[152] Graf Struensee. Köller. Die Vorigen.
KÖNIG ihm die Hand entgegenstreckend. Struensee!
KÖNIGIN gleichzeitig. Aber Graf Struensee!
STRUENSEE die Hand des Königs küssend und sich gegen die Königin verneigend. Ich bitte die Majestäten tausendmal um Vergebung! Die dringendste Notwendigkeit hielt mich zurück: Sendung auf Sendung aus der Stadt bestürmt mich seit Sonnenaufgang, ganz Kopenhagen ist in Bewegung, ist in törichter Bewegung. O die Menschen sind blödsichtige Geschöpfe, denn die Gewohnheit nur ist ihres Auges Stern! Helft ihnen auf ungewöhnlichem Wege, und sie empören sich gegen Euch wie gegen ihren Feind!
KÖNIG. Empören?
KÖNIGIN. Was ist?
GALLEN. Weh uns!
RANZAU einen Schritt zurücktretend. Was gibt's?
GULDBERG. Empörung!
STRUENSEE. Ja, Empörung bereitet sich gegen alle die humanen Maßregeln, welche des Königs Regierung in letzter Zeit angeordnet hat.
KÖNIGIN. Eine Wiederholung des Aufruhrs der Garden?
GULDBERG. Des Zugs der Matrosen nach Hirschholm?
STRUENSEE. Noch ist es nicht so weit, noch schleicht der angezettelte Aufruhr zusammenhangslos umher –
KÖNIG. Wer hat ihn angezettelt? Pause.
STRUENSEE. Befiehlt der König, daß ich das traurige Wort öffentlich ausspreche? Pause.
KÖNIGIN. Der König befiehlt es! Wer stiftet Aufruhr in Kopenhagen?
STRUENSEE. Der Adel Dänemarks!
RANZAU. Graf Struensee!
KÖLLER. Graf Struensee!
GULDBERG. Sagt nicht der Adel Dänemarks, sagt vielmehr: der deutsche Adel!
STRUENSEE. Klingt dies besser?
GULDBERG. Ja.
KÖNIGIN. Diesem Unwesen muß mit Energie ein Ende gemacht[153] werden ein für allemal – habt Ihr alle Vorkehrungen getroffen, Graf Struensee?
STRUENSEE. Sorgt nicht, königliche Frau! Seit ich das Zeughaus und die Christiansburg mit Kanonen bepflanzt habe, ist an eine Wiederholung der Szenen von Hirschholm nicht zu denken, und weil ich weiteres tun will, muß ich mir heut' das Glück der Jagdbegleitung versagen. Ich will lieber hinüber in die Stadt, ich will unter sie treten, ich will ihnen vorhalten, was ich für sie getan, ich will ihnen schildern, wer ihren Sinn und ihr Urteil verwirre, wer sie zu Undank und Ungebühr verleite!
GALLEN. Ihr setzt Euch aus, Graf Struensee!
KÖNIGIN. Ihr vergebt Eurem Ansehn! Wer unterhandelt, der bekennt sich als schwach oder schuldig! Die Gräfin Gallen geht nach dem Hintergrunde und winkt mit der Hand nach dem offenen Zimmer des Königs, es erscheint ein Diener, dem sie leise einen Auftrag zu geben scheint, und der sich nach zustimmender Verbeugung nach hinten entfernt.
STRUENSEE. Ja, ich bin schuldig! Ich habe die Menschen für gut und dankbar gehalten, das Volk für brav –
GULDBERG. Das dänische Volk ist brav!
STRUENSEE. Mag sein, aber gedankenlos ist es, so wahr die Sonne scheint! Gelöst hab' ich ihm eine Fessel nach der andern – o komm, Vetter Lorenz, reich mir deine Hand, daß die Erinnerung an deutsche Treue meinen gebeugten Sinn aufrichte! Nicht wahr, bei uns daheim ist der Undank ein Laster?
LORENZ. Das ist er überall, Friedrich!
STRUENSEE. Erlauben Sie, Majestäten, darf ich Ihnen meinen Jugendlehrer vorstellen.
RANZAU für sich. Wie unschicklich!
STRUENSEE ohne sich zu unterbrechen. Den bravsten Mann meiner Heimat, der den Sinn für Gerechtigkeit in mein Herz gepflanzt hat. Seine Ankunft ist mir ein Zeichen meines alten Glücks.
LORENZ für sich. Weh uns!
STRUENSEE ohne sich zu unterbrechen. Er wird mir Kunde bringen von meiner Mutter, an deren Leben das meinige geknüpft ist wie das Licht an die Sonne.
LORENZ für sich. Allmächtiger Gott!
STRUENSEE ohne sich zu unterbrechen. Und so strömt schon die Berührung seiner Hand neue Kraft mir in Leib und Seele, wie[154] man vom Riesen Antäus erzählt, daß er unbesiegbar gewesen, sobald er nur mit einer Fußspitze den Erdboden berührt habe.
KÖNIG. Sind wir nicht im Januar?
GULDBERG. Es ist heute der 16. Januar.
KÖNIG. Der Januar ist mir gefährlich: meine Mutter gebar mich im Januar –
STRUENSEE. Aber gnädigster Herr!
KÖNIGIN. Welch ein Gedanke!
GALLEN. Entsetzlich!
RANZAU. Entsetzlich!
GULDBERG. Majestät!
KÖNIG. Und mein Vater starb, Guldberg, wann war's?
GULDBERG. Vor sechs Jahren am 14. Januar.
KÖNIG. Im Januar!2 Pause.
STRUENSEE. Der Aberglaube ist ein eigensinnig Spiel des Herzens mit dem Kopfe, gestatten wir dem Spiele nicht allzu große Macht. Nüchtern angesehn ist der Widerstand gegen unsre Regierung von keiner Gefahr, und die Kunst des Regierens gewinnt an Reiz, je mannigfaltiger sich die Opposition entwickelt!
GULDBERG. Wie in Polen!
KÖNIGIN. Das wäre ein traurig Vorbild!
GULDBERG. Die neuesten Vorfälle in jenem Lande bestätigen nur zu sehr die Ansicht Eurer Majestät.
KÖNIGIN. Welche Vorfälle, Graf Struensee?
STRUENSEE. Eure Majestät wissen, daß der russische Gesandte unsrer Regierung abgeneigt ist, und da Herrn Guldbergs Mitteilungen wohl aus dieser Quelle fließen, so hat er die Kunde voraus.
KÖNIG. Was ist, Guldberg?
GULDBERG. Der König von Polen ist des Abends in der zehnten Stunde vom Kanzler Czartoryski nach seinem Palaste unterwegs gewesen. Die Reitereskorte, welche den Wagen des Königs sonst zu umgeben pflegt, hat diesen Abend gefehlt, nur ein Adjutant und ein Page sind beim Könige gewesen, und nur zwei bewaffnete Heiducken und zwei Pagen mit Fackeln haben hintenauf gestanden. Die Fackeln haben einem harrenden Haufen Konföderierter zum[155] Angriffe geleuchtet, den sie am Palais des Bischofs von Krakau auf den Wagen unternommen haben, und so haben die gut gezielten Schüsse mörderisch eingeschlagen, der Kutscher und die Heiducken sind niedergeworfen, der Page, der Adjutant, der König selbst sind von Kugeln getroffen worden, ja man hat den König aus dem Wagen gerissen, zwischen zwei Pferde genommen und in vollem Trabe aus Warschau hinausgeschleppt. Man wußte noch nicht, ob er des Todes sei, da man bis jetzt nur einen seiner Schuhe, der im Kot stecken geblieben war, und seinen blutbefleckten Hut gefunden hatte – so mannigfaltig wird die Opposition in jenem Lande! Pause.
KÖNIGIN. Dies ist abscheulich und deutet auf große Fehler. Wehe dem Könige, der die Majestät so weit verloren hat! Ein König ohne moralische Macht und gebietenden Mut ist ein machtloser Schatten – zu Pferde, zu Pferde! Solche Eindrücke lähmen die Seele! Sie wendet sich nach hinten, Gräfin Gallen und Struensee folgen ihr, Struensee spricht leise zu ihr.
RANZAU. Wollen Eure Majestät nicht auch an die frische Luft? Der König macht eine ablehnende Bewegung.
GULDBERG. Gott schütze Dänemark! Seine Könige haben nichts gemein mit denen von Polen!
KÖNIGIN an der Treppe umkehrend und zum Könige eilend. Vergebung, Majestät, daß ich ohne Abschied und so heftig scheiden wollte. Wir sind alle überreizt, und jeder hat dem andern zu vergeben. Vergebet mir. Der König ergreift ihre Hand und sie sprechen weiter, während Gräfin Gallen den von ihr ausgesendeten und jetzt zurückkehrenden königlichen Diener, der ihr jetzt beim Zurückkehren bis in den Vordergrund gefolgt ist, angehört und schnell verabschiedet hat. Diese Verabschiedung findet in dem Augenblicke statt, als die Königin ihre letzten lauten Worte spricht, und Gräfin Gallen, Struensee winkend, welcher beim Zurückkehren zur Rechten der Königin geblieben ist, spricht ihre folgende leise Rede unmittelbar nach dem letzten Worte der Königin, so daß keine Pause entsteht. Sie geht links in den Vordergrund, und Struensee folgt ihr dahin.
GALLEN. Wagt Euch nicht in die Stadt hinüber, Graf, meine Erkundigungen lauten, daß die Mißvergnügten es auf Euch gemünzt haben. Aber trefft Anstalten zur Sicherheit, diesem Palaste selbst soll der Volkssturm gelten.
STRUENSEE. Man übertreibt Euch die Dinge, Gräfin Gallen. Brandt sorgt gegen das aufgeregte Kopenhagen, und ein gesammelter[156] Andrang der Aufrührer ist uns fast erwünscht. Sie haben uns in Hirschholm schwach gesehen, und es tut not, ihnen die Spitze zu bieten. Von Bedrohtsein der Christiansburg kann auch gar nicht die Rede sein, denn unsre besten Truppen halten die wenigen Zugänge besetzt.
GALLEN. Struensee, Ihr fühlt Euch zu sicher, Ihr traut sogar Guldberg!
STRUENSEE. Guldberg ist rauh und bitter, aber nicht falsch.
GALLEN. Er ist ein Däne gegen Euch, gegen uns alle, die wir aus Deutschland stammen!
STRUENSEE. Das war er stets!
GALLEN. Möchte Eure Sorglosigkeit nicht bloß aus Eurer Großmut stammen – und noch eins! Schützt mich vor Obrist Köller! Ranzaus Rückkehr erhöht seine Zudringlichkeit; die Königin steht nach Euch –
KÖNIGIN. Die Jagdlust ist verscheucht, wir wollen daheim bleiben und der Melancholie ihr Recht gewähren!
STRUENSEE. Ich beschwöre Eure Majestät, dies nicht zu tun! Die Bewegung in frischer Luft ist Euch heilsam, und das Maskenfest heut abend heischt frische Nerven.
KÖNIGIN. Unter so mißlichen Umständen täten wir besser, es abzusagen!
STRUENSEE. Das wäre ein Zugeständnis an die Mißvergnügten, das hieße ihren Hirngespinsten eine Lebendigkeit und Wichtigkeit zugestehn. Wenn Eure Majestät in gewohnter Weise durch die Stadt sprengen, und am vorbereiteten Feste nichts geändert wird, so ist dies der wirksamste Widerstand, weil es der stolzeste ist.
KÖNIG. Durch die Stadt sprengen? – Sprach nicht vorhin jemand davon, die Stadt sei unruhig –?
STRUENSEE. Gewiß nicht in dem Grade, um die Würde der Majestät im geringsten zu verletzen.
KÖNIGIN. Wohlan denn! Struensee hat recht. Wer weicht, bekennt sich schwach. Es werde nichts geändert in der Tagesordnung. Gott schütze Eure Majestät! Sie reicht dem Könige die Hand, und dieser geleitet sie bis zur Treppe, Struensee führt die Gräfin Gallen, Köller, Ranzau, Guldberg, Lorenz folgen bis an die Pfeiler. Abschiedsverbeugungen an der Treppe. Als die Königin oben erscheint, wiederholt sich die Fanfare der Jagdhörner, die Pagen gehen voraus ab, die Soldaten an den Fenstern präsentieren[157] das Gewehr, und man hört die Trommeln wirbeln. Sobald die Königin verschwunden ist, wendet sich der König, und verabschiedet mit einer Handbewegung die Hofleute; diese entfernen sich links und rechts, als der König wieder durch den Bogen eintritt. Während der König links nach dem Tische schreitet, auf welchem das Schachbrett, und Guldberg hinzueilt, den Sessel zu rücken, Struensee aber, dem im Hintergrunde verbleibenden Lorenz winkend, sich anschickt, dem Könige die Abschiedsverbeugung zu machen, sagt wie alles Folgende halblaut zu ihm.
GRAF RANZAU. Auf ein Wort, Graf Struensee.
STRUENSEE halblaut wie alles Folgende, ausgenommen das, was der König und Guldberg sprechen. Ist es dringend, Herr Graf? Mich rufen die bedrohlichen Nachrichten –
RANZAU. Es ist dringend.
STRUENSEE. Dann übernehmt Ihr wohl, Obrist von Köller, eine genaue Rekognoszierung durch die Straßen, welche die Königin passiert.
KÖLLER. Zu Eurem Dienst, Exzellenz. Er blickt fragend auf Ranzau, dieser nickt leicht mit dem Haupte, und Köller geht ab durch die Glastür.
STRUENSEE. Ich bin sogleich zu Euren Diensten, Herr Graf! Er geht zu Lorenz. Erwarte mich, lieber Vetter, in meiner Wohnung. Ich sehne mich, deine Nachrichten aus der Heimat anzuhören, und ich komme, sobald ich einen Augenblick frei bin.
Lorenz rechts hinten ab.
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