Vierter Auftritt


[343] Chrysander. Anton. Damis.


CHRYSANDER. Das ist ein verfluchter Brief, Anton! Ei! ei! mein Sohn, mein Sohn, post coenam stabis, vel passus mille meabis. Du wirst doch nicht schon wieder sitzen?[343]

DAMIS. Ein andrer, der nichts zu tun hat, mag sich um dergleichen barbarische Gesundheitsregeln bekümmern. Wichtige Beschäftigungen –

CHRYSANDER. Was willst du von wichtigen Beschäftigungen reden?

DAMIS. Ich nicht, Herr Vater? Die meisten von den Büchern, die Sie hier auf dem Tische sehen, warten Teils auf meine Noten, Teils auf meine Übersetzung, Teils auf meine Widerlegung, Teils auf meine Verteidigung, Teils auch auf mein bloßes Urteil.

CHRYSANDER. Laß sie warten! Jetzt – –

DAMIS. Jetzt kann ich freilich nicht alles auf einmal verrichten. Wann ich nur erst mit dem Wichtigsten werde zu Stande sein. Sie glauben nicht, was mir hier eine gewisse Untersuchung für Nachschlagen und Kopfbrechen kostet. Noch eine einzige Kleinigkeit fehlt mir, so habe ich es bewiesen, daß sich Kleopatra die Schlangen an den Arm, und nicht an die Brust, gesetzt hat – –

CHRYSANDER. Die Schlangen taugen nirgends viel. Mir wäre beinahe jetzt auch eine in Busen gekrochen; aber noch ist es Zeit. Höre einmal, mein Sohn; hier habe ich einen Brief bekommen, der mich – –

DAMIS. Wie? einen Brief? einen Brief? Ach lieber Anton! einen Brief? Liebster Herr Vater, einen Brief? von Berlin? Lassen Sie mich nicht länger warten; wo ist er? Nicht wahr, nunmehr werden Sie aufhören an meiner Geschicklichkeit zu zweifeln? Wie glücklich bin ich! Anton, weißt du es auch schon, was darin steht?

CHRYSANDER. Was schwärmst du wieder? Der Brief ist nicht von Berlin; er ist von meinem Advokaten aus Dresden, und nach dem, was er schreibt, kann aus deiner Heirat mit Julianen nichts werden.

DAMIS. Nichtswürdiger Kerl! so bist du noch nicht wieder auf der Post gewesen?

ANTON. Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß vor neun Uhr für mich auf der Post nichts zu tun ist.

DAMIS. Ah, verberabilissime, non fur, sed trifur! Himmel! daß ich vor Zorn so gar des Plautus Schimpfwörter brauchen[344] muß. Wird dir denn ein vergebner Gang gleich den Hals kosten?

ANTON. Schimpften Sie mich? Weil ich es nicht verstanden habe, so mag es hingehen.

CHRYSANDER. Aber sage mir nur, Damis; nicht wahr, du hast doch einen kleinen Widerwillen gegen Julianen? Wenn das ist, so will ich dich nicht zwingen. Du mußt wissen, daß ich keiner von den Vätern bin – –

DAMIS. Ist die Heirat schon wieder auf dem Tapete? Wann Sie doch, wegen meines Widerwillens unbesorgt sein wollten. Genug, ich heirate sie – –

CHRYSANDER. Das heißt so viel, du wolltest dich meinetwegen zwingen? Das will ich durchaus nicht. Wenn du gleich mein Sohn bist, so bist du doch ein Mensch; und jeder Mensch wird frei geboren, er muß machen können, was er will; und – Kurz, – ich gebe dir dein Wort wieder zurück.

DAMIS. Wieder zurück? und vor einigen Stunden konnte ich mich nicht hurtig genug entschließen? Wie soll ich das verstehen?

CHRYSANDER. Das sollst du so verstehen, daß ich es überlegt habe, und daß, weil dir Juliane nicht gefällt, sie mir auch nicht ansteht; daß ich ihre wahren Umstände in diesem Briefe wieder gefunden habe, und daß – – Du siehst es ja, daß ich den Brief nur jetzt gleich bekommen habe. Ich weiß zwar wahrhaftig nicht, was ich davon denken soll? Die Hand meines Advokaten ist es nicht –


Damis setzt sich wieder an den Tisch.


ANTON. Nicht? o! die Leutchen müssen mehr als eine Hand zu schreiben wissen.

CHRYSANDER. Zu geschwind ist es beinahe auch. Kaum sind es acht Tage, daß ich ihm geschrieben habe. Sollte er das Ding in der kurzen Zeit schon haben untersuchen können? Von wem hast du denn den Brief bekommen, Anton?

ANTON. Von Lisetten.

CHRYSANDER. Und Lisette?

ANTON. Von dem Briefträger, ohne Zweifel.

CHRYSANDER. Aber warum bringt denn der Kerl die Briefe nicht mir selbst?[345]

ANTON. Sie werden sich doch in den Händen, wodurch sie gehen, nicht verändern können?

CHRYSANDER. Man weiß nicht – – Gleichwohl aber lassen sich die Gründe, die er anführt, hören. Ich muß also wohl den sichersten Weg nehmen, und dir, mein Sohn – – Aber, ich glaube gar, du hast dich wieder an den Tisch gesetzt, und studierst?

DAMIS. Mein Gott! ich habe zu tun, ich habe so gar viel zu tun.

CHRYSANDER. Drum mit einem Worte, damit ich dich nicht um die Zeit bringe; die Heirat mit Julianen war nichts, als ein Gedanke, den du wieder vergessen kannst. Wann ich es recht überlege, so hat doch Valer das größte Recht auf sie.

DAMIS. Sie betriegen sich, wenn Sie glauben, daß ich nunmehr davon abgehen werde. Ich habe alles wohl überleget, und ich muß es Ihnen nur mit ganz trocknen Worten sagen, daß eine böse Frau mir helfen soll, meinen Ruhm unsterblich zu machen; oder vielmehr, daß ich eine böse Frau, an die man nicht denken würde, wann sie keinen Gelehrten gehabt hätte, mit mir zugleich unsterblich machen will. Der Charakter eines solchen Eheteufels, wird auf den meinigen ein gewisses Licht werfen – –

CHRYSANDER. Nun wohl, wohl; so nimm dir eine böse Frau; nur aber eine mit Gelde, weil an einer solchen die Bosheit noch erträglich ist. Von der Gattung war meine erste selige Frau. Um die zwanzigtausend Taler, die ich mit ihr bekam, hätte ich des bösen Feindes Schwester heiraten wollen – – Du mußt mich nur recht verstehen: ich meine es nicht nach den Worten. – Wann sie aber böse sein soll, deine Frau, was willst du mit Julianen? – – Höre, ich kenne eine alte Witwe, die schon vier Männer ins Grab gezankt hat; sie hat ihr feines Auskommen: ich dächte, das wäre deine Sache; nimm die! Ich habe dir das Maul einmal wäßrig gemacht, ich muß dir also doch etwas darein geben. Wann es einmal eine Xantippe sein soll, so kannst du keine beßre finden.

DAMIS. Mit Ihrer Xantippe! ich habe es Ihnen ja schon mehr[346] als einmal gesagt, daß Xantippe keine böse Frau gewesen ist. Haben Sie meine Beweisgründe schon wieder vergessen?

CHRYSANDER. Ei was? mein Beweis ist das ABCbuch. Wer so ein Buch hat schreiben können, das so allgemein geworden ist, der muß es gewiß besser verstanden haben, als du. Und kurz, mir liegt daran, daß Xantippe eine böse Frau gewesen ist. Ich könnte mich nicht zufrieden geben, wenn ich meine erste Frau so oft sollte gelobt haben. Schweig also mit deinen Narrenspossen; ich mag von dir nicht besser unterrichtet sein.

DAMIS. So wird uns gedankt, wenn wir die Leute aus ihren Irrtümern helfen wollen.

CHRYSANDER. Seit wenn ist denn das Ei klüger, als die Henne? he? Herr Doktor, vergeß Er nicht, daß ich Vater bin, und daß es auf den Vater ankömmt, wenn der Sohn heiraten soll. Ich will an Julianen nicht mehr gedacht wissen – –

DAMIS. Und warum nicht?

CHRYSANDER. Soll ich meinem einzigen Sohne ein armes Mädchen aufhängen? Du bist nicht wert, daß ich für dich so besorgt bin. Du weißt ja, daß sie nichts im Vermögen hat.

DAMIS. Hatte sie vorhin, da ich sie heiraten sollte, mehr als jetzt?

CHRYSANDER. Das verstehst du nicht. Ich wußte wohl, was ich vorhin tat; aber ich weiß auch, was ich jetzt tue.

DAMIS. Gut, desto besser ist es, wann sie kein Geld hat. Man wird mir also nicht nachreden können, die böse Frau des Geldes wegen genommen zu haben; man wird es zugestehen müssen, daß ich keine andere Absicht gehabt, als die, mich in den Tugenden zu üben, die bei Erduldung eines solchen Weibes nötig sind.

CHRYSANDER. Eines solchen Weibes! wer hat dir denn gesagt, daß Juliane eine böse Frau werden wird?

DAMIS. Wenn ich nicht, wie wir Gelehrten zu reden pflegen, a priori davon überführt wäre, so würde ich es schon daraus schließen können, weil Sie daran zweifeln.[347]

CHRYSANDER. Fein naseweis, mein Sohn! fein naseweis! Ich habe Julianen auferzogen; sie hat viel Wohltaten bei mir genossen; ich habe ihr alles Gute beigebracht: wer von ihr Übels spricht, der spricht es zugleich von mir. Was? ich sollte nicht ein Frauenzimmer zu ziehen wissen? Ich sollte ein Mädchen, das unter meiner Aufsicht groß geworden ist, nicht so weit gebracht haben, daß es einmal eine rechtschaffne wackre Frau würde? Reich habe ich sie freilich nicht machen können; ich bin der Wohltat selbst noch benötigt. Aber daß ich sie nicht tugendhaft, nicht verständig gemacht hätte, das kann mir nur einer nachreden, der so dumm ist, als du, mein Sohn. Nimm mir es nicht übel, daß ich mit der Sprache herausrücke. Du bist so ein eingemachter Narre, so ein Stockfisch – – nimm mirs nicht übel, mein Sohn – – so ein überstudierter Pickelhering – aber nimm mirs nicht übel – –

DAMIS bei Seite. Bald sollte ich glauben, daß sein erster Handel mit eingesalznen Fischen gewesen sei. – – Schon gut, Herr Vater; von Julianens Tugend will ich nichts sagen; die Tugend ist oft eine Art von Dummheit. Aber was ihren Verstand anbelangt, von dem werden Sie mir erlauben, daß ich ihn noch immer in Zweifel ziehe. Ich bin nun schon eine ziemliche Zeit wieder hier; ich habe mir auch manchmal die Mühe genommen, ein Paar Worte mit ihr zu sprechen: hat sie aber wohl jemals an meine Gelehrsamkeit gedacht? Ich mag nicht gelobt sein; so eitel bin ich nicht; nur muß man den Leuten ihr Recht widerfahren lassen – –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 343-348.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der junge Gelehrte
Der Junge Gelehrte Ein Lustspiel in Drei Aufzugen
Der junge Gelehrte.
Der junge Gelehrte
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon