Acht und sechzigster Brief

Madame Guden an Rosalien.

Fortsetzung des zweyten Tags.

[64] Ich wollte des Nachmittags zum Beamten, sagte ich, als ich nachdem Frau Wolling sich völlig erholt hatte, mit beyden vor die Mauern hinaus ging und auf den Platz wies, wo ich ihr künftiges Haus hinzubauen dächte. Sie sahen sich an; es war mir, als wollten sie was mit einander darüber reden, und ich ging seitwärts von ihnen ab. –– Kurz darauf suchten sie mich. Wolling fing an: »Meine Frau, wir bewundern Ihre Güte immer mehr. Aber wir können nicht zugeben, daß Sie so viel für uns thun sollen, ohne uns zu kennen, und wir bitten Sie, daß Sie, eh Sie den Amtmann sprechen, unser Herkommen und die Ursach unsrer Armuth anhören. – Sie waren so großmüthig, nicht darnach zu fragen, sondern betrachteten nur unsere Noth,« – »und beurtheilte Eure Herzen,« fiel ich ein, »nach Euren Kindern,[64] Eurem Fleiß und der wahren Menschenwürde, mit der ihr mich aufnahmet.« ––

Wolling bückte sich gegen mich, gab seiner Frau die Hand und sagte ihr: – »Liebe Lotte, du weist unsere Geschichte am besten zu erzählen. – Ich will in dessen in unserm Gärtchen arbeiten.« Sie nickte stillschweigend mit dem Kopf – Er ging fort. Sie sagte, ihm nachsehend: – »Guter Carl! du bist alles werth. – Gütige Frau«: indem sie mein Kleid mit beyden Händen faßte, »ewig werd ich Sie segnen, daß Sie die harten Arbeiten des lieben Mannes erleichtern wollen.« –

»Komm Sie, liebe Frau Wolling, wir wollen uns auf den Stein setzen, wo ich Ihre Kinder zuerst sah, und da wollen wir unsre Herzen einander öffnen. Der kleine Säugling geht mit; in seinem Körbchen kann er neben uns schlafen.« – Das war ihr recht. Sie holte ihr Bübchen und ging, nachdenkend auf das, was sie sagen wollte, mit mir auf den Platz. – Er ist schön. Ueber den Schutt der zwey Thürme des Schlosses und den unfruchtbaren Abhang dieser Seite sieht man das so vortreflich angebaute Thal – und dann die Stadt W** deren Kirchen und Thorspitzen[65] man erblickt. Diesseits und jenseits des kleinen Flusses liegen fünf Dörfer zerstreut, in Wäldern von Obstbäumen, und weidende Heerden waren um sie herum.

Ich sah Frau Wolling etwas verlegen und nahm sie bey der Hand: »Liebe Frau Wolling, wenn es ihr Mühe kostet, wie ich natürlicher Weise denken muß, daß die Erinnerung an Unglück die gegenwärtigen Stunden noch verbittert, so sage Sie mir nichts. – Die Vorsicht über uns sieht mein Vertrauen auf Ihre Redlichkeit, und das Ihre auf meine wahre Menschenliebe. Das Vergangne wollen wir seyn lassen, – und nur vom Künftigen reden.« ––

Meine Freundinn, ich erinnerte mich Ihrer bescheidenen Begierde, mein Leben zu wissen, und wie fein denkend Sie sich das Vergnügen versagen wollten, – als Sie mich etwas nachdenkend sahen. Ich ahmte Ihrer Tugend nach – und Frau Wolling belohnte durch ihr Vertrauen das meinige. – Sie sagte mir ganz artig: »Nein! Sie sollen uns kennen; und wenn es nur wäre, daß ich von meinem Carl redte.« – Ich küßte sie und schwieg. ––[66]

»Ich bin die dritte Tochter eines fürstlichen Raths aus N**. Mein Vater war ein sehr vernünftiger, aber etwas zu stolzer Mann. Vielleicht, mein Gott, sage ich dieses, weil sein zu weit getriebner Ehrgeiz mich hieher brachte. – Er war bey dem Fürsten beliebt – und konnte also auf Ansehen und Glück rechnen. Er erzog uns alle sehr gut. – Wir mußten alles Artige, – alles Feine wissen. Der Hofmeister meiner zwey Brüder unterwies uns in der Sittenlehre und Geschichte mit ihnen, und in mehrerm als überhaupt andern Mädchen gelehret wird. Meine beyden ältern Schwestern waren schöne, Verstandsvolle Frauenzimmer und wurden sehr gut verheyrathet. Meine Mutter liebte den Ton der Pracht gar nicht, den mein Vater einführte, aber sie durfte nichts dagegen sagen. Sie war empfindsam, wie ich es bin, und liebte mich sehr, weil ichs schon ganz jung fühlte, wenn sie seufzte, gern um sie war und mit sanfter Stimme mit ihr sprach, um ihren Gram den ich zwar nicht ganz kannte, zu mindern. Sie gewöhnte mich, ihr im Hause überall zu folgen und zur Hand zu gehen. Als mein Vater das Guth nicht[67] weit von hier kaufte, hatte sie grosse Freude, um da still zu leben, wie sie hoffte. Ich war sechzehn Jahr alt, als wir den ersten Sommer da wohnten. Mein Vater war sehr heftig in seinem Zorn mit den Bedienten und wechselte oft, welches meiner Mutter höchst schmerzlich war, weil sie theils das Unrecht sahe, so den Leuten wiederfuhr, theils auch den Schaden im Hauswesen; – und ich gewöhnte mir an, alle unsre Dienstboten von dem Willen und Geschmack meines Vaters zu unterrichten, sie zu trösten, aufzumuntern – und zu warnen. – Wolling kann als französischer Blumen- und Obstgärtner in unser Haus. Er war schön ordentlich, überaus gefällig, meistens aber etwas traurig; arbeitete aber mehr, geschickter und besser, als alle vorherige Gärtner, deren wir schon Viele gehabt hatten. Aber mein Carl hatte in seiner Jugend studirt und ein angebauter Geist hat immer den doppelten Werth. Er erhielt auch doppelte Achtung von meinem Vater. Ich wünschte, daß er im Hause bliebe, und sagte ihm daher einen Morgen, als mein Vater und Mutter auf einen Besuch in die Stadt gefahren waren, alles worüber[68] mein Vater bey den andern Gärtnern gezankt, was er von ihnen gern gehabt hätte, und wohin sein Verlangen im Garten gehe; und bat Carln, weil er doch dienen müsse – und sich immer nach dem Willen einer Herrschaft zu richten verbunden sey, so solle er meiner vortreflichen Mutter zu Liebe, meinem Vater gefällig zu seyn suchen, und versicherte ihn, daß er dafür belohnt werden solle. – Ich bemerkte wohl, daß er, während ich redte, lange auf die Erde, dann mich ganz gerührt, ansah, roth und dann auch blaß wurde, mir endlich stotternd dankte und versprach, gewiß alles mögliche zu thun, meinem Rath zu folgen. Ich möchte nur die Güte haben, ihm immer gleich von meines Vaters Ideen Nachricht zu geben. Er wolle auch keinen andern Menschen fragen, als mich – und würde all sein Vertrauen auf die edle Güte meines Herzens setzen. Der Ausdruck edler Güte, schien mir von einem Gärtnergesellen sonderbar, – und daß er mein Herz nannte, deuchte mich frey. –– Das hat er sich in Frankreich angewöhnt, sagte ich in mir, wo dergleichen Leute sagen, was sie wollen. – Ich gedachte gegen meine[69] Mutter nichts davon. Carl wurde bald der Liebling meines Vaters, und unser Garten der artigste in der ganzen Gegend. Jedermann lobte ihn. Carl war fein, sagte niemals, das hab ich dem Herrn Rath vorgeschlagen. – Nein, der Herr Rath hat es mir so befohlen. Da kam der Ruhm meinem Vater zu. Carl redte mit niemand als meinem Vater und Mutter, die er mit der größten Ehrerbietigkeit behandelte, und auf mich – oder nach mir mit vieler Aufmerksamkeit, oder auch Traurigkeit blickte, lange nichts mit mir redete, als nur im Vorbeygehen. – ›Hab ich Ihren Rath befolgt? Sind Sie mit mir zufrieden? oder wissen Sie nichts vom Herrn Vater?‹ – Aber seine Stimme war so sanft, seine Blicke so zärtlich und oft seine schönen Augen in Thränen dabey. Er hatte viel Anstand und lebte abgesondert von unsern andern Leuten; sprach mit keiner Magd, scherzte mit keinem Bedienten, blieb immer zu Hause, arbeitete mehr als zwey oder drey Andre. Den Winter giengen wir in die Stadt; Carl blieb auf dem Guthe. – Meine Mutter schickte ihm durch mich ein Geschenk, er bath mich aber um einige Bücher[70] auf den Winter. – Ich fragte, welche er denn besonders wünschte? – ›Was Sie Gutes im Deutschen und Französischen haben, denn ich bin in meiner ersten Jugend zum Studieren angehalten worden.‹ – Ich versprach ihm, welche in meinem Zimmer zu lassen; weil er doch die Aufsicht über das ganze Haus bekomme, so könne er sie da finden. –

›In Ihrem Zimmer Mademoisell Charlotte!‹ sagte er mit Zittern. – ›O, ich werde den Fußboden küssen, den Sie betreten haben. – Nehmen Sie sich noch ferner des armen Carls an, und lassen Sie mich wissen, was der Herr Vater gern hätte. O, wie lang wird der Winter für mich seyn!‹ – Ich gab keine Antwort hierauf und wir reisten ab. Carl war an dem Wagen, als ich einstieg. Er machte den Schlag zu und ich sah, daß er meinen Rock küßte und weinte. Er war schön, so edel dabey, daß ich sehr gerührt wurde. ––

Den Winter über hatte er Plane gemacht, und meinem Vater sehr geschickte Nachrichten vom Garten und allem gegeben. Gegen das Frühjahr ließ dieser ihn kommen, um den[71] vorhabenden Bau und Anpflanzung zu verabreden. Er war blaß, als er ins Zimmer kam; erröthete aber bey dem ersten Blick auf mich. – Ich hustete, um meine Röthe zu verbergen. Er blieb nur zwey Tage, und nur einen Augenblick sah ich ihn. – Ich schrieb alles, was ich wegen des Gartens wußte auf und gabs ihm. – Nur wenig besonders war darinn; ich hofte den Garten und den rechtschaffnen Gärtner bald zu sehen. – Er bat mich um Bücher; ich gab ihm wieder einige und er reiste ab, nachdem er mir ein Heft Papier gegeben, als Auszüge von dem, was er gelesen. ––

Mit der schönsten Handschrift waren die besten moralischen Stellen, Scenen des Landlebens, und etwas aus Thomsons Frühling ins Französische übersetzt, darinn. – Ich gesteh, es war ein Schatz für mich, den ich heilig hielt und immer bey mir trug; – ich sagte bey mir selbst: Alle die Vornehmen, die ich sehe, selbst der Mann meiner ältesten Schwester, ist nicht so artig, nicht so geistreich, nicht so moralisch, als der Gärtner Carl – – und mich verlangte nach dem Lande.[72]

Wir kamen hinaus. O, wie schön war der Garten, der Hof, alles durch des wackern Carls Fleiß und Geist! – Mein Vater war ausserordentlich zufrieden, lobte ihn und wolte ihn beschenken. Aber mein edler, lieber Mann sagte: Herr Rath, wenn Sie so zufrieden mit mir sind, daß Sie mir ein Kennzeichen Ihrer besondern Güte geben wollen: so haben Sie die Gnade, und erlauben, daß ich den Sommer über, anstatt andrer Taglöhner, die zwey Söhne Ihres abgeschaften Gärtners nehmen darf; die arme Familie geht sonst vor Elend zu Grunde. –

Mein Vater war heftig dawider, aber mein älterer Bruder bat ihn auch, und er ließ es endlich um Carls willen geschehen; doch mit dem Verbot, daß der Vater der jungen Leute sich niemals sehen lasse. – Diese Wohlthätigkeit von Carl rührte mein Herz; – noch mehr aber als ich bemerkte, daß Carl, um den Leuten ihren ganzen Taglohn verdienen zu helfen immer die Arbeit an den Stücken voraus that, wo er die jungen Leute anstellte, weil sie noch zu jung und zu schwach waren. Diese doppelte Verwendung der Kräfte feines Lebens, zum Besten der[73] Armen, machte mir ihn doppelt werth. Er hatte auch vor meinem, und meiner Schwester Zimmer, die unten in den Garten gingen, einen halben Laubengang von Geisblat gezogen, das ich sehr liebte, und nur ein einziges mal davon gesagt hatte. Alle Abend hörten wir eine Flöthe, sanft, melancholisch, wie eine Nachtigal; – und niemand wußte, wer es war. – Mein Herz dachte gleich an Carln, – denn es dünkte mich immer mehr und mehr, daß er alle Talente und guten Eigenschaften habe. Ich redte aber deswegen nicht mehr mit ihm als sonsten; doch gefiel mirs wohl, daß er gar keine Bekanntschaft oder Umgang mit irgend einem Mädchen hatte. –– Nur zu Ende des Sommers wurde ich etwas unruhig, als ich die artige Schwester der zwey jungen Leute, deren Carl sich so angenommen hatte, oft im Garten an einsamen Gegenden erblickte und sie dann immer nach dem Herrn Carl fragen hörte; sie auch bey dem Glashause und des Gärtners Wohnung sahe –– ach! ich merkte da mit vielem Kummer über mich selbst, und schämte mich, wie lieb er mir war; denn ich wurde auf das Mädchen neidisch und[74] bös und ging einige Tage gar nicht auf die gewohnten Spatziergänge, grüßte auch wider Willen Carln ganz trocken. –– die Flöthe war diese Abende um so viel trauriger, und Carl, den ich von ohngefehr begegnete, sah mich so furchtsam, so niedergeschlagen an, und wiederholte seine Frage mit weit mehr Schüchternheit: ––

›Haben Sie nichts zu erinnern? –– Sind Sie noch zufrieden?‹ –– Mein stolzes: ›Nein Herr Carl, es ist alles gut‹; machte ihn bestürzt. Er machte mir eine Verbeugung und ich wandte mich aus dem Gange, nachdem ich einen Zweig der Kanille abgerissen und die Blätter davon auch einzeln weggeworfen hatte; und setzte mich in ein halbes Gitterhüttchen mit Geisblat bedeckt bey dem Springbrunnen. – Ich hörte was gehen. Es war Carl, der alle Blätter aufhob, die ich weggeworfen hatte, sie küßte und in seinem Busen steckte. Ich hörte ihm deutlich sagen: Ah! mon Pere – mon Pere! – sah ihn seine Hände ringen und mit Seufzen gen Himmel sehen. – Ich weinte hier über ihn – und mich; aber einige Augenblicke darauf kam das Mädchen wieder zum Vorschein,[75] wie sie um einige Betten herum eilte, um an den Platz zu kommen, wo Carl arbeitete. Mein Mißvergnügen nahm zu und ich ging den ganzen übrigen Abend in mein Zimmer. – Ich hörte keine Flöte. – Den andern Tag blieb ich auch zu Hause, denn ich war über mich selbst mißvergnügt und unruhig, daß ein Gärtnergesell so viel Eindruck auf mich machte, und ich ging nicht mehr in den Garten, als mit der ganzen Familie.

Acht Tage darauf reisten meine Eltern mit einander weg, um die Heyrath meiner zweyten Schwester zu berichtigen. Ich sah das mir verhaßte Mädchen recht artig gepuzt im Garten umher gehen, Carln Blätter nachwerfen und endlich ihn se nahe kommen daß sie ihn an der Weste zupfte, sie anzusehen. – Er warf voll Unmuth seine Grabschaufel hin, und ging eilfertig weg. – Mein älterer Bruder stand unter einer Laube, redte was zu dem Mädchen, das dann Carln nachlief. Ob sie ihn einholte, ob er mit ihr sprach, das konnte ich nicht sehen. Aber ich vermuthete, daß er das Mädchen liebe, und deswegen ihre Brüder im Garten gebrauche, jedoch nicht haben wolle daß man es wisse.[76] Ich bemerkte ihn erst gegen Abend wieder im Garten, wo er mit meinem Bruder vieles und eifrig sprach. Ich ging nicht weiter, als in den kleinen Laubengang, vor unsern Zimmern; da kam mein Bruder mit einem finstern Gesicht zu mir und sagte gleich: der Gärtner Carl ist ein abgeschmackter, eingebildeter Mensch. – Ich sagte nichts, weil ich ihn so zornig fand. Er ging einigemal auf und ab ganz nachdenkend. Dann kam er zu mir, nahm mich bey der Hand, und sagte: ›Höre, Lottchen, du kanst mir eine grosse Probe deiner Freundschaft geben.‹ –

›Gern, lieber Bruder! in was? sag es nur.‹ – ›Ich kenne dein gutes Herz und deinen Verstand; also will ich dir eine Angelegenheit vertrauen.‹ –

Sein Gesicht und Ton machten mich ängstlich. Endlich gestand er mir, daß er des alten Gärtners Tochter – seit einiger Zeit geliebt und sich eigen gemacht hätte. –

So! dachte ich, daß ist schön von beyden Seiten! Mein Bruder das Mädchen, und ich meine Neigung auf den Gärtner, denn ich konnte mirs nicht mehr verhehlen. – Er fuhr fort: –– ›Nun ist sie in Umständen, wo ich für sie sorgen muß, und ich hätte[77] gern, daß Carl sie heyrathete.‹ –– Hier schauerte mich. –– ›Das Mädchen ist artig. Er hat einen guten Lohn. Ich wollte ihn bey dem Vater recht fest setzen und gäbe dann alle Monat noch etwas zum Kostgeld für das Kind; da könnte der Kerl recht gut leben. Aber der T– will nicht anbeissen. Das Mädchen hat schon alles versucht. Er geht ihr aus dem Wege, redt gar nicht mit ihr. – Gestern und heut, da wir allein Herr sind, hab ich sie aufgemuntert, ihm recht zuzusezzen; – da ist er gar aus dem Garten fort. Er hat schon zu ihren Vater gesagt, wenn seine Tochter noch einmal in den Garten, oder in das Haus käme, so wolle er es dem Herrn Rath sagen und da würden seine Söhne auch den Abschied bekommen. –– Der Kerl hat Hoffartsschwänke im Kopf. Ich weiß nicht wie ich ihm ganz zureden soll und hätte gern, daß du es thätest, denn bey Vater und Mutter will ich alles ausmachen.‹ – –

Ich kann nicht sagen, wie mir zu Muthe war. Aber ich nahm mir ganz unbesonnen vor, mit Carln auf meine Art davon zu reden; doch sagte ich meinem Bruder, es wäre für ein junges Frauenzimmer gar keine anständige Unternehmung. ––[78]

›Ach du kannst mit deinem Verstande dem Ding eine Wendung geben. Thue es doch, ehe unsere Eltern wieder kommen.‹ ––

Ich überlegte es die ganze Nacht. Die Flöte seufzte, und spielte ganz klagend bis gegen zwey Uhr. Es war schöner Mondschein und ich, da ich nicht schlafen konnte, an meinem Fenster. Ich bemerkte daß der Ton ausserhalb des Gartens vom Feld herkam und den Platz veränderte; –– auch endlich, daß jemand zur Feldthüre herein, an der Wand hin, gegen das Glashaus ging. Es war Carl. – – Am Morgen ging ich in den Garten. Er staunte, als er mich erblickte und wie er mich der Hecke näher kommen sah, an der er die Rosen aufband. –– Ehrerbietig und gerührt machte er mir eine Verbeugung. – Ich grüßte ihn freundlich, und fragte nach seinen beyden Helfern. – Er sagte mir, wo sie wären. Dann lachte ich und fragte, ob nicht die Schwester von ihnen eine artige Gärtnerinn seyn würde? Er wurde zornroth, kann ich sagen, doch faßte er sich gleich.

›Warum, Mademoisell Charlotte, fragen Sie mich dieses?‹ –[79]

›Weil ich es denke und glaube, daß das Mädchen recht glücklich mit ihm würde. Und da Er den Brüdern Gutes gethan, so könnte ja das grössere Gute der Schwester wiederfahren.‹ –

›Die Brüder sind arm und redlich, sagte er mit Eifer, sonst würde ich nicht gethan haben, was ich that.‹

›Ey, Carl, was wird er ungeduldig, wenn man von einem schönen Mädchen mit Ihm spricht?‹ –

›Vergeben Sie mir! ich vergaß mich. – Aber lassen Sie mich eine Bitte thun; – nichts mehr davon zu reden. Ich will mich nicht verbinden, niemals! –– und wenn Lehnchen die schönste und tugendvollste Fürstin wäre. Erhalten Sie mich nur in dem Dienst des Herrn Vaters – ich will sonst nichts.‹ –

›Er bleibt ja im Dienst, und um so viel fester, da mein älterer Bruder das Guth bekommt, der Ihm die Versicherung davon und eine Zulage geben will.‹ –

Er lächelte etwas bitter. – ›Eine Zulage? Ich glaub es!‹ – Hier wurde ich gewahr, daß er etwas vermuthete und es war[80] mir leid, mit ihm geredt zu haben. – ›Sey Er ruhig,‹ sagte ich; ›ich wurde gebeten, Ihm zu zureden.‹ ––

›Ich bin es überzeugt; – vergeben Sie mir meinen Widerspruch. Ich bin jezt ein niedriger dienstbarer Mensch, – aber von gutem Herkommen. Tugend und Ehre sind mein Trost und meine Stütze. Ich werde sie niemals verletzen, und niemals davon abweichen. Ihre englische Güte hat mir hier mein Leben versüßt. Ich begehre von dem Schicksal nichts weiter, als Ihren Vorspruch der dem Herrn Vater und – dann und wann ein Wort von Ihrer Frau Mutter oder Ihnen. Gott sorgt für das Uebrige und wird Sie segnen.‹ ––

Nun reute und freute mich die Unterredung. Ich schwieg – und er sagte: ›Sie wollen dem Mädchen Gutes: Ihre edle Seele wird bald Gelegenheit haben, ihr welches zu bezeigen. – Ich habe niemals mit ihr gesprochen, und werde es nicht thun; aber die Ursachen kann ich nicht sagen.‹ ––

Da ich immer schwieg sah er mich traurig an: ›Mein Gott, wenn ich Sie beleidigt hätte‹![81]

›Nein, Carl! gewiß nicht. Er hat sich der Tugend und Ehre geweiht. Gott segne Ihn dabey; Was ich Ihm Gutes in unserm Hause thun kann, will ich gern. Bleibe Er nur fleißig und rechtschaffen, wie bis jetzt.‹ –

Ich sah ihn weinend mich anblicken. Meine Augen thränten auch. Ich grüßte ihn und ging weg. Es freute mich innig, daß er von besserm Stande war, als seine Gärtnerey mich vermuthen ließ; doch konnte und durfte ich nicht weiter darüber denken, sondern nahm mir vor, immer zurückhaltend zu bleiben, wie bisher. Ich schätzte ihn ungemein, aber viele Betrachtungen über die Pflichten meines Standes kämpften gegen meine Neigung, und ich redte in acht Wochen kein Wort mit ihm.

Mein Bruder war sehr misvergnügt über Carls Halsstarrigkeit und Stolz, wie er es nannte, und drohte ihm deswegen. – Kurz darauf aber wurde das Mädchen mit einem Förster verheyrather. Der Sommer und Herbst gingen so recht gut hin. Carl blieb immer der vortreffliche Arbeiter und lebte eingezogen fort. Mein jüngerer Bruder kam von Pont à Mousson zurück, wo er leider[82] nichts gelernt hatte und nur einen elenden jungen Petitmaitre vorstellte. – – Er hatte viel Aehnlichkeit mit mir – und Carl sagte mir seitdem, daß er ihn deswegen liebte und ihm suchte gefällig zu seyn. Der junge Mensch liebte Carln, weil er Französisch sprach und einen schönen Geschmack zeigte. Mein älterer Bruder war über den Jüngern zu gebieterisch, und der Ort ziemlich einsam; so daß Carl die einzige Auswahl für den Letztern blieb, mit dem er Anfangs nur immer von Frankreich sprach, aber nach und nach sich an ihn heftete, alle Morgen und Abend bey ihm war und durch den Umgang meines Carls ein liebenswürdiger junger Mensch wurde. – Der Keim jedes Guten war in ihm, er brauchte nur gepflegt zu werden; und ach, dieses Verbessern meines mir liebsten Bruders machte mir Carln immer werther. – – Der Winter wurde wieder in der Stadt zugebracht – und die Zurüstungen zu meiner zweyten Schwester Hochzeit gemacht, – die sich aber bis in den Sommer verzögerte; wo dann mein Vater das Fest auf seinem Guthe halten wollte. – Mein jüngerer Bruder trat in Kriegsdienste,[83] und es freute mich, da er noch im Winter abreiste, daß er seinen Weg über unser Guth nahm, um von Carln Abschied zu nehmen.

Mir sagte er noch: – Lottchen! der junge Thalbruk wird sich um Dich melden. Der Vater hilft ihm zu einem angesehenen Amt. – Aber Du wirst unglücklich mit dem bösen Menschen werden. Ach! wenn mein Freund Carl wäre, was dieser ist; – wenn die elenden Vorurtheile ihm nicht entgegen stünden: wie glücklich wäre meine Schwester mit ihm! – –

Thalbruk kam auch in unser Haus und war sehr galant um mich herum, ich höflich, aber sehr kalt. Dennoch wurde er mit den übrigen Brautleuten auf unser Guth geführt. Mein Vater hatte Carls Nachricht von seinem Vorhaben gegeben – und wir fanden Alles wie einen Pallast der Feen geputzt. Die Trauung und das Fest war den Tag nach unsrer Ankunft und unser Saal glich dem Tempel der Flora. Die Wände waren blaßroth angestrichen, Blumengewinde darauf angebracht; der Name der Braut und des Bräutigams in Rosen, Mirthen und weißen Violen[84] geflochten. Die Fenster ausgehoben, grosse Rahmen mit Flor an ihrer Statt darinn, die mit Blumen verziert waren. Blumengewinde hingen über der Tafel – und der Garten, alles war mit unsäglicher Mühe verschönert. Carl fragte mich: ›Sind Sie zufrieden‹? – Mit Allem, – ausser Seiner blassen Mine. – Er neigte sich nur, ganz traurig.

Mein Vater war höchst vergnügt. Es war in der grossen Laube ein Tanzplatz gemacht, der sehr artig war. Ich ging, nach einem Tanz, allein auf einer Seite hinunter. Mein Vater hatte ein wenig Wein und kam zu mir, da ich just auf eine Bank mich setzte. – Carl war sympathetischerweise an der Hecke hingegangen. Mein Vater erblickte ihn, und rief ihn her, er lobte ihn sehr und sagte endlich: – Diesen Herbst machen wir Traubenkränze auf die Hochzeit meines Lottchens. Aber er muß auch für Herbstblumen sorgen, daß es recht schön wird. Ich habe Thalbruken versprochen, seine Hochzeit auch hier zu halten; denn, Lottchen, ich will an dir eben so viel thun, wie an deinen Schwestern. ––[85]

Er sagte dieses, als ob die Rede von einer ausgemachten Sache wäre. – Ich war wie versteinert und Carl nahe am Umsinken. – Der Wein machte, daß mein Vater es nicht bemerkte. Carl sah mich nicht an; starr heftete er seine Augen zur Erde. – Mein Vater redte fort und schickte endlich Carln weg. – Ich hätte kein Wort vorbringen können. – Staunen über den gefaßten Entschluß meines Vaters, Carls Schmerz, mein Widerwille gegen Thalbruk, alles lähmte mir die Zunge. Ich küßte nur meinem Vater die Hand – und glücklicher Weise kam meine gute Mutter dazu, welcher mein Vater erzählte, er habe auch meinen Brautkranz bestellt. Sie redte freundlich mit ihm und führte ihn durch eine Allee in sein Zimmer.

Ich ging Maschinenmäßig nach der einsamsten Gegend des Gartens wo ich sonst zu lesen pflegte. – Carl lag da auf dem Moos – welches er mit Thränen benetzte. Es war mir unmöglich wegzugehen, ohne ihm etwas zu sagen. –– ›Carl, guter Carl, was macht er hier auf der Erde! Es ist zu kühl, Er wird krank werden.‹ Er richtete sich[86] auf. – ›Sie, Mademoiselle, Sie! da bey mir. Mein Gott! und mit beyden Händen ergriff er mein Kleid, küßte es, ließ es gehen: – O, vergeben Sie mir, ich bin halb von Sinnen.‹––

›Ich seh es, werther Lehrmeister meines liebsten Bruders. Sage er mir, was Ihm fehlt.‹––

›Was mir fehlt? –– was mir fehlt? O, fragen Sie mich nicht mehr. – Thun Sie es nicht. – Gehn Sie zurück zu der Gesellschaft. Dort müssen Sie seyn. –– Lassen Sie den Armen, Elenden‹; –– und hier faßte er wieder mein Kleid mit Heftigkeit. –– Ich nahm seine beyden Hände in meine. –– Carl! o glaub Er, daß Er mir werther ist, als Alle die ich sahe. – ›Beruhige Er sich, ich bitte Ihn.‹ ––

Er benetzte meine Hände mit Thränen, sprach aber nichts. Ich sagte ihm: Adieu, Carl, sorge er für seine und meine Ruhe; –– und ging. –– Als ich mich nach ihm noch umsah, lag er mit dem Gesicht auf dem Platze, wo ich gestanden hatte. – Ach, was für Mühe hatte ich, nicht wieder umzukehren! – Aber ich fürchte mich vor den[87] Andern, und doch reute michs, ihm nicht gesagt zu haben, daß ich Thalbruken niemals heyrathen würde, – meine Augen schlummerten die ganze Nacht nicht eine Viertelstunde. Den andern Morgen war er schon wieder fleißig wie sonst; und um sechs Uhr war alles in der größten Ordnung. Den dritten Tag war die Heimführung meiner Schwester. Ich muste mit. Thalbruk, als Brautführer, auch. – O, was stand ich in meinem Herzen über Carls Unruhe aus! – Als wir zurück kamen, schien er sehr gelassen und gab mir Abends dieses Papier. – Frau Wolling sagte dabey: ›Dieses haben Sie die Güte zu lesen. Ich will indessen etwas zum Mittagessen zubereiten und Ihnen dann das Uebrige sagen.‹ –– Ich fand in einem grauatlaßnen Futteral ein kleines Heft Papier, schön geschrieben, – wo Carl anfing.

Ihre englische Güte und die Redlichkeit seines Herzens gäben ihm den Muth, ihr sein ganzes Leben zu entdecken. Er sey der Sohn des H** Oberbeamten in Z**, habe eine sorgfältige Erziehung in allem genossen, und wäre durch einen vortreflichen Landgeistlichen zu den Studien vorbereitet worden.[88] Sein Geschmack und die Anweisung dieses Mannes hätten ihm zu Erholungs- und Belustigungs-Stunden die Gärtnerey angewiesen, und sein Hang wäre so stark dazu geworden, daß er, als ein Knabe von vierzehn Jähren feinen Vater gebeten habe, ihn zu einem Kunstgärtner zu thun. Dieß sey ihm aber abgeschlagen worden, und man habe ihm nach Pont à Mousson geschickt, um ihn da in der französischen Sprache, Sitten, Wissenschaften und philosophischen Kenntnissen unterrichten zu lassen. Er habe dieses befolgt, aber daneben die ganze französische Gärtnerey gelernt, worinn er es auch weiter, als in andern Wissenschaften gebracht habe, weil es seine Freude gewesen. Sein Vater habe ihn nach zwey Jahren zurückgerufen und auf noch eine Universität gezwungen, wo er Historie und Physik mit Vergnügen, besonders auch die Botanik erlernt. – Während dem sey seine Mutter gestorben – und sein Vater habe eine reiche Wittwe geheyrathet, die ihn aber nur unter der Bedingung genommen, daß er seinem Sohne seinen Platz abträte und dieser ihre zweyte Tochter zur Ehe nähme. Sein Vater habe dabey bloß den Wohlstand betrachtet, in welchen[89] er durch das Vermögen gesetzt würde, und alles angewandt, bey Hofe die Erlaubniß zu erhalten, ihm seine Bedienung zu übertragen, habe auch darinn seinen Endzweck erreicht. Aber da es ihm unmöglich gewesen sey, dieses Frauenzimmer zu lieben, so habe seine Stiefmutter wegen der Verachtung ihrer Tochter seinen Vater dahin vermocht, daß er seit vier Jahren die Hand völlig von ihm abgezogen und das Amt einem andern jungen Menschen gegeben, der die Person gern geheyrathet. Er gestünde ihr, daß ihn nur der Verlust der Liebe seines Vaters geschmerzt habe, indem er übrigens durch die Verstossung in die Freyheit und Nothwendigkeit gesetzt worden wäre, seiner erwählten Gärtnerkunst völlig nachzugehen und sie so weit zu treiben, als es die Proben seiner Arbeit in den Garten ihres Herrn Vaters bewiesen. Er bekenne ihr, daß nicht nur ihre liebenswürdige Person, sondern auch die leutselige und vortrefliche Seele, welche sie ihm in ihren Vorstellungen zum Besten des Diensts ihres Vaters gezeigt, ihm die größte Liebe und Verehrung eingeflößt habe. Er hätte sich aber vorgenommen gehabt, niemals davon zu reden, indem er sie weder dem Tadel[90] der Welt, noch dem Unwillen ihres Herrn Vaters, vielweniger aber dem traurigen Schicksal einer unglücklichen Liebe hätte aussetzen wollen. Seine Zärtlichkeit habe ihn zu allem angefeuert, was er in seinem Dienst gethan. Ein Blick, ein Wort von ihr sey himmlisches Vergnügen und Belohnung für ihn gewesen. Immer habe er gefühlt, daß sie nicht für ihn geboren sey, habe auch seinem Herzen keine Wünsche und keine Entwürfe erlaubt. Aber die Erklärung, daß sie einem Andern bestimmt sey, habe ihn wie ein Donner getroffen, – und in seinem ersten Schmerz sey er würklich dem Wahnsinn nahe gewesen. Ihr Mitleiden – und die Versicherung ihrer Achtung sey Balsam für sein zerrissenes Herz. – – Er habe sich nun gefaßt und trage geduldig diesen Schlag des Väterlichen Fluches. – Er bitte Gott um Glückseligkeit für sie, und wolle nun alle seine Kräfte und Wissen verwenden, um auf das Fest ihrer Verbindung ihr noch den letzten ehrerbietigen Beweiß seiner reinen, uneigennützigen Liebe zu geben. –– ›Sie werden mit Thränen begossen werden, alle Blumen, die ich zu Verschönerung dieses Tages ziehen will. – Einen Wunsch nur –[91] angebetete Charlotte, nur einen Wunsch erfüllen Sie, den das Herz des treuen, tugendhaften Jünglings wagt: lassen Sie den Blumenstrauß, den Sie an dem, für mich so entscheidenden Tage, an Ihrer Brust tragen werden, lassen Sie den mein seyn; geben Sie ihn sonst niemand. Diese Hofnung wird mir die bittere Pflege dieser Blumen versüssen; und wenn meine zitternden Hände sie zu Charlottens Brautschmuck binden werden: so wird der Gedanke mich stärken, daß wenig Stunden darauf das edelste beste Herz an diesen Blumen schlagen wird, und ich sie dann erhalten und für mein noch übriges Leben, an meinem Herzen tragen werde.‹ –

Ich hatte dieses gelesen, eh Frau Wolling zurück kam, und sagte mir selbst: ›O Sympathie! und du Ruf der Natur, wie stark seyd ihr gegen Alles!‹ – Sagen Sie, meine Freundinn, sagen Sie, was konnte der arme Carl, die gute Charlotte, was konnten sie thun? Edelmüthigkeit kämpfte in dem Herzen des Jünglings; Sittsamkeit, Pflicht gegen die vorgeschriebene Gesetze ihres Standes, in der Seele des Mädchens. Und dennoch wurden sie Schlachtopfer des Unglücks und ihrer[92] Leidenschaft! – – – Und, was bin ich? Meine Liebe! was bin ich? Ist nicht, seitdem ich unter der Tyranney dieses Abgotts siehe, jeder Othemzug meiner Seele, jedes Gute, jeder Fehler, Würkung, alleinige Würkung meiner Liebe? Ich sehe die Thurmspitzen der Stadt, wo Pindorfs Kinder wohnen. Aber, wo – wo ist Er? Ich verberge mir Alles, was ich bey dieser Frage fühle. – Bey Andern! Er wiederholt da die Auftritte, die Unterredungen die den vorletzten Winter einen so traurigen Einfluß auf meine ganze Glückseligkeit hatten. Ach, vielleicht ist diesen Augenblick jede Empfindung seines Herzens, jeder Gedanke seines Geistes vergeben, verpfändet, neue Bande geknüpft! ich ganz, ganz vergessen, ganz ausgelöscht! – ich, die allein durch die Erinnerung seiner Fußstapfen hieher geführt wurde! – Ich sonderte mich ab, um wenigstens Steine zu betreten, die Er betrat; Gegenstände zu sehen, die er liebte! – O, wie danke ich der Vorsicht, daß sie für Wohl und Uebel Andrer mein Herz so empfindsam machte! daß die Lindrung fremdes Schmerzes Erleichterung meines eigenen Wehes wird! – An diesen leblosen Gegenständen[93] hier hängt mein Herz, weil Er sie beschrieb. Ich kenne sie alle, und Sie sollten meine Schreibtafel sehen, wie oft ich ihn schon zeichnete, melancholisch zwischen den Weiden und dem kleinen Bächelchen dahin gehend, das an der Anhöhe herum fließt; oder am Fuß eines Baums, mit einem Buch in der Hand; dann über die große Wiese nach dem entfernten Bauernhause auf der Seite hin gehend. – Am Ende des Wäldchens, auf einem Stein sitzend, Schaafe um ihn herum, die er streichelt, und die mit seinem Stockband spielen; hier auf der Anhöhe an einen Baum gelehnt, mit dem Ausdruck der Bewunderung und Liebe der Natur! – Ach meine Freundinn, ich seh ihn auch bey Damen sitzen, mit ihnen sprechen; – sehe den Eindruck, den ihre Verdienste – und Schönheit auf ihn machen; sehr feine Aufmerksamkeit, sein Bestreden, nahe um die vorgezogene Glückliche zu seyn; sehe das innige Vergnügen über sein Gesicht verbreitet, so ganze Tage mit ihr zu verleben. – O, Bilder der Quaal, warum entsteht ihr! – Giftiger Hauch der Eifersucht und des Neides, warum tödtest du jede edle, reine Freude um mich her! ödos Verlangen! du vernichtest[94] jeden Keim der Zufriedenheit über Gutes, so mich umgiebt – und dessen Genuß in meiner Gewalt ist. – Ich will versuchen, edel zu lieben, wie der arme, trostlose Carl that Ein Blumenstrauß, gegen den Charlottens Herz, einige Stunden geklopft hatte, war alles, alles für ihn! Ich habe Kinder von Pindorf, die er oft an seine väterliche Brust gedruckt, in meine Arme geschlossen; ich bin ihnen lieb, sie sind ein Theil seines Wesens. Unverfälscht, unverstellt waren die Liebkosungen, die sie mir machten. – Was soll mir das getheilte, das zerstückte Herz des Vaters? – Nein, ich will nichts mehr von ihm. – Sey glücklich! – Sey es! – Aber ich will von nun an unabhängig von dir seyn! – Ich höre Sie sagen: ›Wie lange‹? – Kommen Sie und hören nun den Rest der Geschichte meiner Lieblinge. ––

Frau Wolling kam zurück, und sah sehr innig mich an. – ›Sind Sie mit meinem Carl zufrieden?‹ ––

›Ja meine Charlotte – und mit Ihnen auch.‹ – –

›Sagen Sie, entschuldigen Sie mein Herz, daß ich der Zärtlichkeit des seinigen nicht widerderstehen[95] konnte? und mir nach Durchlesung seines Papieres sagte: Nein, du Edler, nein, niemals sollst du mich mit einem andern Mann verbunden sehen!‹ ––

ch wollte ledig bleiben und auf, ich weiß nicht was, warten, aber nicht weiter in den Ausdrücken meiner Zärtlichkeit gehen, als bisher. Drey Wochen dauerte dieß Bündniß mit mir selbst und Carln, dem ich nur für sein Papier dankte und ihn meiner wahren, ewigen Hochachtung versicherte. – Ich begegnete aber deswegen dem Herrn von Thalbruk sehr kaltsinnig, als er zu uns kam; und da dieser Mensch niemals eine wahre Liebe zu mir getragen, sondern mich nur wegen des Ansehens meines Vaters gesucht hatte: so wurde er durch meine Abneigung nicht betrübt, sandern erboßt, schlug sich auf die Seite der Feinde meines Vaters, und blieb also weg. – Mein Bruder ging in die Stadt, besuchte ihn, und fragte warum er so lange nicht bey uns gewesen sey? – Da sprach er von dem Widerwillen, den er bey mir gegen sich bemerkt hätte, – und daß er glaube, mein Herz sey von sonst jemand eingenommen; stellte sich sehr traurig darüber[96] – und sagte, er hätte sich blos aus Verzweiflung, und ob ich nicht vielleicht eifersüchtig würde, an die Mademoiselle Nidern gewandt. – Dies war die Tochter des ärgsten Feindes von meinem Vater – und der, als Wittwer, gerade zu dieser Zeit um die Schwester der Maitresse des Fürsten freyte, und dadurch eine Unterstützung fand, die meinem Vater den Untergang zuzog. –– Meinem Bruder wurden nur kleine Winke davon gegeben. Er kam damit nach Hause. Diese Unruhe in dem Gemüthe meines Vaters und die irrige Vermuthung, daß, wenn ich Thalbruken geliebt hätte, dies alles nicht geschehen wäre, erregte seinen Zorn auf die heftigste Art; – und ach! fuhr sie mit Thränen fort, dies war der Anfang meines Elends. Man wußte von keinem Umgange, den ich mit irgend einem Menschen hätte. Sie dachten also, es müßte eine Verwicklung seyn, die in Briefen geführt würde und nahmen sich vor, mein Zimmer durchzusuchen. – Es war ein Feyertag, wo wir viele Besuche gehabt hatten. Als sie weg waren, sagte mein Vater ganz freundlich: Lottchen, kleide dich in dein Nachtzeug; du mußt von[97] Putz und Complimenten ganz müde seyn; und komm in das große Gartenhaus zu mir. –

Ich that es, und kam ganz leicht gekleidet, hatte aber meine Säcke mit den Papieren des armen Carls, in meinem Bette versteckt; ob ich schon weit entfernt war, zu denken, daß man mir deswegen geheisen hatte mich um zu kleiden, um sich meiner Schubsäcke zu bemächtigen. Während ich bey meinem Vater war, wühlte mein Bruder alles um und fand endlich die verschiedene Papiere von Carln. Damit lief er voll Wuth in das Gartenbaus, und sagte, hier habe er die Beweise meiner Niederträchtigkeit, daß ich mich an den elenden Gärtnerpurschen gebängt und deswegen die große Heyrath mit Thalbruken, ausgeschlagen, und meinem Vater eine Feindschaft zugezogen hätte. – Ich erschrak zum Tode, diese Papiere in seinen Händen zu sehen und wollte weg eilen. Aber mein Vater faßte mich bey einer Hand und hielt mich, während er mit der andern nach dem Packerchen reichte und einige Blätter mit Wuth durchlas, mir und Carln die häßlichsten Schimpfnahmen gab und endlich meinem Bruder befahl ihn herzurufen. –[98] Ach Gott! er kam freudig und schnell seinem Leiden entgegen. Denn kaum war er im Saal als mein Bruder die Thür abschloß und er ausgefragt wurde. Da erzehlte er wieder, was er mir geschrieben, wurde aber als Lügner und Verführer behandelt; Und o, mein Gott! ich mußte ihn schlagen sehen! Ich sprang auf, um meinen Bruder in die Arme zu fallen, gegen den Carl sich auch wehrte. Aber mein Vater riß mich zurück und hielt mich fest, während er meinem Bruder zum Streit und Schlägen gegen den Bösewicht ermunterte. Endlich ließ er aus Zorn mich los und eilte auch, Carln nieder zu werfen, der seinem Sohn zu stark war. Ich schrie da jämmerlich: ›O, Carl! o, mein Vater!‹ – Carl sagte zu mir: ›Charlotte, gegen Ihren Vater will ich keine Hand aufheben; aber ihren Bruder verschone ich nicht.‹

Da fielen sie mit doppelter Raserey ihn an, und würden ihn erwürgt haben, wenn ich nicht meine Freyheit gebraucht hätte, die Thür gegen das Feld zu aufzumachen und Carln zu zurufen, er möchte fliehen. In der That suchte er nach der Thür zu kommen, und als er sie erreicht, hatte mein Vater die[99] Grausamkeit, einen Stuhl nach ihm zu werfen der ihn die vier Stufen hinunter schlug. Ich weiß nicht, in welchem Augenblick ich meine lieben Papiere bey all dem Lärmen, der mein Herz zerriß, in meinen Busen gesteckt hatte. Aber den Augenblick, da ich Carln die Stufen hinab fallen sah, rief ich: O, Barbaren! ihr habt ihn umgebracht! – Earl! vergieb deiner armen Charlotte, – indem ich der Thüre zulief. ––

›So! schrie mein Vater mit Wuth; bist du seine Charlotte: so geh zu ihm und zum T–.‹ Bey diesen Worten schleuderte er mich auch mit einem Arm der offenen Thür zu. Ich erhielt mich am Geländer, und er schnapte das Schloß ab. – Alle Empfindung für Vater und Bruder war in mir todt. Ich eilte Carln zu, der ganz betäubt auf der Erde saß. Ich kniete zu ihm fiel um seinen Hals: ›O, du Edler, kannst du mir verzeihen, was ich dich leiden mache?‹ – Er fuhr wild auf und fragte: ›Ach Gott! Charlotte, wo kommen Sie her?‹ – ›Mein Vater hat mich verstossen! Komm, Carl, wir wollen von dem Barbar fliehen.‹ ––[100]

›Gott bewahre mich! nimmer werd ich es thun. Gehen Sie zurück in Ihr Zimmer. Ihr Vater versöhnt sich mit Ihnen. Lassen Sie mich allein elend seyn.‹

Ich hatte viel Mühe, ihn zu bewegen, daß er mich nach Immenberg zum Pfarrer führte, wo ich bis zur Zurückkunft meiner Mutter bleiben wollte. Es war eine Stunde von dem Gut meines Vaters. Carl hatte Mühe zu gehen und mein Kummer lähmte auch meine Füsse, so daß wir einem heftigen Platzregen und Gewitter nicht ausweichen konnten und über zwey Stunden zu dem Wege brauchten. Endlich kam ich naß und starr im Pfarrhof an, wo ich mich gleich legte und einige Wochen krank bis zum Sterben war.«[101]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 64-102.
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