Fünfte Szene.


[244] Laura. Hauptmann.


LAURA träumerisch für sich. Ich tauge nicht mehr zu solchen Dingen, ich bin ungeschickt geworden – Geht rechts an den Sessel.

HAUPTMANN mit dem Manuskript in der Hand. Fräulein Laura tun uns Hofleuten unrecht, wenn Sie uns das Herz absprechen und uns überall Absichtlichkeit zuschreiben, wie Sie eben äußerten – Sie tun uns wirklich unrecht!

LAURA. Das freut mich, und ich will es Euch sehr gern abbitten. Wenn alle Menschen gut sind, so ist ja der höchste Wunsch eines liebenden Herzens erfüllt!

HAUPTMANN näher tretend. Eines liebenden Herzens!?

LAURA. Ich hatte Euch um meinen Mantel gebeten.

HAUPTMANN. Und ich hatte gebeten, mir ihn zum wohltuenden Andenken zu lassen; er hat Ihre schöne Gestalt umschlossen, als Sie eine Heldentat ausübten für einen armen Poeten, er würde mir eine aufmunternde Erinnerung sein für mein ganzes Leben.

LAURA. Wirklich? Sie sind kein Feind des armen Poeten?

HAUPTMANN. Ein Widersacher vielleicht in manchem Punkte, ein Feind, o nein!

LAURA. Ich glaub' es. Vielleicht überlasse ich Euch den Mantel. Ist er in der Nähe?

HAUPTMANN. Jawohl – Hinaufzeigend. in meinem Dienstzimmer neben dem Theater.

LAURA hinaufzeigend. Bitte! – Ich hab' noch was vor mit dem Mantel.

HAUPTMANN. Ich fliege – gnädigstes Fräulein! Oben in die Mitteltüre ab.

LAURA. Ja, die Menschen sind alle gut. Mama hat unrecht, und der Onkel hat recht, wenn er sagt, ich sollte dem Hauptmann ruhig vertrauen. – Wie wunderlich! Mir ist's, als ob ich im Traum wandelte. Mama sagt: weil ich nicht geschlafen habe. O nein, ich bin gar nicht lustig, eigentlich traurig und doch auch nicht traurig, gar nicht traurig, denn es ist mir, als werde jeden Augenblick etwas Schönes und Glückliches geschehen – was wird es sein?[245]

HAUPTMANN mit dem Mantel zurückkommend, oben für sich. Welch eine glückliche Veränderung mit dem ausgelassenen Mädchen vorgegangen ist, Herabsteigend. – ich bedarf nicht mehr eines Befehls vom Herzoge, um sie zu gewinnen; Laut. gnädiges Fräulein, wie Sie befohlen haben –

LAURA. Ah, – ich danke Euch! Sie nimmt den Mantel, fühlt nach den Büchern und geht unten nach der Mitteltüre zu.

HAUPTMANN. Gnädiges Fräulein –!

LAURA. Herr Hauptmann –?

HAUPTMANN. Sie sind grausam, Sie lassen mich einen Dank und eine Erklärung hoffen und verlassen mich –

LAURA. Hab' ich nicht gedankt? Verzeihen Sie!

HAUPTMANN. O, Sie spotten meiner!

LAURA. Wirklich nicht! – Was für eine Erklärung meinen Sie –?

HAUPTMANN für sich. Bin ich gefoppt? – Ich sehe, es ist etwas in dem Mantel verborgen, und bloß deshalb ist meine Gutmütigkeit in Anspruch genommen worden, und nun werd' ich ausgelacht!

LAURA. O nicht doch, nicht doch, liebster Hauptmann, Zurückkommend. wie können Sie mir so etwas zutrauen?! Nein, Sie sollen nicht so von mir denken, mich ja nicht für undankbar halten. Es sind zwei Bücher in dem Mantel, die nicht mir gehören, und die ich zurückgeben muß.

HAUPTMANN. Bücher?! – Für sich. Tor, der ich war! Laut. Ei, Bücher, wer so was glaubt!

LAURA. Ich lüge nicht, lieber Hauptmann – da sehn Sie. Sie zeigt ihm die Tasche.

HAUPTMANN für sich. Gewiß die vermißten! Laut. Wohl äußerst gefährliche, daß sie so versteckt werden müssen –?

LAURA. Jawohl.

HAUPTMANN. Liebenswürdiges Fräulein, wissen Sie wohl, daß die Frauen immer das größte Unglück anrichten, wenn sie sich in Politik mischen?

LAURA. Das weiß ich nicht, aber ich glaub's gern.

HAUPTMANN. Wissen Sie, daß ich die Bücher kenne.

LAURA. Ah?[246]

HAUPTMANN. Wissen Sie, daß sie nur gefährlich sind, weil sie versteckt werden.

LAURA. Meinen Sie? – Man sucht sie aber!

HAUPTMANN. Weil sie versteckt werden. Lägen sie offen da, so ginge der Herzog daran vorüber. Und denken Sie, daß sie lange versteckt bleiben können?

LAURA. Das weiß ich nicht.

HAUPTMANN. Wir wissen aber das alles, und der Herzog wartet nur auf Offenherzigkeit, auf weiter nichts, dann ist die Sache vorbei.

LAURA. Auf Offenherzigkeit –?

HAUPTMANN. Hören Sie mich an, und entscheiden Sie dann selbst mit Ihrem guten Verstande: Diese Bücher da sind gestern abend durch Ihre eignen küssenswerten Hände, durch Ihre, Fräulein Laura, im Examiniersaale weggenommen worden –

LAURA. Das wissen Sie?

HAUPTMANN für sich. Also richtig! Laut. Und es weiß es der Herzog und wartet auf Ihr Geständnis. Eins von diesen Büchern ist ein Schauspiel, in welchem Spitzbuben spielen.

LAURA. Die Räuber!

HAUPTMANN für sich. Die Räuber also – Laut. Glauben Sie wirklich, daß ein gedrucktes Buch nicht auszufinden wäre? Im Handumdrehen. Noch mehr. Wahrscheinlich heute schon im Laufe des Tages bringt mir ein Kurier dieses Buch von Mannheim, wohin es der unvorsichtige Schiller zur Aufführung gesendet. Dort ist er vor kurzem selbst gewesen ohne Urlaub zu einer Generalprobe, und all diese Heimlichkeit nur ist es, welche den Herzog gegen ihn erbittert. Daß er das Theater seines gnädigen Herrn übergeht, daß er ein exzentrisches Stück ins Ausland sendet und hier ein beleidigendes Versteckensspiel damit treibt vor seinem Herrn und Wohltäter, das allein gefährdet ihn!

LAURA. Mein Gott, wie ist da zu helfen?!

HAUPTMANN. Deshalb hab' ich mir unter der Hand soviel Mühe gegeben, ein Exemplar aufzutreiben, damit man es in seinem Namen, in Schillers Namen dem Herzog einreiche –

LAURA. Und das würde gut sein?

HAUPTMANN. Das ist der einzige Weg, auf welchem ihm genützt werden kann.[247]

LAURA. Aber wenn das Stück nun so schlimme Dinge enthält und dem Onkel Herzog so mißfällt.

HAUPTMANN. Das ist ja Kleinigkeit neben den andern Übelständen. Da liest er ihm den Text und streicht zur Aufführung das Ärgste heraus, und belohnt ihn am Ende doch für die Arbeit. Wenn es aber mit all seinen schlimmen Dingen hinter dem Rücken des Herzogs dreist aufgeführt worden ist – und wie gesagt, davon kann ein Kurier heute die Nachricht bringen –, so ist der Herzog außer sich und schickt den Mann zum Schubart auf den Asperg hinauf!

LAURA. O mein Gott, was tun?!

HAUPTMANN. Offenherzig sein, das Buch sogleich dem Herzog überreichen – Sie zieht es heraus.

LAURA. Das wag' ich nicht –

HAUPTMANN. Ich denke, Sie meinen's gut mit dem Schiller –?

LAURA. Ja –

HAUPTMANN. Nun also –!

LAURA. Meinen Sie's nicht gut mit ihm?

HAUPTMANN. Freilich. Was würd' ich mich sonst um seine Schreibereien ereifern.

LAURA. So überreichen Sie's dem Herzog – Gibt's ihm – und zieht es zurück. Ich bin ganz verwirrt –!

HAUPTMANN. Aber in Ihrem Namen!

LAURA. Warum das?

HAUPTMANN. Weil er's von Ihnen erwartet – weil Sie dann sein Vertrauen rechtfertigen – weil ich dann sagen kann, Schiller sendet es durch Sie, was den besten Effekt machen wird –

LAURA. Richtig – da nehmen Sie's und machen Sie's gut, ja? Sie wendet sich zum Gehn.

HAUPTMANN für sich. Endlich – Laut. und das andere – Fräulein!?

LAURA. O, das ist was andres! – Ich muß nun wohl in die Garderobe! Der zweite Akt ist kurz – Geht – kehrt um. Wenn wir nur auch wirklich was Gutes tun für den armen Dichter; er hat soviel Unglück!

HAUPTMANN. Das find' ich nicht!

LAURA. Nein? Um so besser! Adieu! Hinauf links.


Kurze Pause.[248]


HAUPTMANN ihr nachsehend. Soweit schon ist der Roturier! – Fanfare links. Was ist das? Der Hof bricht auf? Da ist was vorgefallen –!


Man hört unter wiederholter Fanfare des Herzogs Stimme.


»Ich sage nein! – Widersprecht mir nicht!«

HAUPTMANN. Der Herzog in vollem Schelten – aus der Schußlinie, bis ich das Ziel kenne! Will unten in die Mitteltür hinein.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 244-249.
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