Zweiter Auftritt


[426] Wumshäter. Valer.


WUMSHÄTER. Welch Geschöpf! – – Ich will auch heute noch alles Weibsvolk aus meinem Hause schaffen; selbst meine Tochter. Sie mag sehen, wo sie bleibt – – Gut, gut, mein Sohn, daß du kömmst; ich habe eben nach dir gefragt.

VALER. Wie glücklich wär ich, wenn ich glauben dürfte, daß Sie meinen Bitten hätten wollen zuvor kommen. Darf ich[426] mir schmeicheln, die so oft gesuchte Einwilligung endlich von Ihnen zu erhalten?

WUMSHÄTER. O! du fängst wieder von der verdrüßlichen Sache an. Kränke doch deinen alten Vater nicht so, der dich bis jetzt für den einzigen Trost seines Alters gehalten hat. Es ist ja noch Zeit.

VALER. Nein, es ist nicht länger Zeit, liebster Vater. Ich habe heute Briefe bekommen, welche mich nötigen, auf das eheste wieder zurück zu reisen.

WUMSHÄTER. Je nun, so reise in Gottes Namen; nur folge mir darin; heirate nicht. Ich habe dich zu lieb, als daß ich zu deinem Unglück Ja sagen sollte.

VALER. Zu meinem Unglücke? Wie verschieden müssen wir über Glück und Unglück denken! Ich werde es für mein größtes Unglück halten, wenn ich eine Person länger entbehren muß, die mir das Schätzbarste in der Welt ist. Und Sie – –

WUMSHÄTER. Und ich werde es für dein äußerstes Unglück halten, wenn ich dich deiner blinden Neigung folgen sehe. Ein Weibsbild für das Schätzbarste auf der Welt zu halten? Ein Weibsbild! Doch der Mangel der Erfahrung entschuldigt dich. Höre; hältst du mich für einen treuen Vater?

VALER. Es sollte mir leid sein, wenn Ihnen hiervon nicht mein Gehorsam – –

WUMSHÄTER. Du hast Recht, dich auf deinen Gehorsam zu berufen. Allein hat es dich auch jemals gereuet, wenn du mir gehorsam gewesen bist?

VALER. Bis jetzt noch nie; aber – –

WUMSHÄTER. Aber du fürchtest, es werde dich gereuen, wenn du mir auch hierin folgen wolltest; nicht wahr? Doch wenn es an dem ist, daß ich dein treuer Vater bin; wenn es an dem ist, daß ich mit meiner väterlichen Zuneigung, Einsicht und Erfahrung verbinde: so ist deine Furcht sehr unbillig. Man glaubt einem Unglücklichen, den Sturm und Wellen an das Ufer geworfen, wenn er uns die Schrecken des Schiffbruchs erzählt; und wer klug ist, lernt aus seiner Erzählung, wie wenig dem ungetreuen Wasser zu trauen. Alles, was so ein Unglücklicher auf der See erfahren hat,[427] habe ich in meinem dreimaligen Ehestand erfahren; und gleich wohl willst du nicht durch meinen Schaden klug werden? Ich war in deinen Jahren eben so feurig, eben so unbedachtsam. Ich sah ein Mädchen mit roten Backen, ich sah es; und beschloß meine Frau daraus zu machen. Sie war arm – –

VALER. O Herr Vater, verschonen Sie mich mit der nochmaligen Erzählung Ihrer Geschichte. Ich habe sie schon so oft gehört –

WUMSHÄTER. Und du hast dich noch nicht daraus gebessert? – Sie war arm, und ich besaß auch nicht viel. Nun stelle dir einmal vor, was ein angehender Handelsmann, wie ich dazumal war, für Kummer, Sorge und Plage hat, wenn er mit leeren Händen anfängt.

VALER. Meine Braut aber ist ja nichts weniger, als arm.

WUMSHÄTER. Höre nur zu! Zu meinen Anverwandten durfte ich bei meinen mühseligen Umständen keine Zuflucht nehmen. Warum? sie hatten mir vorgeschlagen, eine alte reiche Witwe zu heiraten, wodurch mir in meiner Handlung auf einmal wäre geholfen gewesen. Ich stieß sie also vor den Kopf, da ich mich in ein schönes Gesicht vergaffte, und lieber glücklich lieben, als glücklich leben wollte.

VALER. Aber bei meiner Heirat kann dieses –

WUMSHÄTER. Geduld! Was dabei das Schlimmste war, so liebte ich sie so blind, daß ich allen möglichen Aufwand ihrentwegen machte. Ihr übermäßiger Staat brachte mich in unzählige Schulden –

VALER. Versparen Sie nur jetzt, Herr Vater, diese überflüssige Erzählung, und sagen Sie mir kurz, ob ich hoffen darf – –

WUMSHÄTER. Ich erzähle es ja bloß zu deinem Besten. – – Glaubst du, daß ich mich aus den vielen Schulden hätte herausreißen können, wenn der Himmel nicht so gütig gewesen wäre, mir, nach Jahres Frist, die Ursache meines Verderbens zu nehmen? Sie starb, und sie haue kaum die Augen zugetan, als mir die meinigen aufgingen. Wo ich hinsah, war ich schuldig. Und bedenke, in was für eine Raserei ich geriet, da ich nach ihrem Tode ihre verfluchte Untreue erfuhr. Meine Schulden fingen an, mich zweimal[428] heftiger zu drücken, als ich sah, daß ich sie einer Nichtswürdigen zu Liebe, einer verdammten Heuchlerin zu gefallen, gemacht hatte. Und bist du sicher, mein Sohn, daß es dir nicht auch so gehen werde?

VALER. Dieserwegen kann ich so sicher sein, als überzeugt ich von der Liebe meiner Hilaria bin. Ihre Seele ist viel zu edel; ihr Herz viel zu aufrichtig – –

WUMSHÄTER. Nun, nun, ich mag keine Lobrede auf eine Sirene hören, die ihre häßlichen Schuppen so klug unter dem Wasser zu halten weiß. Wenn du nicht mein Sohn wärst, so würde ich über deine Einfalt herzlich lachen. In der Tat, du hast einen sehr glücklichen Ansatz zu einem guten Manne! Eine edle Seele, ein aufrichtiges Herz, in einem weiblichen Körper! Und wie du gar sagst: in einem schönen weiblichen Körper! Doch das kömmt endlich auf eins heraus: schön oder häßlich. Die Schöne findet ihre Liebhaber, und die Räuber deiner Ehre überall; und die Häßliche suchet sie überall. Was kannst du mir hierauf antworten?

VALER. Zweierlei. Entweder es ist so gewiß nicht, daß alle Frauenzimmer von gleicher Untreue sind; und in diesem Falle bin ich versichert, daß meine Hilaria mit unter der Ausnahme ist: oder es ist gewiß, daß eine getreue Frau nur ein Wesen der Einbildung ist, das niemals war, und niemals sein wird; und in diesem Falle muß ich so gut, als jedermann – –

WUMSHÄTER. O pfui, pfui! schäme dich, schäme dich! – Doch du scherzest.

VALER. In der Tat nicht! Ist eine Frau ein unstreitiges Übel, so ist sie auch ein notwendiges Übel.

WUMSHÄTER. Ja, das unsere Torheit notwendig macht. Aber wie gern wollte ich töricht gewesen sein, wenn du es nur dadurch weniger sein könntest! Vielleicht wäre es auch möglich, wenn du meine Zufälle recht überlegen wolltest. Höre nur! Als meine erste Frau also tot war, versucht ich es mit einer reichen und schon etwas betagten – –[429]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 426-430.
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