Sieben und sechzigster Brief

Von eben derselben

[51] Nun, meine Freundinn, ich habe hier zwey Nächte auf Stroh bey meinen Wollingen geschlaffen, und das gut, recht gut. Wolling trug ein Billet zu meinen zwey Leuten in Kleebrunn, da bekam ich Schlafzeug und Eßwaaren, so viel ich brauchte; – und gestern Nachmittag mußte Wolling einen Esel kaufen der ihm sein Gemüs und andre Gartenwaare zum Verkauf tragen soll, bis ich etwas mehr für ihn gethan haben werde.

Ich sitze hier auf einer Steinbank, die wir gestern am Ende des alten Schloßgangs entdekten, da ich dies kleine Stück abräumen half, um die schöne Aussicht gegen Morgen zu geniessen. Das abgebrochne Theil des Hauptsteins oder Kerns, um den sich die grosse Schneckenstiege herumwand, dient mir zum Tisch. – Vielleicht saßen hier vor zweyhundert Jahren oft flehende Unterthanen die eine Gnade suchten, und zitterten vor dem Fußtritt, den sie in[51] dem hohen, düstern Gewölbe wiederhallen hörten, und vielleicht flehten und harrten sie vergebens. Ich betete heut auch hier auf dem nehmlichen Platz, aber unter dem offenen, freyen Gewölbe des Himmels. Die Aussicht auf die ganz herrliche Gegend umher, weist mir Fußtapfen der Allmacht und Güte Gottes, und diese geben mir die Zuversicht, erhört zu werden. – Heut früh um fünf Uhr schlich ich einsam hieher, wo ich den noch unangebauten Theil der Ebne des Bergs – und gegen die Mittagsseite, das weite niedre Land vor mir habe. – Ich sah die Sonne aufgeben, nicht so prächtig an Farben, nicht so staunend wie sie durch die Dünste des Meeres sich erhebt. – Aber sie erleuchtet hier eine wohlthätigere Fläche; denn dies Stück fruchtbarer friedsamer Erde zeigt mir vieler hundert Menschen Nahrungsfreude und Ruheplätze. Neu, unbeschreiblich, war meine Bewegung als ich da ganz allein unter den zerstörten Mauern betete; ganz anders, als in den seligsten Andachtsstunden meiner verschlossenen Kammer. – Niemals hatte mir die Sonne so schön geschienen, als da ich hier auf meinen Knien ihren und meinen Schöpfer verehrte. Es war inniges[52] Gefühl und die Bitte, das Vorhaben meines Herzens für diese vortrefflichen Leute zu segnen und es mich ausführen zu lassen.

Ich hatte gestern lange geschlafen; daran mochte mein vieles Gehen und auch meine grosse Gemüthsbewegung Urfach gewesen seyn. – Ich fand bei meinem Erwachen niemand mehr in der Hütte. Ein Topf voll Mehlbrey kochte langsam am Feuer. Es war Kühmilch, die der gute Mann schon sehr früh mußte geholt haben. – Ich zog mich eilends an, ging aus der Hütte und horchte, suchte an der Seite, wo ich die Kinder zuerst mit den Ziegen gesehen hatte; aber da war niemand. Dann ging ich zwischen der Mauer und dem Haberstück hin und als ich die Ecke des Kornstreifes übersah, erblickte ich sie alle kniend und betend. Ich wandte mich zurück, um sie nicht zu stören, und doch einen Platz zu finden, wo ich etwas hören konnte. – Ich mußte mich über einen Haufen Schutt beugen, der am Ende mit Kräutern bewachsen ist, durch die ich sie beobachtete. – Sie waren alle um einen Stein herum, der von einer, an dem Thurm hinwachsenden Geißblatstaude beschattet wird. – Die Frau lag mit ihrem Kopf auf dem Stein,[53] ihr Säugling in seinem Bettchen neben ihr; Nanny hielt eine Ecke der Schürze ihrer Mutter und die zwey ältern Kinder sahen bald den Vater, bald die Mutter wehmüthig an. Wolling trocknete seine Augen, faltete seine Hände indem er sich gegen die Kinder wandte: –

»O, Kinder! werdet gut und fromm, wie eure Mutter es ist. Ihr wißt, daß auf diesem Stein eure selige Großmutter saß, als sie uns besuchte. – Hier gab sie eurer Mutter und mir ihren Segen, als sie das Letztemal vor ihrem Tode bey uns war. Wir knieten vor ihr, wie wir jetzt knien, und du, Carl, lagest neben deiner Mutter, wie dein Bruder jetzt liegt. Sie küßte und segnete dich besonders; und Lottchen! sie segnete alle Kinder voraus, die ich noch bekommen sollte. – Ihr wißt, eure Mutter geht auch an Regentagen und mitten im Winter hieher und betet weil sie den Stein ihren Altar heißt; und gewiß, er ist dazu geheiligt und Gott sah alle Tage ihr kindliches Vertrauen auf seine Güte. – Hier bat sie um Glück für euch, – und wir haben Urfach es zu hoffen. – Denn warum sollte Gott die reiche fremde Frau so weit hergeführt haben?[54] Warum gab er ihr das gute edle Herz, die Tugend und Arbeitsamkeit der Armen zu lieben, wenn er nicht sie ausersehen hätte, uns zu helfen? – Ach, wir hätten für uns genug, – aber für euch, ihr lieben Armen, für euch jammerten wir! – liebt Gott und eure Mutter, die so für euch betet – und für den Hülfsengel dankt, den Gott uns schickte.« –

Die lieben Geschöpfe weinten herzlich, wie ich. – Der Knabe gab seinem Vater bey den letzten Worten hastig die Hand. – »Ich hab sie zuerst gesehen, wie sie den Berg heraufstieg. – Da ist gewiß der Seegen der Großmutter daran Ursache, daß ich den Hülfsengel meiner Eltern zuerst sehen sollte.« –

»Ey, sagte Lottchen weinend, ich hab sie auch gleich gesehen. – Du gehst auch immer so weit hinaus auf die äussern Steine, da kannst du weiter sehen. – Aber ich fürchte mich vor den Fallen.« –

Die Frau richtete sich auf, küßte eine Hand ihres Mannes. – »O Wolling, alles Verdienst giebst du mir! – du Guter, was habe ich dir für Mühe und Sorgen gekostet! – Gott sieht hier, sie deutete auf ihre[55] Brust, was du mir bist – und wird dich belohnen. – Kommt, meine Kinder, kommt! ich will euch küssen eh ich aufstehe. Ich hoffe, Gott hat mein Gebet erhöret, euch zu Liebe.«

»Nein, Mutter,« sagte der Knabe, »du must dich auf den Stein setzen wie deine Mutter. Dann knien wir zu dir – und du segnest uns, wie sie dich segnete.« –

Der Mann winkte ihr. Sie setzte sich, konnte nichts reden; aber das Umschlingen ihrer Arme um ihre Kinder, ihre Blicke gen Himmel, ihre Thränen, das hohe Heben ihrer Brust. – Ach, das sah Gott, – das segnete er – und alle Heilige um ihn. –

Der Mann stand sprachlos da, hob nun endlich seine Hände auf: »Ach Gott! du, – du allein!« –

Nach einiger Stille sagte die Frau: »Nun kommt, unser guter Engel muß erwacht seyn.« – Sie küßte den Stein, nahm etwas vom Geisblat, so ihn berührte und stekte es in ihren Busen. –

Kindliche Liebe! dachte ich, wie heilig bist du! Ich ging zurück, zweymal fest zu dem Besten dieser Familie entschlossen. – Sagen Sie, Rosalia, wären Sie es nicht auch[56] an meiner Stelle? – Sie können denken wie zärtlich und gerührt ich Allen den guten Morgen bot; und sie fragten mich ängstlich, ob ich wohl geschlafen hätte? Wir frühstückten froh unsern Brey. – Der Knabe ging dann, für die Ziegen zu sorgen, und Lotte fütterte die Hühner.

Ich fing an: – – »Herr Wolling, ich muß Ihn noch einige Augenblicke von seiner Arbeit abhalten und fragen, ob Er nicht in eine andre Gegend ziehen möchte, wo ich Ihm ein Stück Land und ein Haus samt aller Zubehörde schaffen will; so daß Er, mit guter Anordnung des Baues seines Guts, seinen Kindern was erwerben könnte. – – Denn ich denke Er wird immer gern auf dem Lande bleiben.« – –

Ich hielt da inne, und blickte freundlich sie an. Aber da beyde unruhig schienen fuhr ich fort: »Vielleicht, da Herr Wolling ein so guter Gärtner ist, wäre er lieber in einer Stadt und besorgte dort seine Kunst. Sage Er mirs, ich will auch da herzlich für sie alle sorgen; doch wünsche ich daß Er die Stadt wählen möge, wo Herr von Pindorf wohnt.«

Rosalia! warum wünschte ich das?[57]

Frau Wolling stund nach einigen Augenblicken auf, fiel ihren Mann um den Hals: »O, Wolling«! rief sie unter einem Strom von Thränen, – »ich bitte dich, führe mich nicht von hier weg. Denke, daß meine Mutter uns diesen Aufenthalt schaffte, da kein andrer Mensch sich unsrer annahm. Hier sind all deine Kinder gebohren, mein Erstes begraben! Der Segen, der Geist meiner Mutter umschwebt diese Hütte. – O, ich kann nicht weg. – Wolling! mein Mann! ich kann nicht!« – Sie sank hier zu seinen Füssen, mit aufgehobnen Händen und Augen. – Er sah nur einen Augenblick mich, dann seine Frau an, die er mit Zärtlichkeit in seine Arme faßte ––:

»Nein, Lotte! wir wollen nicht weg, meine Liebe; wir wollen nicht! – Diese Erde, die ich anbaute, die mir dich und unsere Kinder ernähren half, die uns vor Grausamen schützte, – die verlasse ich nicht!« –

»O, Ihr rechtschaffnen Herzen,« sagte ich, »denen Muttertreue, und die Erde die sie segnete so werth ist! – Nein, Ihr sollt nicht weg! – Hier sollt Ihr meine Freundschaft und meine Liebe geniessen, und ich baue mir ein Haus bey Euch.«[58]

Mit Entzücken sahen beyde mich an – und weder Wolling noch ich konnten seine Frau hindern, daß sie nicht auf die Erde fiel, und uns beyden die Füße küßte. – Aber dieser starke Ausdruck von Empfindung, erschöpfte ihre Kräfte; denn sie wurde ohnmächtig. –– Wir brachten sie auf das Bett. – Da sie sich erholt hatte, hielt sie eine meiner Hände an ihr Gesicht und benetzte sie mit Küssen und Thränen. – Ich umarmete sie: – »Liebe Kinder, sagt mir, wem gehört das große Stück unangebautes Land, auf der Anhöhe des Berges, rechter Hand vor uns?« ––

»Dem Herrn von Mahnberg, der die ganze Herrschaft besitzt.« – –

»So ist vielleicht hier ein Guth mit Erbpacht zu er richten, und ich baue ein hübsch Haus darzu, woraus Frau Wolling alle Tage zu dem Altar ihres Herzens gehen kann.« – Sie hielten sich beyde die Hände und weinten sanft. –– »Geht daß nicht an, Herr Wolling? – O, ja! und das war lange mein Wunsch. Ewiger Gott! Sie haben mein Herz errathen. – Ach, wenn Sie dies für uns, für unsere Kinder thun, was sollen wir!« ––[59]

»Mich lieben, meine Freunde, und mir geschwind sagen, bey wem wir den Kauf machen können? denn wir sind im Junio; ich möchte, daß wir zu Ende des Herbstes im neuen Hause wären.« ––

»Meine Frau, der Beamte in Mahnheim ist ein guter, wohldenkender Mann, der gewiß dazu hilft.« ––

»Nun diesen Nachmittag wollen wir zu ihm, und es ausmachen.« ––

»Aber es wird kosten, meine Frau.« –

»Und, wenn ich viel Geld habe, was thut das?« ––

»So viel für Andere thun! O Gott!« »Ihr Lieben, warum denkt ihr immer nur dieses? hört einmal was ich sage: Wenn ein Reicher nicht geizig ist, so sinnt er auf Ausgaben des Vergnügens und der Ehre. Beyde kosten ihm Geld. – Nun ist Wohlthun meine Freude; laßt mich sie geniessen, und nehmt Antheil an meinem Glück und meinen Gesinnungen, wie ich an Eurer Hütte und Eurer Tugend meinen Antheil nahm.«

»Herzlich gern! – Aber lassen Sie mich einen Vorschlag thun,« sagte Wolling, – mit dem Wesen des so ganz edeln, ehrlichen[60] Mannes, daß sein Aussehen und sein Blick mir heilig war. ––

»Ich höre gern Vorschläge des vernünftigen Mannes.« ––

»Kaufen Sie das Guth und nehmen mich zu Ihrem Erbbeständer an. – Ach, Gott! du siehest, wie gern ich dieser Hand«, er faßte meine Hände, »den jährlichen Pracht bezahlen würde, – und wie getreu ich das Guth anbauen will!« ––

»Ich will, lieber Herr Wolling, den dritten Ausweg nehmen, und das Guth für Seine Kinder kaufen. – Er soll dabey der Verwalter meines Vermögens werden. – Bis wir aber unser Haus haben, will ich mir, zwischen den alten Mauern des Schloßgangs ein Zimmer, nur von lauter Holzwerk, zurecht machen lassen.« ––

Und das thu ich, mein Kind; und auf immer, immer bleib ich hier – Helfen Sie, mein Schatz, Sorge tragen, daß mein Bedienter die Schule, und seine Frau die Nähstunden ordentlich, für meine lieben Vorstadtkinder halten. Sie sahen mich dort anpflanzen, helfen Sie hüten, daß nicht zu früh Unkraut aufwachse. Es wird sich freylich wieder[61] einmal ändern, wie alles zu allen Zeiten that; aber es kann doch, nach dem jetzigen Gang der Menschen, bis auf die Enkel unsrer Zöglinge dauern. Wie viel Ursach habe ich da, den Staub meiner Eltern und des edlen von Guden zu segnen, daß sie, durch Reichthum an Kenntnissen und Vermögen mich in den Stand setzten, zwey Menschengeschlechtern von dreyzehn Familien Gutes zu thun! was für ein Glück, was für ein unermeßliches Glück ist das! – Aber hier, Rosalia, hier ist der Ruhepunkt meiner Seele. Es geht mir, wie dem guten Lottchen, ich fühle mich näher bey dem Himmel, und sehe mich mit reiner Menschheit – und reiner Tugend umgeben. – Schicken Sie mein Klavier – und die zwey kleinen Kasten, nebst dem mit dem Bett- und Weißzeug, nach Kleebrunn, in die Schenke zum Adler. Vielleicht lade ich einmal Sie selbst dahin, und weise Ihnen dann meinen Aufenthalt. – Ich will aufrichtig seyn, meine Rosalia, ich wills! und gestehen, daß neben der treuen Neigung meines Herzens, Leidenden Hülfe zu geben, dennoch der Gedanke, daß ich hier die Stadt sehen kann, wo Pindorf wohnt; daß ich Menschen Gutes thue, die Er[62] liebte, – daß dieses auch Antheil, grossen Antheil an dem Vorhaben hat, daß ich hier meine Tage zubringen will. Es möge nun der Mittag meines Lebens noch mit Gewitterwolken überzogen werden, oder mein Abend mit sanfter Dämmerung – und einem Himmel wie Lottchen ihn mahlte, heran nahen: – Hier will ich leben – und schlummern. Meine Wollinge machen mir gewiß einst ein eben so schönes Grab, wie dem Erstling ihrer Liebe. –– Adieu, Rosalia. Morgen das Uebrige. ––[63]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 51-64.
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