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Ihrer
Königlichen Hoheit
der
Prinzessin von Wallis
gebornen
Prinzessin von Braunschweig.
Edle Wißbegierde und Menschenliebe leiteten Euer Königliche Hoheit, schon in der ersten Blüthe Ihres Lebens zu gründlicher Kenntniß der Erde und ihrer Bewohner; die Wunder und Wohlthaten der Schöpfung waren Ihrem forschenden Geiste ehrwürdig; Glück und Verdienste Ihrer Neben-Menschen eine Angelegenheit Ihres gütevollen Herzens. Diese Ueberzeugung[3] sagte mir, daß Euer Königliche Hoheit die Denkblätter von dem See Oneida und seiner Insel gnädigst aufnehmen werden von
Höchst Ihrer
unterthänigsten altergebensten Dienerin
Wittwe von la Roche.[4]
»Oft wendet eine edle, gefühlvolle Seele ihr Auge von den Begebenheiten, welche das Schicksal als eine Folge der französischen Staatsveränderung zusammenreihte – oft aber kehren auch ihre Blicke gegen den Schauplatz trauriger Auftritte zurück, in der schönen Hoffnung, etwas Gutes herbey geführt zu sehen.« –
Wissen Sie noch, meine Freundinn, wer dieses sagte, als eine werthe Hand die Morgens-Zeitungs-Blätter zum Lesen faßte, und man erinnerte, Abends vorher versichert zu haben, keine mehr zu berühren? O, gönnen Sie, – nach dem Verwerfen meiner[1] ersten Briefe, – diesen Papieren auch einen der Blicke, welche auf Gutes zählen! – denn gewiß – Sie finden es an dem See Oneida. –
Helfen Sie meinen Freund mit mir versöhnen – und vergeben Sie beyde dem Verfasser des Genius unsers Zeitalters, daß er, wie Sie sagen, mich so phantastisch stimmte. Ich glaube selbst, daß ich manche weitschweiffende Ideen habe, unter welchen meine Reise nach Amerika gerechnet werden kann; aber warum sollen nur Kaufleute, Eroberer, Physiker und Maler ferne Welttheile besuchen? warum nicht auch, nach Lorenz Sterne, ein gefühlvoller Reisender? Warum wollte man mir nur die Wanderungen auf die Berge in Europa vergeben, und nicht auch die nach dem See Oneida? Warum liebt mein Freund alles, was die alte und neue Dichtkunst hervor brachte, und sollte er mit den wahren Bildern edler Empfindung zürnen, indem der Gang meines Geistes, wie der von seinen[2] Lieblings-Poeten, das freye Ungebundene liebt, und wie Dichter immer auf Neues sinnen, auch mit Begierde Neues sucht? Ich unterwerfe mich gerne dem Ausspruch, daß die Erstern durch einen Genius, ich nur durch Phantasie geführt wurde; es bleibt doch Aehnlichkeit zwischen den vorgezogenen Günstlingen und mir. Dichter schaffen mit ihrem Geiste das Mögliche, Große und Schöne, welches sie in der wirklichen Welt zu sehen wünschen; – und mein Herz sucht es auf, wo ich es zu finden hoffen kann. Neues lieben wir alle in Allem. – Meine in Europa gemachten Reisen, zeigten meinen gesättigten Begierden und meiner immer regen Einbildungskraft keine Aussicht mehr auf ganz unbekanntes, weder in Menschen noch Dingen; denn ich wollte noch nicht nach Rußland. – Ostindien, wohin ein Freund mich mitnehmen wollte, hat nichts reitzendes für mich; denn, freymüthig gesagt, ist es mir zu weit von meinem Vaterlande, und meinen[3] Lieben; zu viel von Leidenschaften beherrscht, zu vergoldet, zu heiß, zu weichlich und zu grausam. Nordamerika war mir nahe; eine Art Sympathie zog mich an, die Wesen dieses Welttheils kennen zu lernen; müde des Denkens und Nachsuchens, über das was seyn könnte, da ist und da war; – überzeugt in Amerika Anfang und Fortgang des Anbaues der Vernunft und der Erde zu sehen, ging ich, ohne von Ihnen und meinem Freunde Abschied zu nehmen; denn ich besorgte, mein Widerstreben gegen Ihre Vorstellungen würde Sie unzufrieden machen; ich wollte Sie nicht vergebens reden lassen, und meinen Plan ausführen. Möge meine Aufrichtigkeit dem Geiste und dem Herzen meiner Freunde genügen, und ihre Güte das übrige meiner Rechtfertigung besorgen!
Sie, meine Freundin! dachten einst nur im Scherz meine Reisebeschreibung zu fordern, aber ich weihe sie Ihnen und Ihren Wünschen für mich. Heben Sie sie gütig in einer Ecke[4] Ihres Cabinets auf, diese Blätter, denn sie können von hier aus nichts anders seyn, als Merkstäbe von dem Wege meiner Beobachtungen und Gefühle; einst werde ich sie mit Ihnen durchgehen, Ihre Fragen darüber hören, Erläuterung über das Dunkle geben, und dem Freunde und der Freundin mündlich sagen, was sich mit Dinte nicht sagen läßt. Da ich also meine Gedanken bey Ihnen, wie auf den Altar der Muemosine niederlegen will, so muß ich genau bey meiner Abreise anfangen, und erzähle dann: – Sontags den 28. Juny schiffte ich in dem Fahrzeuge Hußmann, mit einer schätzbaren Familie aus dem Hessischen, von Braak unweit Bremen ab, und kam den 29. in die Nordsee, wo alles anfing krank zu werden. Fünf Tage segelten wir bey sehr günstigem Winde, mit welchem wir in den Canal zwischen Frankreich und England kamen, wo wir beyde Küsten, doch die von Frankreich nur in den emporragenden Bergen erkannten, welche den folgenden Tag verschwanden;[5] England aber kamen wir so nahe, daß ein Flintenschuß hingereicht hätte. Dieser Anblick erneuerte in meiner Seele den Wunsch, dieses mir so werthe Land noch einmal zu besuchen, ja es dünkte mich schön, Ihnen beyden ein Rendezvous in London zu geben, und mich freute sehr, daß wir in vier Tagen durch den Canal waren, weil ich dadurch unserer Zusammenkunft um so viel näher schien, da wir in 9 Tagen 200 teutsche Meilen zurück gelegt hatten. –
Bey dem Eintritte in das spanische Meer, begegneten uns drey englische Kriegs-Schiffe, nebst funfzehn amerikanische Kauffarthey-Schiffe, welche sie, ich weiß nicht aus welcher Ursache, genommen, und nach Brittanien führten; auch fühlten wir ihre Herrschaft auf dem Meere, denn unser Schiff mußte halten, und ein englischer Officier, der zu uns an Bord kam, untersuchte Alles. Da er überzeugt war, daß unser Schiff nach Amerika bestimmt sey, durften wir weiter[6] segeln. Dieser Gegenstand meiner Beobachtungen war neu, und staunend der Anblick schwimmender Vestungen und Gebäude großer Schiffe, welche auf dem unermeßlichen Raume des Weltmeers, so gehorsam einen bezeichneten Weg befolgen müssen. Ich ließ mir von dem Steuermann die Gegend von Albion zeigen; meine Einbildungskraft stellte mir diese Kriegsschiffe in Linien, ich dachte mir ein Seegefecht – den Muth und die Größe des menschlichen Geistes, der die hohe Kunst der Schiffarth und des Schiffbaues, zu dieser Vollkommenheit führte. Denn was ist alles andre, so durch Arbeit, Kunst und Gewalt auf dem festen Lande geschieht, gegen die Unternehmungen zu Wasser? Ich betrachtete mit neuer Aufmerksamkeit unser Schiff, und machte Vergleiche mit einem Kriegsschiffe von 100 Canonen, und dem was an Menschen, Mund-Vorrath, Kugeln und hundertfachen andern Bedürfnissen da seyn muß. Was für eine Last zwischen hölzernen Wänden! Was werden die[7] Zimmerleute, Nagelschmiede, Schlosser, Segeltuchweber und Anker-Schmiede für wichtige Menschen, wenn ihre guten Arbeiten als Schutzgeister des Lebens und des Glücks so vieler tausend Sterblichen erscheinen! Ich suchte mit einer Art Liebe und Ehrfurcht, die Freundschaft unsers Schiffcapitains zu gewinnen, um etwas von seinen, zur Schiffarth nöthigen Büchern zu lesen, weil ich nun den ausübenden Theil dieser Wissenschaft vor Augen hatte. Der gute Capitain war sehr geneigt dazu, aber da er seit 30 Jahren Seereisen macht, hatte er wenig mehr zu lernen, also auch wenige Bücher bey sich. Mein freywilliges Studiren dauerte auch nicht lange, indem ein 48 Stunden daurender Sturm uns Reisenden eine allgemeine Lection gab, welche aber sehr glücklich vorüber ging, hingegen einer sehr widrigen Witterung Platz machte; denn bald hatten wir Windstille, bald eine Art Sturm. Dieses dauerte bis den 15. August, da wir nur noch einen halben Segel[8] gebrauchen durften. Die Wellen wurden zu Gebirgen, auf deren Spitze das Schiff bald hier, bald dorthin geschleudert ward. Ich konnte nicht lange bey diesem Gleichnisse verweilen, denn ich fühlte die Verschiedenheit zu stark, zwischen dem seligen Staunen über Größe, Festigkeit und feierlicher Stille der Alpen um die Senn-Hütten, gegen den schreckvollen Anblick der um unser Schiff brausenden und tobenden Berge. O! wie lieb, wie unschätzbar wird die ihre Kinder so geduldig tragende Mutter Erde in einem solchen Moment; denn niemand konnte sich aufrecht erhalten, Kisten und Kasten, welche nicht fest waren, wurden wie Bälle herum geworfen. In fünf Minuten war der Wind von Südost in Nordost, und ehe man sichs versah, schlug eine Welle alle Fenster unserer Cajüte in Stücken, und das Wasser strömte in den Raum. Alles glaubte nun, das Schiff sey geborsten, und wir würden sinken. O, meine Freundin, was für eine Erfahrung, ein solches[9] Tod- und Jammer-Geschrey zu hören! Ich war stille, sagte mir aber doch sehr ernst: was hattest du hier zu thun? dann aber ruhig: sterben müssen wir, es sey auf diese oder jene Weise. Indessen hatten die Schiffsleute die Wahrheit entdeckt, und beruhigten Alle. Groß und innig war die Freude, noch zu leben, und herzlich schmeckte der Punsch, in welchem wir uns neue Gesundheit zutranken. Nun konnte ich auch bey der beruhigten See, ihre so verschiedenen ungeheuren Fische sehen, deren einige über 50 Schuh lang waren, Meerschlangen von 25 Schuh, und den prächtigsten Farben. Ich betrachtete alle, nicht nur als Gegenstände der Neugierde und Bewunderung der Mannigfaltigkeit aller Arten Geschöpfe, sondern auch mit dem Schauder erregenden Gedanken; vor wie kurzer Zeit ich in Gefahr stand, die Nahrung eines von ihnen zu werden, und in diesen Moment schien mir das glänzende Farbenspiel ihrer Schuppen düster und unangenehm; desto ergötzender war[10] mir aber bey dunkler Nacht der Anblick der Wellen, welche alle entzündet schienen, da man staunend durch ein Feuer-Meer zu segeln glaubte, indem zugleich die ganze Luft beleuchtet war. Den 25. August ertönte von dem Mastbaume der frohe Ruf: Land! Land! Ich sah nun in meinen Reisegefährten das Entzücken der Freude, wie ich vor wenigen Tagen den allgemeinen Jammer der Angst gesehen hatte. Wir liefen darauf den 28. August glücklich in den Hafen zu Baltimore ein; viele Teutsche kamen uns zu bewillkommen, Erfrischungen und Dienste aller Art anzubieten, aber auch tausend Fragen zu machen. Baltimore, ein hübsches Städtchen von 2000 Häusern, zählt 14000 Einwohner, liegt an dem prächtigen Flusse Surquehanna und vergrößert sich täglich, indem ein Theil der Handlung von Philadelphia sich hieher zog, weil dieser Fluß immer beschifft wird, und sich ein beträchtlicher Seehafen formirt. Da ich sicher bin, daß meine Freundin auch den ökonomischen[11] Theil meiner Ueberfahrt zu kennen wünscht, so will ich dieses nachholen. Ich mußte, da ich in der Cajüte, als dem besten Theile des Schiffes zu wohnen verlangte, 100 Thaler bezahlen; mein Bette, Wein, Zitronen-Saft in Bouteillen, gesalzne Butter, dürre Zungen und Würste, feinen Zwieback, Zucker, Caffee und Mandeln mitnehmen, welches mir auch wieder so viel kostete. Das gewöhnliche Essen besteht in gesalzen Rindfleisch, Stockfisch, Bohnen und Grütze.
Ich eilte meine Reise fortzusetzen, und verließ Baltimore zwey Tage nach meiner Ankunft, um sogleich Neu-Jersey aufzusuchen, welches mir als der Garten von Nordamerika bekannt war: ein Ausdruck der auf mich wirkte, wie die Benennung der Bergstraße, als Garten von Teutschland, in unserm Europa mich eher anlockte, als das schöne Mannheim; – so durchreiste ich Jersey ehe ich Philadelphia besuchte, und wahrlich ich staunte bey jedem Schritte meines Pferdes in den[12] prächtigen Kornfluren, und zwischen den vielfachen Kräutern, die so üppig da wachsen, und die Erde mit dem lieblichsten Grün schmücken. Mein mir seit meiner englischen Reise so werthes Ferren-Kraut, stand in höchster Schönheit; das zweyblättrige Kolben-Kraut, Indian Graß, typha latisolia, wovon man die Saamen-Woll benützt, und aus den Stengeln geflochtene Sachen macht, traf ich in der höchsten Vollkommenheit an. Diese Freude über die Pflanzen-Welt wurde für mich dadurch erhöht, weil ihre, mehr als anderwärts, herrlich grüne Farbe, den Eisentheilchen des Bodens zugeschrieben wird. Sie wissen, daß ich Eisen mehr als andre Metall-Arten schätze, ich freute mich also, daß mein, allen Menschen so nützlicher, Liebling, in seinen kleinsten Theilen die Gabe der Verschönerung zeigte: die Menge prächtiger weißer Cypressen, welche zu tausenden, 120 Schuh hoch wachsen, und ihren Sümpfen den Namen; Cypressen-Sümpfe gaben, würden Jersey[13] allein reich machen können, weil dieses Holz so dauerhaft zum Schiffbau, Zimmerholz, Bretter, Stäbe und Dachschindeln ist. Magnolia, Wallnüsse, rothe Cedern, Eichen, Sommer-Lorbeer, rother Maßholder zu Tischlerarbeit, Buchen, Eschen, wilde Castanien, der blumigte Fischerbaum, Accacia, Ulmen, Pech-Kiefer, Persimon, der eine Art Mispel trägt, aus welcher man eine Gattung leichtes Bier braut. – – – O, meine Freundin! wie glücklich machte mich die Pflanzen-Welt, wovon ich die Beschreibung der Bäume meinem Freunde, die schönen fruchttragenden Sträuche aber Ihnen weihe. Sie haben nie solche Heidel- Johannis- Moos- Erd- und Brombeeren gesehen, so wie mir die an den Bäumen sich aufschlängelnden Fuchs-Trauben, ganz unbekannt waren, welche sehr klein, in ihrer Blüthe einen herrlichen Geruch verbreiten, eßbar sind, Wein geben, und deren gedörrte Beeren zu Backwerk dienen. Dieses Gewächs werde ich[14] suchen in Ihren und meinen Garten zu pflanzen, so wie das hanfartige Apoeynum, aus welchem schon die Indier Stricke, Säcke und Decken machten. Ich hatte jetzo die mächtigen Schifftragenden Flüsse: Hudson und Belavare gesehen, welche Jersey der Länge nach von Pensilvanien abschneiden. Nun ging ich nach dem Wasserfall des Passaik, welcher in einem, auf der Höhe liegenden Moor entstand; aber nach einem langsamen ruhigen Lauf zwischen zwey Reihen mit Kiefern bewachsenen Bergen stellte sich ihm auf einmal ein großer Fels entgegen und hemmte seinen Gang. Der Druck des Wassers sprengte den Fels bis in die Tiefe, nun stürzt der Fluß durch eine 30 Fuß breite Spalte 70 Schuh hoch in einen grundlosen Schlund, in welchem er sich von dem Falle zu erholen scheint; dann ohne das mindeste Brausen zwischen den Steinmassen hervorkommt, und sich als stillfließender Strom verbreitet, welcher auf der Abendseite durch ein hohes Ufer eingeschlossen[15] wird, von dessen Höhe man die schönste Aussicht nach den fruchtbaren östlichen Flächen hat. Jersey ist meist von Holländern und Engländern angebaut, welche den Geist der Ordnung und Nettigkeit ihres Vaterlandes in allem zeigen.
Denken Sie, was für einen ergötzenden Anblick dieser Fleck der fruchtbarsten Erde dem Auge gewährt. Mais, 8 Schuh hoch, viel von meinem lieben wilden Spargel dazwischen; Buchweizen, der zu Kuchen, sonst aber wie Hafer zur Fütterung gebraucht wird; tausend Weizen-Felder, welche Korn und Mehl zur Ausfuhr liefern; Roggen, der unter Mais-Mehl gemischt, ein gutes Brod giebt, welches von allen Einwohnern gebraucht wird; Erbsen, aber sehr wenig, weil ein in Amerika eignes Insect, Brunus genannt, sie zerstört, hingegen wird sehr viel Gerste gebaut: Obst- und Küchen-Gärten im höchsten Flor: Wasser-Melonen giebt es so viel, daß im Sommer die Feldarbeiter sie, wie es in Italien[16] üblich ist, zum Labsal erhalten; großer weisser Winterkohl, Artischocken, alle Arten Rüben, Bohnen, Zwiebeln, Knoblauch, Salatkräuter, Raute, Salbey, Senf, besonders eine Menge der schönsten Aepfel, von welchen der vortrefflichste Cider gemacht wird: jeder Bauerhof hat auch seine eigne Presse; Pfirsiche werden häufig zu Branntwein und zu Schweinsmast gezogen, Kirschen, Birnen und Wallnüsse in Menge; da man weiß, daß die europäischen Obstbäume früher blühen, als die amerikanischen, so hat man viele gepflanzt. Sie können leicht denken, daß mir diese Aussicht und dieser Wasserfall eine außerordentliche Freude machten, aber die Nachricht, daß die waldigten Theile dieses Gartens von Panther, Tieger, Wölfen, Luchse, Bären, rothen und grauen Füchsen bewohnt waren, und noch sind, machte mich etwas ernst und mißmuthig. Meine Freundin weiß, daß ich von allen vierfüßigen Thieren nur Pferde, Rindvieh, Schaafe, Hirsche,[17] Rehe, Haasen und zahme Schweine liebe, also waren mir alle oben benannte, im Walde und dem Garten zu viel; die Pelz-Thiere, als: Waschbären, Marder, Fischotter, Bieber, Caninchen, will ich wegen ihren wärmenden Fellen, und wegen dem Nutzen der Handlung gerne dulden; wildes Geflügel söhnte mich etwas mit den rauhen Waldbewohnern aus. Fasanen, Kalkutten, Purpur-Drossel, Schnepfen, Lerchen, Wachteln, Perl- Reb- und Birkhühner, Wander-Tauben, welche sich auch von Eicheln nähren, und des Jahrs viermal kommen, leicht zu fangen sind und delicates Fleisch haben, und die Wander-Drossel, sind alle in wohlthätiger Menge da. Aber wie diese Erde in allem ein Gegengewicht hat, so giebt es auch alle Arten Raubvögel: Falken, Adler, Eulen, Krähen, ja einen, der den schrecklichen Namen: Menschenfresser, hat. Hingegen wieder alle wahrhaft liebenswürdige Wasservögel: Schwanen, wilde Enten und Gänse in[18] reichem Ueberflusse. Die Zucht zahmer Gänse aber, wird in den niedern Gegenden, durch ein mir verhaßtes Geschöpf, die Schildkröten gestört. – See- und Fluß-Fische haben alle Provinzen in Uebermaß; diesen Auszug habe ich wegen Ihnen und mir selbst niedergeschrieben. Ebelings Staats-Calender von Nordamerika belehrt Sie noch besser in Allem, und ich gehe nun nach dem berühmten Philadelphia – wirklich eine der schönsten Städte alter und neuer Welt. Ihre breiten geraden Straßen, mit den abgesonderten Wegen für Fußgänger, welche alle Nächte beleuchtet sind; Wasser-Rinnen, Brunnen, zierliche Häuser und die, wie in London, reitzenden Kaufläden, und Reinlichkeit; – aber wie sollte sich Penn wundern, die völlig europäische Pracht, in Equipagen, Hausrath, Kleidung, Gastgeboten und allen Belustigungen zu sehen! – Es ist ohnmöglich, Ihnen einen Begriff davon zu geben. Die Gegend, der große Fluß Delavare, der Shulkyl, alles[19] erregt Staunen, und giebt dem Begriff von Schönheit mit Größe vereint. Nur muß ich bekennen, daß mich diese Pracht schmerzte; daß die Idee von Penn mich verfolgte, und daß, nachdem ich viele Wanderungen gemacht hatte, der lebhafte Wunsch in mir entstand: Europäer in einer neuen Anpflanzung zu sehen; um nach dem so vollkommnen Philadelphia und den schönen Garten von Jersey, ganz wilde Natur und erste arme Holzhütten zu betrachten. Ich sprach in ein Paar Familien davon, und wurde angewiesen, nach dem in Neuyorks Gebieth liegenden See Oneida zu reisen, wo ein teutscher Kaufmann, Scriba, eine große Strecke Landes gekauft, und einen seiner Freunde aus Holland überredet habe, sich bey ihm ein Landguth anzubauen, und die Colonisten anleiten zu helfen, welche er hinführe, um nach dem Bedingnis des Congresses, in zehn Jahren eine Stadt errichtet zu sehen. Diese Leute wären noch nicht lange hingezogen,[20] bey diesen könnte ich meine Neugierde vollkommen befriedigen. Die Jahrszeit war schön, ich bekam von einem schätzbaren Mann Empfehlungsschreiben, nahm einen braven jungen Zimmermann, der auch neues Land suchte, mein Bett und andre Bedürfnisse mit mir, und machte mich in einem gemächlichen Fuhrwerke mit einem braven Philadelphier, welchem dieser Weg bekannt war, mit großen Freuden reisefertig. In Wahrheit, das Auge des Philosophen genießt viel, bald an prächtigen Flüssen, bald durch unermeßliche Wälder, längst hohen Bergen und engen Thälern hin. Anfangs noch einige artige Dörfer, dann abgesonderte Wohnungen, in welchen die Menschen weise genug sind, ihr Glück in Gemüthsruhe und in der Natur zu suchen. Wir waren bey einem dieser einsamen Pächter über Nacht, der ehemals in einem Städtchen wohnte und mir sagte:
»Wie wohl ist meiner guten Frau und mir, bey unserer täglichen Arbeit, welche uns[21] Statt Besuche, und Abends die versammelte Familie Statt großer Gesellschaft dient; das Gewühl der Städte hat keinen Werth für uns, – wie oft sagen wir: Bäume verläumden nicht, und verführen unsere Töchter nicht.« – – – –
Wie soll ich aber meinen Freunden das Staunen schildern, in welches meine Einbildungskraft, meine Vernunft und meine Gefühle versetzt wurden, als ich in dem, wenig Tage vor meiner Ankunft, durch Ahndung errichteten Loghouse oder Holzhütte ankam, welche Herr Scriba mir und meinen Gefährten einräumte, nachdem er mich seinem Freunde Vandek und seiner eigenen Familie vorstellte. Die lange, 400 englische Meilen daurende Reise; alle Naturscenen von Gebirgen, Flüssen, Seen, unabsehbaren Flächen, seit Jahrhunderten nur vor Gottes Augen geblühter und verwelkter Millionen Pflanzen und grünen Wildnissen, an welchen ich vorüber gekommen; der Anblick[22] des 18 Stunden langen See's Oneida, in welchem die Stralen der niedergehenden Sonne eine lange Feuersäule bildeten, welche sich längst einer Insel, an den Ufern des festen Landes ausdehnten, und die hölzernen Häuser der Europäischen Ansiedler beleuchteten; die, in dieser weiten Einsamkeit, feyerliche Stille, zu welcher ich, von dem geräuschvollen Philadelphia an, durch bewohnte und unbewohnte Gegenden gelangt war, hier wo man nicht einmal die Räder meines Wagens tönen hörte. – Alles dieses hatte schon auf mich gewirkt; ja es erschien mir die Idee meiner Freunde in Europa, in einigen dunkeln Vertiefungen der Wälder, mit dem Gefühl: ach wie weit bin ich von ihnen, dem Aufenthalt einer Menge von wilden Thieren, und vielleicht auch wilder Menschen gegen über! An dem See aber freuete ich mich innig, zu Teutschen zu kommen: lebhafte Neugierde führte sämtliche Hüttenbewohner, welche von der Feldarbeit zurückgekehrt vor[23] ihren Thüren saßen, mit Nachbarn und ihren Kindern schwatzten, zu mir. Alle eilten meiner kleinen Kutsche nach, alle ruften: willkommen! obschon uns keiner kannte; alle drängten sich die späten Ankömmlinge zu sehen, und nach der freundlich erhaltenen Sitte der Gastfreyheit, beeiferten sie sich nach den Pilgern zu fragen und ihnen Herberge und Dienste anzubieten. Doch dieses war mir nicht so neu, weil ich es auf allen Reisen durch die vereinigten Provinzen erfahren hatte. Meine Briefe verschafften mir die allergünstigste Aufnahme, und ich speiste in Gesellschaft der zwey Familien sehr vergnügt zu Nacht; dennoch schlief ich spät ein, und war unruhig. Die unglückliche Eigenschaft, Ideale zu denken, hatte mir schon einige Unzufriedenheit gegeben, und ich besorgte, bey Tages Anbruch würden auch die übrigen Bilder, welche ich mit so neuen lieblichen Farben ausgemahlt hatte, in den See niedersinken. – Ich stand früh auf, öffnete meinen Koffer, kleidete[24] mich an, und betrachtete den Bau meiner Stube, welche natürlich, wie die Wohnungen aller Colonisten, aus lauter auf einander gelegten, grob behauenen Baumstämmen bestand, deren Zwischenräume mit Moos ausgestopft wurden. Alles Geräth ist äußerst einfach, wirklich ganz nach der Kindheit der Künste des Zimmermanns und Schreiners. Denken Sie sich die Freude meines Kopfs, über die so oft getadelte Anhänglichkeit an Rousseau, um dessentwillen ich Schreinerey gelernt hatte; und da ich auf so viele hundert Meilen das satyrische Lächeln meines Freundes nicht sehe, so habe ich Muth genug Ihnen zu bekennen, daß alle meine Werkzeuge, ja das Model, meines mir noch immer so lieben Säpflugs, und die kleine Drehmachine, mit mir an die User des See's Oneida kamen, und daß ich durch sie mein Andenken in der neuen Stadt gründen und verewigen will. Ich spreche noch nicht davon, aber da ich heute Nachmittag die Fruchtfelder betrachtete, und sie[25] wegen der darauf stehenden Baumstumpen, einen unabsehlich großen Gottesacker voll Leichensteine ähnlich fand, so habe ich mir den Augenblick vorgesetzt, meinen Freunden ihre Aecker reinigen zu helfen, und dann mit meinem Säpflug zu beweisen, daß sie Zeit, Korn und Arbeiter sparen, daneben auch bessere Erndte, und schöneres Stroh erhalten sollen. – – Meine Freundin wird nun sagen, daß unsre Lieblingsgrillen einen sehr langen Flug aushalten, indem sie unermüdet aus einer Ecke meines schwäbischen Vaterlandes, bis nach Nordamerika hinüber schwebten. Aber ich will von Ihrem kleinen Spott und meinen Phantasien hinweg, zu den wirklichen Wohnungen von 10 Familien eilen, welche diese neue Pflanzstadt bevölkern wollen. Ich ging mit herzlichem Segen umher, besuchte Alle, und wünschte ihnen die Fruchtbarkeit der Ehen, welche ich schon in andern Gegenden von Nordamerika sah, indem ich selten unter fünf Kinder, mehrmal aber 7, 8, ja[26] 11 und 12 von einer Mutter getroffen hatte. Doch dünkten mich die jungen Leute der Holländer und Teutschen nicht so stark und schön, als die Stämme der Eingebohrnen, von welchen ich einige bey einem Handel von Biber- und Bärenfellen sah, und mich bey ihrer Schönheit und Stärke an den Auftritt des großen englischen, in Amerika gebohrnen Mahlers: West, erinnerte, welcher in Rom bey dem ersten Blick auf den Apoll des Vaticans ausrief: »O was für eine Aehnlichkeit mit einem jungen Krieger der Mohawks, welcher den Bogen gespannt, das Aug' auf den Feind geheftet, ihn mit schnellen Schritten verfolgt!« – – – nur diejenigen, welche wie ich, diese edlen Gestalten sahen, werden finden, daß West nicht als Amerikaner, sondern als Kenner großer edler Schönheit der Natur und Wahrheit, die Kunst in der Nachahmung zu beurtheilen wußte.
Heute wünsche ich, daß Sie alle Tage, neben dem Gebet für mein Leben, den Himmel[27] auch anflehen möchten, mir die Gabe des guten Erzählens zu verleihen, damit ja nicht das mindeste von der Geschichte verloren gehen möge, welche mir der schätzbare Vandek und seine vortreffliche Frau bekannt machten. Gerne möchte ich sie dem Geiste und dem Herzen meiner Freundin ganz darstellen, weil ein Frauenzimmer von Ihrem Alter die schönste Rolle darin spielt. Ich dachte nur den Jahrhunderte gehäuften Reichthum einer fruchtbaren, noch nie benutzten Erde kennen zu lernen: ursprüngliche Pflanzen und Thiere zu beobachten, und zu sehen, wie Colonisten sich dabey benehmen, wie Verstand und Herz in dieser Ferne und Verschiedenheit, mit dem vaterländischen Boden, sich in erfinderischem Fleiß und freundlicher Hülfe unter ihnen zeigen würden. Diese Gegenstände meiner Aufmerksamkeit dünkten mich Beschäftigung genug für meinen Geist; aber wieviel mehr wollte mir das Schicksal geben! –
Der teutsche Haupt-Director hatte mich[28] den ganzen Morgen in der Gegend und bey seinen Arbeitern umher geführt: der Holländer bat uns auf den folgenden Tag zu Tische; als wir dem Hause uns näherten, wurde ich gebeten, ja nicht viel von Europa, am allerwenigsten von Frankreich zu reden, indem ein Coloniste und seine Frau mit uns speisen würden, welchen diese Erinnerung schmerzliche Gefühle geben könnten: ich möchte nur diese zwey Menschen beobachten. –
Diese Vorbereitung spannte meine Erwartungen ungemein. Vandek, seine Frau und fünf Kinder, hatte ich den Morgen in seiner, mit dem Geiste der hölländischen Reinlichkeit und Ordnung beseelten Wohnstube gesehen, der Tisch zum Mittagessen wurde im Freyen, nahe an dem User des See's gedeckt. Der Platz war auf festem Sande, sehr eben, und wie die Bänke, mit schönem Moos und Waldblumen bestreut: eine herrliche Reihe von Bäumen beschattete uns, und die Insel zeigte sich gegen über. Madame Vandek[29] schien noch im Hause beschäftigt: ich mit ihrem Manne im Gespräch auf- und abgehend, wurde sehr überrascht, auf einmal zwischen einem Bouquet von Bäumen, einen großen jungen Mann von 27 Jahren mit leichtem edlen Schritt, und einer schönen Frau von etwa 24 Jahr, recht geschmackvoll Europäisch gekleidet, mit einem allerliebsten Knaben von drey Jahr, gegen uns kommen zu sehen. Ich betrachtete sie erst schweigend, dann bat ich aber Vandek mit einem Blicke voll Verwunderung, mir diese Art räthselhaften Auftritts zu enthüllen. –
»Es ist Herr und Frau von Wattines aus Flandern, die bey uns wohnen.« –
Eine solche Erscheinung, sagte ich, hätte ich in dieser Gegend nicht vermuthet. – Je näher sie kamen, desto höher stiegen die Gefühle des Erstaunens in meiner Seele; mein geistvoller Vandek lächelte, und indem er auf seine Wohnung deutete, sagte er, seinen Frießrock fassend:[30] »nicht wahr, das schlichte Gewand des Batavers paßt besser zu einer Holzhütte, als die Eleganz eines Hofmanns?« – Ich war nun überzeugt, daß die zwey guten Fremdlinge zu den zerstreuten Emigrirten des französischen Adels gehörten, und der Ausdruck: Hofmann, dessen sich Vandek bedient hatte, sagte mir, daß Herr von Wattines einst bey Hofe lebte, und nun hier! tönte in meiner Seele, da ich auf das Loghouse, den See und die halbe Wildnis umher blickte. – – Der Mann erschien mir, als ein durch Sturm zur Erde gebogner junger Baum, den eine sorgsame Hand an einen nahstehenden Wildstamm sanft erhob, und festband, um wieder in gerader Richtung fortzuwachsen. Die Frau war mir eine schöne, mit einem Sprößling, in das Gras ihrer Blätter sich bis zum Brechen neigende Nelke. Ich mußte, so bald ich ihnen genannt war, mich etwas entfernen, um meine Rührung zu verbergen, und ging den Seribas entgegen, mich ganz zu[31] sammeln. – Wir speißten vergnügt, tranken vortreffliches Bier, auch Jerseyer Cider; doch denken Sie sich meine Empfindungen, als ich folgende Geschichte hörte: – nachdem ich gefragt wurde, wie mir das eingebeitzte Fleisch schmeckte? und ich bey der Antwort: vortrefflich! zugleich meinen Teller hinreichte, und mir noch ein Stück ausbat, ich aber alle mit bedeutender Miene, doch sehr freundlich aufeinander blicken sah, rief ich mit einer Art von Sorge, doch dabey lächelnd: habe ich etwas, gegen die Sitten am See Oneida, Unschickliches gethan, da ich das zweyte Stück forderte? –
Nicht das mindeste. Im Gegentheil freuen wir uns, daß ein Europäer in den ersten Tagen diese Speise freywillig ißt, da wir dieses nur durch Noth lernten. – Diese Bemerkung dünkte mich sonderbar, und ich dachte sogleich an Büffelfleisch, sagte es, und kaute mit eben so kluger Miene, wie Wein-Prüfer Wein kosten. Alle Augen waren auf[32] mich geheftet; ich blickte auch in der Runde nach ihnen, wobey ich zugleich wiederhohlte: daß ich dieses Fleisch sehr zart und schmakhafter fände, als unser Europäisches Ochsenfleisch. Vandek sagte nun:
Sie haben uns alle davon essen sehen; es wird Ihnen also nicht am Namen, sondern an der Sache liegen, und nicht zuwider seyn, daß es die Lende von einem Bären war, womit ich meine Gäste bewirthete. – Der Gedanke wirkte mechanisch auf mich, denn ich sagte mit einem sichtbaren Stutzen:
Bärenfleisch! – Alle schwiegen; aber ich setzte schnell hinzu:
Sie sehen, was Gewohnheit den Worten für eine Gewalt giebt; da ich bey dem Bilde eines Bären etwas zurück schauderte, ohngeachtet ihr Beyspiel bey Tische, und meine so[33] eben gemachte Erfahrung des Wohlgeschmacks dieses Fleisches, mich davor schützen sollten. Aber ich habe jetzt doppelte Freude; einmal, ein Vorurtheil verlohren zu haben, und, mir sagen zu können, daß rechtschafne Menschen in den Wäldern dieses fernen Bodens, die Bären zu den angenehmen Nahrungsmitteln zählen können. Sie müssen, setzte ich hinzu, mir diese Jagd bekannt machen.
Sehr gerne, sagte einer, aber nicht wie Herr von Wattines diesen Bären fieng.
Sie können leicht vermuthen, daß der Ton in welchem dieses gesprochen wurde, meine Augen nach Hrn. v. Wattines lenkte, und mich wünschen machte, die Geschichte dieses Fangs zu hören. – Der edle Mann sagte:
Ich stimme mit meinen Freunden in den herzlichen Wunsch, daß ja niemand anders[34] und ich selbst auch nie wieder in den Fall komme, eine solche Jagdgeschichte zu erzählen. – Nun deutete er nach einem Theil des See's, gegen die Länge des Waldes hin, und sagte:
»Dort war ich, um etwas Wild aufzujagen; der Bär kam langsam zwischen den Bäumen, hervor; ich zielte, und glaubte ihn richtig gefaßt zu haben, schoß, traf ihn, aber nicht tödtlich; sah ihn nach mir laufen, und eilte so schnell ich nur konnte einem Kahne zu, der am Ufer lag, und stieß ab. Das Thier schwamm mit mehr Schnelligkeit, als ich rudern konnte, und war nahe dabey seine Tatzen anzulegen, wodurch er den Kahn umgestürzt, und ich also entweder damit unter das Wasser gebracht und ertrunken, oder in seine Klauen gerathen wäre; denn mein Schwimmen konnte mich nicht retten, und keine Seele war in der Gegend nahe genug. Gott gab mir den[35] Gedanken und die Kraft, aus dem Strick des Kahns, ich weiß nicht wie, eine Schleife zu machen, und schenkte mir das Glück, gerade den Hals des Thieres zu treffen, und die Schleife zuzuziehen. Erst nach einigen Minuten war ich gefaßt genug aus dem Kahne zu springen, und, meinen erstickten Feind nach mir ziehend, an das User zu schwimmen. Schauder überfällt mich heute noch bey deutlicher Vorstellung meiner Gefahr, und selten gehe ich, an der in meinem Hause aufgestellten Haut vorbey, ohne dem Himmel für die gesegnete Gegenwart des Geistes zu danken.« – Seine liebenswürdige Frau hatte während der Erzählung Thränen der Sorge und der Liebe in ihren schönen Augen. Mir war auch eine Bewegung des Entsetzens durch die Seele gegangen, und alle sprachen mit erneuter Bewunderung und Freude von dieser glücklichen Klugheit, welche ihnen einen würdigen Freund erhielt; – und, setzte Vandek[36] hinzu, Herrn von Wattines auf immer mit uns verband.
Hier bemerkte ich, daß die Frau sich sanft gegen Frau Vandek neigte, und sie zärtlich küßte; zugleich aber ihren Knaben umarmte, die Thräne im Auge zertheilte, und wieder ruhig um sich blickte. Dieser kleine Umstand zeigte mir etwas Besonderes in der Geschichte der Wattines und ihrer Verhältnisse mit Vandek. Doch das muntre, durch die Jagd-Erzählung unterbrochene Tischgespräch wurde wieder belebt: wir tranken guten Caffee, und ich begleitete mit Frau Vandek die Wattines nach Hause. Ernst betrachtete ich die über eine Holzform gezogene Haut des Bären, welche wie eine Art von Trophee, mit dem Strick um den Hals aufgestellt ist, und dem kleinen Caremil zum reiten dient. Das Haus der Wattines ist viel kleiner als die andern, sie haben auch weniger Dienstboten,[37] Kühe und Schaafe; aber ihr Hof und Garten ist nach der Vestungsbaukunst mit Pallisaden und Gräben eingefaßt und beschützt, weil sie, da ihre Länderey als der zuletzt angesiedelten Familie, an der äußersten Seite steht, den Anfällen der aus dem dichten Gehölze kommenden Bären und Füchsen am meisten ausgesetzt seyn würden. So hatte Wattines seine als Ingenieur-Officier erlernte Wissenschaft, für die Sicherheit seines Wohnsitzes verwendet. Ich erkannte das Vaterland dieser guten Menschen an dem Eingange in ihr Haus, da man wie in Flandern über einen kleinen Graben an der Landstraße hin eine schmale Brücke von einigen Schritten bis an die Hausthüre geht, wo zu beyden Seiten Accacien gepflanzt sind, und zu einer Laube gebogen werden, in welcher ein paar einfache Sitze zur Abendruhe, und dem Anblick der vorübergehenden Nachbarn dienen. In der Stube fand ich nur äußerst[38] einfaches Holzwerk, wie es einem Loghouse zukommt, aber was mich staunen machte, war eine aus 300 Bänden bestehende Bücher-Sammlung der besten französischen Schriftsteller, und die Englische Monathschrift universelle Magazin. – Der edle, bisher ganz schweigend mit uns gegangene Wattines lächelte gegen mich, faßte aber mit ernster gerührter Miene meine Hand und sagte:
Dieses erwarteten Sie nicht in meiner Hütte, aber diese Freunde erhielten das Leben meiner Seele, wie Milch der treuen Mutter das Leben ihres Kindes, wobey er auf seine Frau deutete, welche sich eben gesetzt hatte, ihrem Säuglinge die Brust zu geben. – Das äußere Betragen dieses Mannes und seiner Frau, hatte ganz die seine Form dessen, was wir unter dem Namen große Welt bezeichnen. Sein Aufenthalt an dem See Oneida, war mir eine Erscheinung,[39] einiger, auf den Trümmern eines Schiffs, vom Sturm an eine Insel geschleuderten Menschen. Der Ton und Gang seiner Ideen, wie richtig gestimmte aber zu schwach gespannte Sayten einer prächtigen Leyer, deren Töne nun in einer Art von Wüste verhallen. Ich fühlte Theilnahme an ihm, und eine Art fromme Ehrfurcht für sie, wie für eine Märtyrin des Schicksals; aber ich wagte keine Frage darüber. Der Abend neigte sich, die Schaafe kamen vom Felde zurück. Frau Vandek nahm Abschied, und ich begleitete sie zu Hause. Nun kam ich zu meinem teutschen Landsmann, und erzählte diesem, wie sehr mich das Wesen und die Umstände der zwey liebenswürdigen Wattines eingenommen habe: daß ich sicher sey, die Pariser Revolution habe sie aus ihrem Vaterlande getrieben, aber so weit bis zu den Ufern des See's Oneida, dünke mich noch andre Beweggründe zu verbergen. –[40] Er antwortete mir: wenn Sie noch einige Zeit bey uns bleiben, so werden Sie alles entdecken können. Im Ganzen ist die Verkettung des Vandek und Wattines eine merkwürdige Erscheinung, und konnte nur durch die eiserne Hand der Gesetze der Noth hervorgebracht werden. –
Wattines wurde durch die Liebe zur Fürsten-Regierung, und Vandek aus Haß gegen sie hierher geführt. Ersterer floh aus Europa, wo man seinen geliebten König von dem Thron stürzte, der Zweyte, weil Holland seinen Prinzen wieder aufnahm. Mangel des Vermögens hinderte sie, gute angebaute Ländereyen oder Güther in der Nachbarschaft großer Städte zu kaufen: Bedürfnis des geselligen Lebens mit guten vernünftigen Menschen verband uns zusammen. Dieses kann für Sie, der nur beobachten will, einen großen Werth haben, und wird Sie gewiß für Ihre Reise[41] belohnen. Ich als erster Ankäufer dieses öden Landes, darf mich nicht mit solchen Betrachtungen aufhalten, und muß für das Beste des Lebens meiner Famille und der Colonisten sorgen, welche aus Vertrauen auf mich hierher zogen. Wie sehr freute ich mich, als Ihre mitgebrachten Briefe, mir einen Mann verkündeten, welcher allein den Gang der Anlage einer neuen Colonie sehen will, voller Güte zu uns kam, uns gewiß gerne seine Einsichten mittheilt, so wie er unsere Erholungsstunden versüßt. Vandek ist ein Gelehrter, der sich nun als Familienvater der Landwirthschaft widmet, mit welchem ich als einem gebohrnen Holländer auch von Producten und Erwerb sprechen kann. Fleiß und Sparsamkeit seines National-Characters, seine Sitten und Lehren als Geistlicher, sind mir von unschätzbarem Werthe und Nutzen für meine Colonie. Ihm wird es auch wohl thun, hie und da ein Stündchen mit Ihnen[42] zu sprechen, so wie ihn die Bücher von Wattines freuten. Dieser ist auf einer andern Seite viel für uns geworden, weil wir den klagenden Colonisten sagen konnten:
Seht! dieß war ein reicher junger Edelmann in Frankreich, der alles verlohr, und eben so dürftig hierher kam, als Ihr, auf der Insel allein wohnte, mit seiner schönen jungen Frau arbeitete, Geduld hatte, und Gott vertraute. Wir sind gleich mit nachbarlicher Hülfe unserer eigenen Landeleute hergekommen, haben Handwerkszeug und Nahrungsmittel mitgebracht, welches alles der gute Mann und seine Frau nicht hatten. Seht, wie beyde noch arbeiten, und euch und eure Weiber noch vieles lehren können. –
Dieses wirkte viel; denn unsere teutschen Landsleute sind noch sehr an den alten Begriff der Vorzüge des Adels geheftet, und beurtheilen[43] das Schicksal der Wattines nach dem, was sie besaßen und verlohren. Die meisten unserer Leute haben ihre Wohnung und ihre Felder auf der Insel besucht, alle kamen von Hochachtung und Mitleiden durchdrungen zurück, und der letzte Auftritt des Hrn. v. Wattines, da seine Gegenwart des Geistes, sein Muth und seine Geschicklichkeit ihn von der augenscheinlichen Todesgefahr rettete, hat diese Gesinnungen mit einer Art höherer Ehrfurcht verbunden, und nicht nur das, sondern unsere Jungens, und Handwerks-Gesellen, ja selbst Männer, üben sich mit Schleifen machen, und haben Pflöcke mit einem Stück Bärenhaut auf einem Bret befestigt, welches einige Buben ziehen, und andre dastehende bemühen sich, dem Pflock die Schleife überzuwerfen, und den Bären, wie sie ihn nennen, nach sich zu schleppen; ja viele tragen jetzo einen Strick bey sich, um mit ihrer Geschicklichkeit und Stärke auch[44] einst einen Fang zu machen. – Mich dünkt dieser Tag und diese Unterredung war die Hälfte meiner Reise werth; aber mein Hauswirth und seine Frau endigten mit der Versicherung, daß die Wattines sich sehr über meine Ankunft freueten, weil ich so geläufig französisch spräche, und Frankreich kenne, indem sie wie alle Emigrirte, an ihrem Vaterlande, seiner Sprache und Gewohnheiten hängen. Er dankte mir dabey nochmals für den jungen Zimmermann, welchen ich mitbrachte: ihm wird morgen nach dem Gottesdienste, ein Stück Feld und Wald zugemessen werden. Ja der Kaufmann, der heute lange mit ihm redete, und seinen guten Verstand schätzt, will ohne Kaufschilling und ohne Pacht für ihn sorgen. Sie können nicht glauben, meine Freunde! Mit was für einem vergnügten Herzen, ich in mein Loghouse kam; diesen jungen Mann versorgt, und die Colonie mit einem nützlichen Bürger bereichert zu[45] haben. Es war ein wahres Fest, diese Aufnahme des neuen Einwohners der künftigen Stadt, und gewiß konnte in der ganzen Christenheit kein Sonntag schöner gefeyert werden. Vandek hielt erst die Gebete, dann eine kurze rührende Rede; über die göttliche Vorsicht und Bestimmung der Menschen, welche sie alle von so verschiedenen Gegenden hierher führte, um den ursprünglichen Beruf, bete und arbeite, hier auszuüben; es koste Mühe, gösse aber seeligen Trost in das Herz, als guter Hausvater und nützlicher Mensch zu leben. Er sey sicher, daß nicht einer unter ihnen sey, der nicht mit ihm Gott danke, daß er jetzo die Schritte eines guten Zimmermanns hierher leitete, weil sie gerade noch einen solchen Mitbürger gewünscht hätten, um noch in der schönen Jahreszeit ihre Wohnungen alle gesund und nützlich auszubauen. Gewiß würden auch alle mit ihm jeden Fußbreit Erde, der ihrem neuen Nachbar[46] zugemessen würde, segnen, und ihm hülfreiche Dienste leisten, wo er es brauchte; und Gott würde diese Ausübung der Nächstenliebe an ihnen lohnen. Nun zog alles hinaus, die Meßstangen wurden von jungen Leuten, in vollem Jubel getragen: kleinere Knaben, und die Mädchen trugen Baumzweige und Tannenreißig, welche sie auf die gemessenen und etwas aufgehackten Striche der Felder des neuen Landmanns legten, so daß der ganze Umfang des ihm zugetheilten Bodens, eine zwey Fuß breite Einfassung hatte, die von beyden Seiten an den ausgesteckten, und mit Waldblumen verzierten Bäumen endigten, welche man an der Stelle eingegraben hatte, wo das Wohnhaus hinkommen soll. Dieser, nebst dem bestimmten Hofplatz, war seit ein paar Tagen gereinigt und geebnet, und Baumstämme statt Bänken umher gelegt: dort hatten während dem Abmessen des Landes, die Weiber Mittagessen und Bier zugetragen,[47] und alles, Herr und Knecht, Frauen und Mägde, Kinder und Alte, verzehrten ihr Mittagbrod mit freundlicher Eintracht und Munterkeit. Ich gab gutes englisches Bier, auf die Gesundheit des Zimmermanns zu trinken, und Vandek sagte: wir sind hier in dieser Wildnis viel glücklicher als der berühmte Lord Baco, Canzler von England, mitten in London war, da er in seinem Alter zu arm wurde, um sich gutes Bier zu kaufen. Diese wohl angebrachte Erinnerung, verhinderte jeden Wunsch nach Wein. Die Zufriedenheit wurde vermehrt, da ich einen Vorrath Braten, Schinken, Bier und Punsch zum Vesperbrod schaffte, meine Flöte nahm, und ein paar junge Einwohner ihre Geigen holten, dann wechselsweise Musik machten, sangen und tanzten, nachdem alle in einer Reyhe geschlossen, den neuen Hofraum umhüpften. Bey Sonnen-Untergang kehrten alle vergnügt nach Hause zurück; indem der Ober-[48] Anordner frühes Schlafengehen und frühe Arbeit mit einander verbindet. Den Morgen nachher besuchte ich das Vorrathshaus, wo Breter, Nägel, Korn, Hülsenfrüchte, Mehl, gesalzen Fleisch, Oehl, Butter, Salz, Sämereyen, grobes Tuch, Leinen, Kochgeschirr, Eisenwerk und so weiter liegt. Diese wichtige Hütte steht neben dem Platze, wo einst in der neuen Stadt 4 große Gewölber zu den Niederlagen von Lebensmitteln und Waaren erbaut werden, daneben aber mit den Mauern der zwischen ihnen laufenden breiten Gänge in dem obern Stockwerke, wieder vier eben so große Stuben tragen, und zwischen ihnen eben solche helle Gänge formiren sollen: wo die Einwohner hingehen und sicher seyn können, in jeder dieser Stuben an gewissen Tagen der Woche bey ihren Vorstehern einen Vorrath von Klugheit und Erfahrung zu benöthigten Rathschlägen, Güte und Gerechtigkeit in Streit, Sicherheit[49] für wichtige Urkunden, und eine allgemein nützliche Büchersammlung zu finden. Diesem doppelten Rathhause gegen über soll die Kirche, und unmittelbar neben ihr, auf einer Seite die Wohnung des Pfarrers, auf der andern Seite die Schule und das Haus des Schulmeisters seyn. Der Raum zwischen diesen Gebäuden soll den Hauptplatz der Stadt bestimmen, und zwey andre, der dritten und vierten Seite des Quadrats gegen über stehende Häuser, soll eines dem Arzte und Chirurgo, das andre dem Mauermeister und dem Holzverwalter angewiesen werden: wo dann den aufwachsenden Knaben, bey dem Schulunterrichte zugleich von der ersten Jugend an, Bild und Begriff von Pflichten und Verdiensten nützlicher und nöthiger Menschen und Wissenschaften sich einprägen; Erwachsene aber sogleich die Häuser zu finden wissen werden, wo sie in Sorgen und Leiden der Seele und[50] des Körpers Hülse und Erleichterung finden können. Zwischen diesen vier Gebäuden laufen die vier Hauptstraßen in die Länge und Quere hin, an welchen nachwachsende und nachfolgende Einwohner sich nach Willen und Vermögen anbauen sollen. Längst dem Rathhause gegen den See, wird ein offner Gang, ein Warff und ein Landungsplatz für Schiffe angelegt. Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie sonderbar mein Herz bewegt wurde, als ich den kleinen rauhen Grundriß in der Hand auf den noch leeren Platz, zwischen den einzelnen Holzhütten hinblickte, und mir sagte: »diese Stelle war also seit Jahrtausenden noch nie bebaut, nie von Menschen bewohnt, nun sind welche da, die von ihrem, so viele hundert Jahre cultivirten Vaterlande, die Kunst zu dem Bau der Holzhütten mitbrachten, und, sagte meine Einbildungskraft, in zehn Jahren werden links und rechts hinlaufende Häuser entstehen: nun[51] ist einfaches Bedürfniß, Genügsamkeit, ämsiger Fleiß und Eintracht, Verehrung der Fruchtbarkeit des Bodens, einfache Wohnung, Kleidung und Speisen in diesen Hütten: und nach diesem Zeitraume werden aufkeimende Lustgärten, Verschönerungen, Geschmack und Begierden des Ueberflusses mit allen Fehlern in die Seelen der Bewohner derselben folgen; und dann auch Unmuth und Schmerz in den schätzbarsten Menschen entstehen, welche zum Entbehren bestimmt zu seyn dünkten.« – Dieser Spaziergang und dieses Denken kostete mich Seufzer, und verdarb mir beynahe die Hälfte der ersten Freude. Ich ging zu Vandek, und erzählte ihm diese in mir entstandene Unzufriedenheit. Er sagte mir: dieses geschieht immer, wenn wir die wirkliche Welt nach Idealen beurtheilen, denn was sollen die Bewohner dieser Ufer vornehmen? Immer in Holzhütten bleiben und ihr Korn zwischen Grabmälern fortpflanzen,[52] wie Sie von unsern Aeckern sagten? Bedenken Sie, daß der gesunde menschliche Geist nicht gerne stille sieht, und daß wir alle aus Ländern kamen, wo wir Wohlstand, Künste und angenehmen Genuß des Lebens sahen, daß vielleicht der Kummer, es nicht so zu haben, uns hierher führte. Wir sangen mit harter Arbeit an, wissen aber, daß es für uns ist, und arbeiten um so ämsiger, immer das Auge auf die Zukunft des Genusses geheftet, wie wir andre den Erfolg ihres Fleißes genießen sahen; denn diese Ideen und Gefühle verlieren sich nie. Und warum sollen wir für das Vergnügen einer philosophischen Phantasie immer nur die Rollen der ersten Scene der Cultur durchspielen? Gönnen Sie uns die Aussicht der Freude des Höhersteigens, des Weiterumsehens auf der Bahn von Glück des Erdelebens, der Kräfte des Verstandes und der Kunstfähigkeit, wie unsere Vorfahren in Europa, und die frühern[53] Colonisten Westindiens genossen: helfen Sie uns bey unsern Anlagen durch Vortheile der Handarbeit, eine Abkürzung des mühevollen Weges finden, den wir noch vor uns haben: geben Sie uns Auszüge richtiger, für Alle passende, Begriffe, von Bedürfniß, Glück Pflichten; damit unser Geist auch Umwege und Zeitverlust der Vorurtheile vermeide.
Mein Freund muß sich noch der Miene erinnern, welche ich hatte, wenn mir in jüngern Jahren ein begangener Fehler so deutlich bewiesen wurde, wie Vandek mich von dem Unrecht meines Wunsches überzeugte, daß die Colonie ja nicht sobald zu den Ideen des Schönen gelangen möge. Ich suchte mich zu vertheidigen, und versicherte, daß ich weit entfernt sey, den Gang ihres Geistes und ihres Wohlstandes gehemmt zu wünschen, daß ich nur den Leidenschaften den Zugang erschweren möchte; weil diese immer das Glück[54] der Menschen zerstören. Er lächelte und sagte:
Dieß heißt dem Seefahrer sehr freundlich gewünscht, daß er keinem Winde ausgesetzt seyn möge, weil es sehr gefährliche Stürme giebt; aber es ist männlicher zu sagen: Sorgen Sie für einen geschickten Steuermann. – Dieses werden wir bey der Erziehung unserer Kinder thun, indem wir soviel möglich ihrer Vernunft zu den Kräften helfen wollen, Schiff und Seegel, bey Wind und Ruhe, nach dem bestimmten Hafen zu bringen. –
Vortrefflich, sagte ich, – hier und in meinem fernen Vaterlande werde ich den Himmel um Segen zu diesem Plane bitten.
Dank, recht schönen Dank und Lohn für Ihre Liebe, erwiederte er, schwieg dann etwas nachdenkend, und ich rufte mir unsre Unterredung zurück, um auszufinden, ob ich etwas gesagt hätte, so ihn beleidigen könnte.[55] Da ich ihn von Moment zu Moment forschend anblickte, sagte er, ich kenne ihn wohl, den traurigen Einfluß der Leidenschaften, aber sie sind in der moralischen Welt durch eine allmächtige Hand eingeführt, wie nützliche und schädliche Thiere unser liebes Amerika bewohnen. Wir Menschen haben aber die Kraft erhalten, beyde zu zähmen und zu überwältigen, wenn wir nur immer eben so ernsthaft für die Ruhe unserer Seele sorgten, als Sie uns hier, unsern Schlaf, und unsere Besitzungen gegen die Einfälle der Thiere besorgen sehen. Doch, wer die Vorsicht versäumt, wird durch Schaden klug, oder durch Unglück gestraft. Ich glaube, daß wir neuen Bewohner dieser Gegend alle, durch versäumte Vorsicht auf unserer ersten Lebensbahn Schaden genommen hatten, wünschen Sie uns nur, daß wir jetzo klüger seyn mögen... Nun erwiederte ich, vergeben Sie mir, theurer Vandek! mich dünkt ich habe einen Gegenstand berührt, der Ihnen[56] unangenehm ist. – Er sagte sanft aber ernst: blos deswegen, weil er mir mit dem Wort Leidenschaft, die Ursache meiner Entfernung von Freunden und Europa zurück ruft. Ein in mir liegendes Ideal vollkommner Regierung und Glück meines Vaterlandes, wurde der Gegenstand einer, wie ich glaubte, schönen und gerechten Leidenschaft meiner Seele. Ich strengte mich an, verbessern und abändern zu helfen, es wurde auch Aenderung hervorgebracht, aber nichts besseres. – Ich möchte mir früher gesagt haben: wo Menschen sind, ist Unvollkommenheit. Sey du der beste, thue das beste in deinem Beruf, aber nicht mit Leidenschaft, sie führt dich zum Verderben, und erbittert die andern. Sie, junger Mann! setzte er lächelnd hinzu, leiden auch an dem Weh der Ideale: nehmen Sie sich in acht! das wirkliche Leben leidet darunter; wir werden unzufrieden mit dem was wir hören und sehen, werden ungerecht[57] und strenge gegen unsern Nächsten und unser Schicksal, und was das schlimmste ist, man stiftet selten Gutes; wenigstens wünsche ich seit Jahren, daß nur Poeten und Künstler, die gefährlichen Reitze der Fähigkeit Ideale zu schaffen kennen möchten, weil diese ihr Glück dadurch gründen, und das Vergnügen der andern, durch Darstellung schöner Bilder befördern. –
Ich mußte bekennen, daß er recht habe, sagte aber, daß ich die Gabe, Ideale zu denken, für ein süßes Geschenk der Natur halte. Schnell faßte er mich bey der Hand, und antwortete:
Gut, bleiben Sie immer bey dem Genuß des Denkens und Dichtens; aber gehen Sie nie so weit, weder von sich selbst noch von andern ungewöhnliche Dinge zu fordern.
Während diesem Gespräche waren wir aus seinem Loghouse herausgetreten, um[58] noch etwas auf und ab zu gehen, als uns Wattines entgegen kam, und Vandek mir nur ganz kurz sagte:
Hier kommt ein menschliches Wesen, das wirklich zu Idealen gehört. –
Wie so, sprach ich?
Das werden Sie morgen auf der Insel hören, wohin ich sie führen werde. Wattines war nun bey uns, und erzählte von einem sehr glücklichen Fischfange, und dem Vorsatze, einen Versuch mit dem Einmariniren zu machen, wie sie es in Frankreich gewohnt waren. Diese Unterredung mußte mit Madame Vandek fortgesetzt werden, ich ging also nach Hause, diese Blätter zu schreiben, und auf etwas zu sinnen, womit ich, wie Vandek es wünschte, den guten Menschen nützlich werden könnte.[59]
O meine Freunde! ich war auf der Insel, und hörte Vandek erzählen. Nie, niemals wird der Eindruck erlöschen, welchen dieser Besuch auf meine Seele machte, nie habe ich süßere Wehmuth und reinere Bewunderung gefühlt, und ich möchte hinzusetzen, nie die Menschheit in einem schönern Lichte gesehen. Ein Kahn brachte uns mit einem kleinen Vorrath Vesperbrod nach der mit hohen Bäumen bewachsenen Insel, deren Ufer von tausend, in Blüthen, Blätter und Formen, verschiedenen Pflanzen besetzt, sie wie ein von Nymphen geflochtener Kranz zu umfassen scheint, welcher zwischen Wurzeln prächtiger Bäume durchgeschlungen, da und dort[60] an gebogne abhängende Aeste geknüpft, sich zu Bade-Lauben bilden; denn das Wasser der See ist so helle und rein, daß man Muscheln, Fische und Wasserkräuter wie in Crystal schwimmen sieht. Vandek schickte die zwey Ruderer mit dem Schischen zurück, weil er allein mit mir bleiben wollte, und sie uns erst um acht Uhr abholen sollten. Schmale Wege zwischen dichtem Gesträuch, leiteten uns zu dem etwas erhöhten Theil dieser äußerst lieblichen aber tiefen Einsamkeit; endlich war ein ziemlich freyer Platz mit Gras bedeckt vor mir, und bey dem Umwenden erblickte ich eine mit Mangolia und Accacia beschattete Hütte; zu beyden Seiten Rasenbänke und kleine Blumenstücke unter Bäumen. Ich sah auf Vandek und sagte:
Ey, was für eine Erscheinung ist das? und bemerkte zugleich, daß die Hütte zwey Schuh hoch schräg aufwärts eine Einfassung[61] von länglichen schwarzen Muscheln hatte, welche mit großem Fleiß und Sorgfalt eingepaßt waren. Meine Blicke fragten Vandek, und er antwortete:
»Sie staunen! denken Sie sich mich mit dem Candidaten Holl, da ich aus simpler Neugierde die Insel sehen wollte, welche ich eben so unbewohnt dachte, als die uns angewiesene Seite des See's, und nun traf ich eine Wohnung. Diese damit verbundene Zierlichkeit, zeigte mir die Hand der Europäer von Erziehung und Geschmack. Wieviel? Wer? war natürlich die nächste Frage, welche in mir entstand. – Wir gingen zur Hütte, und pochten, niemand antwortete. Ich wollte nicht mit Gewalt hinein. Wir legten den kleinen Vorrath Brod und Bier auf eine der Bänke und gingen abwärts dem Sandwege nach,« wo er mich jetzo auch hinführte. Ein kleines Gesträuch hatte die angebauten Felder[62] verborgen, die nun ausgebreitet in vollem Wachsthume da lagen. Mein Auge weilte auf einem Stücke blühenden Flachs, als Vandek sagte, »so stand es vor einem Jahre, als ich herkam, den Anblick kann ich Ihnen nicht geben, der mich überraschte, als ich einen jungen Mann in dem Felde arbeiten, und seine holde Frau mit zwey Kindern dort unter den Bäumen bey den hohen Büschen von Gicht-Rosen sitzen sah. Sie erblickte uns zuerst, und schrie laut, Europäer! faßte aber zugleich ihre Kinder in ihre Arme. Der Mann sah auf, sie deutete nach uns, er stutzte im ersten Moment mit einer Art von Schrecken, blickte dann nach unsern Händen und Armen, ob wir bewafnet wären oder nicht, winkte seiner Frau ruhig zu bleiben, und kam mit seiner Harke und einem muthvollen Schritt gegen uns, gleich als wollte er fragen: was macht ihr auf meinem Gebiethe? Die Frau rief ihm etwas zu, ich[63] bemerkte, daß es französisch war, und sagte ihm ganz sanft in dieser Sprache, ja nicht unruhig zu seyn, wir wären Colonisten, welche sich auf der Neuyorker Seite des See's anpflanzen wollten und sehr entfernt wären die kleine Insel bewohnt zu denken. – Er hatte eine Art gestricktes Hemde und Beinkleider an, aber keine Strümpfe, und seine Füße statt Schuhen mit einem Stück Leder umbunden, wie es auch seine Frau und Kinder hatten. Könnte ich nur, setzte Vandek hinzu, den Anstand schildern, mit welchem er sich näherte und sagte:
Seit beynahe vier Jahren, da ich hier wohne und arbeite, kam keine lebendige Seele auf die Insel, wundern Sie sich also nicht, daß wir etwas erschraken.
Vier Jahre! rief ich, und Sie erbauten die Hütte? Gott! davon hörte ich in Philadelphia und Neuyork keine Sylbe. –[64]
Ich wünschte auch nicht, sagte er mit einer Art Unmuth, daß man in den prächtigen Städten von mir sprechen möchte.
Nun schwiegen wir beyde etwas, ich bat ihn aber, daß er seine Familie versichern sollte, wir wären weit entfernt ihnen Mißvergnügen oder Besorgniß zu geben, im Gegentheil verspräche ich ihm, als Vorsteher der Colonie, daß wir ihnen alle Dienste guter Nachbarn erweisen würden, welche sich rechtschaffne Menschen, in einer solchen Abgelegenheit von jeder Hülfe und Verbindung, doppelt schuldig sind. Er dankte mit edler Verbeugung und gesenktem Blick, ging nach seiner noch immer ruhig sitzenden, aber aufmerksam nach uns blickenden Frau, sprach mit ihr; sie schien ernst zuzuhören, reichte ihm die Hand, indem sie mit ihrem Kopfe eine Bewegung gegen den Himmel machte, und er winkte uns näher zu kommen.[65]
Die in Kummer welkende Schönheit dieser jungen Frau, und die vollblühenden Kinder rührten mich so, daß ich nicht sprechen konnte, sondern mit Augen voll Thränen nach ihr und den holden Unschuldigen blickte. Sie bemerkte es, erröthete sanft, und sagte mit etwas zitternd bewegter Stimme:
Sie haben gewiß eine Frau und Kinder, ich sehe es in Ihrem Blick auf meine Kleinen.
Ja, erwiederte ich, ich habe eine sehr schätzbare Gattin und fünf Kinder mit mir aus den Niederlanden an die Ufer des Oneida gebracht. Hier faßten sich beyde an der Hand, blickten mit inniger Wehmuth sich an, und sagten zu gleicher Zeit mit sichtbarer Rührung: aus den Niederlanden, sagen Sie? Der Mann war aber schnell gefaßt, und ruhig setzte er hinzu, ich habe mich einst da aufgehalten, und kenne das schöne Land voll Fleiß[66] und Ordnung. Nun war eine Pause. Ich sah nach den so vortrefflich stehenden Feldern, indem ich sagte: Sie müssen gute Leute mitgebracht haben, denn die Bestellung der Aecker ist ganz die von der netten Flandrischen Landschaft. Nun wurde der Mann roth, die schönen Augen seiner Frau waren mit Liebe und Trauer auf ihn geheftet. Er blickte einen Moment durchdringend nach ihr, und sagte dann männlich sanft mit Stolz gemischt:
Mich freut, wenn Sie die Felder gut angebaut finden. Wir sind allein hier. Diese Arme graben um, indem er mit einem Arm über das Feld hin reichte, mit dem andern die Hand seiner Frau faßte, setzte er hinzu, und die Hand der Tugend streuet den Saamen aus.
Mein Herz war hier auf einen hohen Grad gerührt, so daß ich kaum stammeln konnte.[67]
Sie allein! aber der Allmächtige segnete beydes. Nun schwiegen wir alle. Die holde Frau sah mit Zufriedenheit mich an, und sagte mit bebendem Tone, und einem sehr ausdrucksvollen Blick zum Himmel. Ja, wie er uns jetzo einen Nachbar gab. Lebhaft erwiederte ich, mit aufgehobenen Händen, und er sieht, daß ich guter Nachbar seyn will.
Dieß sagte ich gegen Beyde mich hinneigend. Ich wollte nun etwas traulicher werden, wendete mich gegen die Frau, und sagte, auf die Rosenbüsche deutend, gewiß haben Sie die Blumen gepflanzt!
Nein, mein Herr! es ist Sorgfalt der gütigen Liebe. Ich wünschte eine Bank nahe bey dem Felde zu haben, um meinem Carl manchmal bey seiner Arbeit zu sprechen und zu unterbrechen, damit er je zuweilen ausruhe; da fand ich eines Tages die Bank mit[68] Moos bedeckt, und nachher sproßten die Blumen auf. Aber kommen Sie, ich will Ihnen noch mehr zeigen – lieber Carl, sich zu ihrem Manne wendend, führe unsere Kinder – mich leitete sie um diese Bäume, (wo Vandek auch mich hinführte), da waren Gemüs-Felder so ganz Flandrisch schön, so vortrefflich geordnet, daß ich Hochachtung für den Arbeiter fühlte, und meinem Gefährten sagte: Vetter! wir wollen über nichts klagen.«
Vier Jahre hier allein, o was kann der Mensch, wenn er will, rief ich bey dem Theile dieser Erzählung! – Vandek fuhr fort:
So, mein Freund! fand ich Herr und Frau v. Wattines, die mich nun zu ihrer Hütte führten, wie wir dahin zurück wollen. Vandek ging voran, mein Gedächtniß sagte mir vieles, was ich von den Schicksalen emigrirter[69] Familien in unserm Europa gehört hatte, aber nie wäre ich fähig gewesen, mir ein Bild des Lebens zu denken, welches die Wattines hier erwartete. Auf einmal stand ich vor der Hütte, welche so lange Zeit dem höchsten Grade der Liebe, dem edelsten Muthe und dem ehrwürdigen Unglück der Tugend zum Aufenthalte diente. Das Erdreich hatte da eine sanfte Erhöhung, und mein Führer sagte:
Frau Wattines bat, die Hütte da zu errichten, damit der Regen von allen Seiten ablaufen, und sie einen trocknen Wohnort haben möchten. Sorgsam schonten sie schöne umher stehende Bäume, welche zugleich die Hütte beschatten und ihre rauhen Außenseiten mit ihren Aesten bedecken konnten. –
Meine Freunde können leicht denken wie aufmerksam ich auf alles war. Die Thüre, und wenige Fensterladen sind von der Hand des[70] damals 24 Jahre alten Wattines, aus mitgebrachten Bretern über einander genagelt, denn keinen Leim hatte er nicht: die Fenster sind mit Leinewand überspannt. Statt der Angeln befestigte er längst der Thüre und den Pfosten der einen Seite, einen Streif von Leder, denn aus Philadelphia hatte er nur zwey Kloben und Schlingen mitgebracht, um die zwey Thüren von innen zuzuschließen, denn die, welche zu den kleinen Abtheilungen führten, wurden mit einem Stück eingeschnittenen Lederriemen an einem Nagel befestigt. Der durch die ganze Hütte laufende schmale Vorplatz, war die Wohnstube, und hatte zugleich in einer Ecke den Feuerheerd, wo man sich wärmte und kochte. In dem zweyten Theile war gegen Mittag die Schlafstätte, an dieser die Art Vorrathskammer, wo sie gesammelte Früchte und ihre kleine Habseligkeit verwahrten. An der Wand des Herdes hin, war ein Stall für ihre mitgebrachten[71] Hühner, neben welchem auch ihr Holzvorrath lag. – Nun machte mich Vandek auf den Theil der Wand aufmerksam, welche von der Schlafstelle an, bis in die Ecke der Hütte läuft. Er deutete auf diesen Platz und sagte: denken Sie Freund! wie ich staunte, als Wattines hier, eine von seinen übrigen Bretern verfertigte Doppelthür öfnete, und ich die vielen Bände der besten französischen Werke fand, die über den Vorrath von Sägen, Hacken, Beil, Hämmer, Nägel, Eisendrath, Schaufeln, Sensen, einem Degen, zwey Flinten und Pistolen aufgestellt waren. Die Armuth in allem, und der Reichthum in Büchern! Ich konnte mich nicht enthalten auszurufen: Gott! dieser Vorrath hier. Edler junger Mann! Vandek setzte hinzu, hätten Sie nur den ernsten, aber schönen Ausdruck seiner Züge gesehen, als er mit einer Hand die Bücher, mit der andern eine Harke berührte und sagte: dieß waren die[72] vier Jahre hindurch die zwey Stützen unsers Lebens.
Sie sehen mich nun auch, meine Freunde, auf diese Wand blicken, Sie hören mich gewiß wiederholen: 300 Bände hier, auf dieser Insel?
Ja, sagte Vandek, sie hatten in York und Philadelphia vieles andere zu Gelde gemacht, um Bedürfnisse für diese Wohnung zu kaufen, aber ihre Bücher veräußerten sie nicht.
Mir ward einige Augenblicke wunderlich zu Muthe, weil ich mir sagte: Himmel ich war stolz, alles von meines Vaters Erbschaft, ja selbst meine Bibliothek wegzugeben, um auf meinen Reisen ganz frey, lauter Thatsachen zu sammeln, und Wattines opfert alles, nur Bücher nicht. Er, den das Schicksal zu so viel Thatsache bestimmte! Hatte wohl dieser französische Edelmann weniger Eigenliebe,[73] als ich guter Schwabe? aber ich mußte die Antwort aufschieben, weil mich Vandek weiter führen wollte. Er schloß die Hütte, und da ich die Einfassung mit den Muscheln betrachtete, sagte er: die Geschichte dieser Arbeit werden Sie in den Noten meiner Frau erzählt finden.
Bey der Wendung um die Hütte, zeigte er mir zwey, einen Schuh ins gevierte in die Erde gemachte Gruben: hier mein Freund, haben die guten Wattines auf einem eng geflochtenen Drathgitter, schottisches Bergbrod gebacken. Ich starrte auf die Gruben hin, und da ich weder von Bergschottenbrod, noch von dem Brodbacken über einer Grube einen Begriff hatte, fragte ich darnach, und hörte, daß Frau Wattines es besser wußte, indem sie bey dem Brodmangel auf der Insel sich erinnerte, einst gelesen zu haben:
›Die Schotten machten einen Teig von Habermehl, welchen sie auf sehr dünne, ein[74] Schuh breit und lang, mit lauter Löcherchen durchschlagnen Eisenbleche legten, und über solchen durch Feuer erhitzten Gruben zu backen wüßten. Wollten sie nun davon essen, so schlügen sie Stücken ab, würfen sie in Wasser oder Ziegenmilch um sie etwas zu erweichen, und nährten sich recht gut damit.‹
Nun hatten Wattines kein Mehl, aber die liebe Frau kochte Mais und Buchweizen recht weich, zerrieb sie zu Brey, machte einen Teig und dünne Kuchen, wie die guten Weiber der Schotten: Wattines machte die Gruben, und da sie kein Blech hatten, so wollte sie sich der eisernen Gartenschaufel bedienen. Wir haben auch Wasser im See, um es einzuweichen, sagte sie, da leben wir wie die Bergschotten, welche mich bey der Beschreibung ihres armen Brods so jammerten, da ich noch unser gutes französisches Brod hatte. Ich glaube, sagte sie[75] zu ihrem Manne, daß Gott mir um dieses Mitleids willen das Ganze in meinem Gedächtnisse bewahrte, damit ich einst auf einer öden Insel Brod hätte wie die Schotten auf ihren Bergen.
Sind Sie nicht, meine Freunde! hier eben so gerührt wie ich? Hätten Sie nicht mit mir gesagt:
Holdes, verehrungswerthes Weib! – Vandek fiel ein, gewiß ist sie beydes, setzen Sie hinzu, daß Emilie damals kaum 20 Jahre zählte, und Wattines 24, als er hier von seinem Drath enge viereckigte Gitter über die zwey Backgruben machte. Meine Freundin vergiebt mir, daß ich hier der jungen edlen Französin zu Ehren wünsche, daß unsere teutschen Frauenzimmer, welche so gerne lesen, sich auch solche Züge der Geschichte der Menschheit zu eigen machen möchten. Ich betrachtete diese Gruben mit[76] mehr Achtung und Empfindungen, als ich die Werkzeuge des vornehmsten Pasteten-Beckers ansehen würde, und freuete mich herzlich, daß die liebe Frau und ihre Kinder jetzo ordentliches Brod zu essen haben. – Mein letzter Blick auf diese Hütte war mit dem Gedanken verbunden:
Vier Jahre hier, von der ganzen Welt getrennt, ein junger französischer Edelmann und sein blühendes Weib. Beyde für die glänzendsten Zirkel ihres Vaterlandes gebildet! Mit Schauer setzte ich hinzu, o Schicksal! – Vandek führte mich weiter, und bey jedem Schritte vermehrte sich mein Staunen; denn Wattines hatte Wunder des anhaltenden Fleißes und der Geschicklichkeit gethan. Zugleich liegt in allem der Beweiß, daß guter Geschmack uns eben so natürlich werden kann, als Athem holen, und Zierlichkeit ein beynahe eben so großes Bedürfniß[77] für unser Auge wird, als die Lichtstralen selbst. Urtheilen Sie, lieben Freunde, ob ich dieses nicht denken, nicht sagen mußte, als ich die großen, von Wattines Hand noch jetzo aus Dankbarkeit ganz allein und äußerst nett angebauten Felder, hier und da mit Blumenbüschen besetzt sah. Alles sieht vortrefflich, und Vandek ist mit Wattines völlig überzeugt, daß der gute Abbee Rozier Recht hatte, als er behauptete, daß ein mit dem Spaten umgegrabenes Stück Erdreich immer gegen die mit dem Pfluge bearbeiteten von doppeltem Ertrage seyn würde. Zwanzig Schritte näher gegen Mittag, von den Feldern ab, stehen schlanke Pappeln, an welchen Wattines von den in Neu-Jersey so gut fortkommenden Fuchstrauben anpflanzte, welche wirklich schon von einem Baumstamme zu dem andern, in lieblichen, wie Thomson vom Geißblatte sagt, phantastichen Gewinden zusammen hängen, unter[78] welchen einige abgesägte Baumstumpen Statt Stühlen umher stehen. Unweit dieser Stelle endigt sich der von Wattines angebaute Theil der Insel, und man kommt zu einem schönen Wäldchen, dessen Eingang Wattines ziemlich erweiterte, und den Boden mit Waldgras unterhalten hat. Aber dieser Gang wird gegen das Dickigt des Waldes schmäler und etwas gewunden. Vandek führte mich unter beständigem Sprechen und Erzählen, bald stille stehend, bald rückwärts blickend, zu einer noch viel unerwartetern Ansicht, als alle Vorhergehenden; denn eine Art sich unter düster verwachsene Eichen und Trauer-Birken hinziehender Waldplatz, zeigt auf einmal zwey große weiße Aschen-Krüge, wovon der eine in schwarzen Buchstaben die Aufschrift trägt:
Dem Andenken der Väter und Mütter von Carl und Emilie von Wattines geweyht.[79]
Der andere:
Dem Oheim und den Brüdern.
Der Uebergang von der Holzhütte zu den Feldern, der Moosbank und den Blumen durch einen ganz einsamen Theil des Waldes, und dann auf einmal diese Vasen von der schönsten Form zu treffen, war sehr überraschend. Ich stand wie träumend, und blickte staunend auf die Urnen. Nun faßte mich Vandek bey der Hand und sagte:
Treten Sie näher! Dieses ist Emiliens Arbeit in Zeit von zwey Jahren. – Was fand ich, Vasen und Fußgestell aus Thon, mit lauter Muscheln besteckt, und in das schattigte Dickigt gestellt, damit sie nicht von der Sonne ausgetrocknet, in Stücken springen möchten. Ich war sehr gerührt, und auch noch nicht ganz von der Ueberraschung erholt, als mein Begleiter mir[80] lächelnd sagte: Freund! hatten Wattines und seine Frau Unrecht, den Geschmack an Ordnung und Zierlichkeit, mit in ihre Hütte und in ihre Einsamkeit zu bringen? Sie sehen, das Feld wurde nicht vernachlässigt: nun erlauben Sie mir zu wünschen, daß unsere Stadt bald stehe, und das nach dem Riß der Ihnen mißfällt, weil er so hübsch ist. Glauben Sie, theurer Freund, der Geschmack an Ordnung, Blumen und Symmetrie, verdirbt die Menschen nicht, sonst würde Holland nicht in dem Wohlstande seyn. Begierden nach Ueberfluß und Leidenschaften, die verderben alles.
Ich war über den Eifer betreten, mit welchem er mir meine Sorgen verwieß, daß seine Colonisten zu früh schöne Häuser und Gärten haben würden, und da er auf einen andern Weg eingelenkt hatte, folgte ich ihm schweigend nach, und kam an einem, dieses Jahr zum erstenmal angesäeten Kleestücke vorbey,[81] in einem lichten Theile des Waldes, welchen Vandek den Hayn der Liebe nannte; weil Wattines durch seiner Emilie Muschelarbeit gereitzt, auf einem, mit Magnolia bewachsenen Platze, einen nach alter Form dreyeckigten Altar errichtete, ihn auch mit Muscheln bedeckte, und auf die drey Seiten den Namen, Emilia, setzte. Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie alles dieses auf mich wirkte, und was dieses Denkmal edler Liebe unter den schönen, in voller Blüthe stehenden Bäumen, für einen Eindruck auf mich machte. Von da kamen wir an das Ufer des See's, wo der gute Wattines einen Platz zum Fisch- und Otterfang eingerichtet hatte. Eine Strecke davon, auf etwas erhöhetem Boden traf ich Carmils ersten Garten, mit einem Laubhüttchen und zwey Bänken, wo väterliche Liebe das, für Sonnenblumen, zu ihrem kleinen Vorrathe Oehl bestimmte Feld umarbeitete,[82] ordnete, kleine Wege machte, und Linien zog, in welchen er Grübchen bezeichnete, wohin der Kleine die Saamenkörner einlegte, welche von den Händen der Unschuld, wie die Mutter sagte, wirklich besonders gesegnet schienen, und zu einem Wäldchen en quinconce erwuchsen, worin die Kinder unter einem Blumenschatten spatzierten. Längst der Anhöhe hin, machte er sorgsam eine Verzäunung, damit die Kinder keinen Schaden nähmen, und die Mutter mit ihnen, den in der Tiefe mit wirklichem Kunstfleiße und Kenntniß angelegten Endtenfang sehen, und sie durch Fütterung anlocken könnten. – Alles, selbst der Platz für die Hühner, ist mit nettem geometrischen Geiste abgemessen und eingetheilt. Das nicht weit von der Hütte gegen Mittag liegende Stück Land wurde mit unsäglicher Mühe, für die mitgebrachten Obstbäume zubereitet und verwendet. Wattines versuchte auch den Zucker-Ahorn[83] aufzuziehen. Diese Bäume stehen alle gut, und versprechen Ertrag; auch sind noch wilde Bienen da, denn mehrere der selbst gezogenen Stöcke, nahmen sie mit nach der neuen Wohnung, um dort wie hier, nicht nur Wachs zu ihren Lichtern, und Honig zur Speise, sondern auch eine Art sehr guten Wein, und Essig zu erhalten. –
Theurer Freund! sagte ich zu Vandek, wie viele Kräfte, und wie viele Verdienste schlummern auf ewig in dem Menschen, welchen alles zur Hand gelegt und getragen wird.
Ja, erwiederte er, die Wattines können durch dieß, was sie als zwey einzelne Menschen vier Jahre hindurch an Arbeit, Erfahrung und Nachdenken gethan haben, unserer ganzen Colonie ein lebendes Model des anhaltenden Fleißes, und ein sicherer Wegweiser, zu stillem wahrem Glücke des Erdelebens werden.[84]
Meine geliebten, vaterländischen Freunde sehen, daß ich heute nur mit den einfachen Umrissen und Merkstäben, des mühsamen Weges einer in Verbannung lebenden Tugend beschäftigt bin; aber Sie können leicht denken, daß ich alles anwenden werde, auch die eigentliche Geschichte der Wattines, die von ihrem Zuge in diese Einöde, und die der Entwürfe ihres so schön verwendeten Lebens zu erfahren; denn es ist beynahe unglaublich, was dieser Mann und diese Frau bewirkten. Vandek und ich verzehrten unser mitgebrachtes Vesperbrod auf der Bank, welche Wattines an dem obersten Ende der Insel, neben schönem Gesträuche und vertieften Blumenbeten anlegte, von welcher Stelle man einen großen Theil des See's übersehen kann. Sie ist nicht weit von der Hütte, wo Wattines mit Frau und Kindern 4 Jahre wohnte, ohne von Jemand besucht worden zu seyn: ohne alle andre Hülfe, als Geduld, Fleiß und [85] Liebe. Ich äußerte Vandek meine Begierde mehr von ihnen zu wissen, indem das Abmessen des Weges von Flandern und Versailles, nach dieser Insel, und die Uebersicht von allem, was diese jungen Leute hier gethan haben, meine ganze Seele beschäftigte. Er fand meine Neugierde sehr natürlich, und sagte: was er von ihnen wisse, sey, daß sie in französisch Flandern, diesem so sehr bevölkerten, und so schön angebautem Lande gebohren wurden, durch den Wohlstand ihrer Familien eine vortreffliche Erziehung genossen haben, und zu äußerst glücklichen Aussichten bestimmt waren. Emilie ward im 18ten Jahre durch die unselige Revolution zu einer Vater- und Mutterlosen Weise gemacht, und aller Güter beraubt, so, daß ihr beynahe nichts, als ihr Bräutigam Wattines blieb, welcher, nachdem sein Oheim und sein Bruder ermordet worden, seinem eigenen Tode und dem Anblicke der Ungeheuer entfloh, welche ihm seine Verwandten und[86] Freunde tödteten Die Seele und die Grundsätze des edlen jungen Mannes waren verwundet. Der mit dem Blute seines guten Königs und so vieler tausend rechtschafnen Menschen benetzte Boden war nicht länger Vaterland für ihn. Er raffte das Wenige, was er und seine geliebte Emilie noch hatten, zusammen, und eilte einen Welttheil zu erreichen, wo er keine Mörder der Unschuld, keine Räuber des Vermögens der Witwen und Waisen sehen würde. Amerika war also sein Zufluchtsort, aber unsere großen Städte zu reich und prachtvoll. Angebaute, oder bevölkerten Orten nahe liegende Pachthöfe waren ihm zu theuer, für die kleine Summe geretteter Pfennige, wie er uns sagte. Der Zufall machte ihn mit einem alten, aber auch armen Quaker bekannt, welcher ihn nicht weit von seinem Garten, trostlos und Menschenscheu herum gehen sah, ihn anredete, ihm Theilnahme zeigte, und durch sein sanftes[87] Zureden den Kummer seiner Seele ergießen machte. Dieser wackere Mann sagte zu ihm:
Du bist arm, und willst weder mit Reichen noch vielen Menschen leben, willst du aber arbeiten und Gott vertrauen, so nimm einen Theil des Erdreichs an der uns abgetretenen Seite des See's Oneida, oder der Insel, die werden sehr wohlfeil gegeben, und nimm einen treuen Mann zu dir, welcher Arbeit und Ertrag mit dir theile.
Diesen Vorschlag ergriff Wattines mit Eifer. Der Quaker schafte ihn die Freyheit, die Insel zu bewohnen, half ihm alle nöthigen Bedürfnisse einfach aber dauerhaft anschaffen, gab ihm Unterricht in Ansehung der auf der andern Seite des See's wohnenden Indier und ihrer Behandlung, wieß ich Fischer an, welche ihn auf die Insel begleiteten und die Holzhütte bauen halfen. Nach dieser[88] Leitung zog er mit seinem zärtlichen Weibe hierher. Wie ich sie entdeckte, habe ich Ihnen kurz erzählt. Von dem ganzen Gange ihres Lebens auf dieser Insel können Sie Bruchstücke in den aufgezeichneten Erinnerungen meiner Frau finden, die Ihnen gerne alles mittheilen wird. Gewiß, alles verdient bemerkt zu werden, und Sie können Ihre Muße nicht besser anwenden, als dieses Bild der edlen Verwendung seines Unglücks und seiner Kräfte, in ein vortheilhaftes Licht zu stellen. Ich, meine Frau und andre Colonisten haben entweder keine Zeit, oder kein Geschick dazu. Vielleicht gewinnen Sie Wattines Freundschaft, und dann ergänzt er die Lücken welche in den kleinen Blättern meiner Frau seyn müssen, da sie meist nur Abends spät, ehe sie zu Bette ging, oder während sie unser jüngstes Kind stillte, mit Bleystift das Merkwürdigste aufzeichnete, was sie ihrem Mädchen nützlich achtete, erzählt zu werden.[89] wenn sie einen Abend mit der lieben Emilie verschwatzt hatte.
Bey dem Zurückfahren erzählte mir Vandek noch, wie sehr Wattines ihn bey seinem ersten Besuche auf der Insel bat, ja auf dem festen Lande nicht von ihm zu sprechen, und ja niemand anders von den Colonisten zu ihm herüber zu schicken; doch hätte er gerne eingewilligt, daß er seine Frau, ein paar Kinder, und wegen dem Rudern auch seinen Verwandten, den Candidaten, wieder mitnehmen könnte. Auf die Anfrage, ob er ihm nichts mitbringen solle, habe er ihm nach einigem Schweigen die Hand gedrückt und erröthend gesagt: ja, etwas Brod und Salz. In dem Augenblicke aber, wo Vandek sich dem Nachen näherte, habe Wattines noch mit angelegnem Tone gesagt: o, bringen Sie doch eine Carafine Milch mit, für meine gute Frau, welche sie so sehr liebt, und in vier Jahren keine kostete.[90]
Regen verhinderte einige Tage den Besuch, aber dann kamen sie mit allem, was zu Thee gehört und mit ihrem vier Jahre alten Knaben auf die Insel.
Lassen Sie sich, sagte Vandek, von meiner Frau erzählen, mit welcher Bewegung Frau von Wattines sie aufnahm, wie herzlich sie ausrief: Gott sey Dank! als die Milch auf den Tisch gestellt wurde, und die liebe Emilie sogleich um eine halbe Tasse voll für sich bat, und Thränen von ihren schönen Augen in die Schale ranten, als sie die Hälfte dieses ihr so lieben Tranks ihren Kindern zu kosten gab. Artig war es, wie der muntre junge Franzose Caremil, meinen dicken gesunden Jonas betrachtete, dann ihn freundlich bey der hand nahm und zum Laufen winkte. Meine Frau hatte von dem Spielzeuge unserer Kinder, ein kleines nürnberger Pferd für Caremil, und dem Mädchen eine Puppe mitgebracht. Diese freuete sich der Puppe, Caremil[91] besah das kleine Pferd, welches mein Knabe in das Gras stellte, lange von ferne, und am Ende besonders die Füsse, lief aber schnell weg, und kam mit einem kleinen Käfer wieder, den er auch hinsetzte, und zu seinem Vater sagte:
Dieses Thier sey so klein und laufe, das Ding da viel größer und bewege sich nicht.
Wir mußten alle lächeln, und sein Vater zeigte ihm, warum das Pferd nicht laufe, ging dann mit mir, dem Knaben und meinem Vetter weg, bis der Thee fertig seyn würde. Bey unserer Zurückkunft bemerkten wir bey Frau Wattines eine sichtbare Freude, daß sie eine europäische Familienmutter bey sich sah, und ihres guten Herzens und Verstandes sicher seyn konnte. Ihr heutiges Staunen, mein Freund, setzte er hinzu, und das Meine, so groß es bey meinem ersten Besuche war, können auf keine Weise der innigen[92] Gemüthsbewegung meiner Frau zur Seite gestellt werden; denn sie fühlte nicht nur als Gattin eines Colonisten alle Beschwerden der ungeheuern Arbeiten des Mannes, sondern auch als Mutter das unaussprechliche und vielfache Weh, hier Mutter zu werden, hier zu denken, dein Mann, der Vater deiner Kinder kann sterben! dann bist du und sie allein in dieser Einöde; oder zu sagen, ich kann sterben, laß ihm ein kleines Kind, und er bleibt mit allem Jammer des Lebens belastet hier. Es schauderte meiner menschenfreundlichen Frau, die nicht sehr gerne an den See Oneida zog, weil sie auch zu bessern Tagen gewöhnt war, aber nun dankte sie Gott für unsern Entschluß, weil dadurch einer so verlaßnen, aus aller Verbindung gerissenen Familie Trost und Hülfe zufloß. Sie war seitdem auch heiterer und glücklicher in unserer Hütte. Es kostete Mühe, Wattines zu bewegen, ein Landgut bey[93] uns zu nehmen. An Alleinseyn gewöhnt, und zu stolz jemand anders als einem Könige etwas zu danken, nahm er es nur auf bedingte Abgaben an, und da wir ihm den Genuß der Insel von dem Congreß verschaffen wollten, stimmte er nur dahin ein, daß es Belohnung für Ingenieur Dienste bey der Anlage der Stadt seyn sollte.
Sie sehen, meine Freunde! was dieser Tag für mich seyn mußte, und können sich die Gefühle denken, mit welchen ich bey unserer Zurückreise die Insel betrachtete. Ich speißte bey Vandek zu Nacht, und er sagte mir:
Sie kennen nun die Scene, wo das Schicksal zwey außerordentlichen Personen den Beweis gab, wieviel die Menschen vermögen, wenn es ihnen Ernst ist, alle ihre Kräfte, und ihr Nachdenken zu verwenden. Nun sagte er seiner Frau, daß er mir die Versicherung[94] gegeben hätte, sie würde mir alles mittheilen, was sie von Wattines aufgeschrieben habe.
Die gute Frau versprach es nicht allein, sondern gab mir noch den Abend alle Hefte mit nach Hause, mit dem Versprechen, Hrn. und Frau Wattines zu bewegen, sich mit mir in Erläuterungen einzulassen, wenn ich ihre Erinnerungen unvollkommen fände, oder einige Theile besser ausgeführt wünschte. Ich trug das kleine Packet Papiere mit mehr Freude und Sorgfalt in meine Wohnung, als ich vielleicht einen Sack mit Geld heim getragen hätte; denn ich war von den Bildern alles dessen, was ich auf der Insel sah, noch so eingenommen, daß mir die Geschichte dieser Menschen die merkwürdigste schien, welche mir vor kommen könnte. Zwey Tage lebte ich allein mit diesen Papieren, welche ich mit wahrem Heißhunger verschlang, dann stückweise überlas, und nachdachte, wie ich in dieser Lage gehandelt haben würde? und ich[95] mußte hier die Verschiedenheit des National-Characters anerkennen.
Sicher hätte ich wie Wattines gearbeitet, mich und meine Familie zu ernähren. Ich hätte Korn, Flachs, Gemüs und Obstbäume gepflanzt, aber gewiß nicht daran gedacht, neben einer Bank meiner Frau Blumen aufzuziehen, oder ihren Namen dreyfach an einem Altare zu schreiben; doch sagte ich mir auch, mit Zurückdenken an Heinrich Humes Grundsätze der Critik: wie er behauptet: Wohlgefallen an einer Handlung, welche wir erzählen hören, zeige an, daß in unserer Seele eine übereinstimmende Neigung liege, und beweise, daß wir gerne eben so handeln und denken würden, wenn die nämlichen Umstände uns dazu aufforderten. Ich schrieb mir also etwas von Humes sympathetischem Gefühle der Tugend zu. Sie, die mich am besten kennen, werden bey dem Fortgange der Erzählung, genau zu sagen[96] wissen, in wie weit ich Wattines ähnlich gewesen seyn würde, und in was der teutsche National-Character eine Verschiedenheit bezeichnet hätte.
Mein Zimmermann erleichterte mir die Annäherung zu Wattines trauterer Bekanntschaft. Er wurde, wie Sie wissen, in der Colonie aufgenommen, und bekam sein Stück Land, gleich neben Wattines, an dem See. Letzterer fieng an zu besorgen, sein Nachbar möchte ihm durch den Bau seines Hauses, die Aussicht auf die Insel benehmen, für welche er die größte Anhänglichkeit hat, und ihren täglichen Anblick nicht verlieren möchte. Da ich den braven jungen Mann hieher führte, und zu seinem Glücke half, so glaubte Wattines, daß ich etwas über ihn vermögen würde; er suchte mich also auf, erwähnte freymüthig seine Besorgnisse, und die Wünsche darüber beruhigt zu seyn. Er ist mir so werth, der Boden der[97] mich aufnahm, sagte er, daß ich ihn nicht aus den Augen verlieren möchte. Ich fand die Ursache so schön, so sehr in die Gefühle seines Herzens verwebt, daß ich im versprach, dafür besorgt zu seyn. Er freute sich, und bat um baldige Antwort, indem er hinzu setzte: der Mann wäre gerade beschäftigt, einen Platz zu ebnen, und er habe ihn mit Schritten umgangen, welche den Plan eines Hauses bezeichneten. Ich nahm sogleich meinen Hut, und folgte ihn bis an seine Wohnung, von welcher er mir die so liebe Aussicht auf die Insel zeigte, welche er allein um Emiliens willen verlassen habe, und nur in dem täglichen Anblicke einen Ersatz fände.
Nun suchte ich meinen Zimmermann auf, und sprach eben so gerade mit ihm, als Wattines mit mir. Ich bemerkte daß mein Landsmann roth und nachdenkend wurde; dieß machte mir bange, eine schwere Arbeit zu treffen, und flochte allerley schöne Beweggründe zusammen,[98] um ihn zu dem gewünschten Entschlusse zu leiten, wurde aber sehr überrascht, als er mit dem Lächeln der innigsten Freude sagte:
O wie froh bin ich, zu hören, daß es Ihnen und dem guten Herrn v. Wattines so sehr darum zu thun ist, daß ich meiner Hütte eine andre Stelle gebe; denn jetzo darf ich wohl auch um etwas bitten, woran mir eben so viel gelegen ist. Gewiß, antwortete ich, sage Er es nur frey heraus. Ach! erwiederte er schüchtern, es ist etwas sehr großes, aber ich will gerne Herrn von Wattines meine Hütte ganz opfern, oder mein Gut zu seinem Hofguth machen, wie es in Teutschland gewöhnlich ist, wenn er mich etwas Geometrie und Baukunst lehren wollte. Ich würde sehr fleißig seyn, daß er nicht so viele Mühe mit mir hätte, wie mit einem andern, und danken würde ich es ihm mein Lebelang. Richten Sie es doch aus, ich bitte Sie.[99]
Ich hatte wahre Freude für Wattines, und Freude an der Wißbegierde meines Zimmermanns, der so gerne sich und sein Guth verpfänden wollte, wenn er nur hoffen könnte, eine Art geschickter Baumeister zu werden. Ich sagte ihm, daß ich sogleich mit Wattines sprechen würde, ging auch mit wirklich eilenden Schritten seiner Wohnung zu. Er hatte mit Wünschen und Verlangen nach guter Antwort auf mich gewartet, und kam, mit einem noch viel lebhaftern Gang als der meine war, mir entgegen. Ich winkte ihm von ferne das ja zu, und er dankte mir sehr gerührt, setzte auch hinzu: könnte ich nur dem braven Manne und Ihnen, meine Dankbarkeit in der That beweisen. – Er sagte dieses mit dem Ausdrucke der Wahrheit und des Wehs, so wenig zu vermögen. – Sie können es, fiel ich schnell ein, ihn bey der Hand fassend, Sie können Ihren Nachbar zehnfach belohnen.[100]
Wie, wie? ich bitte Sie, wie kann ich es?
Nun erzählte ich ihm meine Unterhaltung mit dem Zimmermann, wie Sie eben gelesen haben, und Wattines sprach freudig:
Von ganzer Seele will ich dem rechtschafnen Manne alles mittheilen, was ihm dienen und ihn freuen kann. – Sie sind doch nicht zu müde, fuhr er fort, kommen Sie mit mir zu ihm, und seyn Sie Zeuge meines Versprechens.
Das bewilligte ich gerne, und redete noch mit ihm von der Wißbegierde des Mannes, und wie er so getreu seinen Dank, nach dem hohen Werthe der Wohlthat berechnete. Wattines wurde nach gerade stille, etwas tiefsinnig, ja mich dünkte er blicke mit ernster Trauer nach mir. Sollte, dachte ich, der Mann eine Reue über sein schnell gegebenes Versprechen fühlen? und stand stille. Herr von Wattines, wir wollen nicht weiter. Mir[101] scheint, Sie machten Ueberlegungen wegen der so rasch gegebenen Zusage, einen mühsamen Unterricht zu übernehmen. Sagen Sie mir, ich bitte, Ihre Gesinnung. – Er antwortete, gerne; aber mit gedämpfter Stimme setzte er hinzu: das Anerbieten des ehrlichen Mannes, mir für das, was er von mir wünschte, seine Besitzungen hinzugeben, machte mich nachdenkend. Ach, ist dieses nicht Wiederholung der Geschichte der Lehen-Rechte, da Bedürfniß einer Hülfe, Begierde nach Erfüllung eines Wunsches, nach etwas, so in der Gewalt eines andern war, ehemals solche Entwürfe machte, gute Menschen zu eben solchen Anerbieten leitete, welche von Rechtschafnen, ohne Mißbrauch der Noth des Bittenden auf billige Bedingnisse angenommen, leider aber von den niedern habsüchtigen Seelen, zu größern Vortheilen benützt wurde? Der traurige Gedanke drängte sich mir auf: ach, hier auf diesem neubewohnten[102] Boden keimte nun auch, in dem Kenntniß und Ehre liebenden Herzen dieses redlichen Mannes die Idee auf: ich will was er hat, was ich wünsche, nicht umsonst, will ihm dagegen anbieten, was in meiner Gewalt ist. Wissenschaft ist ihm, was ehedem Sicherheit gegen Feinde in dem Schutz tapferer Ritter oder Versicherung der Seligkeit von den Geistlichen, vor so vielen Jahrhunderten in Europa war, wofür sich Landleute hingaben, wie der gute Zimmermann, sich und seine Haabe für Geometrie und Baukunst, in meine Hände geben wollte, und also einst in Amerika, die Nachkommen meines Sohnes, auch in einer Revolution ermordet, auch wieder von dem eigen angebauten und übertragenen Feldguthe vertrieben würden, wie ich von dem meiner Voreltern.
Mein ernster europäischer Freund wird mich nicht tadeln, wenn ich sage, daß diese[103] unerwartete, aber in Wattines sehr natürliche Betrachtung, gerade weil sie so treffend war, mich rührte. Ich sagte ihm, ich ich könnte diese Erinnerung und Anwendung nicht mißbilligen, und nur den angenommenen Satz großer Philosophen entgegen stellen, daß nichts auf der Erde zweymal in der vollkommnen Aehnlichkeit erschiene.
Er lächelte, wie ein Kranker gegen den Freund lächelt, der ihn mit Hoffnung des Besserwerdens tröstet, und sagte mit einem Blicke nach der sich senkenden Sonne: ach, die Geschichte der Menschheit zeigt mir einen Kreißlauf des Denkens, Handelns und der Leidenschaften, wie die Sonne und die Jahrszeiten ihre Cirkel seit Jahrtausenden beschreiben.
Ich faßte seine Hand und ging in seine Gedanken über, indem ich sagte: Sie sahen also auch immer, von Zeit zu Zeit, einen[104] höchst edeln Sterblichen, wie Sie es sind, auf ihres Gottes Erde wandeln.
Er drückte meine Hand, und blickte männlich innig mich an, da er mit sanft ernstem Tone sagte: Dank, daß Sie Gottes Erde nannten, denn dieses allein hielt mich auf ihr fest, aber ich freue mich sterblich zu seyn.
Ich sagte: der Himmel wird Sie für Ihre Familie und zu einem Beyspiele des hier neu aufwachsenden Geschlechts erhalten.
Ein Blick und eine bescheidne edle Verbeugung seines Kopfes war die einzige Antwort, welche er gab. Nun waren wir nahe bey dem Zimmermann, dieser eilte uns entgegen, und bald war der schöne Vertrag des emsigen Fleißes, und des treuen Unterrichts in dem beyderseits gebrochnen Englischen, unter meiner Gewährschaft geschlossen. Wattines freuete sich, und der brave Handwerker dankte mir. Bey dem Zurückgehen fragte[105] mich erster, ob ich noch einige Zeit dieses Sommers hier bleiben würde? – Der Ton seiner Stimme, und sein auf mich geheftetes Auge, sagten so deutlich, daß er es wünsche, daß mein Herz antwortete:
Ja! auch den Winter, wenn ich Sie oft sehen und sprechen kann.
Ein flüchtiges Erröthen, das ein schnelles Pressen unsers Herzens hervor bringt, und eine eben so schnell und flüchtig in seinem prächtigen Auge sich zeigende und schwindende Thräne, waren unmittelbare Vorläufer einer nach einigem Stillschweigen folgenden Antwort, wobey er stehen blieb, sich zu mir wandte und sagte: das Schicksal hat mich nach vier Jahre langer Einsamkeit wieder mit Nebenmenschen verbunden. Ich fühlte schon oft den wohlthätigen Einfluß des gesellschaftlichen Lebens für mich und die Meinigen, fühlte auch durch die Bekanntschaft des Vandek wieder Empfindungen[106] der Freundschaft erwachen: Sie erheben dieses Gefühl zu einem Wunsche, um so mehr, da Sie aus einem Theile von Teutschland sind, dessen Einwohner ich, besonders wegen dem Geiste und Character der Fürstlichen Familie liebe; denn ich war einige Zeit in Straßburg in Garnison, machte kleine Reisen nach Carlsruh, lernte den weisen menschenfreundlichen Regenten kennen, verehrte ihn, gefiel mir in dem Fleiße der Unterthanen, und der Güte ihres Landesherrn; aber wie weit war ich entfernt zu denken, wenn ich bey der Zurückkunft mit meinen Jugend-Freunden von diesen Reisen sprach, daß ich einst ohne Freund in einem andern Welttheile leben würde, bis ein in den baadenschen Landen gebohrner schätzbarer junger Mann, mir diese edle Menschenfreude in einem erneueten Bilde zeigte.
Wir waren jetzt am Ufer des See's. Die von einem sanften Abendwinde bewegten[107] Wellen rauschten in dem von der niedergehenden Sonne erhaltenen Purpurlicht an uns vorbey, und in diesem Moment traf die Erinnerung an mein Vaterland, an meinen Fürsten und an meine Freunde Wucherer so unverhoft an meine Seele, daß ich Wattines weinend umarmte, indem ich ausrief: Gott! die Erinnerung an Carlsruh hier! von einem Sohne Frankreichs! Wie sonderbar ist dieses Zusammentreffen!
Nicht so sonderbar, erwiederte Wattines lebhaft, als daß Carl Friedrich von Baaden und Robespierre zu gleicher Zeit als Nachbaren lebten.
Nun gingen wir den übrigen Weg meist schweigend, gegen seine Wohnung zu. Emilie kam uns mit den Kindern entgegen. Wattines rief ihr zu: Ich habe meinen Wunsch erreicht, die Aussicht auf die Stelle, wo wir den ersten Abend auf der Insel uns umsahen,[108] bleibt mir offen. Hier der Freund des Herrn Vandek hat mir dieses Glück erhalten.
Die liebenswürdige Frau dankte mir für die große Freude welche ich ihnen dadurch schaffte, und ersuchte mich den Abend bey ihnen zu bleiben, indem Vandeks, bey welchen ich mich zu Gaste gebeten hatte, bey ihnen essen würden. Wattines entfernte sich, und brachte den Zimmermann mit nach Hause. Unser Tisch war in ganz altem Tone bestellt, denn der gute, bey Wattines wohnende Taglöhner, seine Frau und Tochter aßen mit uns ihren Antheil Wandertauben und Erdtoffeln, wie wir, tranken Sproßbier mit uns, und sprachen dann mit ihrem Herrn von der Arbeit des folgenden Tages, gingen aber früh weg zu Bette. Nun sprach Wattines von dem Plane und den Wünschen des guten Zimmermanns, Emilie brachte eine Flasche von ihrem Honigwein, dessen wirklich angenehmer Geschmack mich in[109] Verwunderung setzte. Ich berührte nun mein Verlangen etwas von ihrer Reise nach der Insel, und von ihrem einsamen und arbeitvollen Leben zu wissen.
Das sollen Sie, sagte Wattines, in sehr munterm Tone in meinen Abendstunden hören, wenn Sie Wort halten, und den Winter bey uns bleiben.
Ich versicherte dieses, und alle bezeigten ihre Zufriedenheit über meinen Entschluß. Der edle Wattines setzte hinzu: Emilie soll Ihnen auch von ihr erzählen, und alle Abend von ihrem Inselwein vorsetzen.
Also bin ich wirklich verbunden zu bleiben, auch wie ich die Menschen und die Gegend fand, gefalle ich mir besser am See Oneida, als in einer der Hauptstädte, wo man ganz den Wiederschein europäischer Pracht und Wohlleben findet. Hier bin ich für alle diese Menschen sehr viel, bey den[110] glücklichen Bewohnern einer schon eingerichteten volkreichen Stadt, nur eine Person mehr; und ich bekenne, dieser Gedanke fesselte mich auch. Vandek und seine Frau versicherten mich bey dem Nachhausegehen, daß mein Entschluß ihr Glück vergrößere, und so ging ich selbst auch glücklich schlafen.
Meine Freunde glauben gewiß ohne meine Versicherung, daß ich sehr bald einen Auszug von den Blättern der Frau Vandek notirte, über welche ich bey Wattines noch einige Erklärungen wünschte; aber da ich irgendwo in der Ordnung anfangen mußte, so wiederholte ich ihm selbst die Erzählung, welche mir Vandek von den Beweggründen gab, die ihn nach Amerika führten. Wattines sagte: ich will Ihnen darüber schreiben, denn die Zeit und die Sammlung der Gedanken fehlen mir zum[111] mündlichen Vortrage. – Acht Tage nachher gab er mir diesen Aufsatz.
»O, wie soll ich sagen, warum ich auf der Insel war, und nun in dieser Holzhütte bin? Ich floh Frankreich, nachdem man meinen Onele und meinen ältern Bruder ermordet hatte, welche ich beyde unaussprechlich liebte. Meine Schwägerin starb in Geburtswehen mit dem Kinde aus Jammer über den Tod ihres so liebenswürdigen Mannes. Die Familiengüther wurden eingezogen: die höchste Güte und Wohlwollen für alle, konnten selbst den besten König nicht retten. Ungerechtigkeit und Grausamkeit siegten überall, und Tugend verlor. – Meine Seele war empört und zerrissen. Ich konnte nichts mehr thun, als mein Leben oder meine Grundsätze aufopfern. Das letzte wollte ich nicht. Mich auch morden zu lassen? zu was half ein Todter mehr? und Emilie, meine Braut, die mich liebte, hatte niemand mehr,[112] als mich. Ich konnte mich dem Tode nicht weihen, da Emilie nur für mich lebte. – Wir flohen also, wie so viele andre Familien, nach Amerika, raften von dem, was die Räuber und Mörder nicht genommen hatten, noch so viel zusammen, als wir konnten, selbst Lieblingsgegenstände von mir, Bücher und mathematische Instrumente: Emilie, meine mir nun angetraute, in Flandern gebohrne, so gern reinliche Emilie, wollte sich nicht von dem Ueberreste ihres Leinen trennen. Ich wollte nicht nach England, weil man mir sagte, es liebe uns nicht; andre europäische Staaten waren mir nicht eifrig genug zur Hülfe, und ihre Länder zu sehr mit den Nachrichten und Anhängern der Revoluzion erfüllt. Mein Vater und mein älterer Bruder hatten mir Amerika oft gerühmt. Liebe zum Leben, zu Emilie, und der Wunsch, das Ende der Revoluzion zu sehen, neben dem Haß gegen die Menschen in Frankreich und Europa,[113] führten mich nach Philadelphia; aber da wurde stets und immer von den unseligen Begebenheiten meines Vaterlandes, und seinem Umsturze gesprochen, und meine tief verwundete Seele hatte schon auf der Reise durch das Geschwätz des Leichtsinns, durch leere Entwürfe der Wiederherstellung des Guten, und durch Ideen einer elenden Rache, unter den mit uns überschiffenden Flüchtlingen gelitten. Die Pracht, die Lebensart in Philadelphia, ruften mir Paris und Brüssel in das Gedächtniß zurück; auch waren viele Emigranten mit viel mehr Hülfsmitteln als ich herüber gekommen. Ihr Character und ihr Betragen mißfielen mir, ich wollte die Zeit nicht abwarten, den Gutgesinnten durch Vorschläge und Ansuchen beschwerlich zu fallen, oder den Bösartigen ein Gegenstand des Spottes und des Uebermuths zu werden; besonders da ich in dem Grunde meiner Seele diesen Uebermuth der Reichen und Großen als[114] die Ursache des Umsturzes der Monarchie betrachtete, und sie haßte, – sicher war, daß diese Menschen, welche in glücklichen Tagen keine edlen Gesinnungen zeigten, auch jetzo nicht mit mir stimmen würden. Ich fühlte Geringschätzung für den Geist der Männer, fürchtete für Emilien den Umgang ihrer Weiber, scheute den Vergleich zwischen meinen Umständen und denen, in welchen sich die Bewohner der französischen Seeküsten noch mit großem Vortheile retten konnten. Ich suchte ein kleines Landgut in der Nähe der Stadt zu kaufen, ging daher oft zu den Besitzern der umherliegenden Bauerhöfe, weil ich hoffte, einen zu treffen, der als Pächter mit mir leben, und den Kaufschilling als zurücklegenden Erwerb ansehen würde. Ich war aber zu einem solchen Kaufe nicht reich genug. Traurig machte ich einen Abend meinen Weg zurück: unweit eines artigen Bauerhauses blieb ich an einer Magnolia gelehnt stehen und jammerte[115] aus voller Seele, daß mir von dem großen Vermögen und zwey Schlössern meiner Väter, nicht einmal so viel übrig war, eine eigne Hütte zum Obdach, und Feld zum Anbau meines Brods zu kaufen. In meinem Kummer und Nachdenken vertieft, bemerkte ich nicht, daß jemand sich mir näherte, bis auf einmal ein alter Quäker neben mir stand, und theilnehmend mich betrachtete. Ich stutzte, und grüßte ihn, – als er sagte: Fremder! du vergißt, daß es bald Nacht seyn wird, wenn du nach der Stadt willst, so hast du Zeit. – Ich dankte ihm und war in Wahrheit etwas ängstlich als ich mich umsah. Der liebe Mann bot mir an, mich den kürzesten Weg zu leiten. Mein wenig Englisch zeigte ihm deutlich, daß ich einer der neuen unglücklichen Ankömmlinge sey, und seine väterliche Treuherzigkeit bewegte mich, ihm die Ursache meines Tiefsinns zu sagen. Er erwiederte mit sanftem Ernst:[116]
Du hast sehr irrige Begriffe aus Europa mitgebracht, da du vermuthen konntest, ein guter Landmann würde so leicht, die von seinem Vater, oder von ihm selbst angebaute Erde verkaufen, und kein Mann, der Seele und Eigenthum hat, wird jemals Söldner werden. Ziehe tiefer in das Land, suche eine Familie die auch nicht reich ist, vereint Eure Kräfte, und bauet Felder unter Gottes Segen und täglichem Fleiße, so wird sich deine Trauer und deine Sorge mindern.
Es war zu spät ihn mehr zu fragen, als, ob ich ihn wieder besuchen dürfe?
Gerne, wenn ich dir was helfen kann. Schon lange hatte ich von den Quäkern gehört, und es war mir eine angenehme Zerstreuung, diese mir neue Art Wesen näher kennen zu lernen; aber es verflossen einige Tage, ehe mir die Umstände erlaubten, wieder auszugehen, und Emilie wollte sich nur[117] Abends auf dem schönen Platze eine Bewegung machen. Während dem verbitterten mir die Nachrichten von der Ankunft so vieler Familien des französischen Adels den Aufenthalt in Philadelphia, und da ich meiner holden Emilie, die zunehmende Unruhe meiner Seele verbergen wollte, so ging ich bey einbrechender Nacht noch auf dem großen Spatziergange allein, über unser Schicksal nachzudenken. Ich wollte keinem meiner Landsleute mich entdecken, und dachte an den Quäker, um seinen Rath zu holen. Um ferner nachzudenken, setzte ich mich auf das oberste Ende einer Bank, welche ganz im Finstern stand. Ich war aber nicht lange da, als ich einige Stimmen französisch sprechen hörte, und aus dem Stoff der Unterredung bemerkte, daß es der Gesandte der Pariser Patrioten mit einigen Anhängern aus Philadelphia war. Mein Herz wurde äußerst bewegt, und der Gedanke: in Amerika ward[118] der Saame zu der unseligen Revoluzion geholt, beklemmte meine Seele. – Amerika war nun nicht mehr Zufluchtsaufenthalt für meinen Engel Emilie und für mein Herz, es war der Boden, auf welchem unser Elend keimte. Die Gestalt meines Schicksals wurde mir fürchterlich und unerträglich. Die Idee, daß ich einmal diesen verwünschten Gesandten treffen und sehen könnte, daß ich unter lauter Freunden der Neufranken lebte, daß Frankreich die Republik der Amerikaner gründen half, alles dieses bestürmte meine Seele zu sehr. Ich verfluchte die Asche des Ministers von Vergennes, welcher England necken wollte, und den Verfall unsers Königreichs bereitete. O, was für eine Lage war die meinige! Geburts- und Zufluchtsort mit gleichem Hasse zu denken! – Stellen Sie sich die Stimmung vor, in welcher ich zu Emilien zurückkam; denn an das Verbergen meiner Gemüthsbewegung[119] dachte ich gar nicht mehr. Sie erschrak über den Ausdruck der Leidenschaft, welcher in meinen Zügen verbreitet war. Ich hatte sie umarmt, ohne zu sprechen. Ich holte schwer Athem, und vermied ihre Blicke.
Mit zärtlicher Angst fragte sie: O, was ist in deiner Seele? rede, laß mich Antheil nehmen an deinen Jammer, Wattines! Du leidest, du bist krank, Gott, was ist dir geschehen! kann deine Emilie nichts für dich thun? – Ach! sie stand vor mir mit ringenden Händen und flehenden Blicken. Ich stürzte zu ihren Füssen, und rief:
Ja Emilie! ja, du kannst mir helfen. O, wenn du mein Leben und meine Ruhe liebest, geh mit mir in die äußerste Einsamkeit. Ich sterbe hier elend und wahnsinnig. –
Sie zitterte und sank auf den Stuhl zurück, von welchem sie aufgestanden war, bog[120] sich aber gleich wieder vorwärts gegen mich, und lebhaft rief sie aus:
O, gerne! gerne, heute noch, indem sie eine Bewegung zum Aufstehen machte. Nur laß mich wieder deine Züge sehen, wie mein edler liebender Wattines immer war.
Sie küßte meine Stirne, und weinte in stillem Schmerze. Ich weinte auch, und bat sie, mir den Kummer zu vergeben, den sie leide; aber ihr Versprechen nicht zurück zu nehmen, mit mir weit von Philadelphia wegzuziehen. – Sie hatte mich, während ich sprach von allen Seiten emsig betrachtet, meine Hände besehen, meine in Unordnung um meinen Kopf hängende Haare von beyden Seiten in die Höhe gehoben, meinen Kopf und Nacken zärtlich berührt, und sagte nochmals mit festem Tone und ohne Thränen: Ich folge dir in jede Wüste, ja in den Tod, und das heute noch, mit all meiner Liebe.[121]
Ihre Blicke lagen durchdringend auf meinen Augen, und die Erinnerung der nächsten Gefahr, die nach alt europäischer Sitte einen französischen Officier unter seinen Landsleuten begegnen konnte, verleitete sie zu der Frage: O sage, hattest du kein Duel? bist du nicht verwundet?
Aeußerst bewegt durch diese sorgsame Frage, sagte ich: nein, mein Engel! ich bin unverletzt, und habe seit ich dich verließ meist nur an dich gedacht, und mit niemand besonders gesprochen, als mit mir selbst.
Mich mit Ernst betrachtend, und mit dem Finger drohend, sagte sie: Du zweifeltest also an deiner Emilie, und ersannest die fürchterliche Scene, um mich desto eher zu bewegen. O Wattines! da legte sie schweigend ihren Kopf auf mich und weinte. Ich setzte mich neben sie, umfaßte sie und erzählte ihr alles, was diesen Nachmittag in mir[122] vorgegangen war, und die holde Liebe tadelte mich nicht, nahm Antheil an allen meinen Klagen und meinen Unmuth, ermahnte mich, einen Aufenthalt zu suchen, welcher mich und sie vor solchen Erinnerungen, und unser Glück und Liebe zerstörenden Gemüthsbewegungen schützen könnte.
Du willst einsam leben! führe mich hin wo du willst, wo nur unsere Liebe und die gütige Natur um uns seyn werden. Der ganz eigne Geist meines Wattines wird nur da glücklich seyn, und ich bin es nur, wenn er es ist; – denn mein Carl! deine Liebe allein kann nie der Grund meiner Zufriedenheit werden, deine Ruhe, deine Zufriedenheit müssen damit verbunden seyn. –
Sie können leicht denken, daß meine ganze Seele sich in Dankbarkeit ergoß, und dann schon Plane den übrigen Abend wegnahmen; ja als Emilie durch den auf ihr Herz gestürmten[123] Auftritt schon sanft schlummerte, wachte mein empörter Geist unter dem Hin- und Herwägen eitler Entwürfe noch. Der Gedanke, morgen meinen alten Quäker aufzusuchen, ihn um Rath zu fragen, beruhigte mich endlich, und ich schlief ein, aber nicht lange. Bey dem Frühstücke sagte ich Emilien meinen Entschluß, diesem guten Manne mich zu eröfnen; sie freuete sich darüber. Ich eilte zu ihm, besuchte aber noch einen Moment ein Caffeehaus, wo immer alle Nachrichten aus Europa zuerst mitgetheilt wurden. Ach! alle Tage besuchte ich es, mit der stets eitlen Hoffnung, gute Aenderung in Frankreich zu hören, auch den Morgen waren die Sachen schlimmer als je, und ich ging mit neu gebrochenem Herzen zu meinem Quäker, nach der Benennung dieser Secte, zu einem Freunde, die man immer in Stunden des Kummers aufsucht. Er empfieng mich, wie ein gütiger Weiser einen Jüngling, dem er wohl[124] will. Ich erzählte ihm alles, zeigte ihm Trauer, Wünsche, Liebe, Sorgen und Haß meiner Seele. Er hörte mir aufmerksam zu, unterbrach mich nie, als hie und da mit dem sanften Ausrufe: arme Menschen! wie verirrt, wie quält ihr euch.
Die Erzählung des Mordes meines Oncles, meines Bruders und des Vaters meiner Emilie, füllte seine Augen mit Thränen. Er drückte meine Hand und sagte:
Ach! der Boden von Amerika ist auch mit Blut getränkt; – aber sey ruhig, deine Verwandten sind bey Gott. Er sah alles. Er hat sie getröstet. Er lohnt sie. Er hat dich erhalten und wird dich stützen.
Nun zeigte ich ihm aufrichtig das Verzeichniß dessen, was wir retteten, was wir noch für die Zukunft verwahren und noch zum Verkauf geben wollten, ausgenommen unsre Bücher. – Nach einigem Stillschweigen[125] sagte er: Junger Mann! du bist hitzig, du hast Vorurtheile und Stolz, hast Bedürfnisse des Lebens und bist mit allen Menschen unzufrieden. Reichthum und Gewalt fehlen dir, um deinen Menschenhaß in Trotz zu zeigen, Güther zu genießen, und mitten unter ihnen einsam zu leben. Möchtest du es wagen, mit dir allein beschäftigt, wie unser erster Vater auf einer artigen, aber sehr abgeschiedenen Insel zu leben, wo du nicht gezwungen seyn würdest, nur des Nachts auszugehen, oder Einöden aufzusuchen um keine Menschen anzutreffen, aber immer unter den Augen Gottes zu wandeln, auf einer Seite nichts als Waldung und Fläche am Creek, auf der andern Waldung und ein kleines Dorf von guten Indianern zu sehen? Wolltest du dort die liebe Erde, durch ordentliche Feldarbeit bewegen, dir Nahrung zu geben, so will ich sorgen, daß du ohne Pacht und Kauf dahin kommst, will dir[126] durch gute Menschen ein Loghouse erbauen lassen, und einen rechtschafnen Mitarbeiter geben; aber du mußt dich bald entschließen, während meine Freunde noch in der Gegend fischen. Ich will für alles, einem genügsamen Menschen, Nöthige sorgen Deine Bücher, und das Beste so du rettetest, sollst du dabey behalten: dort kannst du lernen Menschen ertragen, Ueberfluß und Stolz verachten, den Werth mancher Kräuter und Thiere, ja, den von dir selbst kennen; aber Geduld und Fleiß müssen dich geleiten.
Ich dankte ihm, und ergriff den Vorschlag mit Freuden, zeigte ihm meine Arme, und sagte: daß ich Gärtner-Arbeit verstünde, und als sehr junger Mensch, meinem Oncle, welcher mich und meinen Bruder erzog, den Versuch machen half, ob der Abbee Roziers recht habe, zu behaupten, daß ein mit dem Spaten umgegrabenes Feld doppelt soviel[127] trage, als ein nur gepflügtes. – Mein Quäker freuete sich und sagte:
Nun so gehe in Segen, und werde ein guter Ackersman! Ich will für alles Nöthige sorgen, denke mit deiner Frau an mäßige Kleidung und auch an Weiber-Arbeitzeug. – Ich eilte zu Emilien; die sanfte liebende Seele war froh, noch einen lebhaften Wunsch, noch eine Hoffnung in mir zu sehen, mit Vergnügen und Zärtlichkeit folgte sie mir an den See Oneida. Ach, ich sagte ihr nicht, daß wir vielleicht ganz allein leben, oder nur Indier sehen würden. Ich fühlte da am lebhaftesten für mich, daß ich fern von jeder Spur europäischer Sitte, Kunst und Regierung seyn würde. Emilie fühlte sich glücklich über mein heiteres Aussehen, und fand den Entwurf auf einer Insel zu leben ganz herrlich. Die in dem Blute unserer Nation liegende Leichtigkeit alles zu fassen, alles thunlich zu finden, und im Vertrauen auf[128] unsern Geist und Thätigkeit, alles zu unternehmen, hat immer in Krieg und Frieden unserm Vaterlande große Vortheile geschafft. Dieses angebohrne Selbstvertrauen beseelte uns, und versicherte uns Glück und Vergnügen; deswegen kauften wir beynahe eben so viel Blumen- als Gemüs-Saamen, folgten unserm Quaker in allem, nur nicht in der Wahl der Betten, indem wir auch für den Winter nur Matratzen mit Schafwolle gestopft, statt der amerikanischen Federbetten nahmen, und allein große lederne Pfühle mit Federn gefüllt, nebst einigen wollenen Decken kauften; alles andre blieb der Kenntniß, und dem Gutdünken meines alten Quakers überlassen, welcher mir in wenig Tagen ein Verzeichniß aller meiner in Kisten gepakten Sachen gab, das was ich hatte, wurde damit vereint, und gute Quaker-Kleidung für uns auf die Reise und auf die Insel angeschaft hatte. Recepte zu Sproßbier, zu Ahornzucker, zum wilden Bienen,[129] und Wander-Taubenfang kamen auch zu unserm Vorrathe. Ich führte Emilien den Tag vor unserer Abreise zu unsern Freund, welcher ihren Muth bewunderte, und durch seinen herzlichen Segen stärkte. Er hatte zwey Fuhrleute bestellt, und gab uns Briefe an die Fischer, welche wir am See Oneida treffen würden. Bald würden wir, setzte er hinzu, Europäer zu Nachbarn auf dem Lande erhalten, indem diese Gegend zu der Grafschaft Onotaga gehöre und der Congreß den schifbaren Creek-Fluß, welcher sich in den See Oneida ergießt, zu Beförderung des inländischen Handels benutzen, und an dem Ufer des See's Oneida eine Stapelstadt erbauen wolle. Diese Aussicht war uns sehr tröstlich; mich freuete aber, daß die Stadt noch nicht stand, und ich also noch einige Zeit, weit von Menschen entfernt leben, und dabey einen Wunsch meiner Emilie erfüllt sehen würde, ohne etwas von dem meinigen zu opfern; denn bey der Bereitwilligkeit[130] mir überall zu folgen, hatte sie immer die Bedigniß gemacht, daß wir nahe an einem Flusse wohnen möchten. Ich hatte in meinem Herzen vieles dagegen, denn Flüsse werden von Menschen und Thieren besucht, und der Vorschlag von der Insel war mir tausendmal willkommner, weil er mein Fliehen vor Nachbarn, und Emiliens Verlangen nach Wasser befriedigte. Nun war aber noch ein großer Punkt zu besorgen; meines Quäkers Freunde sollten mir einen Gehülfen schaffen, und ich wollte keinen haben; bemerkte mit Vergnügen, daß Emilie mit mir gleich dachte, aber aus Sorge, ich würde, wenn ich allein arbeitete, meine Kräfte zu sehr anstrengen, wollte sie lieber eine starke arbeitsame Magd, am liebsten eine Witwe, welcher sie die Kinder besorgen wollte, während die Mutter im Felde, um zu arbeiten seyn würde. Der Quaker fragte:
Warum willst du nicht lieber einen braven[131] Knecht? – Emilie war verlegen, und sagte: guter Vater! wie, sollten wir einen alten Mann sich viel plagen lassen? und ein junger bey uns in der Einsamkeit, würde sich bald unglücklich fühlen. Der leisere Ton in welchem Emilie dieß sagte, das Erröthen dabey, wurde von unserm Freunde so gut verstanden, daß er sie bey der Hand faßte, liebreich auf sie blickte, und wirklich wie ein Patriarch sprach:
Du hast recht, meine Tochter! Zieh hin und glaube, daß wer so für seinen Nächsten denkt, von seinem Gotte nie vergessen seyn wird. Bereite dich aber auf das Entbehren einer Magd, denn fleißige Witwen ohne Kinder sind nicht gern in der Einsamkeit, weil sie wissen, daß man in Amerika arbeitsame und geschickte Weiber sucht, und was würdest du mit einer trägen Gehülfin machen? Eine treue Mutter würde beängstigt seyn, was aus ihren Kindern werden solle. Hier[132] schwieg er, und sah auf Emilien, welche schnell antwortete:
Nein Vater, ich will keine Seele mit Sorgen beladen, und an deinen Segen glauben, daß Gott für uns sorgen wird. –
Wir schieden von diesem Manne wie von einem Vater, und er weinte mit uns. – Ach, wie leicht war mir, als Emilie unterwegs versicherte, sie würde mit mir allein viel ruhiger und zufriedner seyn, als bey dem Gedanken, daß ein andres Wesen aus Noth in unser Schicksal verwickelt würde, welches vielleicht die Einsamkeit nicht tragen, oder unsere Lebensweise nicht lieben würde. Doch zitterte ich oft wenn wir bey einzelnen kleinen Anlagen vorbey kamen, wo mehrere Leute arbeiteten, und Emilie nachdenkend hinblickte. Die Idee, ach vielleicht fühlt sie nun, daß wir nicht so glücklich seyn werden, Menschen um uns zu haben,[133] und verbirgt ihre Unruhe vor mir, wie ich mein Entzücken über die unbewohnten Ebenen, Wälder und unbeschifften Flüsse. Ich webte in unsere Entwürfe oft den Gedanken: Es freue mich eine Probe der gänzlichen Einsamkeit zu machen, die Zeit gehe schnell, und die Fischer, welche uns nach der Insel führten, würden uns besuchen, und könnten uns wieder zurück nehmen. Unter dem Ausbruche des Enthusiasmus für Größe und Schönheit der Natur, machte ich die holde Emilie aufmerksam auf die Scenen, an welchen wir vorüber kamen, wenn hier und da ein Blick von ihr in das Dunkle dichter Wälder hinschauderte, und das Aufbrechen und Fliehen wilder Thiere Emilien erschütterten, und den Gedanken in mir rege machten: wohin führst du sie? so nahm ich meine Zuflucht zu ihrer innigen Liebe für mich, und zu ihrer Religion, drückte sie an mich und sagte:
Emilie! wie prachtvoll, stark und innig[134] verbunden ist alles, wie es aus der Hand Gottes kam, wenn Menschen noch nichts verdorben haben! Ach, da freuete sie sich der ungeheuren Wälder der Gegend am Ontaria, der Wasserfälle in den Strömen, und lächelte, wenn der Knall der Peitschen unserer Fuhrleute die Indischen Hühner scheu und von den Bäumen abflattern machten: die großen Flüge der Zugtauben ergötzten sie. – Endlich waren wir bey den Fischern und ihren Hütten. Es schauderte mir in meiner Seele, aber ich wollte nicht zurück, Emilie bebte, bey dem Erheben der Blicke über den See hin, nach der Insel. Ich faßte mich, umarmte sie und sagte: Gott sey Dank, wir sind gesund hier, und die Sonne unsers Schöpfers beleuchtet den uns bestimmten Wohnplatz recht freundlich. Mit sanfter Freude sagte sie: Es ist ja auch unsers Gottes Erde, wie die Gegenden, wo wir bisher lebten. Die Fischer waren äußerst rechschafne[135] Leute, bey denen wir den ersten Abend blieben, den andern Morgen waren bey unserm Erwachen unsere Fuhrleute schon weg, und ein Theil unserer Habe auch schon nach der Insel abgefahren. Wir aßen Mittags noch von ihren guten Fischen, und wurden dann auch gelandet. – Aber den ersten Moment kann ich nicht beschreiben. Ich weiß es nicht, ich hob Emilien aus dem Kahne. Sie, die mich auf der Reise nach Amerika und auf der nach dem See Oneida leicht wie ein Vogel dünkte, schien mir wie Himmel und Erde auf mir zu wägen, beynahe taumelte ich, Emilie bemerkte es, und bewundern Sie, mein Freund! die Gegenwart ihres Geistes und ihrer Liebe, indem sie ausrief: Carl, hab Sorge! oder willst du Besitz nehmen, wie Cäsar von Brittanien. Dieß weckte meinen Muth. Ich stellte sie nieder, blickte sie und den Himmel an, konnte aber nicht reden. Sie faßte meine Hand, und folgte mit ihrem[136] Auge meinen Blicken, sagte dann: du betetest diesen Moment für mich, Gott erhöre dich, und segne uns beyde. Ich drückte sie an meine Brust, sie küßte mich und sagte mit unaussprechlicher Sanftmuth: Carl! lächle mich an, alles lächelt auf diesem Platze; indem sie mit Heiterkeit und der ihr eigenen Grazie sich überall umsah.
Der Landungsplatz war in der That schön, aber ich sahe und fühlte es nicht sobald, als der holde Engel, welcher mich durch Gottes Fügung begleitete. Nun hatten die vier Fischer beynahe alles ausgeladen, und Emilie ermunterte mich ihnen zu helfen. Ich will, setzte sie hinzu, indessen die Stelle zu unserer Hütte suchen. Wirklich entfernte sie sich, meine Blicke folgten ihr, sie sank neben einem Gebüsche auf ihre Kniee, und erhob ihre Arme flehend zum Himmel, stand aber schnell wieder auf, drängte sich zwischen einigen[137] Bäumen durch, und rief laut: O, welch ein schöner Platz! –
Sie war 19 Jahre alt, wahre Gehülfin meines Lebens; denn Sie fühlen selbst, daß ihre Heiterkeit und ihre Zufriedenheit mich unterstützten, so wie die Arbeiten mich zerstreuten. Staunend bemerkte ich, daß schon viele Balken auf einem Platze lagen, und hörte von den Fischern, daß sie ein Loghouse am Ufer hätten bauen wollen, aber dem Quaker alles verkauft hätten, ich möchte nur bald einen Platz wählen, weil sie nicht länger als zwey Tage von ihrer Arbeit und ihren Gefährten entfernt bleiben könnten. Emilie wählte wirklich den Platz, wo Sie unsre Hütte fanden, weil der Boden eine sanfte Erhöhung hatte. Wir arbeiteten vereint an ihrem Baue; es geht auch mit Errichtung dieser Häuser, wie Sie bey den Colonisten sehen, sehr schnell. Emilie war es, welche bat, die zwey Accacien-Bäume neben dem Eingange der Hütte stehen zu[138] lassen, indem sie mir zugleich liebreich sagte: diese Bäume machen unsere Wohnung zum Sinnbilde des Tempels von Philemon und Baucis.
In diesem Moment wurde sie für das süsse Vergnügen belohnt, welches diese schöne Idee mir gegeben hatte; denn die Fischer stellten einen Korb mit Hühnern neben ihr nieder. Ihr Entzücken über diese unverhoffte Freude durchdrang mein Herz. Die Erbin einer Herrschaft hatte nun kein Eigenthum mehr, als einen Hühnerkorb, welchen ein guter alter Quaker ihr zum Hausgeschenk in die Einöde bestimmte. Die Fischer sagten, er hätte auch zwey Ziegen geschickt, aber die trächtige sey gestorben, weil sie übertrieben wurde. Emilie wurde bis zu Thränen gerührt, sah gen Himmel, und rief mit dem Ausdrucke des innigsten Schmerzes:
Auch hier noch Verlust! lehnte sich auf meinen Arm, ich umfaßte sie mit einem[139] unaussprechlichem Gefühl innern Jammers, sie sah ihn über meine Züge verbreitet, küßte mich lächelnd, und sagte: sey ruhig, Carl! wir haben Eyer, da kann ich lait de Poule1 machen; aber es war schön von dem guten Vater John, daß er seine Kinder mit Milch und Eyer versorgen wollte. Nun gab sie den Hühnern Brod von unserm Vorrathe, streichelte sie, küßte sie, legte gebratene Fische, welche in einem Napf lagen, auf einen Balken, um an die See zu laufen, und Wasser für ihre Hühner zu holen. Ich segnete den Quaker für diese Freude des besten, edelsten Geschöpfs, aber der Verlust der Ziege quälte mich, weil Emilie so gerne Milch aß; es war mir trauriger, als die Einsamkeit. Denken Sie, wie tief Emiliens Ausruf, auch hier noch Verlust! meine Seele erschütterte. Ich sah auch um[140] mich, und dachte empört: auch hier noch Schläge des Schicksals! Warum? fragte ein erbitterter Blick, den über mir fließenden Himmel. Sie haben gewiß mit Achtung bemerkt, wie schnell Emilie ihre Trauer-Gefühle überwand, aber dieses schärfte nun die, welche mein Herz durchschnitten. Ich hatte eifrig an dem Bau meiner Hütte geholfen, eilte aber zu Emilien, nahm ihre Hand, und beschwor sie, mir zu sagen, ob sie nicht lieber zurück wollte, da wir einen so schlimmen Anfang unsers Verhängnisses gesehen hätten.
Nein Carl! sagte sie schnell, nein, wir bleiben, Gott wird für uns sorgen, und auf die vor uns liegenden Kisten und Fäßchen blickend, setzte sie hinzu: Sieh, wie reich wir sind! und auf die prächtigen Bäume deutend, wie schön ist die Natur. Wir wollen bleiben. Wir sind uns genug. Nun war sie heiter, ordnete unser weniges Küchengeräth[141] zusammen, ich half das Haus beendigen, das am zweyten Morgen bis zu der Decke fertig war. Die Fischer hatten zwey Bären- und einige Bieberfelle mitgebracht, um darauf zu schlafen, ein kleines Segel wurde an zwey Stöcken aufgehängt, um Emilien und mich wie mit einem Zelte zu decken. Schönere Witterung sah ich nie: bessere Menschen als unsere Fischer auch nicht. Den andern Tag halfen zwey Männer meine Thüren und Fensterladen im Rauhen machen, zwey andre fällten Bäume, nahe bey einer Art Wiese, um den Platz zu Feldern etwas zu vergrößern; sie lehrten mich vieles von ihren Handvortheilen. Zwey von ihnen gingen den Abend bey schönem Mondschein mit einem Kahn zurück, die zwey andern lehrten mich die Lücken zwischen den Balken mit Moos ausstopfen, und die Wände im Winter mit Bieberfellen verwahren. Da mein Dach gut gedeckt war, verschob ich die[142] bessere Arbeit für das Innere, auf die Regentage für mich. Emilie raufte alle Tage Moos, und breitete es zum Trocknen auf einen leeren Platze in die Sonne. Wir fragten die Leute nach den Indianern, die jenseits des See's wohnten, und hörten, daß wir nichts von ihnen zu befürchten hätten, da sie wenig an Zahl, und ein sehr gutes Volk wären, das sein Wort immer heilig halte, und nie ein abgegebenes Land beträten. Ich fand dieses auch ganz war, denn nie habe ich einen auf der Insel gesehen, aber was uns unendlich schmerzte, auch nie mehr einen von unsern Fischern, nie bekamen wir Nachricht von unserm Vater John, als von Hrn. Vandek die von seinem Tode, den wir herzlich beweinten, und nur hofften, daß er durch unsre Fuhrleute und die Fischer, die zwey kleinen Briefe erhielt, welche wir ihm schrieben. Den letzten halben Tag halfen mir die zwey guten Fischer noch mein erstes Feld ein[143] wenig umgraben, und versprachen heilig das kommende Jahr uns zu besuchen, und neuen Vorrath Oehl, Salz und geräuchert Fleisch zu bringen, weil ich bis zu meiner eignen Erndte, Bohnen, Mais und Buchweizen genug hätte. Das Ordnen dieses Vorraths in Kisten, in welchen unsere Habe von Philadelphia kam, das Aufstellen der Bücher und des Arbeitzeugs; Emiliens Säubern und Ordnen des blechernen und eisernen Küchen-Geräthes, erfüllte die ersten Tage, nachdem uns die Fischer verlassen hatten. Wir verbargen unter unsere Schlafstätte das Wenige, so wir noch an Kostbarkeiten und letztes Hülfsmittel für künftige Zeiten aufhoben, legten das wenige Gute von Weißzeug und Kleidungsstücken auch zurück, selbst die Schue, indem wir von niemand gesehen, uns gewöhnten nur ein Stück Leder um unsere Füße zu binden. Mir als Officier, war in Vergleich eines Zeltes, mein Loghouse ein[144] Pallast, und wenig Hausgeräthe war mir auch genug: wir mußten wohl genügsam seyn, da wir erst gegen Ende des vierten Jahres, durch den Entwurf des Anbaues einer Stadt, wieder Umgang mit Menschen und wieder Hülfe nebst Darreichung ehemals gewohnten Genusses erhalten haben.«
Dieser Auszug von Wattines Geschichte und Denkart, machte mich nun begierig auf die in der nehmlichen Zeit bey seiner Frau erschienenen Aeußerungen, nachdem die Fischer abgereist, und die zwey Unglücklichen ganz allein waren. Mir graute vor den Moment ihrer gänzlichen Abgeschiedenheit von allen andern Menschen, und durchblätterte die Noten der Frau Vandek mit erneuetem Eifer, und Aufmerksamkeit; da fand ich zu meiner Freude Emilien über den ersten einsamen Abend redend.[145]
»Wattines führte mich auf den Theil der Insel, der nicht weit von unserer Hütte an das Ufer des See's leitet, und zugleich zwischen den Bäumen hin einen großen Waldplatz neben unsern Feldern zeigt, von welchem er mir erst, da wir auf dem vesten Lande mit Ihnen lebten, sagte, daß er ihn oft mit Sorge betrachtet habe, weil es bey dem üppigen Wuchse aller Bäume und Gesträuche der Insel nicht natürlich war, daß die Natur eine solche große Stelle ohne große Gewächse gelassen habe; sondern er war überzeugt, daß ehemals die Indier hier Feste hielten, oder bey ihren Jagden auf der Insel öfters Feuer da hatten und Strauchwurzeln nebst Bäumen ausgerottet wurden. Da die Fischer uns beruhigten, sagte er mir nichts von seinen Vermuthungen über diesen mir so schön dünkenden Wiesengrund. Mein Herz dankt ihm heute noch dafür; denn was würde mein Leben geworden seyn, wenn ich den schönen[146] Rasen mit dieser Vorstellung und dem Gedanken betrachtet hätte: die Wilden können wiederkommen.
O, wie gütig ist die Vorsicht, wie sehr sind es die Menschen, welche uns traurige Aussichten decken! Ich ging über dieses feine Gras sehr vergnügt an Wattines Seite nach der schönen Aussicht hin, wo er mich die ganze, von der Abendsonne beleuchtete Gegend, betrachten machte, mich dann umarmte, und nachdem er seine schönen Augen mit einem flehenden Blicke zum Himmel erhoben hatte, sagte er feyerlich:
Emilie! nun sind wir hier auf diesem fernen Theil von unsers Gottes Erde ganz allein, aber weit von den Barbaren, die uns unschuldige Nachkömmlinge unserer von ihren Vorfahren verehrten Eltern, dem Tode und der Armuth weihten: hier von Einsamkeit, Ruhe und Bäumen umgeben, weit[147] von Unrecht und Bosheit, die unsere Verwandten mordete, und uns beraubte. Von schöner, fruchtbarer Erde aufgenommen, leben wir hier allein vor Gottes Augen, seinen Himmel über uns, mit deiner Tugend und unserer Liebe. – Emilie! erinnerst du dich noch, mit welchem Vergnügen du die Versicherung hörtest, meine erste Liebe zu seyn, und wie entzückt ich war, daß noch kein anderer Mann jemals den geringsten Antheil an dein Herz erhalten hatte: und unser guter Vetter, welcher noch glücklich vor der Revoluzion starb, bey dem Feste unserer Verlobung, auf dem Landguthe deines Vaters, uns das schöne Bild der Liebe von St. Pierres Feder zueignete?
Kennen Sie es? fragte Emilie Frau Vandek, als diese mit nein antwortete, sagte Emilie mit Erröthen; O lassen Sie mich dieses schöne Stück von einem Lieblings-Schriftsteller meines Wattines Ihnen vorlesen,[148] weil, dem Schicksal sey Dank, noch jede Zeile Wahrheit für uns ist. –
St. Pierre: ›In dem Alter der Liebe entwickeln sich alle edle Gefühle, Unschuld, Aufrichtigkeit, Großmuth, Sittsamkeit, Heldenmuth und Frömmigkeit, zeigen sich in unauslöschlicher Anmuth in der Stellung und den Zügen zweyer jungen Liebenden; denn die Liebe nimmt in ihren Seelen den Character der Tugend und Religion an. Sie fliehen die lärmende Gesellschaft der Städte, und suchen auf einer einsamen Stelle des Feldes einen ländlichen Altar, um sich ewige Liebe zu schwören. Wasserquellen, der Aufgang der Sonne, der gestirnte Himmel hören ihre Gelübde. Oft sehen sie sich für göttliche Wesen an, das Gras, worauf sie treten, die Luft, welche sie athmen, die Schatten, unter welchen sie ruhen, dünken sie durch ihre Gegenwart geheiligt. – Sie sehen in der ganzen Welt kein größeres Glück, als mit[149] einander zu leben und zu sterben; werden sie getrennt, so können weder die Hoffnungen des Reichthums, noch Freundschaft sie trösten. Sie haben Seligkeit kennen lernen, und schmachten nun auf der Erde, schließen sich aus Verzweiflung in Klöster, um von Gott die Hoffnung der Wiedervereinigung zu erbitten.‹
Emilie! setzte er hinzu, wir leben, wir sind vereint, wir wellen mit vereintem Geiste und Herzen ihn wahr machen, den schönen Traum alter und neuer Dichter: glücklich zu seyn, in Einsamkeit durch Liebe. Er umarmte mich dann und sagte zärtlich: ich will arbeiten, das Feld umgraben, du, indem er meine rechte Hand faßte, wirst mit dieser Hand, die das Glück meines Herzens versicherte, den Saamen einstreuen, Engel und Heilige werden es sehen, und Gott mit uns um Gedeihen bitten. Ich drückte seine Hand gerührt an meine Brust,[150] und sah wirklich mit innerm Gebethe nach Gott in die Höhe. Wattines sprach fort: ich will nun unsere Hütte ordentlich ausbauen, Fische zu fangen suchen, auf die Wandertauben lauschen, und Achtung geben, ob nicht auch etwas Wild in den tiefern Gebüschen lebt. Morgens mache ich Feuer und helfe dir unser kleines Mahl bereiten. Sind wir ermüdet, stürmt es, und denken wir zurück an Genuß und glückliche europäische, im schönen Flandern unter liebreichen Verwandten verlebte Tage, da werden wir dieser Erinnerung eine Thräne weihen, aber auch sagen: ach, die besten, die liebsten dieser Verwandten sind nicht mehr, sind ermordet, die andern flüchtig, unglücklich wie wir. Sie können uns, wir ihnen nicht helfen, und hier sind wir doch weit von unsern Feinden, von den Boshaften und Fühllosen, die uns alle unglücklich machten. Unsere Blicke treffen nur auf uns oder den von Gott bewohnten[151] Himmel und die friedliche Erde, die uns trägt und nährt.
Ich umarmte meinen Wattines und sagte: Gott hat unsern Weg bis hieher geleitet; diese völlige Abgeschiedenheit von allen Menschen, dünkt mich, stellt uns noch näher, noch genauer vor sein allsehendes Auge; wir wollen auch, mein Geliebter! hier diese Prüfungszeit so durchleben, als ob ein jeder Tag der letzte seyn könnte; in dieser Stimmung wird alles Ansehen und Vergnügen der Erde gleichgültig betrachtet, ohne Wunsch und ohne Trauer daran gedacht, und nichts erhält einen Werth, als moralische Gefühle gegen Gott, und das Bild von der künftigen Welt. Wattines fand diese Ideen zu düster, und erwiederte:
Nein Emilie! ich denke mich lieber in die Lage unserer ersten Eltern, welche aus dem Paradiese wandern und allein wohnen[152] mußten: wo noch kein andres Wesen ihrer Art lebte, und Eva, nicht so ruhig, nicht mit so unschuldsvollem Herzen auf Adam blicken konnte, als meine Emilie auf mich.
Er verlängerte den Spatziergang mit Fleiß, um mich müde zu machen, aber es erhob sich ein Wind, die Bäume flüsterten, die Wellen des See's rauschten, und der Wiederschein des Mondes zitterte auf dem Wasser. Es wurde kühl, Wattines war froh, daß ich dieß alles noch im Freien hörte und fühlte, also das Geräusch kenne, und nicht unruhig seyn würde. Er führte mich nach unserer Hütte, wir sahen auf unserm kleinen Wege eine Menge Leuchtkäferchen, welche mich, da ich sie liebe, sehr freueten. Wir zündeten eine Lampe an, und schliefen diese vierte Nacht auf der Insel allein, und das erstemal in der geordneten Schlafstelle unserer Hütte. Das mitternächtliche Krähen unsers Hahns, war mir eine Art tröstlicher Täuschung[153] von Nachbarschaft und Idee von Hausfreunden. Wir erwachten früh, hatten aber sehr wohl geschlafen, und fanden sehr gut, daß wir von Philadelphia an, so viele abwechselnde Ruhestätten hatten, bis wir am Ende noch zwey Bärenfellen auf der Erde, unter ein niedres Zelt von dem Segel der Fischer-Barke krochen; nun also den Werth unserer Hütte, der Matratze und Wolldecken mit Dankbarkeit fühlten – und, o wie glücklich machten mich zwey Eier von unsern Hühnern, und ihr trauliches Zulaufen gegen mich! Ich bat Wattines, ihnen doch sobald möglich einen kleinen Umfang anzuweisen, damit sie die Freude haben möchten, Grünes zu fressen, ohne daß ich in Gefahr käme, sie zu verlieren. Ich bin heute noch sicher, daß mein guter Mann eine ganz andre Arbeit vor hatte, aber seine Güte überwog sein Nachdenken, und mein Hühner-Hof wurde besorgt. Ich half kleine Breter herbeytragen,[154] holte Nägel, hielt die Aeste des Gesträuchs, welches Wattines umbiegen und einflechten wollte; aber ich muß bekennen, sagte sie halb lächelnd, daß ich damals noch Handschuhe anzog. Mein geliebter Carl machte das alles so geschickt, und so schnell, daß ich ihn bewunderte, und mit inniger Rührung seine Hände küßte, und nun an meinen Heerd ging, Feuer anmachte, und zwey Wander-Tauben, welche die Fischer uns noch zurück gelassen hatten, zu dämpfen Es geschah nicht ohne Thränen, daß ich mir selbst dankte, aus Liebe zu meiner Amme, welche Küchenmagd bey meinen Eltern war, mich immer gern um sie befand, selbst da ich 12 und 13 Jahre alt war. Wenn wir auf dem Lande wohnten, mich oft in die Küche stahl, auch bey mancher Sache, die nicht schmutzig war, mit arbeitete, und Freude hatte, etwas so gut zu machen, als Trinette.[155]
Wie weit war ich damals mit ganz Frankreich, und so viel tausend andern Personen entfernt zu vermuthen, daß dieß, was wir uns zum Vergnügen, oder als schöne Kunst bekannt machten, einst Erwerb zu Lebensmittel seyn würde, und daß ich, die meiner Milchschwester manchmal zum Scherz Vögel rupfen, oder in den Zimmern eine Arbeit bey dem Aufräumen fertig machen half, mich tausend Meilen von unserm Geburtsorte entfernt, ihrer erinnern, und sie in dem Grunde meiner Seele glücklicher achten würde, als ich war. Gewiß, es flossen Thränen mit in den Topf, in welchem ich die Tauben kochte, aber die Sorge, meinen Wattines dadurch zu kränken, trocknete sie. Ich blieb auch etwas länger, als nöthig war, an meinem Herde, um jede Spur von Trauer verschwinden zu lassen, und lief nur einen Augenblick zu Wattines, um zu fragen, ob ich ihm noch etwas helfen könnte? als er nein[156] sagte, kehrte ich schnell um, rang dann unter Beten und Seufzen nach Heiterkeit. Einige Zeit nachher rufte mich mein theurer Carl und bat um etwas Bindfaden, damit wir den Hühnern einige Schwungfedern zusammen binden könnten, um sie am Fortfliegen zu hindern, und nun ließen wir sie auf ihrem angewiesenen Spatziergange laufen. Wattines bat mich, zu beobachten, ob sie nicht irgend in der Einzäunung durchzukommen suchten; er wolle nur noch ein wenig auf sein Feld gehen. Meine erste Bemerkung, daß er schon früh eine andre Arbeit, als den Hühnerhof vorhatte, und dieser Austrag, machten mich den Schauder überwinden, der mir bey dem Gedanken ankam, daß ich nun ganz allein in der Hütte seyn, und selbst Wattines nicht sehen und hören würde. Er eilte mir nach in die Hütte, wo ich meine Bewegung verbergen wollte, er aber seinen Spaten und Rechen holte, liebevoll zu mir an den[157] Herd kam und fragte, was ich kochte? ich den Topf aufdeckte und traurig sagte:
Carl! nur eine Speise – und einen Kuß, antwortete er, mich innig an seine Brust schließend und forteilend. Ich sah ihm nach, bis er zwischen den Bäumen weg war, da fiel ich auf meine Knie, weinte, konnte nichts anders zu Gott sagen, als: O, Ewiger! erhalte ihn, und stärke mich.
Diese wenigen Worte wurden gesegnet, denn ich fühlte mich durch diese Gedanken gestärkt und selbst ermuntert: ich nahm mir vor, den Topf mit den gar gekochten Tauben in ein Tuch zu binden, auf den umgewandten Deckel einen Teller, das Messerzeug und Brod zu legen, in die andre Hand aber die noch übrige Flasche Sproßbier zu nehmen, und so mit einem Strohhut auf dem Kopfe, wie eine gute Landfrau ihrem Manne das Essen auf den Acker zu[158] bringen. Ich gewann dabey eine doppelte Freude; denn schon der Entwurf verscheuchte meine Furcht des Alleinseyns, und jeder Schritt näherte mich meinem Manne. O, wie war der gute Wattines gerührt und erstaunt, wie warf er den Spaten von sich, mir entgegen zu eilen, wie träufelten Thränen der Freude über meine Heiterkeit von seinen Wangen. Emilie! Engel Emilie! rief er, o wie edel verschönerst du mein Leben, wie rührst, wie lohnst du mich!
Er war sehr roth und erhitzt, und bekannte, daß er mich ängstlich dachte, deswegen um so eifriger arbeitete, weil das Feld morgen angesäet werden müsse, und er mich nicht länger allein lassen wollte, als bis die die Stunde des Mittagsessens gekommen seyn würde. Wir aßen sehr vergnügt unter den Bäumen, auf der Stelle, wo Wattines nachher die Mosbank errichtete, und die schönen Gichtrosen dabey pflanzte, weil er[159] wußte, daß ich sie liebe. – Als er sich wieder nach seiner Arbeit umsah, wollte ich meinen Muth auf die Probe stellen und sagte, daß ich unterdessen unser Eß- und Trinkgefäße nach Hause tragen und reine machen wollte. Mein Carl lächelte mit trauervoller Zärtlichkeit mich an, und ich erinnerte mich glücklicher Weise an ein kleines Duett, aus der Operette: Suson et Colin, und fieng an es zu singen. Er antwortete mir, und ich eilte weg, weil mich seine Stimme etwas zitternd dünkte: auch als ich um den Busch unserer schönen Magnolia herum war, und über das untre Gesträuch nach ihm hinsah, erblickte ich ihn, seine Arme über der Brust gekreutzt, den Spaten an sich drückend, Kopf und Augen zum Himmel erhoben. Er betete. Innig vereinte sich mein Herz mit ihm, und mit desto weniger Furcht setzte ich meinen Weg fort, dachte auch da an Trinette, die oft in der Nacht allein eine halbe Stunde[160] Wegs nach Hause gehen mußte, und bat Gott, da er das Schicksal meines Lebens, zu den Beruf einer Bäurin geführt habe, mir auch alle Tugenden dieses Standes zu geben; wie ich ihn ehemals eben so aufrichtig um die Gabe der Verdienste meiner Geburt und meiner Aussichten gebeten hätte. Ich räumte unsere Hütte sehr nett auf, wie ich es auf unserer Reise nach der Insel, in englischen kleinen Pachthäusern gesehen hatte, suchte Waldblumen, setzte sie in einem unserer kleinen, aber neu noch recht hübschen Koch-Töpfen auf den Tisch, und kam dann zu Wattines zurück. Dieser wurde mit seiner Tagarbeit bald fertig: es war noch sehr hell, und Wattines wollte einen andern Weg zu der Hütte zurück nehmen. Er hatte sein großes Gartenmesser und eine Hacke bey sich hatte, um niedres Gesträuch abzuschneiden, und an Bäumen einen Span einzuhauen, um unsern Weg zu zeichnen, und wieder zu erkennen.[161] Wir fanden eine Menge Thymian und blühendes Heidekraut, welches uns Hoffnung gab, ganz gewiß auch Bienen zu finden, welche Wattines aufsuchen wollte, sobald sein ganzes Feld bestellt seyn würde. Ich suchte nach wildem Sauerampfer, und traf welchen. Mein Mann schnitt davon und zeichnete die Stellen durch Niederbiegen der umherstehenden Pflanzen. Sauerling oder Epine vinette fand sich in Menge, nebst Erdbeeren, so uns beyde freueten; denn die ersten konnten kühlendes Getränke geben, und die zweyten uns in Sommertagen erquicken. Wir kehrten von diesem Besuche unserer Insel vergnügt zurück, aßen unsere kalten Fische, und mit sparsamen Bissen von unserer gesalznen Butter. – Wattines sagte: ich wünschte wohl zu wissen, ob sich einer unserer Pächter in Europa und seine Frau jemals einen so deutlichen Begriff von unserm Wohlstande machten, als wir uns jetzo ihre Gefühle bey Arbeit[162] und Entbehren vorzustellen gelernt haben. Ich wollte weder für mich, noch Wattines, bey der traurigen Seite dieser Betrachtung verweilen, sondern antwortete: daß die Pächter meiner Eltern oft mit eben der Ergebung, welche wir jetzo übten, unsere Wohnung, Speisen und Geräthe, als nach Gottes Willen verordnete Verschiedenheit angesehen hätten, und ich überzeugt wäre, meine Milchschwester Trinette und ihr Mann würden uns bedauern, und gerne arbeiten helfen. Wattines sagte: er sey auch davon versichert, und setzte hinzu: Gott gebe uns nur, was der Pächter sich als das beste wünscht, Gesundheit, und mir, sagte ich: erfülle er den schönen Traum von Philemon und Baucis. So floß uns dieser Tag zu Ende: wir gewöhnten uns an frühes Schlafengehen und Aufstehen.
Die Obstbäume mußten in die Erde, alles was zu pflanzen war, besorgte der liebe[163] gute Mann so eifrig, so gut, wie es heute noch zu sehen ist. Er suchte auch Wild auf, aber ich liebte es nicht, wenn er auf der Seite gegen die Indier jagte, weil ich besorgte, es möchte sie reizen zu uns herüber zu kommen. Die Eintheilung unserer Arbeit schaffte uns Zeit, alle Tage einen andern Theil unserer Insel zu besuchen, und bald kamen wir unvermerkt an eine, etwas mehr als alle andre, erhöhte Stelle, von welcher noch nicht lange ein Theil in den See gesunken zu seyn schien, weil das abgebrochene Stück noch gar nicht bewachsen, und auch nicht von Schlamm bedeckt war, aber eine große Menge weiße und schwarze süße Wassermuscheln aufgehäuft da lagen. Während mein nachdenkender Wattines welche auffaßte und losbrach, sie betrachtete und nachsann, wie diese Menge ausgewachsener lehrer Muscheln hieher gekommen seyn möchten, da bemerkte ich glücklicher Weise, daß das Wasser kleiner Wellen, welche[164] eine leichte Bewegung des See's anspülen machte, bey dem Zurückweichen über die Müschelchen herunter träufelte, und in diesem Moment kleine niedliche Cascaden bildeten, die ich mit dem größten Vergnügen betrachtete, aber wenige Minuten nachher sagte: ach warum haben wir keinen solchen Grund bey Erbauung unserer Hütte getroffen? der Regen, welcher an dem Fuß der Balken anschlägt, würde schneller abgelaufen seyn, und unsere Wohnung mehr Schutz gegen die Feuchtigkeit der Herbsttage haben.
Wattines gab mir Recht, setzte aber hinzu, die Sache könnte noch gut werden, wenn er so glücklich wäre, etwas Thon zu finden, so wollte er davon eine zwey Schuh hohe schräge Einfassung um die Hütte machen, und diese mit Stücken dieser Muschelerde bedecken, wodurch ein doppelter Vortheil entstehen würde, weil Thon kein Wasser durchlasse, und die schiefe Lage der mit Muscheln besetzten[165] Lambris den schnellen Abfluß des Regens befördern würde. – O, sagte ich lebhaft, mein lieber! diese Muschelarbeit will ich machen, wie ich in Flandern die Wände einer kleinen Gartenhöhle besetzt sah; möchtest du nur Thon genug finden, dann will ich unserm Hause eine schöne Lambris geben. Meines guten Carls Auge ruhte, während ich sprach, mit der zärtlichsten Liebe auf meinen Zügen. Er lobte mein Gedächtniß, und nannte meine Aufmerksamkeit auf die Arbeit in dieser Grotte, einen Geist der Ahndung, der mich so lange voraus, so vieles bemerken machte, das mir nun in unserer Einsiedeley dienen könnte. – Die Vandek vereinten hier ihre Betrachtungen über den Zufall und die Verdienste der Aufmerksamkeit, welche mit den Bedürfnissen des Lebens verbunden, alle Künste und Entdeckungen erzeugten. Wenige Tage nach diesem, fuhr Emilie fort, als ich wirklich nach Wattines Anweisung allerley[166] Saamen in die von ihm bereiteten Felder eingestreuet hatte, welche er mit dem Rechen zudeckte, und ich zusah, erinnerte ich mich an den schönen Wunsch des englischen Dichters Thomson, den ich nur noch in der Uebersetzung kannte, aber meine ganze Seele betete mit ihm, wie ehemals für die Feldarbeit unserer Pächter.
›Himmel, sey gnädig! denn jetzt hat der Mann, der zu der Arbeit gewöhnt ist, seine Pflichten gethan. Haucht pflegende Lüfte! steigt nieder nährende Tropfen des Thaues, ihr gelinden Güsse des Regens! Mildre du alles, du diese Welt belebende Sonne, zum vollkommen Jahre!‹ – Wattines näherte sich mir in diesem Augenblicke, er hatte bemerkt, daß ich gerührt ihm nachsah, bis an das Ende des Feldes. Er umarmte mich und sagte: Nun haben wir der Erde die Hoffnung einer Erndte vertraut, für welche Gott sorgen wird. Heiter, um das Aussehen meines[167] Tiefsinns zu zerstreuen, setzte er hinzu: wir wollen heute noch etwas thun, und einen Platz zum Fischen suchen, vielleicht können wir dann mehrere fangen, und für den Winter auftrocknen. Dieser Platz war nicht schwer zu finden, und neben diesem entdeckte Wattines eine Stelle zum Baden, welche durch eine Art Sanddüne von dem Fischplatz abgesondert war. Die erste Stunde fieng er schon Fische, und versuchte zu baden, wozu er mich auch ermunterte, indem es gut seyn würde, durch das von der Sonne erwärmte Wasser den Staub abzuwaschen, welchen wir bey dem Säen und Einrechen des Saamens gesammelt hätten. Ich folgte ihm, und fand in Wahrheit ein großes Vergnügen bey dem Herumplätschern in der kleinen Bucht des Cristal klaren See's und so reinen Sandes: Wattines machte sich weiter, bis er Wasser genug zum Schwimmen bekam, wo er sich dann hin und her[168] wand, bey meinem Rufen zurück zu kommen, mich neckte und zu sich bat. Ich wagte so weit ich gehen konnte, mich ihm zu nähern, doch als das Wasser bis an meine Arme kam, dünkte es mich, empor gehoben zu werden, ich rufte Wattines zu Hülfe, er kam, und hegte den Wunsch, daß ich schwimmen lernen möchte: es gefiel mir, und er überzeugte mich, daß alle Menschen schwimmen könnten, sobald ihre Furcht überwunden sey. Ich faßte also auch Muth, und da ich beynahe jeden Abend an warmen Tagen Unterricht bekam, so erhielt ich auch bald das Zeugniß, eine Meisterin zu werden. Auf diese Weise waren die Abende schön, aber die Tage nicht so, denn Wattines suchte Bienen und Thon, da mußte ich lernen allein seyn, indem es nicht möglich war, meinen Mann zu begleiten. Er ging mit Aufgang der Sonne weg, und kam nur spät wieder, und da er eine Art mathematischer Beobachtungen mit diesem Bienensuchen verbinden[169] mußte, wollte er auch ungestört seine ganze Aufmerksamkeit dazu verwenden, indem er diese Art zu verfahren nie gesehen, also nur nach der Beschreibung einen Versuch machte.
Dieser Theil von Emiliens Erzählung war mir so werth geworden, daß ich diesen Bienenfang zu kennen wünschte, ob wir es schon in unserm Europa nicht nöthig haben, so dünkt es mich den guten Menschen schätzbar zu wissen, wie andre weniger Glückliche Schwierigkeiten überwinden, etwas zu erhalten, was er so leicht und so nahe hat; wie die Bewohner des Fürstenthums Zelle ihren Bienenstadt auf der Lüneburger Heide. Ein amerikanischer Landmann lehrte Wattines Waldbienen suchen; dazu gehörte ein Gläschen Honig, ein Compaß, Feuerzeug, einige platte Steine, gelbes Wachs und Carmin, nebst einem Stock mit etwas schwerem Knopfe von Eisen oder Metall. Mit diesen Werkzeugen gerüstet, und eine gute Flinte dabey,[170] geht man in den Theil des Waldes, welcher am weitesten von Dörfern entfernt ist, sucht nach den großen Bäumen, klopft mit dem Stockknopf an die obern Theile, und starke Aeste des Baumes, und horcht ob sie nicht hohl lauten. Sobald man vermuthet, daß irgendwo Bienen sind, so macht man auf einem der platten Steine ein kleines Feuer, in welchem man etwas Wachs schmelzen läßt, auf einem andern dieser Steine, läßt man einige Tropfen Honig fallen, und streut rings um diese von dem Carmin. Sobald nun die Bienen den Wachsgeruch bemerken, fühlen sie auch durch Instinkt, daß Honig dabey ist, und fliegen zu. Die, welche von dem Honig kosten, färben sich an dem Carmin roth, und da sie ihre gefundene Beute sogleich nach ihren Zellen tragen, kommen sie mit mehreren ihrer Freundinnen zurück. Der Jäger kennt die ersten an dem roth gefärbten Kleide, und da er mit seinem Compas die Richtung ihres Fluges,[171] und an seiner Uhr die Zeit beobachtet, welche sie zum Hin- und Herfliegen nöthig hatten, indem diese Thierchen immer den geraden Weg nehmen, so folgt er ihnen nach, und betrachtet im Gehen jeden Baum; denn da der Wachsgeruch alle Bienen-Familien reitzt, so ist auch leicht die Unruhe bey ihren Wohnungen zu bemerken, mit welcher sie nach Raub fliegen. Nun werden die Bäume und der Weg zu ihnen bezeichnet, die hohlen Aeste sorgsam abgenommen, und bey den Bauerhöfen in Sicherheit gestellt; wodurch sie ihre Bienenzucht anlegen.
Meine Freunde können sich nicht vorstellen, mit welchem Vergnügen ich von dieser Bienenjagd sprechen hörte, und wie eifrig ich mich verband, mit auszugehen. Indessen sagte die Fortsetzung von Emiliens Geschichte sehr artig:
Wattines und ich waren da sehr verschieden beschäftigt. Er bahnte sich einen Weg[172] durch verwachsene Gebüsche, um bald zu Bäumen vorzudringen, wo er Bienen zu finden hoffte, und ich kämpfte zu Hause mit meiner Angst allein zu seyn, und mit meiner Sorge um ihn. Ich mußte also in meinem Geiste eben soviel Vorurtheil und weibliche Schwäche auf die Seite räumen, als Wattines verwirrte Gesträuche im Walde. Es glückte uns beyden. Er fand Honig, und ich, ruhiges Vertrauen auf den Himmel und die Natur. Heute noch achte ich die Stunde als eine der glücklichsten meines Lebens auf der Insel, in welcher ich nach überwundenen Thränen und schmerzvoller Erinnerungen mir sagte:
Ach! wenn ich mein Nachdenken immer an die Bilder dessen verwenden will, was ich in Europa war, hatte und genoß, so vermehre ich das kummervolle Gefühl des Mangels, und verschwende meine Kräfte im Streiten gegen Wolken und Unmöglichkeit. Gott hat zugelassen,[173] daß mein Verhängniß mich hieher führte. Er sah, wie ich in glücklichen Tagen ihm nach der Anleitung der besten Mutter für alles Gute, und auch für die Fähigkeit es zu genießen dankte: ich will nun hier biegsam unter seiner mich prüfenden Hand das Gute aufsuchen, welches diese Insel von ihm erhielt, und mir darbietet. Ich will die Lehren der heiligen Religion ausüben, will ihm eine folgsame Schülerin des Christenthums in mir zeigen, will seinen Schutz und seine Fürsorge, neben der Beruhigung meines Geistes dadurch verdienen, und meine erhaltene Erziehung, nebst der Aufmerksamkeit, welche ich immer auf alles hatte, dazu anwenden, alle Verstandes- und Leibeskräfte mit europäischer Geschicklichkeit vereint, aufzubieten, unser beschwerliches Leben zu erleichtern und angenehm zu machen.
O wie süß, wie erquickend waren die Gefühle meines Herzens, als ich nach diesem[174] Selbstgespräche aus unserer Hütte heraustrat, und mir laut sagte: Gott! der Allgegenwärtige, sieht mich in der einsamen Hütte, und hier auf dem einsamen Felde. Nach diesem Gedanken ging ich den Abend muthig den Weg hin, meinen Wattines entgegen, welchen ich nahe an dem Ende seiner umgearbeiteten Felder, voll Freude mit einem Stück Wachswawe in der Hand antraf. Wir vereinten unsre Thränen des Danks. Ich erzählte ihm meine gefaßte Entschließung: er umarmte mich äußerst gerührt, sank auf seine Knie, bat Gott um Leben, Trost und Glück für mich, um Stärke und Weisheit für sich selbst, um für mich zu sorgen, und meine Liebe zu lohnen. Ich war neben ihn gekniet, konnte nicht reden, ich weinte und mein Herz betete. Wattines stand zuerst auf, half mir und umfaßte mich mit einem Arme, erhob den andern und seine schönen Augen gegen den Himmel, und als ob er einen Eid ablegte, sagte er:[175]
Ja ewiger Vater! du sollst auf deiner ganzen Erde keine bessere Kinder sehen, als uns. Einige der letzten Stralen der sich unter die fernen Ufer des See's senkenden Sonne, beleuchteten in diesem Moment seine Züge, unsere vereinten Schatten erstreckten sich über die Felder hin, und alles das ward mir sichtbares Zeichen von Beyfall und Segen unsers Gottes. Von da an war Resignation der Grund meines Wohls.
Wattines sagte, als wir Abends von der Entdeckung des Bienenbaums sprachen, daß gewiß kein Kaufmann von Amsterdam ein höheres Maaß Freude empfinden könnte, wenn ein für ihn beladenes Schiff aus Ostindien glücklich anlangte, als er bey der Entdeckung eines kleinen Bienenschwarms, an der Höhle eines nicht gar hohen Baums empfand. Wir mengten von dem Honig aus der Wabe unter unsern Abendtrank, waren glücklich einen Ersatz des Sproßbiers vor uns zu sehen, und[176] Wachs zu Lichtern zu hoffen. Wattines mußte mir versprechen, daß ich den wohlthätigen Bienenbaum bald besuchen sollte.
Den zweyten Tag ging Wattines früh aus, um einige Fische zum Mittagsessen zu fangen: Emilie dünkte ihm gegen ihre Gewohnheit mit seiner Abwesenheit zufrieden. Er fand sie auch bey seiner Zurückkunft sehr heiter. Sie forderte ihn auf, daß er die Fische schuppen helfe; weil sie bey dem guten Bäume zu Mittag essen möchte, dann trug jedes einen Theil der Mahlzeit in den Wald. Emilie fand den Weg schon gebahnt, weil der Mann schon zweymal hin und her gegangen war, auch mehrere Bäume zum Fällen gezeichnet hatte. Er zeigte nun Emilien den so werthen Baum, und machte noch etwas Platz umher, damit sie sich zu ihrem Essen setzen könnten. Emilie schien das Tuch öfnen zu wollen, in welchem sie ihre kleine Last eingeknüpft gebracht hatte, bat aber Wattines,[177] er möchte etwas Wasser holen, weil sie dürstete. Er eilte hinweg, und fand bey seiner Zurückkunft den Bienenbaum mit einem Gewinde von Löwenzahn, wilden rothen Nelken, weißen Blüthen der Schaafgarben und mit schönen blauen Blumen geschmückten Sauerampfer umgeben. Diese liebliche Idee entzückte ihn, weil sie ihm Emiliens heitre Zufriedenheit anzeigte, indem sie ihm zugleich sagte: ich konnte der guten Dryade, welche den Honig so wohl verwahrte, meinen Dank auf keine andre Art beweisen. Wattines bekam auch einen Kranz, und sie sagte: daß dieses die Arbeit sey, welche sie den Morgen während seiner kleinen Fischerey gemacht hätte.
Ihr einfaches Mittagsessen wurde dadurch unendlich angenehm, sie beredeten sich dann über die Art den neuen Schwarm einzufangen, welches Wattines nach der Vorschrift ausführte, und Emilie ihm getreu an[178] der kleinen Schleife ziehen und tragen half. Wenige Zeit nachher entdeckte er auch Thon. Emilie suchte Muscheln und machte sie rein, dann kamen sie mit ihrem eisernen Kessel an einer Stange, und trugen mehrere Tage scherzend und munter, bald eine Last Thon, bald eine von Muscheln in die Nähe ihrer Hütte, zu einem hinreichenden Vorrath für ihre Arbeit zusammen. Wattines besetzte nach seinen ersten Gedanken den Fuß der Hütte schräg abwärts mit Thon, und half Emilien Vortheile finden, welche das Einsetzen und Festmachen der Muscheln erleichterte.
Da war es angenehm arbeiten, sagte sie, weil Wattines immer bey mir war, und die Lambrisarbeit anordnete, welche Ihnen so wohl gefällt und auch mich sehr freute, besonders da ich mich erinnerte, in einer Reisebeschreibung von der Arbeit einer Engländerin gelesen zu haben, welche einst zwey Vasen von Kütt machte, sie mit lauter kleinen[179] Müschelchen von allen Gattungen besteckte, und in den Ecken ihres Zimmers aufstellte. Diese Erfindung dachte ich, durch Urnen von Thon nachzuahmen, und sie in einem dicht bewachsenen Theil des Wäldchens als Denkmähler unserer geliebten Verstorbenen aufzustellen. Ich sagte es Wattines, welcher diese Idee gut fand, und während er die Formen machte, und auf den Platz, wo sie stehen bleiben sollten, festsetzte, sammelte ich Muscheln. Diese Arbeit zerstreute mich, aber oft fühlte ich, daß es mehr Denkmähler meines innern Grams über mich selbst, als die der Trauer über den Verlust meiner Verwandten waren: denn ich achtete sie glücklich. Sie litten nicht mehr, und wurden beweint: Wattines und ich lebten in Kummer, und niemand dachte unser; – doch jetzo erkenne ich, daß Beschäftigung wohlthätig ist, und die Gedanken von Schönheit und Geschicklichkeit sehr wirksam sind; denn mitten in der Trauer,[180] welche ich bey dem Anfange der Arbeit dieser Denkmähler fühlte, entstand in meiner Seele eine Art süßes Wohlgefallen, über den Entwurf, und über die Fähigkeit ihn auszuführen. Ich genoß wahres Vergnügen bey der Erinnerung, immer die Gestalten der Urnen geliebt zu haben; die Arbeit verkürzte mir die Tage, und wahre Freude durchdrang mein Herz, als Wattines mich mit Entzücken lobte; ja ich bekenne, daß die Hoffnung in mir aufkeimte, es würden einmal gebildete Amerikaner diese Aschenkrüge sehen und bewundern. Gewiß diese angenehme Vorstellung dieser möglichen Begebenheit, wurde ein großes wohlthätiges Gegengewicht meines wirklichen Elends. Liebe und Wünsche des Lebens erwachten aufs neue, und der gute Wattines eilte, während dem Eifer der phantastischen Arbeit seiner Frau, einen Theil unserer Erndte heimzubringen, um mich zu schonen: und ordnete dann, als ich fertig war, alles[181] um die Urnen herum so schön, daß der Platz wirklich das Ansehen eines, den Todes-Göttern geweihten Hayns bekam. Der gute Wattines war weit entfernt, sich die Empfindung zu denken, welche mich einst ergriff, als ich ihn bat, mit mir in vollem Mondenschein zu den Urnen zu gehen, und wir bey dem schönen Anblicke des Ganzen, von dem liebenswürdigen Geiste der Griechen sprachen, welcher jede Idee und jede Empfindung, in edlen Bildern darzustellen wußte. Als wir nahe genug waren, die Nahmen unserer geliebten Verwandten deutlich zu sehen, erinnerte sich Wattines an den Glauben dieser seelenvollen Nation; daß die Verstorbenen oft ihre Denkmähler umschwebten, und setzte hinzu: daß unsre geliebten Verlornen uns segnen würden, daß wir so getreu, bis in diese ferne Gegend ihr Andenken mit uns brachten. Ich dachte, ach mögen sie da seyn, und in meiner Seele den Wunsch lesen, Gott zu[182] bitten, daß er Wattines und mich auch zu sich nehme. Es war ein höchst feierlicher und schaudervoller Moment, in welchem wir beyde stillschweigend da standen, und bey der vorübergehenden gänzlichen Beleuchtung der Urnen, sie voll Ehrfurcht und Wehmuth betrachteten, zugleich aber auch das leichte Flüstern der Blätter von den umstehenden Bäumen hörten, und es durch ein dumpfes Gefühl, für das leise Geräusch von Fußtritten nahmen; denn ich zitterte ein wenig, und fühlte an Wattines Arm, daß auch er schauderte. Ich verbarg meine Furcht, indem ich mit einer Hand auf die Inschrift von unsern Eltern deutete, und er unterdrückte seine Bewegung, da er laut ausrief: Ach Gott lohne ihre Tugend und ihre Leiden: ich aber hinzusetzte: und unterstütze uns in der zugemessenen Prüfung; dabey verschloß ich aber meine Augen vor den sich verlängernden Schatten der Bäume, und[183] wandte mich gegen den Rückweg. Wattines hatte diese Bewegung in mir bemerkt, sagte aber nichts, sondern warf noch feste Blicke auf die Aschenkrüge, erhob mit einem halb erstickten Seufzer die Augen zum Himmel, umfaßte mich mit einem Arm, und führte mich langsam zurück; aber nie mehr gingen wir des Nachts zu den Denkmählern, nie sprachen wir von diesem Spatziergange, als erst hier, da ich ihm meine damals gehegten Gedanken sagte, er mir aber seine Besorgniß wegen den in mir liegenden Trauerphantasien eröfnete, von welchen er Ueberspannung befürchtete.
Wattines bedeckte nun die Wand an dem Herd und den Rauchfang, welchen er mit vieler Mühe und Geschicklichkeit gemacht hatte, auch mit Thon, wobey er mir von den vortrefflichen Eigenschaften des Thons erzählte, daß er die Ecke der Hütte, wo der Feuerherd war, vor Brand beschützen würde,[184] welches mir unendliche Freude machte, indem mir schon oft für unsere Hütte bange war; aber so sehr ich damals den Thon schätzte, weil er mich vor Feuer und Wassersgefahr bewahrte, so geschah kurz darauf etwas, welches mir auf lange Zeit den Gedanken, und selbst das Wort, Thon verhaßt und schmerzlich machte. – Vandek sagte mir da, daß sie alle bey diesem Theile von Emiliens Erzählung staunten, und begierig zuhörten, als die liebe Frau sagte: daß sie wegen Thon die heftigste Gemüthserschütterung erlitten habe, und die allerempfindlichste Vorstellung von ihrem Manne hörte. – Einen Vormittag, da ich Mais mit Sauerampfer kochte, und in meiner kleinen Vorrathskammer etwas von dem noch übrigen geräucherten Speck holte, bemerkte ich bey dem Zurückkommen, daß Wattines mit einem hölzernen Napf in der Hand, und etwas Salz hinweg eilte, dabey aber wie mich[185] dünkte, sehr tiefsinnig und ernst auf den Herd blickte. Da ich wußte, daß er es nicht liebte gefragt zu werden, wenn er etwas von neuer Arbeit oder Probestücken vorhatte, so schwieg ich, war aber desto begieriger unterrichtet zu seyn, indem er mit einem Theil der nachdenkenden Miene, die er bey dem Weggehen hatte, wiederkam, und den noch nassen, aber rein gespülten Napf an seine Stelle setzte, aber von ganz andern Dingen sprach, ohngeachtet er meine unruhige Wißbegierde sehr deutlich bemerkte. Erst lange nach diesem Vorgange, als unsere Gemüse, Mais, Bohnen und Buchweizen-Erndte heimgebracht war, erst da sagte er, den Napf in die Hand nehmend:
Jetzo, meine Emilie! werde ich diesen Napf gewiß nie zu dem Gebrauche nöthig haben, wozu ich ihn das erstemal holte. Diese Art Vorrede spannte meine so lange genährte Erwartung noch höher, und er sagte:[186]
Ich dachte bey dem Thongraben und meinen Arbeiten von ihm, an die außerordentliche Nutzbarkeit dieser Erdart, und am Ende erinnerte ich mich, gelesen zu haben, daß die kleine Völkerschaft der Altanes in Louisiana, wenn ihnen bey langen Reisen, bey einer unglücklichen Jagd, einer mißrathnen Fischerey, oder andern Zufällen die Lebensmittel fehlen, so essen sie weich gekneteten Thon. – Mein Herz fing an beängstigt zu werden, und als Wattines hinzusetzte, ich war unsicher, ob ich unsere Felder geschickt genug anbaute und bepflanzte, und befürchtete, daß wir von ihrem Ertrage den Winter hindurch nicht beyde genug Vorrath haben würden; da wollte ich mich mit diesem Nahrungsmittel bekannt machen, und es ein wenig mit Salz würzen; aber dem Himmel sey Dank! es ist nicht nöthig. Ich hörte das letzte kaum, denn ich war starr vor Schrecken, über diese Erzählung, da ich von der[187] Liebe, die sich selbst vergaß, um nur für mich zu sorgen, und von der Gefahr bey diesem unseligen Versuche krank zu werden, gleich stark gerührt ward, aber auch sein Leben durch diese unnatürliche Kost angegriffen glaubte. Meine ganze Kraft war überwältigt, und ich sank ohnmächtig in Wattines Arme: klagte ihn, da ich mich erholte, einer grausamen Vergessenheit an, daß er mich durch diese Unternehmung zu dem äußersten Grad des Elends führen konnte; indem ich nicht ohne Verzweiflung an die Möglichkeit seines Verlustes zu denken wüßte. Nichts beruhigte mich, als das heilige Versprechen, daß er nie mehr einen solchen Versuch wagen würde; als wir hernach gelassener davon sprachen, sagte Wattines sanft, aber sehr ernst:
O Emilie! wie tief liegt das Andenken an die ehemals genossenen Speisen in deiner Seele, weil es da selbst deinen Glauben[188] an die gütige Natur und deine sonst so schwesterliche Gesinnung für die armen Amerikaner überwog, und dich so heftig fürchten machte, daß dieß, was den guten Aitanern in der Noth zu Erhaltung ihres Lebens dient, mir zu Gift werden könnte.
Dieser Abend, sagte die liebe Frau, war der bitterste meines Aufenthalts auf der Insel, weil Wattines mir noch nie so ernste Vorstellungen gemacht hatte. Er bemerkte auch nachher bey unsern Spatziergängen, daß ich meine Augen immer von der Thongrube abwand, wenn wir auch nur von ferne gegen sie hinkamen, und daß ich aus der Hütte ging, als er etwas an unserm Rauchfang auszubessern hatte. Er sagte aber nichts darüber, und lächelte nur freundlich nach mir, wie auf ein Kind, das man liebt, und ihm einen Eigensinn durch Nachsicht abgewöhnen will. Er sprach nie von Thon, aber dieser Verdruß machte mich nachsinnen, ob ich nicht[189] bey unsern Nahrungsmitteln etwas verbessern, oder erfinden könnte. Die Franzosen essen gerne Brod, unser Vorrath war lange weg, kein ordentliches Brod konnte ich nicht backen, da erinnerte ich mich an das Brod der Bergschotten, welches doch immer besser als gerösteter oder gekochter Mais war. Ich rieb also gekochten Mais und Buchweizen, welcher so gute Kuchen giebt, zu einem Teige, und versuchte es erst in einer erhitzten Pfanne trocken zu backen. Wattines machte die Gitterchen und Gruben, wie Vandek schon weiß, wir versuchten es auch mit Erdtoffeln, so daß wir immer Vorrath hatten, und am Ende dieses in unsern Honigwein geweichte Brod ein köstliches Abendessen war.
Als Emilie sich gewöhnt hatte allein zu bleiben, und mit heiterer Miene für ihre kleine Hausarbeit und Hühner zu sorgen, wurde Wattines dadurch auch viel ruhiger in seinem Gemüthe, arbeitete leichter und konnte[190] mehr um seine Emilie seyn. Die Einrichtung des Endtenfangs hatte ihm, nach Heimführung der Bienen die meiste Mühe gekostet; aber diese Endten gaben ihnen Fleisch und Federn zu warmen Decken für den kalten amerikanischen Winter. Die Beschreibung des Wandertaubenfangs konnten sie nicht benützen, weil sie keine Locktauben hatten, um die vorbeyfliegenden einzuladen und zu fangen. Jetzo hat man welche bey der Colonie, und ich war mit dabey, als auf einmal 14 Dutzend gefangen wurden. Dieß erinnerte mich an die Freude, welche ich in meiner Jugend in Oberschwaben hatte, wenn wir bey unserm weisen und gütevollen Graf Stadion zu Warthausen, bey dem Finkenstrich im November, das grüne Jägerhaus und den mit Tannen umgebenen Finkenherd besuchten, und sehr oft bey 800 dieser kleinen, etwas bittern Vögelchen habhaft wurden. Wie entschieden ist hierin der[191] Vortheil der Amerikaner mit ihren Wandertauben, indem diese des Jahrs drey bis viermal, und oft in solcher Menge kommen, daß sie die Luft verfinstern, und man von diesen fetten und vortrefflich wohlschmeckenden Tauben eine unzählbare Menge fängt, welche den Armen Nahrung und Federn geben. Es ist sonderbar, daß man noch nicht weiß, wo sie herkommen, und wo sie brüten, indem es nur Vermuthung ist, daß die Ebenen längst des Ohio, wo viel wilder Haber und Reiß wächst, ihr Vaterland seyn müsse. Sicher ist, daß ein Einwohner der Grafschaft Carlile in der Provinz Pensilvanien, in dem Kropfe einer dieser Tauben noch unverdauten Reiß fand, und daraus schloß, daß entweder diese Vögel während dem Fliegen nicht verdauen, oder daß ihr Flug von einer solchen Geschwindigkeit sey, daß sie vom Fressen bis zum gänzlichen Verdauen 560 englische Meilen zurücklegen; indem das[192] nächste Reißfeld von Carlile in dieser Entfernung liege.
O meine Freunde! auf wie vielen Seiten lerne ich hier größern Reichthum, größere Mannichfaltigkeit der Natur, und in beyden Wattines, mehr unschätzbare Eigenschaften der moralischen Menschenwelt kennen, als ich in Büchern und der wirklichen cultivirten Welt nicht traf.
Emilie sagte einst bey Vandek: Einige unserer Sommerabende waren unaussprechlich schön und voll seliger Gefühle; denn die Zerstreuung, welche das Tageslicht durch Beleuchtung aller Gegenstände mit sich bringt, wurde der vielfältigen Sorge für unsere Erhaltung, Abends und Nachts aber, wo alle außer uns liegenden Gegenstände sich in Dunkel hüllen, wo man sich und seine Ideen sammelt, diese Stunden wurden unserm Geiste und seinen Betrachtungen gewidmet. Wie die einer sternhellen Nacht, da wir von der kleinen freien Anhöhe unweit unserer Hütte[193] an dem obern Ende der Insel, den prächtig gestirnten Himmel über uns sahen, und ihn Hand in Hand anfangs stillschweigend betrachteten, Wattines dann sich freuete etwas von der Astronomie zu wissen, und mir einige der Sternbilder dieses Welttheils nennen zu können. Ich freuete mich auch und sagte: mich dünke bey dem Anblicke dieser Menge erhabener und sich bewegender Geschöpfe, daß wir weniger allein sind, und da ich nun einige Namen von ihnen weiß, so ist mir, als ob freundliche edle Wesen auf uns blicken. Ich war dabey etwas bewegt, und legte meinen Kopf an Wattines Brust. Er küßte meine Stirne und sagte lächelnd:
Du hast recht, meine Emilie! diese Sterne als liebreiche Nachbarn anzusehen, welche nach Untergang der Sonne, bey sanftem Lichte eine stille Wache für uns halten. Die Luft war so ruhig, daß wir den Wiederschein der Gestirne auf der glatten Oberfläche[194] des Wassers sahen. Wattines machte mich darauf aufmerksam, indem er sagte:
Theure Emilie! sind wir nicht in diesem Moment zwischen zwey Himmel? und mit einem Arme mich umfassend, mit dem andern auf den See und die Sterne deutend, setzte er hinzu: hier bey dem nahen Ebenbilde des Himmels über uns, bist du mein Engel, der sanfte Tugend und Vorschmack der Seligkeit in meine Seele gießt. Ich dankte ihm zärtlich, da ich aber dabey einen Seufzer unterdrückte, vielleicht auch etwas traurig um mich blickte, wollte er die Ursache wissen, und ich antwortete: daß ich uns eher als zwey, aus beyden Himmeln, an die Gränze verbannte Unglückliche betrachtete. – Ich fühlte an seinem mich umfaßt haltenden Arme, daß er schauderte; er seufzte, schwieg lange, endlich umarmte er mich lebhaft, und sagte wie in Begeisterung: Nein Emilie! der Anblick dieser zahllosen Welten über uns, und[195] das Gefühl unserer moralischen Verbindung mit ihrem und unserm Schöpfer, erhebt meine Seele über alles Wohl und Weh unserer Erde. Diese Gestirne und Gott über uns, du, deine Liebe für mich und unsere auf dieser Insel ausübende Tugend, erfüllen alle meine Gedanken. – Nach einigem Stillschweigen von uns beyden, sagte ich: – mein Carl erinnert sich wohl an den schönen Ausspruch eines großen Alten:
Daß die Gottheit kein angenehmer Schauspiel kennt, als den rechtschafnen Mann mit dem Unglücke kämpfen zu sehen; – ist dieses nicht die Lage meines Carls? Wattines staunte über diesen Gedanken seiner Frau, umarmte sie äußerst gerührt, und sagte dann männlich ernst:
Diesen Anblick soll der Himmel in mir genießen.[196]
Sie waren bey dieser Stimmung des Geistes sehr vergnügt, und gingen, wie Emilie sagte, durch diese Betrachtungen zu jeder edlen That, und zu der Kraft allein zu seyn gestärkt, zufrieden in ihre Hütte zurück, wo der zum Sprechen sehr aufgemunterte Wattines noch sagte:
Alleinseyn und stillschweigen, wurde immer als die härteste Strafe für uns junge Franzosen angesehen, und dieß war der Grund, warum so gräßliche Bilder von dem Gefängniß der Bastille gemacht wurden, weil unsere Minister vornehme Bösewichter dort einsperrten; dennoch ruhte neben diesem Zuge unsers National-Characters, ganz genau der Beweis entgegengesetzter Ideen; denn Frankreich hatte mehr Klöster von dem so streng, einsam und schweigenden Orden de la Trappe, als das ganze übrige Europa: Emilie hörte gern und aufmerksam ihm zu. Er faßte sie bey der Hand und sagte mit daurender[197] Lebhaftigkeit: Ja, theure Emilie! verkehrte Begriffe von Gott, von seiner Güte und den Pflichten gegen ihn, auch zu weit getriebener Haß gegen die Fehler der Menschen, führten ehemals Einsiedler in Wüsteneien, und in neuern Zeiten viele unserer besten Landsleute in diesen harten Orden; wie mich der Abscheu vor den Mördern unserer Verwandten hierher brachte: denn, ach Emilie! gerade in der vollen Blüthe aller Kräfte bestimmt der junge Mann sein Schicksal, der edle gute will mit warmen Eifer alles bessern, der stolze, herschsüchtige alles ändern. Geht es nicht, wie die ersten wünschen, so reißen sie sich von allem los, gehen mit dem Geiste der Religion in Klöster, und mit dem meinigen an den See Oneida: die zweyten vereinigen sich, wie es in Frankreich geschah, zerstören das Alte, morden was sich widersetzt. Enthusiasmus der Frömmigkeit hielt die Einsiedler fest, und die[198] Mönche in ihren Zellen. Ich sahe einst eines dieser Klöster nahe bey Lyon, einer unserer größten und volkreichsten Städte, das Gelübde verbot ihnen irgend jemand zu sehen und zu sprechen: wir meine Emilie! sind durch das Schicksal einsam, sehen, sprechen und lieben uns. Sollte der Enthusiasmus unserer Tugend sich nicht erhalten und uns hier glücklich machen?
Diese Unterredung freuete die sanfte Emilie, denn sie stützte ihren Muth; doch, sagte sie, war ich froh, daß Wattines für seinen und meinen Unterhalt arbeiten mußte, weil ich gelesen hatte, daß jedes nur durch überspannte Ideen entzündete Feuer der Gesinnungen auslösche, und nicht nur Kälte, sondern Erstarren aller Kräfte und Mißmuth des Geistes zurück bleibe, wo man nichts mehr wünsche noch liebe. Dieser Zustand der Seele war das größte Uebel, das Emilie[199] sich für ihren so feuervollen Wattines denken konnte.
Er fällte nun, wie er es von den Fischern gelernt hatte, einige Bäume, um einen Vorrath Winterholz zu sammeln; machte eine Tragbare, damit Emilie nach ihrem Verlangen, ihm Stücke Holz und Büschel nach der Hütte bringen helfen konnte. Es war Pflicht meinem Mann die Arbeit zu erleichtern, sagte sie, und diente ja uns beyden. Es erinnerte mich wie oft ich diese Arbeit von den armen Bauersleuten in dem Dorfe meines Vaters sah, und nun Gott dankte, daß ich niemals sie belachte oder mit Verachtung ansah, sondern immer bedauerte; so daß ich meine beschwerliche Arbeit nicht als Strafe ansehen durfte. –
Mich dünkt, meine Freunde! Sie müssen nun die beyden freywillig Verbannten eben so sehr lieb gewinnen, als ich selbst.[200]
Ein paar Tage nach dem Schreiben der letzten Blätter ging ich mit Frau von Wattines am See spatzieren. Ich sprach von ihrer Familie, durch welche mir dieser Theil von Amerika unvergeßlich bleiben würde, und daß ich selbst in meinem Vaterlande oft nach dem See Oneida zurückblicken würde. Ich weiß nicht, dachte die holde Emilie, daß ich auf dem Wege sey ihr etwas Galantes zu sagen, und mir eine Sperre machen wollte, indem sie sogleich das Wort auffaßte und sagte: ich liebe ihn sehr den guten See. Er verschönerte nicht nur unser Leben durch seinen Anblick, sondern auch durch unsern Fisch- und Endtenfang und die vielen Arten Wasservögel, welche wir auf ihm sahen. Wattines gab mir auch ihre Geschichte zu lesen, und dieses machte mich sehr glücklich, denn er hatte bis gegen den Herbst immer nur die Bilder einsamer Liebenden und die Naturgeschichte von Bäumen und Pflanzen in unserm Büchervorrathe aufgesucht.[201] Ich fand es natürlich, weil alles, was zur Nahrung gehörte, ihn zuerst anziehen mußte, aber ich bemerkte auch, daß er mit einer Art von Sorgfalt vermied, von Poesien, Comedien und andern Schriften der schönen Litteratur zu sprechen, und ich suchte bey erster Gelegenheit die Ursache zu erforschen.
Der Anblick vieler Schwanen und ihrer Spiele reitzte mich, ihre Geschichte zu wissen, Wattines war bereit und sagte, meine Emilie hat recht, wir leben in der einfachen Natur, wir wollen sie ganz kennen lernen und unsern Büffon lesen. In diesem Moment war Wattines zu uns gekommen, und hatte das letzte gehört. – Er sagte:
Emilio war bey einer Erläuterung: ja, sagte sie, aber sie ist zu Ende, wollte auch nicht fortsprechen, sondern ging nach Hause, da nahm Wattines das Wort und sagte:[202]
Emilie will nicht von sich reden, weil sie mir bey diesem Anlasse ihren Geist auf einer ganz neuen Seite zeigte, denn nachdem ich Büffons Naturgeschichte zu lesen vorgeschlagen hatte, setzte sie sich lächelnd zu mir, und sagte mit ihrer Miene: nicht wahr, Lieber! du wolltest bisher nicht, daß ich an Europa und sein geselliges Regentenleben zurück denken sollte, deswegen hindertest du immer das Lesen der Menschen-Geschichte, wegen der Idee von Menschen-Gesell schaft. – Ich war in etwas verlegen, und blickte nur traurig nach ihr, Sie umarmte mich und erwiederte: guter Carl! du hattest nicht ganz unrecht, die dadurch entstehende Rückerinnerungen oder Wünsche zu besorgen, weil dir deine Emilie nicht ganz bekannt war: vergieb mir den Stolz dieses zu sagen, und laß mich die Betrachtung beyfügen, daß der Weg welchen du nahmst, nicht der sicherste war; nicht allein weil Evens Kinder immer das[203] Verbothne und Versagte lieben; sondern wenn meine Seele an das Bild des geselligen Lebens geheftet gewesen wäre, so würden ja schon Bücher an sich, und nun Büffons Beschreibung von den Kunstfähigkeiten und Sitten der Thiere, seine Kenntniß und seine Feder, mir die allein in großer menschlicher Gesellschaft erlangten Verdienste zurück gerufen haben; denn Lieber! diese Einsamkeit konnte keinen Büffon hervorbringen. Vereinte Kräfte des Geistes vieler Menschen bildeten ihn. Hast du mich nicht selbst gelehrt, daß von den geschafnen Wesen keines einzeln wirken kann, daß ein Lichtstrahl keinen heitern Tag, ein Wassertropfen keinen fruchtbaren Regen geben kann, daß viele Feuertheile vereint werden müssen, um uns zu wärmen, und nun hier unser schottisches Brod zu backen, so wie unzählbare Sand- und Staubtheilchen dazu gehören, die Stellen unserer Aecker zu füllen?[204]
Mit liebevollem Ernst setzte sie hinzu: Sammelten wir nicht auch in der Gesellschaft, wo wir ehemals lebten, die Kräfte, mit Nachdenken und Zufriedenheit alles zu tragen, zu entbehren oder selbst zu schaffen? aber ich bekenne das Alleinleben drückte mich bey Erinnerung an genossene Vortheile in der geselligen Menschen-Verbindung doch nie so schmerzhaft, als wenn ich dich über deine Kräfte arbeiten, und das thun sah, wozu in einer Stadt oder einem Dorfe mehrere Personen erfordert würden, und dann Gott bat um Nachbarn; aber heute bitte ich meinen Carl, schätze sie genug deine Emilie und ihre Liebe, um mit mir von dem Vergangnen und Gegenwärtigen, bey jedem Anlasse offenherzig zu reden, und laß uns mit Klugheit und Ruhe unsern Bücher-Vorrath genießen; welches dann auf die Regentage, und die nun näher kommenden langen Winterabende beschieden wurde. Emilie suchte für sich[205] zu lesen, alle Artikel auf, welche ihr kleines Hauswesen betreffen konnten: Bienen, Hühner, Eier, Mais, Oehl, welches sie aus den Körnern der Sonnenblumen zu erhalten hoffte, das Verwahren der Gemüs-Pflanzen u.s.w. Wattines aber brachte beynahe zwey Monate zu, um eine brauchbare kleine Oehlpresse mit ihrer Schraube zu verfertigen, während Emilie auf ihrer Seite nachdachte, ob nicht aus diesen Körnern das Oehl durch Zerstampfen und auskochen gewonnen werden könnte.
Ihre Flachserndte freuete sie unendlich, weil sie nun sicher war, Strümpfe verfertigen zu können. Wattines half ihn nach der Vorschrift in ihren Büchern bereiten, und klopfen. Er machte auch von starken Drath, welchen er spitzte, eine Art von Hechel, um den Flachs etwas fein zu kämmen, aber der Drath bog sich, und das erschwerte die Arbeit; da kam Emilie aus ihrer armen Vorrathskammer[206] mit vier zweyzinkigten eisernen Eßgabeln; deren der gute Quaker ihnen 6 gekauft hatte, und die liebe Frau sagte zu Wattines: sie glaube, daß wenn er diese Gabeln in einem Stücke Holz befestigen könnte, so würde sie eine recht gute Art Hechel erhalten. Ich habe, meine Freunde, da die guten Menschen alles aufhoben, was ihnen auf ihrer geliebten Insel gedient hatte, diese zwey Nothhecheln gesehen, ja ich wünsche sehr, daß meine liebenswürdige Baase sich bey diesem Blatte in ihrem Hause und Keller umsehe, um sich dann einen Begriff von der Freude zu machen, welche die gute Emilie empfand, als sie nach einigen Versuchen so glücklich war, eine Art Honigwein und Honigessig zu kochen, wodurch sie einen gesunden Trank erhielten, und Fische theils in Essig zum Speisen abkochen, theils gebraten mit Essig besprengen und aufheben, und nach vielen Tagen, neben einer Schüssel[207] gekochter Bohnen auftischen konnte. Im Winter aber, da sie mit unendlicher Mühe Sonnenblumenöhl erhalten hatten, aßen sie auch, wie ihr grünes Gemüse verzehrt war, Bohnen als Sallat. Ihr Freund der Quaker hatte an vieles, aber nicht an alles gedacht. Sie trösteten sich indeß auf das kommende Frühjahr, wo sie durch die wiederkommenden Fischer Nachrichten und neue Hülfsmittel zu erwarten hatten. Der gute alte Freund, welcher ihnen einen Knecht oder Magd mitzunehmen gerathen hatte, hatte alles für drey Personen berechnet, womit sie nicht nur bis zu ihrer Erndte, sondern bis zu der neuen Fischzeit reichen würden. Da sie nun allein waren, und Emilie sehr sorgfältig wirthschaftete, kamen sie über dieses Ziel hinaus. Wattines fieng einige Biber und Fischottern, wovon seine Frau die zartesten Theile zum Essen bereitete, das Fett aber sorgsam auskochte, um davon bey Mangel des Mondscheins,[208] in den langen Winternächten, welche sie fürchteten, eine Lampe zu unterhalten; Wattines aber die Felle, nach Anweisung der Encyclopädie, auf eine geschickte Art bewahren und weich zu machen lernte. Als sie Flachs hatten, mußte er Spindeln schnitzen, so wie er auch eine recht artige, aber sehr einfache Haspel verfertigte, und am Ende selbst spinnen lernte; wobey er sich an die Geschichte des Herkules und der Omphale erinnerte, Emilie aber zu ihm sagte:
Ach, die Aehnlichkeit ist sehr klein, da wir beyde nur Sterbliche sind, ich keine Prinzessin und Wattines kein Halbgott ist; da wir, wo diese nur spielten, sehr ernsthaft arbeiten müssen. Wir lächelten bey diesem Theile der Erzählung, und die holde Frau sagte:
Sie sehen, daß wir auch Mittel fanden, manchmal mit unserm Kummer zu scherzen, und dieß war sehr nöthig, denn mein guter[209] Wattines war nur zu oft ernsthaft. Da sie mit diesem Worte aus dem Zimmer ging, sah er mit Blicken voll Liebe und Bewunderung ihr nach, dann aber stillschweigend auf mich, der ihn fragte: ist es wahr, daß sie oft zu ernsthaft waren?
Er antwortete nach einiger Ueberlegung: ja, ich wurde es in den allerglücklichsten Stunden meines Lebens, wenn ich an den hohen Werth des Engels dachte, der alles verlassen hatte, und ohne Klagen oder Murren, mir hieher gefolgt war. O Emilie weiß nicht, wie oft ich mit mir selbst kämpfte, wenn nun die Stunde kam, nach meiner Hütte zurück zu gehen, und ich manchmal die Ermüdung bey einer schweren Arbeit, auf einen Grad fühlte, daß mich der Gedanke von Möglichkeit meines Krankwerdens faßte. O, da lag ich vor Gott, flehte um Leben, um Barmherzigkeit und Unterstützung, nur um Emiliens willen. Denken Sie sich, was für eine Menge von Ideen[210] und Empfindungen ich unterdrücken mußte, um mit einer etwas heitern Miene in meine Hütte zu treten, und dem doppelt scharfen Blicke ihres Verstandes und ihrer Liebe zu entweichen, und ihre Aufmerksamkeit von mir abzulenken. Oft machte ich unvermuthet eine Frage, welche sie mit dem liebenswürdigsten Geiste beantwortete, und hundertmal meine Seele zwischen Schmerz und Entzücken theilte.
Wattines sah, daß ich eine dieser Scenen zu kennen wünschte, und erzählte mir, daß er einst zwey schöne Fische und eine wilde Endte in seinem Hute nach Hause brachte, seinen Fang aber auf großen Blättern, und mit Waldblumen geziert zu Emiliens Füßen niederlegte, worüber sie viel Vergnügen bezeugte und munter sagte: Carl! ich bin froh, daß wir nicht mehr in der Zeit der Griechen oder unter einem amerikanischen Jägerstamme leben, weil ich auf die Vermuthung gerathen könnte, Diana selbst oder eine reizende[211] Sqwa beschenkte dich so oft mit ausgewählter und geschmückter Beute.
Da ich ihr nun die Geschichte der kleinen Jagd erzählte, und sie meine Geschicklichkeit mit so vieler Zärtlichkeit lobte, sagte ich wie sehr mich ihre Zufriedenheit mit meinen ländlichen Talenten freue, und setzte hinzu:
Emilie! ich wünsche schon lange zu wissen, was in dem Innern deiner Seele für ein Bild von mir liegt? – sie blickte mich forschend an, sagte aber gleich mit fester Stimme: das von einem edlen, feuer- und gütevollen liebenswerthen Manne.
Ich war gerührt, umarmte sie dankbar, sagte aber mit einer Art Schmerz: ach Emilie! edel und gütevoll suchten meine Eltern mich zu bilden, aber das Feuer welches die Natur in mir legte, verzehrte und verwüstete vieles davon. Das holde liebe Weib küßte mich und sagte lächelnd: der[212] See Oneida hat alles zu Feurige gedämpft. Hier erwiederte ich schnell, also fandest du mich auch zu feurig?
In deiner Liebe nicht, aber deine zu lebhaften Empfindungen bey Gesprächen und Urtheilen, machten mich erst oft vor Duellen, und dann vor der Guillotine zittern, aber dem Himmel sey Dank, diese Sorge habe ich hier nicht mehr. – Nun fragte ich: Emilie! war dieß alles, was du von meinem Feuer dachtest?
O ich wünschte es selbst in den glücklichen Königstagen, natürlich noch bey der unseligen Revoluzion mindern zu können, aber bald erschien es mir als verehrungswerther Eifer, des edlen, wohldenkenden, gegen Unrecht, Niederträchtigkeit und Bosheit empörten jungen Mannes.
Ich faßte sie in meine Arme, und dankte ihr; aber ich war nun im fragen, und setzte,[213] doch etwas stockend, hinzu: theure gute Emilie! aber was ist es dir hier? hier in dieser Einöde, wohin der wilde Theil dieses Feuers dich an meiner Seite trieb?
Sie nahm meine Hand und sagte zärtlich: Es ist immer Theil meines Carls, dieses Feuer, und hier mehr als anderswo, denn dieses Feuer half unsre Hütte bauen, Bieber, Fische und Endten fangen; bestellte unser Feld mit Korn und Gemüs; belebt deine Liebe, deine Kenntnisse und unsere Hoffnung zu künftigem Glücke.
Ich hatte ihr staunend zugehört und rief aus, Glück? Emilie, Glück? hier für dich, für uns o Beste? – Ernst, aber voll Liebe, erwiederte sie, ja Carl! Glück unserer Lage für jetzt, ist für mich in deinem Leben und deinem Geiste; künftiges Glück für uns beyde, ruhet noch in der Hand Gottes, der durch deine Hand es geben wird. – Sie[214] küßte hier meine Hand, drückte sie an ihre Brust, und indem sie bittend und zärtlich auf mich blickte, sagte sie noch: laß, mein Geliebter! keinen Zweifel unsere erworbene Ruhe und unsere tröstende Hoffnung stören; denn so lange Gottes Himmel über mir und deine Tage neben mir hinfließen, so kann meinem, Gott und dich liebenden, Herzen kein Wohl fehlen, das ich wünsche.
Wattines schwieg hier einige Minuten: ich war voll Bewunderung über den Geist und Character dieser so jungen Frau, denn sie war damals erst 20 Jahr alt. Ich ergriff Wattines Hand und sagte innig: o wie glücklich waren Sie in Ihrer Verbannung durch Ihre vortreffliche Frau!
Ach, mein Freund! antwortete er mir seufzend, höchst glücklich, und höchst elend.
Wie das? fragte ich schnell. Er antwortete lebhaft, wie das, sagen Sie? konnte[215] ich wohl mit einem wahren innern Gefühl von Glück sehen, wie getreu meine liebenswürdige Emilie den wirklich harten Befehl des obersten Gesetzgebers erfüllte, ihrem Manne unterthan zu seyn, alles mit ihm zu theilen, und wenn ich bedachte, wie verschieden die Liebe in ihr und in mir wirkte, sie mir alles opferte, ich ihr nichts? – Ach, nur seit der Ankunft des Vandek genoß ich den Trost, auch etwas für Emilien zu thun, das den Namen eines Opfers verdient, da ich meine vorzügliche Liebe für die Insel, den Hang des Alleinseyns, den Wunsch des Alleinbleibens aufgab, und das Land von Vandek annahm, weil ich sah, daß meine Emilie das so lange entbehrte Glück des Umgangs mit einer Freundin zu genießen wünschte.
Ich sagte ihm: Sie müssen doch finden, daß es so besser ist. Er antwortete: ja nach dem Ernst der Vernunft, aber fragen Sie[216] sich selbst, ob es nicht viel kostet, eine geliebte und gewähnte Phantasie zu opfern?
O wie sehr fühlte ich, daß Wattines recht hatte, als er von der Gewalt der Phantasten sprach; denn ich weiß wie stark man sich an sie heftet, aber ich tadelte ihn, daß er sich bey der Liebe für seine Insel dieses Ausdrucks bediente; denn diese Anhänglichkeit ruhet auf bessern Grund, als dem von einer Phantasie: Er fand für sich und Emilie einen Schutz, als sie Vaterland und Menschen flohen; sie vergnügte täglich seine Liebe für die Schönheiten der Natur; sie trug Nahrungsmittel und Blumen wie er sie wünschte; er hatte viele Theile von ihr angebaut und verschönert, Kräfte und Erfindung dazu verwendet, hatte da Leiden getragen, Tugenden geübt: dieses waren schöne Bande, welche sein Herz mit Dankbarkeit an den Boden und den Gewächsen der Insel festhielten. Er war ganz frey und Herr von allem.[217] Alles dieses lag in der Wagschale, wenn er Insel und festes Land verglich; – aber ich will ihn forterzählen lassen.
Oft machte ich Betrachtungen über die Macht der christlichen Moral, welche Emilien vergeben, Fehler meiden und Uebel tragen lehrte; meine stolzen Grundsätze aber mir Haß erlaubten, und mich durch das Gefühl meiner Ohnmacht, Rache auszuüben, straften: mich auf diese unbewohnte Insel trieben, wo ich, nach aller Gerechtigkeit, in Erfüllung meiner feindseligen Gesinnungen, in dem Jammer des Mangels, in harter Arbeit und Verlassenheit meine Züchtigung finden sollte; denn bey dem Genusse des Trostes, daß ein sichtbarer Engel mein Elend theilte und alles bittre meiner Lage versüßte, ergriff mich tausendmal der zerreißende Gedanke, diesen Engel an die Gränzen eines unabsehbaren Jammers geführt zu haben; auch dünkte mich oft in dem Blicke ihres großen seelenvollen,[218] zum Himmel erhobenen Auges, das Gebet zu lesen:
Ewiger Vater! du siehst, wie geduldig ich dem von dir bezeichneten Pfade meines traurigen Schicksals folge.
Ich konnte nicht mit dem Vertrauen zu dem Erhabenen blicken. Er war für meine Seele nicht ein mich prüfender Vater, wie er Emilien erschien. Er war mir beobachtender mächtiger Richter. Ich mußte mir sagen:
Ach, in meiner Jugend wurde ich wie Emilie gelehrt, daß wir alle zu ausübender Tugend berufen sind; aber ich faßte nicht wie Emilie den Gedanken, daß Leiden und Unglück die Prüfungen für diese ausübende Tugend sind. Ich sah immer nur die Störer der Ruhe meines Vaterlandes, fühlte mit innern Klagen gegen die Vorsicht und mit Empörung meines Geistes, die Oberherrschaft, welche unsere Feinde erhalten hatten; durch die meine[219] Leiden, wie ein unaufhaltbarer wilder. Strom auf mich flossen: ich floh das Ungewitter und glaubte alles gethan zu haben, da ich Emilien rettete und entfernte.
Er dauerte mich und ich sagte theilnehmend: theurer Wattines! Sie sind zu streng gegen sich selbst, Sie berechnen Ihre Leiden, Ihre mühvollen Arbeiten und die errungene Tugend des standhaften Ausdauerns zu gering. Er antwortete: o mein Freund! sagen Sie nichts in diesem Tone, auf der einsamen Insel des See's Oneida lernt man den innern Werth jeder Wahrheit und jedes Verdienstes kennen. Was habe ich denn gethan als die Erde bearbeitet, wie jeder redliche Landmann in Europa und hier, für die Erhaltung seines Lebens und seiner Familie thut? Ich hatte doch unendlich mehr Erleichterung als ein anderer durch meine Bücher, meine Erziehung, durch die Liebe des Schönen, und in dem Geiste und der Zärtlichkeit[220] meiner Frau: wir lernten beyde an dem See Oneida den Werth der Zeit kennen, wenn jede Stunde wohl benutzt wird; denn alle unsere Arbeiten wurden besorgt, und wir hatten noch Muße zum Lesen. Ich sprach nun, von meinem Staunen über den Geist der Zierlichkeit, welchen ich auf der ganzen Insel bemerkt hatte, indem mir ehemals dieser Geschmack nur als Eigenthum des Wohlstandes und des Ueberflusses bekannt war. Er erwiederte:
Sie haben recht, es würde auch in der ersten Zeit meines Hierseyns, eher eine Art Wahnsinn, als ruhige Fassung angezeigt haben; doch dauerte es nicht lange, das erste innere dumpfe Gefühl von Wildniß und Abgeschiedenheit von allen Menschen, so wie sich die Furcht vor den Indiern und wilden Thieren verlor, welche anfangs alle Gegenstände um uns her, durch einen trüben Nebel scheinen machten; aber bald gab Emiliens[221] Liebe für mich mit ihrem kindlichen Vertrauen auf Gott vereint, ihr die Kraft, alle Zufriedenheit zu zeigen und mich bey meiner Feldarbeit zu erheitern; wir machten auch die Erfahrung, daß die Gesetze der Noth und der Nahrungssorgen die dringendsten Beschäftigungen vorschreiben, und sagten uns mit einer Art Freude;
Ach, so wie jetzt der Gedanke unser Feld zu bestellen und unsere Wohnung gut zu versorgen, alle andre Ideen aus unserer Seele entfernt, so ist es in dem Leben der guten Landleute. Ihre Arbeiten und die Hoffnung des glücklichen Erfolgs ihrer Mühe hindern sie auch, wie jetzo uns, mit unnützen Kummer rückwärts und um sich zu sehen: wir leiden also nicht mehr wie sie trokne Zeit zum Pflügen und Graben, sanfter Regen nach den ersten Tagen der Saat, und Sonnenstrahlen zum Blühen und Reifen der Früchte, sind die lebhaftesten Wünsche ihrer redlichen Herzen,[222] wie es jetzo die unsern sind. Grüne Wiesen mit ihren Blumen, erfreuen sie, wie uns hier die schönen Rasenplätze zwischen den Bäumen, mit ihren blühenden Waldpflanzen uns bey jedem Blicke ein sanftes Gefühl des Vergnügens gewähren, und, setzte Emilie hinzu, noch mehr, ich bin überzeugt, daß die ruhige Zufriedenheit der Landleute mit ihrem Stande und Berufe darin besteht, daß sie alles von dem gütigen Himmel und der Erde hoffen, also mehr Sicherheit für die Erfüllung ihrer Wünsche haben, als wenn ihre Erndten von dem Willen der Menschen abhiengen. Wie froh bin ich, sagte das liebreiche Geschöpf, daß alle diese reinen Gefühle in das Looß der Pächter meiner Familie verwebt sind, wie die Feldarbeiten in ihre tägliche Beschäftigung.
Solche Unterredungen erleichterten unsere Lage: Trieb der Erhaltung, Sorge für Emilie machten mich arbeiten. Die Umstände[223] hatten mich schon lange entbehren und nachdenken gelehrt. Nationalcharacter, Farbe und Falten, welche ihm die Erziehung, die Gesetze und Landesgewohnheiten geben, verliert sich niemals. Beobachten Sie unsern Holländer, ob nicht der still ämsige Geist der Ordnung, des Fleißes, des Ausdauerns, der Sparsamkeit und Reinlichkeit in allem wirksam ist. Sollte nicht die Gabe des leichten Denkens und Vergessens, des muntern Tragens einer Beschwerde, und das Erfinden der Hülfsmittel, welches man alles den Galliern zuschreibt, mit uns hieher gekommen seyn? Die Bildung des Geschmacks für das Schöne und Artige, konnte sich nicht aus unsern Empfindungen verlieren, weil wir ehemals zu vieles Vergnügen dabey genossen hatten, und wer sucht nicht die Gefühle der Freude zu erneuen?
Also, da nun die Hütte fertig, die Felder besäet, und so die ersten Bedürfnisse befriedigt[224] waren, Sicherheit der Nahrung im Fischen und Endtenfang, bis zur Erndte uns beruhigte, wir auch das einsame Leben gewohnt wurden, so erhob sich wieder das seine Gefühl für das Schöne. Ich suchte jede Anmuth der Insel auf, um Emilien zu zerstreuen, und durch den Genuß der Reitze in den Wundern der Natur, die Erinnerungen an das Reitzende der Künste zu schwächen. Die angeborne Stimmung ihrer höchst moralischen Seele leitete sie mit Lebhaftigkeit auf die Bahn dieser edlen einfachen Empfindungen; denn sie achtete es eine heilige Pflicht gegen Gott zu seyn, alles Gute dankbar zu bemerken, welches seine väterliche Hand um unsern Aufenthalt verbreitet hatte. Ich nährte diese sanft tröstenden Gesinnungen, durch Aufsuchen aller Stellen von Schäferleben und Auszügen der vortrefflichen, obschon sehr kleinen, philosophischen Betrachtungen in dem englischen Journal [225] universal Magazine, welche uns wirklich schöne Stunden gaben; mir kam glücklich ein Theil der Abhandlung: Ueber das Gefühl des Schönen in der Natur, in das Gedächtniß zurück, wo ein Schriftsteller beweißt, dieses Gefühl erhebe die Seele über niedre Begriffe und Neigungen. Ich nenne diese Erinnerung glücklich, weil sie mich überzeugte, daß Emiliens geduldiges Tragen alles Ungemachs unserer Lage, und in mir das Aufbieten meiner Kräfte diese Lage zu bessern, schön sey. Selbst da ich mir innerlich mit Schmerz bekennen mußte, daß mein zu weit getriebener Abscheu gegen die Menschen, uns hieher brachte, und ich mir nicht erlaubte, den Himmel mit Bitten oder Klagen über ein selbst gegebenes Weh zu ermüden, dünkte mich diese freiwillige Art von Buße und Selbstbestrafung auch schön, wie der Muth, mit welchem ich mir sagte: Habe ich Kummer um mich gehäuft, so will[226] ich alles anwenden ihn zu vermindern. Die Kraft diesen Entschluß zu fassen, dünkte mich ebenfalls schön: und ich weiß nicht, ob es mir wirklich ging, wie man von Einsiedlern sagte, daß alle ihre Gefühle überspannt würden, oder ob es Folge der Empfindung von dem Wesen der Schönheit war, welche immer, sie mag durch den Anblick eines schönen Mädchens, eines großen Kunstwerks oder edlen Gedanken wirken, uns stets aus der natürlichen Stimmung in eine Art Entzücken außer uns versetzt; gewiß ist, daß mich däuchte, bey dem Gedanken des Worts schön erhöbe sich mit sanfter Empfindung begleitet, eine stärkende Triebfeder in meiner Seele, welche mir die Ahndung gab: Gott würde das redliche Anerkennen meines Unrechts, das Versagen der Erleichterung im Erguß der Wehmuth und den Aufruf meiner von ihm erhaltenen moralischen Kräfte in Ausübung jeder Tugend meiner Umstände, mit eben soviel Beifall[227] anblicken, als Emiliens sanfte Ergebung; denn ich fühlte ihn ganz den Unterschied zwischen mir und ihr. Ich suchte alles gute zu thun, um Fehler auszulöschen und das Unrecht zu ersetzen. Ich unterdrückte jede Ungeduld, jeden leidenschaftlichen Jammer, um durch gelassenes Dulden der Strafe meines Trotzes gegen das Schicksal und meines Menschenhasses, Gnade und Vergebung zu verdienen.
Hier dachte ich an unsern Schiller, welcher die Menschen durch die Empfindung des Schönen zu der Moral führen will. Wie weit ist er aber entfernt, sich einen solchen Schüler in den Wäldern von Nordamerika zu denken! Wattines, der mir alle freie Stunden dieses Tages schenkte, führte seine Erzählung fort.
Ich freuete mich Emiliens frommer Ruhe, die in allen ihren Ideen und Handlungen[228] herrschte, da hingegen in mir bald dumpfer, bald heftiger Schmerz entstand. Zum Beweiß, ich hatte viel Blumensaamen mit nach der Insel gebracht, Sie können leicht denken, daß ich Emiliens Lieblinge am sorgsamsten pflegte. Ich zog ein schönes Beet voll nach einer englischen Anlage, zwischen Gesträuchen und Bäumen versteckt, bis sie in Blüthe standen, und führte dann Emilie zu dem unerwarteten Anblick. Ihre dankbare Freude rührte mich in dem Innersten meiner Seele, trauervoll sagte ich:
O Emilie! wie ungerecht war ich gegen diese Blumen und dich. Ihr verblüht beyde ungesehen und unbekannt in dieser Einsamkeit. – Möchte ich ihnen aber Emiliens Blick beschreiben, und den anmuthsvollen obgleich ernsten Ton der Güte angeben können, mit welchem sie erwiederte:
Mein Carl! wie kannst du dieses sagen, da Gott, du und die Sonne uns sehen, und[229] Bienen die Blumen besuchen, indem sie dadurch von deiner Hand ein neues Gastmahl genießen, wie ich, daß die Gestalt deiner Emilie deinem Auge so werth ist.
Sagen Sie, war nicht Emiliens Resignation reines Gefühl der Ueberzeugung, daß die Vorsicht immer Gutes will, und daß Gott, gegen dessen Befehle sie nie handelte, liebreich und zufrieden auf sie blicken müsse? – Ich konnte dieß nicht denken, nicht hoffen! Nach einigem Schweigen sagte er, mir die Hand drückend, und sich von mir nach Hause wendend: sehen Sie Freund! so verschieden wirkten bey dem nehmlichen Gegenstande die Gefühle der Unschuld und die der Reue auf der lieben Insel.
Ich war auch gerührt und wollte ihn nicht aufhalten, denn die Unterredung hatte schon lange gedauert. Die Bewegung seiner Seele war mir ehrwürdig, und ich wußte aus eigner Erfahrung, daß man bey einem[230] gewissen Gange der besten Ideen und Erinnerungen gerne ganz allein ist. Ich wollte ihm auch nicht nachsehen, sondern ging einige Schritte nach dem neu umgegrabenen Felde zurück, wo mir bey der Uebersicht der ganzen Anlage der Gedanke kam, daß ich auf diesem, erst jetzo von Menschen bewohnten und angebauten Stücke Erde, in Wattines und Emiliens Seele die Wirkung des in Europa seit Jahrhunderten geübten Anbaues der moralischen Welt bemerken könne, wo Kenntnisse und Leidenschaften schon so lange sich zeigten, und zwey auf die nehmliche Bahn gewiesene Menschen, in der innigsten Verbindung der Liebe und der Schicksale, beynahe in allem so verschieden denken, und dennoch, wie richtig gestimmte Saiten, den edelsten Einklang der starken und raschen, schwachen und sanften Töne geben. – In dem Manne dünkte mich eine durch philosophische Moral gebildete Heldenseele, voll[231] edlen Stolzes zu seyn, der sich kraftvoll fühlt, und eher mit äußerster Anstrengung selbst trägt, als um Hülfe ruft. – Emilie aber mir das Bild darstellt, welches Gray, der englische, mir so liebe Dichter, in seiner Ode an die Widerwärtigkeit beschreibt. Was er von der Tugend sagt, kann man von Emilien sagen: Sie, die unter der eisernen Hand der Widerwärtigkeit, die ernste Zucht dieser strengen hartherzigen Pflegerin manches Jahr hindurch mit Geduld trug, von sanfter Weisheit in entzückte tiefsinnige Gedanken verhüllt begleitet wurde, das stolze Gemüth ihres Mannes erweichte, nicht verwundete, und den beynahe ausgelöschten edelmüthigen Funken in seiner Seele wieder belebte, ihn lehrte lieben und vergeben, eigene Fehler richtig wägen, was andre sind fühlen, und daran zu denken, daß wir alle unvollkommne Menschen sind.[232]
1 | Eygelb mit heiß Wasser gerührt, Hühnermilch. |
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