Die zwei Maultiere

[7] Ein Maultier, dessen Last ein Sack voll Hafer war

Zog einst mit einem andern Maultier über Feld,

Das größre Werte trug: in bar

Ein hübsches Sümmchen Steuergeld.

So vornehm schritt dies Tier daher,

Als ob es hochgeadelt wär,

Und ließ voll Stolz sein Glöckchen klingen.

Nicht lange wandern sie, da springen

Verwegne Räuber vor; das Geld ist ihr Begehr,

Und während man den Hafer unbeachtet läßt,

Hält man des Fiskus Maultier fest.

Da das sich trotzig wehrt, so sticht man auf es ein;

Es sinkt und seufzt in Todespein:

»Ich sterbe. Unverdient Geschick!

Und den Gefährten läßt man ungeschoren traben.

O Gott, ist das gerecht?«

»Freund,« rief das andre Tier zurück,

»Es ist nicht immer gut, ein hohes Amt zu haben.

Wärst du, wie ich, nur eines Müllers Knecht –

Gewiß, es ging dir nicht so schlecht!«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 7-8.
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