Das Interdikt

[817] Nach heißem Weg ein Trunk aus frischer Quelle,

Im Schatten Ruh tut jedem wohl zur Stelle;

Der Wiesen Grün ist jedem Wandrer hold

Und im Gebirg ein sanftes Abendgold;

Wohl jeder spürt die süße Lebensmacht

Des Blütenhauchs in einer Frühlingsnacht;

Selbst Gram gesteht: es ist ein lieblich Klingen,

Wenn ungestört im Wald die Vöglein singen.


Und wenn vor ihm die Donner niederschlagen,

Wer ist so stark, daß er nicht müßte zagen?

Und wer sich hingestellt zu einer Leiche

Und fest ihr schaut ins blasse Angesicht,[817]

Wer ist so elend und betrübt, daß nicht

Ein Schauer vor dem Tod sein Herz beschleiche?


Was uns die Erde beut an Lieblichkeiten,

An Schmerz – darüber mag der Mensch nicht streiten;

Doch wenn von seinem Himmel ist die Rede,

Erwachen Zwietracht, Haß und wilde Fehde.

Wo selig schwelgt ein Herz in Himmelsschätzen,

Dort fühlt ein andres Abscheu und Entsetzen;

Noch fand ein jedes Heiligtum Verächter;

Vor Gottes Strafe zittern hier die einen,

Die andern schlagen höhnisches Gelächter

Und möchten über solchen Wahnsinn weinen.


Toulouse ist vom Interdikt getroffen;

Zum letzten Male stehn die Kirchen offen.

Der Bischof Fulco eilt, dem Volk der Sünden

Den Zorn der Kirche donnernd zu verkünden.

Er wirft hinab zur gläubigen Gemeine

Mit Flammenblicken von der Kanzel Steine

Und ruft: »So hat der Herr im Strafgerichte

Verworfen euch von seinem Angesichte!«


Die Kerzen, die am Hochaltare brannten,

Sie werden ausgelöscht mit Klaggebärden;

Die Bilder, die dem Herzen Tröstung sandten,

Sind schwarzverschleiert hingelegt zur Erden;

Die Trauer teilend, jedem Blick verschlossen

Sind die Reliquien in ihren Särgen,

Als möchten sie sich vor dem Volke bergen,

Das Gott aus seinem Angesicht verstoßen,

Das Bild des Herrn umhüllt der tiefste Schleier;

Erschüttert schaut das Volk des Fluches Feier;

Hinausgetrieben wirds mit grausen Worten,

Und donnernd schließen hinter ihm die Pforten.[818]


Die Pforten bleiben zu. Wer seinen Gram

Sonst am Altare auszuweinen kam,

Wer kam für einen lieben Wunsch zu flehen,

Mag lauschend an gesperrter Türe stehen;

Er hört die Orgel nicht, nun ist sie stumm,

Es tönt kein Wort im toten Heiligtum,

Er hört, wo freudig sonst Gesänge schallten,

Einsam den Zugwind wimmern durch die Spalten,

Die Priester, feiernd, lesen keine Messen,

Den Schall der Glocken hat die Luft vergessen.


Nur selten wird ein Ton vom Schlaf geweckt,

Wenn Stürme jagen durch die Glockenstube;

Und wenn ein Klosterbruder stirbt, so schreckt

Die Glocke, langsam mahnend an die Grube;

Doch an ein Grab, nicht im geweihten Grunde,

Wo still die unvergeßnen Freunde liegen,

Wo Kinder sich zu ihren Eltern schmiegen;

Nein! wo die Pferde modern und die Hunde.


O trübe Hochzeit ohne Blumenkranz!

In Trauerkleidern ohne Lust und Glanz!

Im Kirchhof werden Liebende getraut,

Auf einem Hügel kniet die bange Braut

Und senkt das Haupt, des Myrtenschmuckes bar,

In Grabeslüften flattert ihr das Haar,

In Todesschauern ihre Seele zittert,

Erschreckt sieht sie der Bräutigam erbleichen;

Vom Eindruck der Verwesung wird verbittert

Die Stund, in der sie sich die Hände reichen. –

Die Kirche weiß die Schmerzen zu verwalten,

Das Herz bis in die Wurzel aufzuspalten.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 817-819.
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