Das Vorgemach

[819] Ein Ritter harrt auf Einlaß vor der Pforte

Und murmelt, Seufzer gähnend, herbe Worte:[819]

»Unselig Vorgemach der hohen Herren,

Du Folterbank der flüchtigen Minuten,

Wo man sie weiß zu strecken und zu zerren,

Zu quälen, bis sie langsam sich verbluten;

Wem du behagst, der niedrige Geselle

Soll einst dafür im Haus der Hölle büßen:

Ein Kämmerling soll ihn an beiden Füßen

Festnageln dort auf eine Fürstenschwelle!«

Im Vorgemach des Papstes harren viele,

Prälaten, Königsboten, edle Ritter;

Doch zweien wird zumal das Harren bitter,

Sie scharren ungeduldig an der Diele.

Zwei Mönche sinds; wo mag das Kloster stehen,

Dem sie gehören? fremd sind ihre Launen,

Dies kecke Blinzen und verstohlne Raunen,

Und wie sie lauernd scharf im Kreise spähen.


Der eine Mönch ist hager wie ein Speer

Und holder auch dem Leben nicht als der;

Ein finsterer Asket, wildfremd auf Erden,

Nur heimisch im Entsagen, in Beschwerden,

Nie trank er Wein, hat nie ein Weib umfangen,

Des Jenseits Blässe ruht auf seinen Wangen.


Und läg im Wald er unter einem Baume,

Der Welt entrückt in einem frommen Traume,

Still kontemplierend mit geschloßnen Blicken,

Bald käm ein Rab, für tot ihn anzupicken.

Der andre, reich an Leib, stattlich geründet,

Verschmäht nicht, wie sein heitres Lächeln kündet,

Manchmal mit süßer Erdenlust zu kosen;

Wie glänzen seiner Wangen fette Rosen!


Doch trifft ihr Blick den Heiland an der Wand,

Fährt plötzlich übers Angesicht die Hand,

Als wollten schnell verwischen sie das Bild,

Vielleicht die Miene decken mit dem Schild?[820]

Von Ungeduld mag manchen los hier kaufen

Neugier: woher die Mönche wohl gelaufen?

Der Ritter, der sie mustert, und zum Glücke,

Was Blick und Miene schreiben, meint zu lesen,

Bekämpft die Langeweil und ihre Tücke

Mit einem Spiel verwegner Hypothesen;

Und flüsternd hebt er an, in tollen Mären

Die Mönche seinem Nachbar zu erklären:


»Jüngst hielt der Böse Rat mit seinen Söhnen,

Und also ließ er seine Stimme tönen:

›Der Teufel mag sich immer mühn und plagen;

Wenn seine Saaten schon zur Ernte reifen

Und drüber lustig seine Lerchen pfeifen,

Wird ihm die Sense aus der Hand geschlagen;

Die Garbe fällt in frommer Schnitter Hände,

Des Teufels Tun wird Gottesdienst am Ende.


Ein harter Satz, ein schwerer Satz, Gesellen!

Wir wolln den Block mal drehen und verschieben:

Die Kirche soll mit frommbetörten Trieben

Als wackre Magd des Teufels Haus bestellen.

Im Dienste meiner scharfen Repressalien

Entsend ich meine Leute nach Italien.‹


Zwei flinke Burschen aus der Höllenbande

Verkappten sich in braune Mönchsgewande;

Schon sind sie da in Papstes Vorgemach

Und sinnen jetzt der Langeweile nach,

Um ein paar Studien und Marterskizzen

Beiher sich ins Gedächtnis einzuritzen.


Ich will dich im Vertrauen auch bescheiden,

Was Satan auftrug jedem von den beiden.

›Ihr tretet‹ – so gebot er – ›vor den Frommen,

Verneigt euch tief und sprecht bewegt, beklommen:[821]

O heilger Vater, spricht der eine, sieh

Den Staub vom Grab des Herrn an unsern Füßen;

Jerusalem erblickten wir zwar nie,

Doch läßt Sein Grab mit diesem Staub dich grüßen.

Gewachsen ist dies Grab, wächst fort und fort,

Bald ist die ganze Erde so zu nennen;

Wir brauchen nicht ins Morgenland zu rennen,

Stehn bald in Jesu Gruft an jedem Ort;

Als hundertblätterige Grabesrose

Blüht frisch und lustig drauf die Heidengnose.


Berauschend zieht die Strömung ihrer Düfte

Durch alle Welt, betäubend alle Lüfte.

Ein wunderlicher Frühling will sich regen;

Ja! Christus, den die Kirche ausgeboten,

Man fand ihn schal und legt' ihn zu den Toten;

Und einem Neuen seufzt die Welt entgegen.


O heilger Vater – spricht der andre – trage,

Daß ich ein Wörtlein Wahres auch dir sage.

Betritt ein Erdenfürst des Bauern Haus,

So treibt der Wirt die lauten Kinder aus,

Daß sie dem hohen Gast nicht lästig werden

Mit Schreien und unziemlichen Gebärden;

Wer aber Christum will bei sich empfangen,

Zeigt sich an Art und feiner Sitte minder,

Weil er Gedanken, seine Geisteskinder,

Hinaus nicht wirft, die ungeschlachten Rangen;

Und solls dem Herrn der Welt im Haus behagen,

So muß er mit den Jungens sich vertragen.

Ach, Pontifex! und darf man so gering

Behandeln deinen einzgen Herrn und Hort?

Du stehst dabei, sprichst kaum ein strafend Wort,

Sein Feldhauptmann zugleich und Kämmerling! –

Vergib, daß ich des Worts mich unterstanden,

Allein so zischt der Spott in allen Landen.‹[822]

So wird der Hauch von diesen Mönchen klingen,

Er wird als Sturm in die Provence dringen

Und dort die Flammen in die Burgen jagen;

Das Land der Freude wird ein Land der Klagen!« –


Der andre spricht: »Wie weit dein Wort ein wahres,

Ich weiß es nicht, die Hölle mags entscheiden;

Den einen Mönch doch kenn ich von den beiden,

Dominikus, den Kämpfer des Altares;

Wenn der die Hand vors Auge sich geschlagen,

Den Blick aufs Kreuz unfähig zu ertragen,

So wars die Scham, für Innozenz empfunden,

Daß er die Ketzer noch nicht überwunden.«

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 819-823.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Albigenser
Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe / Versepen 2. Savonarola, Die Albigenser, Don Juan, Helena

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon