu Hause blieb,

So blieb er dort nicht unberührt,

Ich würde selbst vielleicht an ihm zum Dieb.«

– Zum Dieb? Bestiehlt sich, wer genießt?

Mein Freund, mir tut dein Irrtum leid.

Lern dies von mir: Gut ist nicht gut,

Vielmehr ein Übel, wenn man es verschließt.

Willst du's verwahren für die Greisenzeit,

Wo jeder Wunsch nach Lust und Freude ruht?

Dein Sorgen nimmt den Wert dem Geld,

Das man für gar notwendig hält. –

Gewiß, er hätte manchen Mann gefunden,

Der seiner Sorgenlast ihn gern entbunden,

Er zog jedoch die Erde vor

Und den Gevatter ins Vertrauen;

Der half ihm seinen Schatz vergraben.

Nach kurzem wollte unser Tor

Sein Geld sich wieder mal beschauen.

Was mag er wohl gefunden haben?

Ein leeres Grab! Jawohl! Was macht

Der Ärmste nun? Er hegt Verdacht

Auf den Gevatter – und mit Recht,

Doch er verbirgt ihn gar nicht schlecht[186]

Und eilt zum Dieb und sagt: »Zur Nacht

Halt dich bereit; denn denke dir, ich fand

Noch einige Heller, die wir meinem Schatz

Beifügen wollen.« – Was zu tun war, stand

Alsbald bei dem Vertrauten fest:

Er trug die Beute schnell zum alten Platz

Um sie nachher mitsamt dem kleinen Rest

Wiederzunehmen. Diesmal aber war

Der andre schlauer. All sein Gut

Nahm er nach Haus in eigne Hut,

Und er genoß es nun sogar.

Er häufte und vergrub nichts mehr,

Und zu des Diebes Mißvergnügen

Blieb fürderhin die Grube leer.


Betrüger kann man leicht betrügen.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 185-187.
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