Erster Auftritt

[141] Ein gewölbtes und fest gemauertes Turmzimmer in der von den Einungsfürsten hart belagerten Burg Landstuhl. Sickingen in einem Lehnstuhl. Er ist in voller Rüstung, doch ohne Helm. Etwas hinter ihm an einem kleinen Tische unter Papierschaften wühlend und Chiffre-Briefe schreibend Balthasar. Auf der entgegengesetzten Seite des Zimmers Philipp von Rüdesheim, vor ihm ein Humpen mit Wein. Marie, ordnend, Gerätschaften beibringend und entfernend, geht ab und zu. Von Zeit zu Zeit hört man das Krachen der Geschütze.


PHILIPP aufstehend und den Becher, den er zum Munde geführt hat, heftig auf den Tisch stoßend.

Verdammt! Nicht mal der Wein mehr mundet!

Und ganz mit Recht! Wenn deutscher Männer Blume,

Die Treue, sinkt, so wandle sich in Galle

Der deutsche Wein, vergifte diesem feig

Entarteten Geschlecht die letzte Lebensfreude.

FRANZ.

Still, Philipp! Lästre nicht die Freunde, bis

Ihr Fehl erwiesen ist.

PHILIPP.

Was braucht's da noch

Erweis? Ist unsre Lage nicht Erweis genug?

Erweis das Krachen der Kartaunen draußen?

Erweis dies letzte Loch, das vor den Kugeln

Des Feinds uns schwerlich lang noch sichern wird?

FRANZ.

Du weißt, weit früher, als ich selber ihn

Erwartet, hat der Feind sich eingestellt.

Gewiß, sie ahnen unsre Lage nicht.

PHILIPP.

Wenn sich der Feinde Haß verfrühen kann,

Warum der Freunde Eifer nicht? Zudem –

Hast du nicht Brief auf Brief an sie geschickt,

Die dort der Alte fein in Chiffern faßte?

BALTHASAR.

Nicht alle Briefe langen sicher an,

Und leichter dringt des Feinds argwöhnisch Auge

Durch die Verkleidung eines Boten durch,

Als dieser durch das Heer des Feindes dringt.[141]

PHILIPP.

Ach was! Im Frühjahr sind wir lang schon, deucht mich! Lange

Mußten von selbst sie da sein.

FRANZ.

Auch bin ich

Von Tag zu Tag gewärtig ihres Zuzugs,

So wie der Fähnlein, die ich werben ließ.

PHILIPP.

Ja wohl! So sagst du seit acht Tagen schon,

Doch das scheint klar, wirst keine zweite Woche

Zu warten haben, denn vorher noch dürfte

In seinem Schutt uns dieser Turm begraben.

Teufel! Das Haus war fest, doch sind wir hier

Nicht auf der Ebernburg, der unbezwinglichen!

Dort hätten sie gar lange schießen mögen,

Auch hätten sie uns dort ihr Lebtag nicht

So nah geschanzt!


Man hört ein furchtbares Krachen oberhalb der Decke des Gewölbes. Alle außer Franz blicken unruhig auf.


Horch, hörst du?


Sorgfältig an der Decke umherblickend.


Sag, wie lange –

Und diese Quadern wirbeln um uns her

Und spielen Ball mit unsern eignen Köpfen!

FRANZ aufstehend und mit verschränkten Armen durchs Zimmer gehend; halb für sich.

Wahr ist's! Mein Lebtag hab ich nicht erhört

So greulich Schießen! In den Kaiserkriegen

Nichts, was dem nur zur Hälfte nahekam.

PHILIPP.

Weiß Gott, woher sie alle das Geschütz

Zusammenbrachten.

FRANZ wie zuvor.

In so kurzer Zeit

So sehr bedrängt sein in so festem Haus –

Nie hätt' ich es geglaubt! Auch ist es wahrlich,

Als ob ein Geist in jeder Kugel stecke –

Als kennten sie sich aus auf jed' Geheimnis

Der Burg; denn stets in ihre schwächsten Stellen

Schlägt ihr Geschütz. – Wirklich, sehr sonderbar!


Bleibt sinnend stehn.


BALTHASAR.

Der Teufel ficht für seine Pfaffen.

PHILIPP die Faust heftig ballend.

Ich möchte wütend werden. Ihnen hier

Zur Scheibe dienen müssen, da wir sie

Mit ein'ger Hülfe draußen schmeißen könnten![142]

FRANZ gefaßt, sich setzend.

Still, Philipp! Stürzt der Turm, so ziehn wir

Ins Felsgewölbe uns zurück.

PHILIPP.

Daß sie

Wie eine Kröte breitgeschlagen dich

Dann unterm Schutt vorziehen? Oh, du hast gut

Die Freund' entschuldigen! Du selber trägst

Die größte Schuld; du bist es, den am meisten

Der Zorn trifft, der in meinen Adern kocht.

FRANZ.

Mich?

PHILIPP.

Oh, du weißt's recht gut! Ist mir's um mich?

An deiner Freiheit, deiner Sicherheit

Lag alles – alles steht und fällt mit dir.

Du aber hast verschuldet dieses Elend!

Nicht davon sprech ich, daß du vor'ges Jahr,

Unzeit'ger Großmut voll mit Freunden, die

Dich jetzt verlassen, aufgelöst das Heer –

Doch hier in Landstuhl dich einschließen, statt

In deiner Festen stärkste dich zu werfen,

Die Ebernburg –

FRANZ fast ärgerlich.

Du weißt, der Feind hat hier

Mich überrascht –

PHILIPP.

Nicht überrascht! Du hattest

Noch einen halben Tag vor dir, eh' dort

Am Waldessaum des Feindes Reiterei

Erschien. Dreihundert Reis'ge schicktest du

Mit ihren Pferden fort, um Platz und Vorrat

Uns nicht zu mindern – oh! was bat ich dich

Mit abzuziehn! In vollster Sicherheit

Hättst du's gekonnt – doch du –

FRANZ halb unwillig.

Schimpflich

Wär's mir gewesen, aus so festem Haus

Vorm Feind zu fliehn, ohn' einen Schuß zu tun!

Wie trefflich hätte es mir angestanden,

Die Edlen, die in diese Burg sich warfen,

Die treuen Diener hier zurückzulassen

Allein in ihrer Not, an mich nur denkend!

PHILIPP.

So sprachst du damals auch. Das ist's ja eben,

Was ich dir nie verzeihen kann! Was ist

An solchen Kerls wie ich und die gelegen?

Um dich nur handelt sich's. Alles stand glänzend,

Ritt'st du hinweg – die Burg hielt ich so gut wie du.[143]

Franz, Des Feldherrn Anblick hebt des Söldners Kraft,

Gießt ihm Entschlossenheit in seine Adern.

PHILIPP.

Gleichviel! Ich hielt die Burg, hielt sie –

Solang ein Stein von Landstuhl übrig war.

Und nahmen sie sie gar – was war verloren?

Sie hatten einen wüsten Schutthaufen

Bezahlt mit einem halben Heer, derweil du

Auf Ebernburg in Freiheit ihrer lachtest.

Doch niemals kam's so weit – denn warst du frei,

So konntest selber du die Freunde spornen.

Dann freilich rissest du die Säum'gen fort!

An ihrer Spitze konntest du alsdann

Im Rücken der Belagerer agieren.

FRANZ.

Ein träges Roß, das Reiters Sporn bedarf.

Und wo gibt's großem Sporn als Manneswort?

PHILIPP.

Du siehst nun selbst jetzt, wie es damit steht.

Was hatte man dir damals nicht versprochen!

Aus Böheim selber sollte Hülfe zuziehn –

Nicht einer kommt! – Als ich dich damals flehte,

Beschwor, hinwegzuziehn, da sagtest du,

Wenn's Zeit wär', wolltest du schon noch hinaus.

– Jetzt wär' es Zeit, jetzt zeige, wie du's kannst,

Wenn du nicht Flügel nimmst.

MARIE mit einem Becher Wein wieder auftretend, den sie Philipp präsentiert.

Herr Ritter!

Ich bring Euch andern Wein – vom besten ist er,

Er wird Euch sicher munden, Euern Unmut

Sänftigen. Nehmt und trinkt, und quält mit Vorwurf

Mir meinen Vater nicht.

PHILIPP.

Holdsel'ges Fräulein!

Besser als Wein scheucht Eurer Stimme Ton

Jedweden Unmut fort. Ein Engel seid Ihr!

Ich glaube, Euch nur haben wir's zu danken,

Wenn noch die Burg sich weigert einzustürzen

Auf unsre Häupter. Rührend ist's zu sehn,

Wie der Belagrung hartes Ungemach

Ihr ohne Klage mild und lächelnd tragt.

FRANZ die Tochter zu sich winkend, die sich zu ihm niederbeugt und an ihn schmiegt.

Marie!


Er liebkost sie.


Du ungerechter Philipp! Sie

Belobst du, daß sie blieb; und tat sie nicht[144]

Schwer Unrecht, ihren Vater so zu täuschen?

Damals, am letzten Tag, als ich die Schar

Der Reisigen fortschickte, gab ich ihr

Befehl mit fortzuziehn. Doch sie verschwor sich

Mit ihren Zofen, nahm zum Scheine Abschied,

Derweil von ihren Frauen eine unten

In ihrer Sänfte ihre Rolle spielt.

Ich konnte nicht hinunter, hatte hier

Vollauf zu tun. So hält sie sich verborgen,

Und als der Feind heran –


Sie streichelnd.


kömmt die Betrüg'rin

Abends hervor!

PHILIPP.

Sie hatte Recht! Ihr Platz

Ist neben dir –


Ein noch furchtbareres Krachen der Geschütze als das erstemal ertönt, gefolgt von dem Geräusch umstürzenden Mauerwerks. Alle fahren von ihren Plätzen auf, mit Ausnahme von Franz, der sich sitzend umschaut.


FRANZ.

Das war ein harter Schlag; der kostete

Ein Stück der Mauer. – Philipp, geh und sieh,

Was es gegeben; laß aufs schleunigste

Flicken den Riß.

PHILIPP den Helm aufsetzend.

Ich eile schon!


Er eilt hinaus. Marie entfernt sich still.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 141-145.
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Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

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