21. Valerius an Konstantin.

[118] Warum schreibst Du keine Zeile, Mensch? Lebst Du nicht mehr? Ich muß alle Stärke des Gemüts zusammennehmen, um in diesem Drange der Dinge fest zu stehen. Sollte Dir ein Unglück begegnet sein, laß es uns bald wissen; ich will zu Dir kommen, Du hast ja für die Freiheit gefochten, für das einzige Unwandelbare im Leben. Hier ist viel Unheil. Kamilla weicht mir aus, steht mir nicht Rede. Das tut mir unendlich weh. Alberta liegt krank, Hippolyt hat ihr das Herz gebrochen, der Südländer ist rasselnd in ihm aufgesprungen, er rast in Liebe für die schöne Julia. Diese flieht ihn wie ein Reh den Wolf, und hält sich mehrere Tage in ihren Zimmern verschlossen. Heut' kam sie zu Tisch; im Augenblick als wir uns setzten, fuhr die Fürstin Konstantie vor. Nun ist die Verwirrung vollständig. Hippolyt schäumt wie ein Eber, ich habe meine Not, ihn in zivilisierten Schranken zu halten. Wäre dieser Mensch ohne Bildung, man sähe die Taten eines blutigen Barbaren. Der Graf ist äußerst niedergeschlagen und sprach heute wehmütige, rührende Worte mit mir. »Ich bin alt geworden« – sagte er – »und kann der Zeit nicht mehr voraus, sie übereilt und mordet mich und mein armes Kind.« –


Später.


Eben erhalte ich eine Ausforderung von unbekannter Hand. Es werden da soviel Nichtswürdigkeiten auf mich gehäuft, daß ich ein entsetzlicher Verbrecher sein muß. Es ist doch unangenehm, auch nur für einen einzigen Menschen ein solcher Gegenstand des Abscheues zu sein. Ich sinne hin und her, weil mir der Gedanke aufsteigt, die Handschrift schon irgendwo gesehen zu haben. Ich kann's nicht aussinnen. Alle Anschuldigungen sind indes so unklar, unbestimmt ausgedrückt, daß ich durchaus nicht genau weiß, welcher Übeltat ich angeklagt werde. Weiber scheinen dabei[119] beteiligt zu sein; es ist also wohl ein eifersüchtiger oder Ritterdienst tuender Mann. Und somit ist die Sache vielleicht ein Mißverständnis, denn ich wüßte doch wahrlich nicht, wem ich der Weiber halber etwas getan haben sollte. Der gute Mann verlangt keine Antwort, sondern wird sich in kurzem selbst melden. Soll ich offenherzig sein? Die Sache ist mir unangenehm; ich habe es neuerdings immer gefürchtet, in eine Duellangelegenheit verwickelt zu werden, weil ich den fatalen Kampf meiner gesunden Ansicht mit meiner schwächlichen Empfindsamkeit voraussah. Das Duell ist mir verhaßt, und wenn ich an die sogenannten Skandäler auf der Universität zurückdenke, so kommen auch alle die Harlekinaden mit, aus deren bunten Lappen das ganze Studentenleben bestand, und jene Paukereien erscheinen mir wie ein ernsthaftes Spiel, bei dem leicht ein Unglück geschieht. Wenn man aber die Harlekinsjacke ausgezogen hat, soll man auch das Spielen lassen. Ich würde es von Staats wegen niemand verbieten, weil es eine Beschränkung der persönlichen Freiheit wäre, und weil es wirklich Verhältnisse gibt, von deren feinen Linien das bürgerliche Recht keine Kenntnis haben kann, da es seiner Natur nach al fresco gemalt sein muß. Ich kann es niemand wehren, an den Vorteilen der Zivilisation keinen Anteil nehmen zu wollen, sobald er einen andern, der das will, nicht stört. Wenn also ihrer zwei außer dem Gesetze begriffen sein und ihre Angelegenheit durch Degen oder Kugel schlichten wollen, so soll man sie gewähren lassen. Aber man betrachte jedes Duell mit also mißtrauischen Augen, als man es noch immer mit günstigen tut. Man gestatte jedem, es unbeschadet seiner äußeren Ehre zurückzuweisen; man blamiere, verlache diese mittelalterliche Courage, das Vorrecht von Studenten und Soldaten, die es in Ermangelung eines besseren Kerns zum Mittelpunkte ihres Lebens gemacht haben, bei denen man keiner andern Eigenschaft bedarf, um für vollkommen zu gelten. Die besten[120] Männer der Weltgeschichte dürften leichtlich nichts taugen, wenn man diesen Duellmaßstab bei ihnen anlegen wollte, und doch ist es Mode geworden, selbigen Maßstab an uns alle anzulegen. Sind wir nicht wie die Kinder? Wenn sich einer vor Dummheiten nicht fürchtet, so ist er ein tüchtiger Mann, vor Klugheiten aber Furcht zu haben, ein Dummkopf zu sein, das tut der Ehre nichts. Ich habe mich auf der Universität geschlagen, weil – nun ja, weil ich Student war; ich werde mich wahrscheinlich jetzt wieder schlagen, weil ich schwach bin, oder wenigstens nicht den Mut habe, allein stark zu sein. Aber ich will mich bessern, ich will mich an das Schreckbild gewöhnen, für feig zu gelten; es gehört ja doch wahrlich mehr Mut dazu, ihm ins Angesicht zu sehen als einer schmalen Kugelmündung. Wenn meine Besserung nicht so schnell vonstatten geht, daß ich schon meinen jetzigen Ausforderer heimschicke, so soll er doch der letzte sein, mit dem ich diese Narrheit treibe. Laß mich Dir's gestehen, daß meine Schwäche durch meine Umgebung gesteigert wird: der Adel sieht seinen Duellmut für eine Prärogative an, womit er seine andern Prärogativen verdiene; wenn ich ihm den Unsinn des Duells noch so klar beweise, so zuckt er doch die Achsel und schwappt sich auf den Bauch und spricht: »Man sieht's doch gleich« usw. – Unter den Indianern mußt Du erst an den Götzen, welchen sie verehren, geglaubt haben, eh' Du ihnen beweisen kannst, daß der Götze ein Götze sei. Ich will noch einmal mich gläubig stellen, und dann auf offenem Markte das Götzenbild zertrümmern. Es ist ja doch gar zu lächerlich, jedem Laffen preisgegeben zu sein, sei's auch nur den Zeitpunkt betreffend, in welchem ich ihm zu Dienst sein muß. Man beschäftigt sich mit den höchsten Interessen der Menschheit und ist den alten Resten der Blutrache, dem faustrechtlichen Larifari unterworfen; man predigt auf der Kanzel und sündigt hinter der Kirche. Der Krieg im allgemeinen bleibt immer noch ein Akt der Barbarei,[121] welcher wegen der Verschiedenartigkeit der Stufen, auf denen die Völker stehen, noch immer nicht abgeschafft werden kann; aber den Krieg im kleinen sollten wir doch wahrlich dämpfen können. Es ist eine ebenso große Dummheit, als wenn man den Kriegerstand den übrigen voranstellt. Ist es wohl schon jemand eingefallen, die Kanone mit Verehrung anzusehen, weil man damit eine Masse Menschen niederschießen kann? Aber es ist der alte Rest der Eroberung, des Lehenwesens, der Barbarei, wo nur das gelten konnte, was große physische Gewalt entwickelte, was Furcht einflößte. Die Kultur beginnt mit Zerstören: man haut Wälder nieder, tötet die wilden Tiere – wollen wir denn immer im Beginn der Kultur stehen bleiben? Man lehre die Jugend, den Tod nicht zu fürchten, aber man lehre es auf eine zivilisiertere Weise. –

Die Fürstin hat viel Gefolge mitgebracht. Es ist ein buntes festliches Treiben hier eingekehrt, es geht alles geputzt, und doch ist niemand vergnügt – wir leben auf einem Totenacker, den man mit bunten Blumen beworfen hat. Hippolyt steht knirschend wie ein Todesengel da und ist vernichtend in Wort, Blick und Gebärde. Ich habe ihn nie so beißend witzig, verständig, vornehm gesehen. Die kecke Fürstin richtet oft das Wort an ihn, er wirft Dolche statt Worte zurück. Gestern fragte sie ihn nach Desdemona. Mit einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange hat ihr Leben vergiftet und sie von dem Ort vertrieben, wo sie glücklich war – jetzt ist sie wahnsinnig. Konstantie erbleichte. Ich fragte ihn später, ob es gräßliche Erfindung seines Grimmes sei. Nichts weiter, erwiderte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus Wien und von Desdemona angefangen; sie schrieb mit herzzerreißender Sehnsucht, ihre Liebe stand auf einer Höhe, vor der ich selbst schwindelte – die Fortsetzung war von einer uns unbekannten Dame, welche Hippolyt mitteilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber verfallen sei, und daß[122] die Ärzte für ihr Leben und für ihren Verstand alles besorgten. Möge es Dir besser ergehen als uns. Leb' wohl.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 118-123.
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