Zweiter Auftritt

[145] Franz. Balthasar. Letzterer lehnt sich von seinen Schreibereien in den Sessel zurück. Kleine Pause. Franz sieht ihn mit einem langen forschenden Blick an. Balthasar scheint vor sich hin zu sehen.


FRANZ.

Nun, Balthasar?

BALTHASAR.

Herr!

FRANZ.

Sprich, hast du nicht auch

'nen Vorwurf in Bereitschaft? Deine frost'ge

Gezwungne Miene zeigt ihn deutlich an.

Sprich nur! – ich hab das Heer entlassen, habe

Vorm Feind nicht fliehen wollen, hab noch sonst

Ich weiß nicht was getan! Sprich nur heraus,

Zerteilet euch die Haut des kranken Löwen.

– Von alle diesem, was wirfst du mir vor?[145]

BALTHASAR gedehnt.

Ich? Nichts!

FRANZ aufstehend und im Zimmer auf- und abgehend.

Ja wahrlich, dann muß schlimm, sehr schlimm

Es mit mir stehn, wenn Balthasar nicht 'mal

Mehr einen Vorwurf für mich hat!

BALTHASAR.

Ihr irrt! –

Jungblütgen Toren überlaß ich es,

An Dingen mäkeln, die nur Folgen sind

Des einmal eingeschlagnen Wegs. – Der Weg

Ist es, um den sich's handelt, nicht die Schritte,

Die einzelnen, die er sich selbst erzwingt,

Im enggeschloßnen Gleise sie erzeugend.

FRANZ.

Wo zielst du hin?

BALTHASAR.

Herr – glaubet Ihr

An Todesahnungen?

FRANZ.

Alter, was ficht

Dich an?

BALTHASAR aufstehend und sich Franz nähernd.

Daß man des Todes Stunde ahnt –

Ich glaub es nicht – das aber weiß ich sicher:

Den Todfeind ahnt jed' Wesen sich heraus. –

Es ist wie ein Gesetz, das die Natur durchzieht,

Im unvernünft'gen Tier sogar sich kündend.

Der Vogel bei der Klapperschlange Blick

Bebt scheu zurück, sein Los vorhererkennend.

Noch eh' der Samum naht, wirft das Kamel

Geschloßnen Auges zitternd sich zu Boden.

Noch mächt'ger wirkt im Menschen der Instinkt.

Dem Freund mußt du dich zu erkennen geben,

Ihm, oft umsonst, versichern, daß du's seist.

Der Feind allein, wie sehr du dich verstellst,

Hat bald dich raus – ist deine beste Schätzung.

Es wertet dich sein Haß gerechter als

Die große Meng', oft als der Freund dich wertet.

Es wittert schnell der Lebenstrieb in ihm

Den Untergang, den ihm dein Wesen droht.

Mächt'ge Naturen schätzt der Feind voraus,

Lang eh' der Freund in Hoffnung ihnen naht.

So sagte jener Sylla einst vorher

Vom jungen Cäsar, daß er fällen werde[146]

Den Adel Roms, als noch kein Marianer

Den Optimatenstürzer in ihm sah

FRANZ.

Was soll das alles hier?

BALTHASAR.

Was das hier soll? Ihr habt es nicht gewußt!

Daß Ihr's nicht wußtet, zahlt Ihr jetzt so teuer!

Die Fürsten glaubtet Ihr beim Trierer Zuge

Zu täuschen? – für geringe Fehde sollten sie's,

Für einen Handel nehmen zwischen Euch

Und Richard nur? die Fürsten habt Ihr nicht getäuscht!

Sichern Instinktes sah ihr Haß in Euch

Den allgemeinen Todfeind ihres Stands,

An allen Höfen Deutschlands scholl es laut:

Seitdem es Fürsten geb', sei gegen sie

Nichts so Gemeingefährliches begonnen.

Die Freunde nur habt sorglich Ihr getäuscht:

Der Nation galt es als solche Fehde!

Drum bleibt sie ruhig, Städte, Landvolk, läßt Euch

Mit eigner Kraft den eignen Handel enden,

Derweil scheu durch des ersten Schlags Mißlingen

Der Adel zögernd sich zurückehält.


Mit erhobener Stimme.


Selbst unterbandet Ihr die Adern Eurer Kraft,

Das Lebens-Herzblut habt Ihr rückgestaut,

Das zugeströmt Euch wäre –

FRANZ der mit sichtlicher Ergriffenheit zugehört hat.

Balthasar!

Halt ein! Erdrücke mich mit Vorwurf nicht.

Es ging nicht anders – noch war es zu früh,

Mich offen zu erklären – Trier mußte,

Der Waffenplatz, mir erst gewonnen sein.

Der Plan war gut, alles genau berechnet.

Wer kann den Zufall meistern – und wer darf

Zur Anklage ihn grausam umgestalten?

BALTHASAR.

O nennt nicht Zufall, was notwendig ist!

Weil Ihr den Zufall nicht berechnen könnt,

Ist's Torheit, auf des Zufalls schwanke Spitze

Das Weltgeschick zu setzen. War's zu früh,

So mußtet Ihr geruhig warten noch,

Doch schlugt Ihr los, so war's Euch besser, Ihr

Erhubt Euch offen gegen Kaiser Karl,

Schriebt Umformung der Kirche und des Reichs

Mit großen Zügen lesbar auf Eu'r Banner,[147]

Ja besser selbst, Ihr rieft kraft solcher Titel

Und solchen Rechts Euch kühn zum Kaiser aus,

Entfesseltet den Strom der Nation,

Den nur mit Mühe noch sein Bette dämmt,

Als dies Versteckens mit dem Freund zu spielen,

Das Eurer Feinde – keinen blind gemacht.

– Genau berechnet, sagt Ihr! Ja, das eben,

Das eben ist's! Durch Eure Klugheit stürzt Ihr.

Das Größre hättet Ihr gekonnt, das Kleinre

Konntet Ihr nicht!

Oh, nicht der erste seid Ihr, werdet nicht

Der letzte sein, dem es den Hals wird kosten,

In großen Dingen schlau zu sein. Verkleidung

Gilt auf dem Markte der Geschichte nicht,

Wo im Gewühl die Völker dich nur an

Der Rüstung und dem Abzeichen erkennen;

Drum hülle stets vom Scheitel bis zur Sohle

Dich kühn in deines eignen Banners Farbe.

Dann probst du aus im ungeheuren Streit

Die ganze Triebkraft deines wahren Bodens

Und stehst und fällst mit deinem ganzen Können!

Nicht daß Ihr stürzet, ist das Schrecklichste –

Daß, wenn Ihr stürzt, Ihr hinsinkt in der Blüte

Der unbesiegten, ungebrauchten Kraft, –

Das ist es, was ein Held am schwersten trägt.

FRANZ der währenddessen mit immer heftiger arbeitendem Gemüte auf und ab gegangen, plötzlich stillstehend.

So hältst du wirklich für verloren mich?

BALTHASAR.

Herr – tät' ich das – nie spräch' ich so mit Euch

Und drückte nutzlos Euch des Vorwurfs Stachel

In Eure große Seele! – Nein – noch ist

Verloren nichts, was nicht durch kühnen Zug

Noch doppelt wieder zu gewinnen wär'.

Wie, Herr! Ist dieses Mauseloch

Der Grenzumfang von des Franziskus Macht?

– In Euch liegt Eure Macht, in Eurem Namen,

In dem Vertraun, das in des Volkes Herzen

In warmer Neigung Euch entgegenschlägt.

Es scheiden nur die Mauern dieser Burg

Von Eurer Kraft, von der Nation Euch ab.

Schwer trägt das Land des schlechten weltlichen[148]

Regimentes Druck, der Kirche Tyrannei,

Versucht vielleicht in nicht gar langer Zeit

Selbst ohne Euch des Jochs Zertrümmerung.


Indem er Franz vertraulich naher tritt, mit leiserer Stimme.


Herr, als im Elsaß und im Oberlande

Ich für Euch warb, hab ich seltsamer Dinge

Gar viel erfahren, manches ausgespäht. –

Im Landvolk gärt's! Es spinnt sich was. Weit geht's

Durch alle Gau'n. Wie unter leichter Decke

Verderbenschwangern Schoß Vulkane bergen,

Glimmt ein verzehrend Feuer mächtig fort.


Mit Wärme.


Sprecht aus das rechte Wort, und hell empor

Schlagen die Flammen, die verborgen züngeln.

Das Landvolk ruft – und hunderttausend Bauern

Erheben sich zu einem Heere Euch!

– Sprecht aus das Wort und gebt, indem Ihr's sprecht,

Deutschland zum Heer Euch, Euch dem Land zum Führer!

FRANZ in großer Bewegung, den Arm emporhebend.

Ich will's – – das heißt –


Den Arm sinken lassend.


Ich wollt' es! – Balthasar,

Du sprichst im Traum! Vergißt du, daß ein Heer

Mich hier in dieser Burg gefangenhält?

BALTHASAR mit einem forschenden Blick auf Franz.

Es gilt demnach, ein Mittel auszufinden,

Das freien Abzug Euch verschaffte, Herr!

Wie – wenn Ihr ihn durch Übergab' erkauftet?

FRANZ.

Wie? Übergabe! – – Und wenn ich's selbst wollte,

Kannst du dran denken, daß sie will'gen würden

In solchen Pakt? Du weißt, des Krieges Recht

Fordert nach unvordenklichem Gebrauch,

Daß man vor der Belagrung einer Burg

Die Übergabe fordert, freien Abzug

Der Mannschaft drin gewährend, falls sie willig

Und eh' ein Schuß getan die Feste gibt.

BALTHASAR.

Ich weiß.

FRANZ.

Und weißt auch, daß, als sie mich überzogen,

Obschon sie's dreist gekonnt ohn' alle Furcht

Der Annahme und dies auch selber wußten,

Sie keine Auffordrung an mich erließen.

So taten sie, als diese Burg noch fest,[149]

Als ich sie oftmals noch durch Ausfälle

Zurückeschlug, die Schanzen ihnen brach

Und Hoffnung auf Entsatz mit jedem Tage

Des Spieles Wandlung mir versprach. Und jetzt,

Jetzt, wo ich eingeschlossen bin, die Feste

Schon halb zerstört – jetzt sollten sie's gewähren?

O niemals tun sie das! Es handelt sich

Für sie um mich, und nicht um diese Burg.

BALTHASAR.

So meinte ich's auch nicht. Gebt acht! Trefflich

Befestigt und gar wohl bemannet trotzen

Die andern Eurer Burgen noch dem Feind.

Der Drachenfels, die Hohenburg, vor allem

Schreckt ihn die Ebernburg. Mit Furcht nur wird

Er nahen ihr. Selbst wenn Ihr fern, kann er

Nach langer fährlicher Belagrung nur

Sie zwingen, wenn er wirklich sie bezwingt.

Zudem – noch weiß er nicht, wie sehr wir hier

Bedroht schon sind, sonst freilich lehnt' er wohl

Den Vorschlag ab. Doch da es also steht –

Wie wär's, wenn Ihr zu eignem Nachteil ihn

Bestechen könntet? Durch die Übergabe

Der Burgen all Euch freien Abzug kauftet?

FRANZ auffahrend.

Du rasest, Balthasar! Die Ebernburg, –

Dies Bollwerk meiner Macht – – ich sollte –

BALTHASAR mit Würde.

Da draußen harret Euer die Nation.

FRANZ in heftiger Gemütsbewegung mit dem Fuß aufstampfend und mit schmerzlichem Ausdruck.

Wo sind sie nun! Wo sind sie alle jetzt,

Der Aremberg, der Horn, der Fürstenberg,

Die Schweizer, die von Straßburg, die von Landau,

Wo sind sie alle, die mir einst so viel,

So viel versprachen und – so wenig hielten!


Er birgt sein Haupt in den Händen.


BALTHASAR bewegt.

Und kamen sie, sie kämen doch zu spät! –

Herr! Grämt Euch also nicht. Mit leichtrem Kampf,

Als jetzt Ihr kämpft erringt Ihr wieder das

Verlorene! – Was macht es dem wohl aus,

Der eine Welt erobern will, von sich[150]

Zu werfen ein'ge Hufen Lands! – Doch, Herr,

Bedenket, daß vor allem Eile Not.

Lehrt sie ein Unfall kennen unsern ganzen Drang,

Nie tun sie's!

FRANZ nach einer Pause des heftigsten innersten Kampfes mit der gewaltsamsten Anstrengung.

Ruf mir den Herold her!


Balthasar ab und bald darauf mit dem Herold zurück.


FRANZ.

Herold! Zum Feinde send ich dich. Und diesen

Vorwurf heiß ich ins Antlitz dich ihm schleudern:

Verletzt hat er das Recht des Kriegs in mir,

Hat nicht gefordert diese Burg. – Ich fordre jetzt

Mein Recht, das unerfüllte, stelle ihm

Für freien Abzug alles Lebenden

Die Burg anheim.


Herold verneigt sich.


BALTHASAR.

Und ist dies alles, was

Ihr ihm zu sagen habt?

FRANZ.

O Balthasar –

Ich kann nicht – kann nicht weitergehn – kann nicht

Erbieten selbst, was nur mit Widerstreben,

Was ich errötend nur gewähren könnte.

Wenn sie's vorschlügen – möglich, ja, daß ich –

Doch selbst – nein, niemals, niemals, Balthasar!

BALTHASAR.

Herr, ich versteh Euch. Selber will ich mit

Dem Herold ziehn, den Feind ausholen, will

Ihm seine Zunge lenken, daß sie anlangt

Am vorbestimmten Ort und als Bedingung

Von uns verlangt, was wir gewähren wollen.

FRANZ ihn umarmend.

Auf deine Zunge leg ich meine Ehre!

BALTHASAR.

Vertraut auf mich


Will gehen.

Sie umarmen sich nochmals und gehen, Balthasar mit dem Herold nach der einen, Franz zur andern Seite ab.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 145-151.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon