Dritte Szene.


[86] Katharina. Die Vorigen. Bald darauf Schladritz – zuletzt Cato.


KATHARINA vorsichtig rückwärts nach dem Saal hinausblickend tritt ein, kommt dann auf den Zehen bis zu Gottsched und sagt zu ihm leise. Es hat geklingelt!

GELLERT leise. Das haben wir gehört!

GOTTSCHED ebenso. Wer mag es sein?

KATHARINA alle drei der Reihe nach ansehend. Ich weiß es nicht!

GOTTSCHED nach der Tür sehend, die sich öffnet, zu Katharina. Still! Er winkt ihr, daß sie links von ihm zurücktritt.

SCHLADRITZ schließt vorsichtig die Tür und kommt vorsichtig vor.

GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED UND GELLERT leise. Nun?

SCHLADRITZ. Es hat geklingelt!

GOTTSCHED. Mensch, das wissen wir ohne Ihn! Immer halblaut. Weiß Er, wer's sein kann?[86]

SCHLADRITZ erst alle ansehend, dann leise. Ja!

GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED UND GELLERT. Nun?

GOTTSCHED. Wer?

SCHLADRITZ. – Eine Mannsperson!

GOTTSCHED. Warum?

SCHLADRITZ. Die klingelnde Person hat einen Stock, mit dem hat sie – Laut. aufgestoßen!

GOTTSCHED. Still! Es klingelt wieder. Alle fahren zusammen. – – Die Person ist ungeduldig, es ist also eine Person von Wichtigkeit – was tun?

GELLERT etwas lauter. Ja, jetzt ist nichts zu tun. Sie haben einmal dies unpraktische System des Nichtzuhauseseins angenommen, nun müssen wir's auch konsequent durchführen.

GOTTSCHED leise zu Schladritz. Weiß Er keine Ritze, oder kein Loch in der Türe?

SCHLADRITZ. O ja – das Schlüsselloch!

GOTTSCHED. Ach! – oder sonst ein stilles Mittel, um zu erspähen, wer es sei.

SCHLADRITZ leise. Über der Saaltür ist ein Fenster; wenn ich einen Schemel leise hinbringen und hinuntersehen könnte –

GOTTSCHED. Versuch Er das, aber mit äußerster Vorsicht – Schladritz geht. hört Er!

SCHLADRITZ. Ja doch, ich ziehe die Schuhe aus. Ab.

GELLERT zu Gottsched. Aber Verehrtester –

GOTTSCHED. Es könnte ja eine Botschaft sein vom Rektor Magnifikus, oder von einem unsrer Freunde, kurz, es könnte ja Rat und Hilfe für uns sein!

FRAU GOTTSCHED alle bleiben auf ihren Seitenplätzen. Und der Graf ist fortwährend unbekümmert bei den Damen, während hier sein Kopf auf dem Spiele stehen kann.

GELLERT. Was könnt' er hier nützen!


Erneutes Klingeln.


CATO tritt vorsichtig ein; etwas lauter als die Übrigen. Dieser Schladritz setzt ja alles aufs Spiel; er tappt mit einem Schemel dergestalt umher, daß man notwendig draußen hören muß, es sei jemand zu Hause!

[87] FRAU GOTTSCHED zu Gottsched. Da siehst du's!

GELLERT zu Gottsched. Sehen Sie!

GOTTSCHED. Es geht ja nicht anders! – der Tölpel!

GELLERT. Da ist er!

SCHLADRITZ auf den Zehen und nur mit einem Stiefel kommend, zur Stille winkend und bis in die Mitte vorkommend. Alle treten einen Schritt näher und bilden einen Halbkreis.

GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED, GELLERT, CATO UND KATHARINA. Nun?

GOTTSCHED. Was hat Er gesehn?

SCHLADRITZ. Einen Hut!

GOTTSCHED. Weiter nichts?

SCHLADRITZ. Noch mehr!

GOTTSCHED. Was?

SCHLADRITZ. Einen grünen Federbusch auf dem Hute! –

GOTTSCHED. Weiter!

SCHLADRITZ. Ja weiter kann man nicht – Lauter. ich kann doch nicht um die Ecke sehen! Der Mensch steht ganz nahe an der Tür; oben wird er alle, und unten verdunkelt er das ganze Schlüsselloch!


Allgemeines Zeichen der Enttäuschung.


SCHLADRITZ. Aber Erneute Aufmerksamkeit. ich hab' ihn gehört!

ALLE. Nun?

GOTTSCHED. Was sprach er?

SCHLADRITZ. Er spricht deutsch!

ALLE verächtlich. Ach!

GOTTSCHED. Hausnarr!

SCHLADRITZ. Nicht bloß deutsch, er spricht wie ein Landeskind; denn er sagte vor sich hin: Herr Jees, ob die Leite nich ufmachen wern?!


Kurze Pause.


CATO laut. Ich erkenne ihn, den müssen wir sprechen! Ab.

GOTTSCHED. Mensch!

FRAU GOTTSCHED. Cato!

GELLERT. Leichtsinniger!

SCHLADRITZ laut. Da haben wir's, da hebt der Nichtsnutz die ganze Belagerung auf, die uns so viel Mühe gekostet![88]

GOTTSCHED. Still!


Man hört die Stimmen; alle horchen.


KATHARINA. Mein Vetter Siegmund ist das nicht!

GOTTSCHED. Still!

CATO tritt ein, ganz laut. Herr Professor!

ALLE. Nun?

GOTTSCHED. Wer ist's?

CATO kommt in der Mitte nach vorn, neben ihm Gottsched.

GOTTSCHED dringend. Wer ist's?

CATO. Es ist der Ratsdiener, welcher mich heute morgen beim Herrn Bürgermeister eingeführt hat. Der Herr Bürgermeister schickt ihn an den Herrn Dekan mit folgendem Auftrage: Die Protestation sei dem General Seydlitz übergeben worden und habe diesen so in Zorn gesetzt, daß man das Schlimmste befürchte. Die ganze Stadt könne darunter leiden. Der Herr Bürgermeister lasse also den Herrn Senior Gottsched bitten, sich doch unverzüglich zu ihm aufs Rathaus zu bemühen, damit man Rücksprache nehmen könne, wie das Unwetter vielleicht noch einigermaßen zu beschwichtigen sei. Der Herr Senior möchten doch ferner – den Herrn Grafen Bolza sogleich mitbringen.

GOTTSCHED. Man weiß es!?

FRAU GOTTSCHED. O mein Gott!

GELLERT. Das ist sehr schlimm!

CATO. General Seydlitz habe bereits zuverlässig Kunde, daß sich der Graf hier im Hause befinde!

GOTTSCHED Schladritz an der Brust fassend. Verräterischer Diener!

SCHLADRITZ. Soll mich Gott strafen, Herr Professor, ich bin unschuldig wie ein neugeboren Kind, ich habe keinem Menschen was gesagt! –

KATHARINA. Ich auch nicht, Herr Professor, so wahr ich Katharina Schwebel heiße!

GOTTSCHED zu Cato. Dann ist Er selbst der Verräter!

CATO. Gewiß nicht, mein Herr! Das wird ganz anders zusammenhängen, und ich glaube es auch zu erraten.

GOTTSCHED. Wie denn?

GELLERT. Sprech Er!

CATO. Sie haben heute morgen einen Reitknecht expediert, nicht wahr? Zeichen des starren Schreckens bei Gottsched und Frau. Kurze Pause.[89] Dieser hat vielleicht den Grafen Bolza hier gesehn, wohl auch gesprochen –? Nun, der Reitknecht ist wahrscheinlich den hereinrückenden Seydlitzern begegnet, und von ihm werden sie wohl das Nötige er fahren haben.

GOTTSCHED stöhnend. Frau!

FRAU GOTTSCHED in Bestürzung. Gottsched!

CATO. Dies zur Erklärung. Nun weiter im Auftrage. Sie möchten sich – ich spreche zu Ihnen, Herr Professor! – Sie möchten sich ja beeilen, mit dem Grafen aufs Rathaus zu kommen, damit jeder Schein von Widersetzlichkeit verschwände und dadurch jeder Gewaltsamkeit vorgebeugt werde; denn der General habe schon Order gegeben, Kürassiere in dies Haus zu schicken, und diese würden schwerlich noch lange auf sich warten lassen.


Pause.


GOTTSCHED. Ich bin ein verlorener Mann!

FRAU GOTTSCHED. Was willst du tun, Gottsched?

GOTTSCHED. Weiß ich das? Was ist da zu tun? Wir sind gefangen, wir sind verloren!

SCHLADRITZ. Wenn wir was nützen könnten, lieber Herr Professor –

KATHARINA. Wir gehen durch's Feuer für Sie, Frau Professern –

GOTTSCHED. Ach was könnt Ihr! Zu Gellert. Kollege, was raten Sie? Was kann ich tun, als den Grafen bei der Hand nehmen und hinüberführen.

FRAU GOTTSCHED. Um Gottes willen!

GELLERT. Den Gastfreund ausliefern, Herr Kollege!

GOTTSCHED. Und auch dabei lauf' ich noch die größte Gefahr; denn wenn ich ihn aufs Rathaus zum Bürgermeister bringe, so gerate ich mitten unter die Soldateska, die dort ihr Hauptquartier aufzuschlagen pflegt, und werde vielleicht zum Hohn der Akademie festgehalten und mißhandelt!

GELLERT. Und haben das Gastrecht verraten!

FRAU GOTTSCHED. Die versprochene Treue gebrochen!

GOTTSCHED. Laßt mich in Ruh' mit Deklamation! Was wäre denn außerdem noch übrig als – Flucht?! Und wie und wohin flüchten? Die ganze Stadt ist besetzt, die Tore sind besetzt, und 's ist noch heller Tag!

CATO. Und doch müssen Sie sich entschließen, Herr! In jeder[90] Minute können die Kürassiere kommen. – Noch eins! Er geht zum Schreibtische und schreibt. Der Ratsdiener verlangt für den Herrn Bürgermeister eine schriftliche Bescheinigung, daß er seinen Auftrag vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet.

GOTTSCHED. Ach was! Er soll zum Teufel gehn!

CATO aufstehend und ihm die Feder präsentierend. Es betrifft diejenige Behörde, Herr Professor, welche Sie schützt. Es ist nur Ihr Name zu unterschreiben – Gottsched schickt sich dazu an und tut es stehend. ich habe die Bescheinigung rasch auf gesetzt.

FRAU GOTTSCHED. Gottsched!

GELLERT. Was beschließen Sie?

GOTTSCHED. Was kann ich beschließen?! Ihr widersprecht mir ja in allem, Ihr hindert mich ja in allem, und man ist ja hier wie in einer Dorfschule! – Hinaus mit den Leuten! Reicht Schladritz den Zettel. Gellert, Frau, folgt mir in mein Zimmer, wir müssen uns doch zu etwas vereinigen. Schladritz hat das Hinreichen des Zettels nicht gesehn. Heda, Schladritz, pass' Er doch auf, jetzt brauch' ich ja jedermann!

SCHLADRITZ erschrocken und beflissen. Herr Jeses, Sie haben ja –

GOTTSCHED ohne sich zu unterbrechen. An den Ratsdiener! Und – wart' Er doch! – Ihn vorführend, etwas leiser. und geh' Er nachsehn, ob hinten die kleine Saaltür, versteht Er, die in den Bäckerhof und ins Vorderhaus hinüber führt –

SCHLADRITZ. Ja ja, zum Bäcker vorn auf die Grimmsche Gasse 'nüber –

GOTTSCHED immer etwas leise. Jawohl, ob diese selten gebrauchte Tür praktikabel ist.

SCHLADRITZ. Ne, wir haben unser ganzes Gerümpel vorgestellt von alten Tischen, Fässern und Kannen, und –

GOTTSCHED. Das räum' Er weg! Wir müssen unser Absehn auf diesen Ausgang richten, wir können ihn nötig brauchen –

SCHLADRITZ. Das nutzt nichts; die Tür ist auch vom Bäcker aus verriegelt.

GOTTSCHED. Auch das noch! Warum wohn' ich auch nicht mehr auf dem Sperlingsberge! – So mach' Er doch schnell!

SCHLADRITZ. Herr Jeses ja doch, ja doch! Ab.

GOTTSCHED zu Gellert und Frau. So kommt doch, kommt, es ist ja die höchste Zeit! Ab in sein Zimmer.[91]

FRAU GOTTSCHED ihm folgend, zu Gellert. Was wird daraus, der hat den Kopf verloren!

GELLERT mit ihr abgehend. Gelassenheit, Gelassenheit, liebe Frau!


Beide links ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 86-92.
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