[119] Aridäus. Philotas.
ARIDÄUS. Nun sind die Boten fort, mein Prinz. Sie sind auf den schnellesten Pferden abgegangen, und das Hauptlager deines Vaters ist so nahe, daß wir in wenig Stunden Antwort erhalten können.
PHILOTAS. Du bist also, König, wohl sehr ungeduldig, deinen Sohn wieder zu umarmen?
ARIDÄUS. Wird es dein Vater weniger sein, dich wieder an seine Brust zu drücken? – Laß mich aber, liebster Prinz, deine Gesellschaft genießen. In ihr wird mir die Zeit schneller verschwinden; und vielleicht, daß es auch sonst glückliche Folgen hat, wenn wir uns näher kennen. Liebenswürdige Kinder sind schon oft die Mittelspersonen zwischen veruneinigten Vätern gewesen. Folge mir also in mein Zelt, wo die besten meiner Befehlshaber deiner warten. Sie brennen vor Begierde dich zu sehen und zu bewundern.
PHILOTAS. Männer, König, müssen kein Kind bewundern. Laß[119] mich also nur immer hier. Scham und Ärgernis würden mich eine sehr einfältige Person spielen lassen. Und was deine Unterredung mit mir anbelangt – da seh' ich vollends nicht, was daraus kommen könnte. Ich weiß weiter nichts, als daß du und mein Vater in Krieg verwickelt sind; und das Recht – das Recht, glaub' ich, ist auf Seiten meines Vaters. Das glaub' ich, König, und will es nun einmal glauben – wenn du mir auch das Gegenteil unwidersprechlich zeigen könntest. Ich bin Sohn und Soldat, und habe weiter keine Einsicht, als die Einsicht meines Vaters und meines Feldherrn.
ARIDÄUS. Prinz, es zeiget einen großen Verstand, seinen Verstand so zu verleugnen. Doch tut es mir leid, daß ich mich also auch vor dir nicht soll rechtfertigen können. – Unseliger Krieg!
PHILOTAS. Ja wohl, unseliger Krieg! – Und wehe seinem Urheber!
ARIDÄUS. Prinz! Prinz! erinnere dich, daß dein Vater das Schwerd zuerst gezogen. Ich mag in deine Verwünschung nicht einstimmen. Er hatte sich übereilt, er war zu argwöhnisch –
PHILOTAS. Nun ja; mein Vater hat das Schwerd zuerst gezogen. Aber entsteht die Feuersbrunst erst dann, wenn die lichte Flamme durch das Dach schlägt? Wo ist das geduldige, gallose, unempfindliche Geschöpf, das durch unaufhörliches Necken nicht zu erbittern wäre? – Bedenke, – denn du zwingst mich mit aller Gewalt von Dingen zu reden, die mir nicht zukommen – bedenke, welch eine stolze, verächtliche Antwort du ihm erteiltest, als er – Doch du sollst mich nicht zwingen; ich will nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unendlicher Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur dem untrieglichen Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; nur das kann uns richten. Die Götter aber, du weißt es, König, sprechen ihr Urteil durch das Schwerd des Tapfersten. Laß uns den blutigen Spruch aushören! Warum wollen wir uns kleinmütig von diesem höchsten Gerichte wieder zu den niedrigern wenden? Sind unsere Fäuste schon so müde, daß die geschmeidige Zunge sie ablösen müsse?[120]
ARIDÄUS. Prinz, ich höre dich mit Erstaunen –
PHILOTAS. Ach! – Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hören!
ARIDÄUS. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer! – Dich hat das Schicksal zur Krone bestimmt, dich! – Dir will es die Glückseligkeit eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir! – Welch eine schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit Lorbeern und mit Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche Untertanen zählen. – Wohl mir, daß meine Tage in die deinigen nicht reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne! Du wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch abzulegen –
PHILOTAS. Beruhige den Vater, o König! Ich werde deinem Sohne weit mehr vergönnen! weit mehr!
ARIDÄUS. Weit mehr? Erkläre dich –
PHILOTAS. Habe ich ein Rätsel gesprochen? – O verlange nicht, König, daß ein Jüngling, wie ich, alles mit Bedachte und Absichten sprechen soll. – Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Blüte sie verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehret, ward oft ein kriegerischer König. Könnte mit mir sich nicht das Gegenteil zutragen? – Oder vielleicht war auch dieses meine Meinung, daß ich noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. Wer weiß, ob die Götter mich ihn vollenden lassen? – Und laß mich ihn nicht vollenden, Vater der Götter und Menschen, wenn du in der Zukunft mich als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet, des Blutes meiner Untertanen, siehest! –
ARIDÄUS. Ja, Prinz; was ist ein König, wenn er kein Vater ist! Was ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir, und bin wieder ganz dein Freund! – Aber komm, komm; wir müssen hier nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge mir!
PHILOTAS. Verzeih, König –
ARIDÄUS. Weigere dich nicht!
PHILOTAS. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen? – –
ARIDÄUS. Warum nicht?[121]
PHILOTAS. Ich kann nicht, König; ich kann nicht.
ARIDÄUS. Und die Ursache?
PHILOTAS. O die Ursache! – Sie würde dich zum Lachen bewegen.
ARIDÄUS. Um so viel lieber laß sie mich hören. Ich bin ein Mensch, und weine und lache gern.
PHILOTAS. Nun so lache denn! – Sieh, König, ich habe kein Schwerd, und ich möchte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter Soldaten erscheinen.
ARIDÄUS. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl, dir dein Schwerd wieder zu schaffen.
PHILOTAS. Also laß uns ihn hier erwarten.
ARIDÄUS. Und alsdenn begleitest du mich doch? –
PHILOTAS. Alsdenn werde ich dir auf dem Fuße nachfolgen.
ARIDÄUS. Gewünscht! da kömmt er! Nun, Strato –
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