Fünfter Auftritt


[436] Wumshäter. Die Vorigen.


WUMSHÄTER welcher Valeren die Hand der Hilaria küssen sieht. Ei! ei! mein Sohn, tust du doch mit dem Bruder deiner Braut, als ob es die Braut selber wäre. Sieh, wie du zusammenfährst!

LELIO. Er vergißt sich oft, der gute Valer – Aber wissen Sie, woher es kömmt?

WUMSHÄTER. Das kann ich nicht wissen – In Parenthesi, mein Sohn, es ist richtig; deine Schwester will mit dir reisen. Sie war mit meinem Vorschlage zufriedener, als ich glaubte. – Aber nun, Herr Lelio, woher kömmt es denn, was Sie sagen wollten?

LELIO sachte zum Valer. Geben Sie Acht, Valer; jetzt wird sich unser Anschlag einleiten lassen.

WUMSHÄTER. Sagen Sie doch, Lelio, was meinten Sie denn?

LELIO. Sie ertappten den hitzigen Valer in einer Entzückung, die für eine männliche Freundschaft ein wenig zu zärtlich[436] ist. Sie wunderten sich, und glaubten, er müßte mich für meine Schwester ansehen. – Wie durchdringend ist Ihr Verstand, mein Herr Wumshäter. Getroffen! dafür sieht er mich auch wirklich, in der Trunkenheit seiner Leidenschaft, nicht selten an. Allein dieses Quid pro quo ist ihm zu vergeben; weil es unmöglich ist, daß zwei Tropfen Wasser einander ähnlicher sein sollten, als ich und meine Schwester einander sind. So oft er mich daher scharf ins Gesicht fasset, glaubt er auch sie zu sehen, und kann sich nicht enthalten, mir einige der ehrfurchtsvollen Liebkosungen zu erzeigen, die er ihr zu erzeigen gewohnt ist.

WUMSHÄTER. Wie abgeschmackt!

LELIO. Nicht wenige seines Gelichters, sind noch weit abgeschmackter. Ich kenne einen gewissen Lidio, welcher mit einem verwelkten Blumenstrauße, den seine Gebieterin vor Jahr und Tag an dem Busen getragen, nicht anders umgeht, als ob es seine Gebieterin selbst wäre. Er spricht ganze Tage mit ihm, er küßt ihn, er fällt vor ihm nieder – –

WUMSHÄTER. Und ist noch nicht ins Tollhaus gebracht? – Mein Sohn, mein Sohn, werde doch ja durch fremden Schaden klug, und steure der Liebe, so lange ihr noch zu steuren ist. Bedenke doch nur, mit einem Blumenstrauße zu sprechen; vor ihm nieder zu fallen! Können die Wirkungen von dem Bisse eines rasenden Hundes wohl erschrecklicher sein?

LELIO. Gewiß nicht. Aber wieder auf meine Schwester zu kommen – –

WUMSHÄTER. Die Ihnen so ähnlich sein soll? Wie ähnlich wird sie Ihnen nun wohl sein? Man wird ohngefähr erkennen können, daß Sie beide aus einer Familie sind.

LELIO. Kleinigkeit! Unsere Eltern selbst, konnten uns in der Kindheit nicht unterscheiden, wenn wir aus Mutwillen die Kleider vertauscht hatten.

VALER. Und nun bedenken Sie einmal, liebster Herr Vater; wenn es wahr ist, was Sie oft selbst gesagt haben, daß schon aus dem Äußerlichen des Herrn Lelio, aus seiner Gesichtsbildung, aus seinen Mienen, aus dem bescheidenen Feuer seiner Augen, aus seinem Gange, der innere[437] Wert seiner Seele, sein Verstand, seine Tugend, und alle die Eigenschaften, die Sie an ihm schätzen, zu schließen wären; bedenken Sie einmal, sage ich, ob man bei seiner liebenswürdigen Schwester aus eben dem Äußerlichen, aus eben der Gesichtsbildung, aus eben den Mienen, aus eben den Augen, aus eben dem Gange, einen andern Schluß zu machen habe? Gewiß nicht.

WUMSHÄTER. Gewiß ja! Damit du mich aber nicht zwingen kannst, dir dieses weitläuftig zu beweisen, so darf ich es nur platterdings für unmöglich erklären, daß seine Schwester ihm so ähnlich sehen kann, als ihr sagt.

LELIO. Beweisen Sie ihm ja lieber jenes, Herr Wumshäter, als daß Sie dieses leugnen sollten, denn Sie möchten sonst, vielleicht noch heute, durch den Augenschein eingetrieben werden.

WUMSHÄTER. Wie so durch den Augenschein?

LELIO. Hat es Ihnen Valer noch nicht gesagt, daß er meine Schwester heut erwartet?

WUMSHÄTER. Wie? sie will selbst kommen? Aller Hochachtung unbeschadet, Herr Lelio, die ich gegen Sie hege, muß ich Ihnen doch frei bekennen, daß ich nicht ein Bißchen begierig bin, Ihr weibliches Ebenbild kennen zu lernen.

VALER. Und eben, weil ich dieses wußte, Herr Vater, habe ich Ihnen noch bis jetzt von ihrer Ankunft nichts sagen wollen. Ich will aber doch hoffen, daß ich das Vergnügen haben darf, sie Ihnen vorzustellen?

WUMSHÄTER. Wenn du nur nicht verlangst, daß ich ihr, als meiner künftigen Schwiegertochter begegnen soll.

VALER. Aber als der Schwester des Lelio werden Sie ihr doch begegnen?

WUMSHÄTER. Nach dem ich sie finde. – – Nun, was willst du, Laura? –[438]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 436-439.
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