[158] Der König Schach spielend mit Guldberg. Ranzau. Struensee.
STRUENSEE fortwährend alles halblaut. Wenn's Euch also genehm ist, Herr Graf, beurlauben wir uns bei Seiner Majestät.
RANZAU. Ich habe den König noch nicht gesprochen, und was ich Euch zu sagen habe, kann hier erledigt werden. Er geht in den Vordergrund rechts.
STRUENSEE ihm folgend. Ich bin ganz Ohr.
RANZAU. Ihr steht am Abgrunde, Struensee.
STRUENSEE. Neben Euch, Herr Graf?
RANZAU. Wohl, ich will diese leichtsinnige Wendung ernsthaft nehmen, ich will neben Euch stehen, wenn Ihr auf mich hören wollt.
STRUENSEE. Ich höre.[158]
RANZAU. Struensee! Als ich Kopenhagen verließ, war das Reich in hoffnungsvoller Einigkeit, und es war ein Streben fortschreitender Verbesserung im Gange, dem jedermann mit Vertrauen entgegenkam –
STRUENSEE. Weil jedermann einen Fortschritt, eine Beförderung für seine Person dabei erwartete!
RANZAU. Man segnete mich, daß ich dem Leibarzte des Königs, einem ungewöhnlich begabten Manne, die Hand geboten, daß ich Struensee zum ersten Minister empfohlen hatte – seit gestern abend bin ich zurück, und aus allen Ständen bereits haben mich die Unzufriedenen bestürmt mit Klagen und Vorwürfen.
STRUENSEE. Gibt es eine Regierung, die nicht von Unzufriedenen und Klagenden bestürmt würde?
RANZAU. Nein, es allen recht zu machen, ist über menschliches Vermögen.
STRUENSEE. Gelingt es doch dem Schöpfer der Welt nicht, es allen recht zu machen: der eine will Sonnenschein, wenn der andre Regen will, und der Tag bringt weder Sonnenschein noch Regen, und der eine wie der andre ist unzufrieden.
RANZAU. Ihr habt aber das Unglaubliche bewerkstelligt, Struensee, Ihr habt es keinem recht gemacht, und jedermann ist mit Eurer Regierung unzufrieden, Ihr habt gar keine Partei, Ihr steht allein.
STRUENSEE. Kann ein aufgeklärter Staatsmann mir zum Vorwurf sagen, ich habe keine Partei? Ist eine Partei vereinbar mit unparteiischer Gerechtigkeit? Nein, ich habe keine Partei, denn ich will gerecht sein ohne Ansehn des Standes und der Person.
RANZAU. Lieber Freund, das ist ein idealischer Standpunkt für den Schriftsteller; Ihr seid aber nicht mehr Schriftsteller, Ihr bedürft der Zustimmung des Landes, wenn Ihr wirken, wenn Ihr bestehen wollt. Ist es tugendhaft, daß Ihr alles, was Ihr besitzt, den Armen gebt?
STRUENSEE. Ja.
RANZAU. Nein. Ihr macht Euch dann selbst arm und vernichtet Euch. Wer da wirken will in der Welt, muß zuerst sein eignes Bestehen sichern. Höret auf mich, Struensee, noch ist es vielleicht Zeit. Ihr habt den Adel zurückgesetzt und den Bürgerstand gegen ihn begünstigt. Ich finde es ehrenwert, daß Ihr Eures[159] Herkommens eingedenk geblieben seid, aber ich warne Euch vor Übertreibung! Ihr seht jetzt, daß dieser Bürgerstand Euch mit Undank lohnt, und daß er sich gegen Euch zusammenrottet –
STRUENSEE. Weil ich ihm schlechte Gewohnheiten verbieten mußte, um ihn für Höheres würdig zu machen!
RANZAU. Wohl, ich will Eure Absicht nicht tadeln, aber ich will Eure Handlungsweise mildern. Ihr mochtet recht haben, strengere Zucht unter den Matrosen einzuführen, aber Ihr tatet es zu harsch, und der Aufstand, welcher nach Hirschholm kam, war die Folge davon. Ihr mochtet recht haben, Änderungen im Militär vorzunehmen, aber Ihr ändertet zu rücksichtslos, und der Soldatenaufstand in Kopenhagen war die Folge davon. Jeder Aufstand ist ein Zeugnis, daß die Regierung Fehler begangen hat, wenn auch der Aufstand gegen die beste Absicht der Regierung gerichtet ist, und wenn er auch zweifelloses Unrecht bleibt. Die Kunst der Regierung ist die Kunst zu handeln. In Eurem jetzigen Gange macht Ihr Euch diese Kunst unmöglich. Die gebornen Verteidiger des Bestehenden, den Adel, habt Ihr dem Königshause entfremdet, habt Ihr beleidigt, der Adel verläßt Euch, wenn der Sturm losbricht. Mit der Versöhnung des Adels also müßt Ihr anfangen, wenn Ihr den verlorenen Halt wiedergewinnen wollt, und ich beschwöre Euch, meinen Rat dafür anzunehmen und zu befolgen.
STRUENSEE. Und was ratet Ihr?
RANZAU. Ich mute Euch nicht auffallende Schritte zu; mit kleinen, unscheinbaren Zugeständnissen mögt Ihr einlenken – die beleidigende Zurücksetzung gegen die Königin-Witwe und deren Sohn auf Fredensburg müsset Ihr einstellen!
STRUENSEE. Und doch hält sie in ihrem Schlosse Fredensburg das Heerlager meiner Feinde.
RANZAU. Gebt Ihr der Dame nicht Veranlassung genug? War es anständig, ich kann nicht bloß sagen war es klug, die Königin-Witwe und deren Sohn aus der Theaterloge zu verweisen und den leichtsinnigen Grafen Brandt hineinzuführen zum Spott des königlichen Hauses? O, Struensee, mit Höflichkeit unpolitisch handeln, das ist ein verzeihlicher Fehler! Aber mit Unhöflichkeit unpolitisch handeln, das ist unverzeihlich!
STRUENSEE lachend. Darin mögt Ihr recht haben. – Brandt hat die Schuld daran.[160]
RANZAU. Und Brandt ist Euer böser Genius! – Ihr habt ferner den Staatsrat aufgehoben, und die Edelsten des Landes, Männer wie Thott, Moltke, Reventlow, Rosencrantz mit einer verächtlichen Handbewegung vom Throne entfernt!
STRUENSEE. Weil sie mit aristokratischen Interessen den Thron beschränken wollten!
RANZAU. Wollt Ihr denn Despotismus? Oder ist es weniger Despotismus, weil Ihr ihn mit bürgerlichen Ideen auspolstert? Aber wir sprechen nicht von wissenschaftlicher Politik, wir sprechen von persönlichen Zugeständnissen. Diese Edelleute müßt Ihr wieder ins Schloß ziehen!
STRUENSEE. Das könnte ich nur, wenn ich sie wider mächtig machte, und das darf ich nicht.
RANZAU. Warum dürft Ihr nicht?
STRUENSEE. Weil meine Grundsätze es verbieten.
RANZAU. Als ob Grundsätze die Höflichkeit ausschlössen! Ich verlange ja nicht, daß Ihr den Staatsrat wieder errichten sollt!
STRUENSEE. Ohne diese Wiedererrichtung kommen jene Herren nicht in die Christiansburg.
RANZAU. Nicht doch! Jeder Mißvergnügte greift nach einem Strohhalme, der wie Hoffnung aussieht. Zeigt an unbedeutender Beförderung zweier oder dreier Edelleute, daß Ihr Eurem Vorurteile gegen den Adel entsagen wollt, und alle die mißvergnügten Edelleute hoffen wieder und nähern sich. Da ist gleich eine unverfängliche Gelegenheit: mein Vetter Obrist von Köller hat mich um Fürsprache bei Euch gebeten. Er will zum General befördert sein.
STRUENSEE. Er hat kein Talent zum Generale.
RANZAU. Warum nicht?
STRUENSEE. Er ist ohne Kenntnisse und er ist roh; Köller hat alle schreienden Adelsfehler und nicht einen Adelsvorzug.
RANZAU. So? Ist er nicht tapfer?
STRUENSEE. Die Gemeinen der aufgelösten dänischen Garde waren alle tapfer und deshalb doch nicht von Adel. Nein, Herr Graf, mit Köller kann ich nicht beginnen. Obenein fehlen ihm auch die Geldmittel zu einer Generalsstelle. Ihr wißt, daß ich die Besoldungen herabgesetzt habe, und doch macht eine Generalsstelle in Kopenhagen Aufwand nötig.
RANZAU. Demnach begünstigt Ihr die Reichen –[161]
STRUENSEE. Der Himmel bewahre mich! Ich würde gern eine Geldzulage für diese Stelle bewilligen, wenn ein verdienstvoller unbemittelter Mann damit zu bekleiden wäre, aber Obrist von Köller hat weder durch Vermögen noch durch Verdienst Anspruch darauf.
RANZAU. Wenn er nun aber zu Vermögen käme, und zwar durch die Stelle selbst zu Vermögen käme?
STRUENSEE. Wie das?
RANZAU. Wenn er eine reiche Frau dadurch gewänne?
STRUENSEE. Ah, Gräfin Gallen –?
RANZAU. Zum Beispiele.
STRUENSEE. Sie liebt ihn nicht.
RANZAU. Wißt Ihr das so genau?
STRUENSEE. Ja.
RANZAU. Ei! Darüber sind sonst nur Liebhaber genau unterrichtet, und ich wüßte nicht, daß man Euch diese Liebschaft nachsagte –
STRUENSEE. Sondern?
RANZAU. Sondern?! Besteht Ihr darauf, daß man Euch eine andere nachsage?! Zum Hofmanne seid Ihr verdorben, Struensee. Lassen wir das. Wenn Gräfin Gallen von Köller heiratet, wird Oberst Köller dann General?
STRUENSEE laut. Nein.
RANZAU. Struensee!
STRUENSEE laut. Sie heiratet ihn nicht, und er wird nicht General!
Der König sieht auf.
RANZAU. Mäßigt Euch, Ihr stört den König.
KÖNIG. Struensee!
STRUENSEE zum Könige gehend. Eure Majestät wollen verzeihen, die Verhandlung über Staatsgeschäfte hat uns erhitzt.
KÖNIG sieht ihm eine Weile starr ins Gesicht, wendet sich dann wieder zum Schachspiele, zieht eine Figur und sagt. Gardez la reine!
GULDBERG. Richtig! Das führt aber sehr weit, und bringt: Schach dem Könige!
KÖNIGE. Oho!
STRUENSEE sich wieder zu Ranzau wendend und halblaut sprechend. Entschuldiget, Herr Graf, wenn ich mir die weitere Unterredung vorbehalte.[162]
RANZAU. Und Ihr beharrt auf Verweigerung meines Gesuchs?
STRUENSEE. Ich würde mich sehr freuen, wenn Graf Ranzau etwas anderes von mir verlangte.
RANZAU etwas lauter. Ich bestehe auf meinem Gesuche für Obrist Köller.
STRUENSEE ebenso. Ich bestehe auf meiner Weigerung.
RANZAU. Ihr stoßt die Hand von Euch, die Euch vielleicht zum letzten Male geboten wird?
STRUENSEE noch lauter. Es ist nicht die Hand meines würdigen Gönners Ranzau, die um Lohn für einen verdienstlosen Vetter, die um Nepotismus mir entgegengestreckt wird –
KÖNIGEN hat wieder aufgesehn.
GULDBERG. Graf Struensee stört seine Majestät den König!
Man hört starken Trommelwirbel.
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