Sechs und sechzigster Brief

Madame Guden an ihre Freundinn

[25] Gestern früh riß ich mich von dem Wohnsitz, von den Kindern und dem Bildniß des Herrn von Pindorf los, um an den, zwey Stunden von dort liegenden Ort zu kommen, den ich ihn hatte nennen hören, und welcher der Uebergang zu einer Anhöhe ist, die er liebt. – Mit was für Eile ging ich hinaus! und was wurden all diese Gegenstände für mich, als ich mir sagte:

Diese Bäume, diese entfernten Gebirge, den Hügel da, die Bauerhütten, diese Steine voll Moos an dem kleinen Bach, alles dies hat er mit seiner so tiefempfindenden Seele mit süssem, einsamen Nachdenken betrachtet! Sein schönes Auge sah hier um sich, ruhte auch auf der Wiese von dem starken Umherschauen aus. – O, wie lange habe ich keine Gegenstände gesehen, die Er sah! – Ich dachte mich näher bey ihm, vereinter mit ihm. – Meine Seele umfaßte mit inniger, nie so gefühlter,[25] reiner, hoher Liebe – die ganze Gegend.

Ich dankte ihr mit Thränen der wahren Zärtlichkeit für die erquickenden Augenblicke, die sie dem edlen, einsamen Spaziergänger gegeben hatte. – Sanfter Friede und unruhige Wünsche wechselten in mir ab, bis ich die Anhöhe erblickte die ich suchte. Ich war allein, denn ich wollte keinen Zeugen meiner Schritte, keinen Beobachter meiner Gemüthsbewegung um mich haben.

Ach! wüßte man, wozu mich die allgewaltsame Leitung meiner Liebe führt, wie würde man mich tadeln, weil ich aus dem gewöhnlichen Pfade gehe! – Aber sagen Sie, sind die tausendfachen kleinen, oft niedrigen Wege und Ränke, in die sich andre abhängige oder arme Geschöpfe einlassen, um ihr Herz zu befriedigen, sind sie edler – und besser, als dies was ich thue, weil sie alle Tage ausgeübt werden? – O, meine Freundinn! Lieben Sie immer das wahre, ausserordentliche Weib, wie Sie mich einmal nannten, die Muth genug hatte, ihr Gold, und ihre Freyheit zu ungewöhnlichen Handlungen der Menschenliebe zu verwenden, und die niemanden zur Rechenschaft[26] forderte über das – was er, und wie er es that; aber sich hin legen auch nicht verbunden achtete, – das, was sie thun wollte nach angenommenen Modellen zu formen. Denken Sie immer an den Aufschluß, den ich Ihrem Staunen über mich gab:

Daß in mir verschiedene charakteristische Theile der moralischen Welt vereinigt wären, die bey vielen Personen nur einzeln angetroffen, oder durch die Umstände unterdrückt und in der Thätigkeit gehindert würden; und daß bey mir natürliche Anlage, Erziehung, Glücksumstände und Unabhängigkeit zusamen träfen. – Jede meiner Gesinnungen und Handlungen sind willkührlich und frey, wie mein Gang auf den Berg, an dessen felsigten Seite die Ueberbleibsel eines alten zerfallnen Schlosses sind. –

Immer machte ein solcher Anblick eine sonderbare Würkung auf mich: – Vergänglichkeit menschlicher Gewalt, Wünsche, Freuden und Mühe; –– Entwürfe, ausgeführte Arbeiten. – – alles was jetzo noch meine unsterbliche Seele so bewegt, anspannt und ihr Gefühl von Kraft giebt, neue Bilder und Sachen zu denken und zu schaffen, – alles dies war in dem Besitzer dieses Hauses, der den[27] ersten Stein hier legte – und sich des Segens seines spätesten Enkels freute, daß er ihm die stattliche Burg gegen Feinde, in der herrlichen Gegend, erbaute. – Jetzo lebt entweder der Enkel nicht mehr, der ihn segnen sollte, oder er blickt nur ungefehr im Vorbeyfahren, wenn er nach seinem neumodischen Pavillon eilt, mit Verachtung auf die Ueberreste des Wohnsitzes seiner Ahnen. – Dennoch redlicher Stammvater, warest du glücklich! Du starbst mit der Ueberzeugung, daß deine Entwürfe und Hofnungen fest, wie die Grundpfeiler deines Hauses wären. – Und ich? Ach, meine Plane von Glück und Vergnügen seh ich vor mir zerrissen und zerstreut! – – – All dieses hatte mich auf einer Seite aufgehalten. – Ich ging nun herum, einen Fußpfad zu suchen, denn ich wollte zu den Ueberresten hinauf. Ich sah an einer noch stehenden Wand gegen Mittag grosse und kleine Bäume. Zwischen abgefallenen Mauerstücken rieselt eine Quelle reinen Bergwassers herab, dessen kleiner Weg mit frischen Kräutern bewachsen ist. – Nach einer kurzen Wendung zwischen Ulmen, nahm ich mein Fernglas – um nochmals recht hinauf zu sehen und, wo möglich, Spuren eines[28] Steigs zu entdecken. Da erblickte ich zwey Ziegen, die nahe an den Ruinen weideten; und nicht weit davon, zwey Kinder von sechs bis sieben Jahren, auf einem Stein sitzen, von welchen das Eine strickte und das Andre spann – Dieser mir bisher unwirthbare verlaßne Fels zeigte nun auf einmal, daß er Thiere nährte und der frühen Arbeitsamkeit dieser Kinder einen Sitz anbot. Meine Seele wurde mehr bewegt, als wenn ich eine Erscheinung des Genius der alten Schloßherren gehabt hätte. – Endlich erkletterte ich einen Theil und kam auf einem guten Pfad auf die Fläche des Bergs. Die Kinder hatten mich kommen sehen und liefen mir zu. ––

»Nein,« sagt das ältere, so ein Knab ist, »es ist nicht der gute Herr.« – –

»Aber,« sprach ich gleich, »ich bin seine Base,« – und gab Jedem ein Stück Geld; ging etwas vorwärts an dem Stück Mauer, bis an die Oeffnung welche die eingefallenen Stücke machen, und sah den Platz, der ehmals den Schloßhof vorstellte. Eine Seite ist ganz offen, die andre mit Schutt bedeckt, die dritte und vierte haben hohe, dicke Mauern, in deren Schlußwinkel ein Strohdach festgemacht[29] ist, das eine halbe Hütte decket. Ich fragte die Kinder, wo sie her wären? – »Von hier« – sagte der Knabe und wies auf die Hütte. – Ich sah mich ausser dem Hof um – da ist kaum ein Paar Elen breit ebner Boden. Aber auf den zwey Seiten ist er mit Korn besäet; und da wo ich von unten Bäume gesehen, sind Waldstämme. Aber auch zugleich ist mit unsäglicher Mühe Schutt abgeworfen; – Der Platz, der ehedem eine Halle des Schlosses gewesen seyn mag, eben gemacht, an dem Ende gegen den Abhang des Bergs eine Reyhe Steine als Brustmauer gelegt, Erde auf das Uebrige getragen, und Obstbäume und Gemüse darauf gepflanzet, die alle reich und gut stehen. –

Der Ort, wozu dieser Burgplatz gehört, ist eine starke Viertelstunde davon, und sonst nirgend kein Nachbar umbet. – Die Bildung der Kinder ist sanft und schön, aber von der Sonne verbrannt, voll Spuren, daß sie gutartigen Eltern gehören. Grobe, aber reinlich leinene Wämschen und Hemden sind ihre Kleidung. – ohne Strümpfe und Schuhe; nur die Füsse mit alten Lappen umwickelt. – Ich fragte, wer ihr Vater wäre und wo er sey?[30]

»Er ist.« sagte der Knabe, der dabey immer fort strickte, »ein armer Gärtner, und meine Mutter hat ihm heut geholfen, Gemüs und Blumen hinunter tragen zum Verkauf. Dafür bringt sie Brod und Mehl zurück« ––

Das Kind redte einfach aber gut. Mein Staunen und meine Bewegung nahm zu. –

»Wie viel Kinder seyd ihr denn?« ––

»Viere. Eins schläft noch in der Hütte, und das Kleinste hat die Mutter auf der Trage mitgenommen, denn es trinkt noch ihre Milch.« ––

»Wem gehört dieses Korn hier?«

»Uns. Mein Vater hat umgegraben und ich hab geholfen. –– Hier,« – (da nahm er mich bey der Hand und wies mir mit der seinen ein mit kleinen Steinen rings um gezeichnetes Stück mit Korn) – »hier hab ich das Korn zu meinem Brodt selbst gesäet. – Es steht recht hübsch, nicht wahr! Gott wird mir es auch behüten.«

Er lächelte sein kleines Feldchen so zärtlich an, sah mit so unschuldvollem Blick gen Himmel als er Gott nannte, daß mein Herz schmolz, und Thränen träufelten über seine Hand und[31] sein Korn. – »Ja mein Lieber, gewiß wird Gott deinen Fleiß segnen und du wirst eine gute Eindte haben.«

»O! sagt er, ich thu auch alles selbst schneiden und auslesen; da soll mir kein Körnchen verlohren gehen.« –– Hiebey machte er mit Eifer eine sorgfältige Miene und mit den Fingern die Bewegung des Auskörnens mit der unnachahmlichen Wahrheit, die aus dem Gefühl des Bedürfnisses und der Versicherung der Nahrung entstund. O, wie rein sind die ersten Züge der Menschheit in diesen einsam erzogenen Kindern! – Aber nun fing das Mädchen auch an zu sprechen. ––

»Ich hab auch gesäet – mit der Mutter. – Dort, wies sie mit dem Finger, wächst unser Flachs.« –– In der That, abwärts umher, ist ein Streif von etwa drey Ellen in der Höhe, an zwey Seiten mit Flachs und Haber besäet. ––

»Von dem Haber und Leinsamen bekommen im Winter die Vögel,« – sprach der Knabe, – aber wir fangen auch weiche, und »die Mutter kochts im Gemüs. – Keine Jungen aber nehmen wir nicht.« ––[32]

»Ja, fiel das Mädchen ein, weil die armen Thiere ihre kleinen Vögelchen lieben, wie die Mutter uns liebt: so wär es grausam, sie weg zu nehmen und die Alten in Kummer zu setzen.« –

Der Knabe sprach lebhaft: »Aber wenn sie groß und frey herum fliegen, kann der Mensch die Gewalt brauchen, die ihm Gott über die Thiere gab. Das sagt der Vater; und da stellen wir Schlingen auf.« ––

Sie sehen an dem Ton, wie freudig der Knabe von diesem kleinen Antheil der Obergewalt redte. – Menschen Herz! wie ähnlich bist du dir im Grossen und Geringen! ––

»Meine Kinder, habt ihr eure Eltern nicht recht lieb?« ––

»O ja, von Herzen: – sie sind so gut, – so gut! – Das,« sagte der Junge, und zeigte im Fortgehen auf die grosse offene Ecke des Hofs, die mit schönen Klee bewachsen ist, »das gehört unsern Ziegen! daran haben wir aber auch alle gesät. – Weil wir alle von der Ziegenmilch essen, müssen wir für sie sorgen helfen.«

Das sind keine gemeine Menschen, dachte ich. –– O Vorsicht! du hast sie hier geschützt,[33] und segnetest den Samen, den ihre Hände der Erde, und ihre Lehren die sie ihren Kindern gaben. Wenn ihr Herz sich zu dem meinigen neigt; wenn ich ihrer Tugend und Einfalt nicht schädlich bin: so baue ich mir zwey Zimmer zwischen den noch stehenden Mauern des Schloßgangs und wohne einige Zeit hier. – Dies, Rosalia, sagte mein Herz, mit mehr Gefühl von Wahrheit und Begierde als jemals in mir war. ––

Ich fragte den Knaben, ob er das Geld kenne, so ich ihm gegeben?

»Nein, – aber er hätte solches schon gesehen; der gute Herr habe seinem Vater vorigen Sommer wie er weggangen, vier solche Stücke gegeben.« ––

»Wie ist denn der gute Herr zu euch gekommen?«

»Ey, den Weg, wie Sie. – Aber er ist geschwinder berauf gestiegen und hat sich nicht so an den Steinen gehalten, wie Sie es machten.« ––

Indem kam ein vierjähriges Kind aus der Hütte und rief: »Lotte, Lotte, mein Brodt!« – Lotte suchte gleich in ihrem Sack und zog ein Stückchen heraus, sah es traurig an, und dann[34] ihren Bruder. – »Carl, wir haben zuviel davon gegessen« – Ich war froh, aus der Dorfschenke ein grosses Stück Brodt mit mir genommen zu haben – und schnitt gleich drey Stücke davon, die ich den Kindern gab. Die zwey Aeltern liefen dem Jüngern zu, das über meinen Anblick gestutzt hatte und nicht mehr rief. – Ich blieb auf meinem Platz und sah, daß die zwey Grossen dem Kleinen freundlich zuredten, das Brodt gaben, auf mich wiesen und ihm auch das Geld zeigten. Es verlangte ein Stück. Der Knabe gab ihm seines und nahms bey der Hand um es zu mir zu führen. – »Da Nanny, die Frau hat uns Brodt und Geld gegeben.« ––

Ein holdseliges Mädchen ist diese Nanny; fein gebildet und noch ganz weiß. Ich gab dem Knaben ein ander Stück Geld und theilte noch etwas Brodt unter sie. Mein Messer, aus einem schönen Futteral gezogen, ergötzte sie sehr. Ich sezte mich auf einen Stein nahm die Nanny auf meinen Schooß wies Ihnen meine Uhr, und ließ sie schlagen. Neues Staunen für sie! – Ich hielt sie jedem an das Ohr, – und da sie die Begierde zeigten, sie von innen zu sehen, machte ich sie auf und[35] erzählte alles mit kurzer deutlicher Auslegung. Als ich sagte, ich könnte da sehen, wie lange die Sonne bey uns bleibe, und wie bald sie wieder komme, fiel der Knab ein: »O, das weiß ich auch! Jetzt scheint sie des Morgens um vier Uhr in unser Fenster; da steht der Vater auf, betet, und dann fort zur Arbeit. – Zu Mittag scheint sie bey dem alten Thurm herein, und da essen wir, –– und Abends geht sie dort bey dem Berg unter, zu den andern Lemen; da stehen die auf und wir legen uns schlafen.« – Alle dies wurde mit der wahresten kindlichen Geberde erzählt, wobey er immer den Ortzeigte, von dem er sprach. –

Lotte sah rund am Himmel umher, und zog ihren Bruder am Ermel. »Sieh doch, Carl, hellt Nacht wird der Himmel gewiß schön. – Die Frau soll da bleiben. – Alle die Wolken,« sie wies mit ihren Händen darnach, »werden lauter Gold – und roth und blau, wie des Vaters Blumen.« ––

»Ja,« sagte der Knabe munter und treuherzig, die Hand auf meinen Arm legend, – »bleiben Sie da! – Im Thal und im Dorf sehen Sie den schönen Himmel, wo Gott wohnt, nicht so wie wir.« ––[36]

»O, wir sind auch viel näher bey Gott,« sprach Lotte, und faltete dabey ihre Hände, mit einer unnachahmlichen Wendung ihres Kopfs und der Augen gen Himmel. – Ihr Blick und der Ausdruck ihres ganzen Gesichts war reine kindliche Freude, über den nahen Wohnsitz eines guten Vaters. – Ich umfaßte sie, mein Auge war auch gen Himmel erhoben, mit dem Gedanken: »O Gott! nirgends kanst du bessere Geschöpfe haben, als diese sind!« – Ich fuhr zu ihnen fort: »Liebe Kinder! ich will bey euch bleiben; wolt ihr mich haben?«

»Ja ja sagten die Aeltern« und legten vertraulich ihre Hände auf meinen Arm. »Aber,« der Knabe sah gegen die Hütte »es ist kein Platz in der Hütte.« ––

»Ey bey dir, sagte Lotte, ist viel!« – »Seyd ruhig, ich will euren Vater und Mutter bitten, daß sie mir Platz geben,« –– das war ihnen Recht. Sie betrachteten meinen Stock, meinen Huth, wunderten sich über meine langen Haare, die ich nur zusammen gebunden hatte. Ich zeigte ihnen mein Fernglas – und hieß sie durchsehen. –– Lotte sah gar nichts, sagte sie, – und der Knabe gabs mir wieder, drehte seinen Kepf munter[37] herum und lachend sprach er: »Ich seh so viel mehr; durch das Rohr da, sah ich nur ein klein Stückchen,« und maß es mir an seiner Hand vor. – »Aber ohne dies Glas hätte ich euch nicht gesehen, sprach ich, – und wäre nicht zu euch kommen.« – Darüber betrachteten sie mein Fernglas und berührten es mit der Spitze ihrer Finger, mit einem Ausdruck von Freundschaft und vermischtem Zweifel. – Im nehmlichen Augenblick hörten sie pfeifen und, Carl! – Lotte! rufen. –

»O, der Vater und die Mutter!« riefen sie und liefen davon. Nanny schrie – und ich trug sie, so schnell ich konnte, den Andern nach. Da ich aber die Eltern erblickte, die ihre Trage niedergesetzt hatten und mit staunender Miene der Erzählung ihrer zwey Kinder zuhörten, die beyde zugleich sprachen und das Geld, dann auch mich zeigten: so ging ich etwas langsamer. Die Nanny aber wollte zu ihrer Mutter. Ich ließ sie also hinlaufen. – Die Mutter hatte mich ängstlich betrachtet, so lange ich ihr Kind auf den Armen hatte. Sie faßte es herzlich in die ihrigen, und Nanny, wie ich bemerkte, erzählte ihr auch etwas. – Mann und Frau sprachen da mit einander, und ich[38] näherte mich ihnen. Beyde untersuchten meinen Gang und Person, so wie ich auf ihre Gestalt und Physiognomie aufmerksam war. –

Der Mann hat etwas über 30 Jahre, ist groß, wohlgewachsen, aber sehr hager; eine männliche und redliche Bildung, schöne braune Augen und Haare, viel Entschlossenes in seiner Stellung. ––

Die Frau mitler Grösse, – schlang, eine sanfte leidende Mine, süsse blaue Augen; aber ihre feine Haut ist von der Sonne verbrannt – und sie ist auch, wie ihr Mann, durch Kummer und Arbeit schmächtig geworden. Freude und Sorge druckte sich in ihrem Gesicht aus, als ich so nah kam, daß ich sie anreden konte. – Aber die Gruppe rührte mich zu Thränen. – Die Frau hielt ihre Nanny an einer Hand und breitete zugleich ganz instinktmäßig den einen Arm über den kleinen Korb in welchem ihr Säugling schlief. – Der Mann befestigte geschwind den einen Fuß der Trage an dem abhängenden Boden mit einem Stein.

Lotte kam zu mir – »Ich habe mein Geld der Mutter gegeben; – und ich meins dem Vater« sagte der Knabe. ––[39]

»Ihr seyd auch gute Kinder – und habt gute Eltern,« –– sagte ich freundlich und bewegt. Indem ging der Mann um die Trage herum nahm seinen Huth ab und machte mir mit Anstand, und einem Ausdruck von Zuversicht auf seine Rechtschaffenheit, eine Verbeugung, sah mich fest an, und sprach: »Ja, meine Frau, unsere Kinder haben uns das Geld gegeben, so sie ihnen schenkten. Wir danken Ihnen dafür. Aber ich bekenne, wir sind doch über Ihren Besuch und Ihre Güte unruhig. Es kommt niemand zu uns, besonders keine Frauen.« ––

»Ist Herr von Pindorf aus W** niemals hier gewesen?« fragte ich, indem ich wünschte und hoffte, daß er der gute Herr seyn möchte, von dem mir die Kinder gesagt hatten. – Ihre Gesichter erheiterten sich bey seinem Namen. – Er ists – O, meine Freundin, Er ists! ––

»Ja, meine Frau,« antwortete der Mann »dieser ist voriges Jahr viermal bey uns gewesen und hat uns Gutes gethan. Aber er wollte niemand von unserm Aufenthalt sagen.« ––[40]

»Er hat es mir, aber sehr weit von hier, gesagt; denn gewiß dachte er nicht, daß ich jemals hieher kommen würde. – Mir ist leid, daß er sich nicht in W** befindet. Aber ich will ihn erwarten.« –

Sie sahen sich und mich an. Der Mann fragte mit bescheidenem Ton, wer ich wäre? »Eine Engländerinn, reich, aber redlich bey meinem Golde, wie ihr bey der Armuth.« – Beyde schlugen die Augen zur Erde, mit einem übergehenden Strahl von Hoffen und Nachdenken.

Meine größte Angelegenheit war nun, ihnen lieb zu werden, so wie sie mir werth waren. – – Der Mann sagte: »Es ist wahr, meine Frau, wir sind arm, aber gewiß ehrlich und treu.« – Er blickte seine Frau an, die ihm die Hand reichte und in Thränen zerfloß. – Dieses bedrängte meine Seele; und in der lebhaften Bewegung erhob ich meine Hände gen Himmel und rief aus: »O Gott! du kennest mein Herz; schenke mir das Vertrauen dieser Familie. – Meine Freunde«, indem ich mich gegen sie wandte, und meine Armen gegen sie streckte, »öffnet mir eure Herzen! Gewiß, ach, gewiß wird es Euch niemals gereuen.«[41]

Nun kamen dem Mann Thränen ins Auge. Er umfaßte seine Frau, aber etwas zitternd. »Lotte! liebe Lotte! wir trauten immer auf Gott. –– Vielleicht« – Er hielt inne, konnte nicht mehr sprechen. –– Sie ließ ihre Kinder los, faßte beyde Armen ihres Mannes, und ihr Kopf sank auf seine Brust. Die guten Kinder wußten nicht, was das alles bedeutete, wurden bewegt und hielten sich zusammen.

Ich umfaßte alle Dreye. – »Liebe Kinder! bey eurer Unschuld – bey dem Weh Eurer Eltern, gelobe ich Euch allen meine Liebe und Hülfe.« ––

Ich küßte sie und ging zu den Eltern, die mit ihren weinenden Augen gen Himmel blickten; nahm von jedem eine Hand; »Liebe Redliche! nehmt mich zu Eurer Freundin; ich werde Gott für Eure Bekanntschaft –– und Eure Liebe danken.«

Sie seufzten Beyde und sagten zugleich: »O, Gott!« – »segne uns,« fetzte ich hinzu – Darauf schwiegen wir alle einige Augenblicke. Dann fing ich an: »Wir wollen vollends hinauf zu der Wohnung; da will ich Euch sagen, wer ich bin, woher ich komme[42] und was ich thun kann und thun will. – Wie heißt Er mein Freund?«

»Wolling, meine Frau.« ––

Nun, Frau Wolling, führe Sie Ihre Nanny hinauf, ich helfe die Trage nachbringen. –– Das wolte sie nicht. Da ich aber darauf bestand, als der ersten Probe ihres Vertrauens, so nahm sie den Korb mit ihrem Säugling auf die Armen. – O, wie wahr ist dieses Mißtrauen auf meine Geschicklichkeit im Tragen, in dem Herzen einer so treuen Mutter! – Ich nahm hingegen die Nanny: »Komm, setze du dich dahin; dein Vater und ich tragen dich spazieren.«

Die Kleine saß auch ganz herzhaft da. Oben luden wir ab. Rührend war es mir, wie Carl und Lottchen jedes einen Laib Brodt pakten und ihn im Tragen an ihr Herz druckten, wie ich einen Freund beym Wiedersehen. – Nanny nahm ein Schüsselchen mit Butter, so die Frau Amtmännin ihr schickte. Ich trug einen großen Topf Mehl und Wolling die Strohbüschel, die sie recht für mein erstes Nachtlager gebracht hatten. Die guten Leute sahen sich da wieder mit Verlegenheit an. Endlich sagte die Frau: »Es ist bald Essenszeit, was wollen[43] Sie machen?« – Der Mann schlug Feuer und zündete auf dem kleinen Heerd Reisig an – »Ey Frau Wolling, sagte ich, ich esse mit Ihr – und zahle meine Kost.« ––

»Ach, die ist schon bezahlt,« – und sie wies mir das Geld ihrer Lotte; – »Wir haben nur Haberbrey.« ––

»Das ist vortreflich! den esse ich gern.« – Aber dann hatte ich was zu überwinden; denn sie goß Ziegenmilch in den Haberbrey, als was sehr köstliches; und ich konnte niemals den Geschmack der Ziegenmilch ertragen. Solte ich aber den guten Leuten, besonders den Kindern, Eckel vor dem zeigen, was in ihrem Elende Labsal und Wohlthat für sie war? Nein, diesen Uebermuth meines Geldes, welches mir die Wahl der Speisen und Getränke giebt, diesen Uebermuth erlaubte mir meine Seele nicht. Ich bezwang mich um dieser guten Herzen willen; ich aß mit, und sie gönnten und segneten mir jeden Bissen. – Endlich sagte der Mann, sie wolten Abends eine von ihren Hühnern für mich schlachten. Der Knabe und das Mädchen sahen sich an, faßten sich bey der Hand und gingen still, aber mit weinenden Augen fort. Ich errieth gleich, daß es die Trauer[44] um das Huhn wäre, und sagte es den Eltern. »Das ist wahr, sprach die Frau, denn unsere Kinder lieben die Hühner und Ziegen, wie ihre Gespielen.« ––

»Es soll ihnen auch nichts geschehen,« erwienerte ich – und suchte die Kinder auf, welche ich bey zwey Hühnern fand, mit denen sie auf der Erde sassen und ganz traurig sie streichelten. Mein Anblick war den guten Geschöpfen unangenehm. Sie senkten Beyde die Köpfe – und jagten eilig die Hühner weg. »Liebes Lottchen! Carl! glaubt Ihr denn, daß ich leiden werde, daß man um meinetwillen Euren guten Hühnern das Leben nehme? O, meine Kinder, Ihr wißt nicht, wie Ihr und alles, was Euch gehört, mir so lieb ist! – Ihr sollt nichts verlieren, gar nichts!« –

Das Mädchen faßte meinen Rock – und weinte mit ihrem Köpfchen in die Ecke, die es hielt. Der Knabe lächelte mich an, und Beyde liefen munter mit mir nach der Hütte, wo sie ihren Hühnern was besonders zu essen holten, um ihnen selbst das Fest ihrer Erhaltung zu geben. Wolling und feine Frau sahen mich mit stillem Staunen an. ––[45]

»Ihr wundert Euch, lieben Freunde, eine Frau, die reich aussieht, so vertraut bey Euch zu sehen. – Habt nur keinen Argwohn – und glaubt, daß es bey den wohlgesinnten Reichen wie bey den rechtschaffenen Armen geht. – Diese Leztern sehen sich auf alle, ihrem Herzen und Verstand angemeßne Art nach Mitteln um, wie sie sich erhalten können; und der tugendhafte Reiche sucht Gegenstände einer wohlangewandten Freygebigkeit zu finden. – Ihr zwey redliche Seelen habt Euch von allen andern Armen abgesondert und lebt hier von der sauren Arbeit eurer Hände mit euren Kindern. Warum soll es nicht einen Reichen geben, der Euer Herz zu lieben weiß, und der just auch ein abgesondertes Leben, wo er nach seinem Sinn handeln kann, allen grossen Städten und Gesellschaften vorzieht?«

»Ach, meine Frau! wie ist es möglich – dieses so gleich zu denken?« sagte Frau Wolling.

»Wie bedaure ich uns Reiche, wenn es den tugendhaften Armen so schwer fällt, was besonders Gutes von uns zu glauben!«[46]

»O, von Ihnen glauben wir alles,« sprach der Mann. »Sie sind, wie einige fromme Damen in Frank reich; die gehen auch selbst in die Strohhütten der Armen und theilen da Almosen aus.«

»Ich hoffe hier mehr, als diese Freude zu geniessen, Herr Wolling. – Aber, ich habe Ihn oft unruhig umher blicken sehen. Nicht wahr, Er hat noch Arbeit?« – Er bejaete es mit seiner Mine. – »Ich will zusehen,« sagte ich, »denn ich will bis Abend hier bleiben.« ––

Der Mann ging fort und ich besah die arme Hütte. Sie ist, wie ich Ihnen schon sagte, gegen die nördliche Seite an die übrig stehende Wand des alten Schlosses mit einem halben Dach angebaut. Auf der Abendseite macht auch ein noch übriges Stück der Mauer des alten Gangs die Seitenmauer der Hütte aus. Gegen Morgen und Mittag ist sie mit einer Leimwand verwahrt. Der Eingang und die Fenster sind auf der Morgenseite. Unten, wo die Hütte wegen des nöthigen Abhangs des Dachs niedrig fällt, ist der Stall für die zwey Ziegen, nebst einem Stroh- und Holzbehälter. Der grosse Theil ist durch zwey, aus Weiden[47] geflochtene und mit Moos ausgestopfte Scheidewände, zu zwey Kammern gemacht, wo in einer die Schlafstäre der Eltern auch mit einer Weidenflechte abgesondert ist, wie es die Schlafstellen der Kinder in der zweyten Kammer sind. In dieser sind auch ein Paar Behälter über den Betten mit Weidenthüren angebracht, wo sie das Wenige an Kleidern und Weißzeug aufheben, das sie als einen Schatz für ihre Kinder ansehen. Die bey den Ecken der Wohnstube sind auch mit Weiden verschlossen und zu Schränken gemacht, wo sie ihren Eßvorrath, Saamen, Flachs und nöthige Kleidungsstücke samt Büchern und Handwerkszeug verwahren. Die kleinen Stühle ohne Lehnen sind auch geflochten, und alles hat Wolling und seine Frau gemacht. Sie haben doch Bettücher, dünne Pfühle von Pferdehaaren und für den Winter Federdecken. ––

Der Heerd ist ein grosser Stein, der auf einigen kleinen ruht, und der Kamin das einzige neue Mauerwerk, so da ist. Alles sehr reinlich und nett in Ordnung gestellt; Eltern und Kinder so säuberlich arm gekleidet und angezogen. Sanfte Stimmen; nur zeigen Wollings Züge unterdruckten Gram, und die von[48] seiner Frau, wenn sie mit ihren Kindern spricht, das Lächeln des Schmerzes an. – Ich ging in den Garten, während die Frau ihren Säugling zu Bett brachte. Es sind schöne Obstbäume, Gemüß und Blumen da, groß, wohl gepflegt; besonders viele Bäumchen in Töpfen, die er dann in die Stadt zu verkaufen trägt, und damit die nöthigen Bedürfnisse sich schaft. – Ich besah alle mühsame, und mit so vielem Geschmack und Zierlichkeit gemachte Anpflanzungen des ehrlichen Manns mit vieler Rührung. An der äussersten Ecke des Gartens bemerkte ich einen kleinen Grabhügel, der von weißen und rothen Rosen beschattet, in der Mitte einen Lilienstock hatte. – Ich sah etwas tief sinnig und fest hin, und blickte dann auf Wolling, der mit gesenktem Kopf auch hingesehen und eine Thräne im Auge hatte: »Ach! hier liegt meiner Lotte erstes Kind, – das todt auf die Welt kam. Ich mußte es dahin begraben, denn sie wolte seine Leiche nicht von sich entfernt wissen.« –

Wir sahen uns beyde weinend an. – Ich druckte seine Hand. – »Lieber Herr Wolling, Er und seine Frau – sind keine gemeine Gärtnersleute!« –[49]

»Nein, sagte er seufzend, wir sind nichts. – Aber, eh ich Ihnen von uns sage, möchte ich wissen, wer Sie sind? Es liegt uns daran, Sie zu kennen; – denn, Sie sind glücklich: warum wollen Sie in dieser einsamen Gegend bey uns bleiben?« –

»Der Verlust eines geliebten Freundes hat mich etwas melancholisch gemacht. Die Engländer sind es ohnehin leichter und stärker, als Andre. Er weiß es. – Er, seine Frau und Kinder gefallen mir. Ich bin reich und habe keine nahe, und keine arme Verwandte; ich will meine Traurigkeit durch Wohlthun an Seinen Kindern zerstreuen.« –[50]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 25-51.
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