Anti-Goeze
Eilfter

[303] Pro boni viri officio, si quando eum ad defensionem nocentium ratio duxerit, satisfaciam.

Quinctilianus


Ich komme endlich auf das Dritte, wodurch ich mich als den Advokaten des Ungenannten erzeigen soll. Es soll in meinem Betragen gegen diejenigen bestehen, die sich der christlichen Religion wider ihn annehmen.

Diese Rüge enthält zweierlei, auf deren jedes ich verschieden antworten muß. Entweder man findet es nur sonderbar und unrecht, daß ich überhaupt noch den Ungenannten bei seinen Gegnern vertrete; oder man findet es zugleich so viel sonderbarer und unrechter, daß ich es in dem Tone tue, den man mir so hoch aufmutzt.

Auf erstres glaube ich schon zum Teil damit geantwortet zu haben, daß ich mich erkläret, nicht als Advokat für ihn zu sprechen, der ihn seine Sache will gewinnen machen. Ich spreche bloß als ehrlicher Mann, der ihn nur so tumultuarisch nicht will verdammt wissen. Höchstens spreche ich so, als ein zugegebner Advokat für einen Verbrecher spricht; und rede nur statt seiner; und rede nur, wie man es im gemeinen Leben auszudrücken pflegt, in seine Seele. Hierzu aber bin ich um so mehr verpflichtet, da ich das Mehrere von seinen Papieren in Händen habe. Es wäre Verrat an der Unschuld, er mag nun viel oder wenig Anspruch auf Unschuld machen können, wenn ich in diesen mehrern Papieren das Geringste, das ihm auf irgend eine Weise zu Statten käme, fände, und nicht anzeigte. Der Verrat wäre von mir um so viel größer, da ich ungebeten sein Herausgeber geworden bin, und als literarische Proben, Stücke aus ihm mitgeteilet habe, die aus aller Verbindung gerissen sind, durch welche allein[303] sie ihr wahres Leben erhalten. Warum hat man diese Proben durchaus nicht wollen sein lassen, was sie sein sollen? Warum hat man sie einer größern Aufmerksamkeit gewürdiget, als Fragmente von aller Art verdienen, auf die kein Mensch sich einzulassen verbunden ist? Warum hat man sogar Verbindungspartikeln, durch welche sich der Ungenannte auf etwas anderweits Erwiesenes beziehet, für bloßes Blendwerk ausgegeben, und dadurch so wohl meine als seine Redlichkeit in den lieblosesten Verdacht gezogen? – Doch davon an einem andern Orte.

Hier lasse man mich nur noch hinzufügen, was ich mich nicht schämen darf zu wiederholen, da es einmal gestanden ist. Ich habe den Ungenannten auch darum in die Welt gestoßen, weil ich mit ihm allein nicht länger unter einem Dache wohnen wollte. Er lag mir unaufhörlich in den Ohren, und ich bekenne nochmals, daß ich seinen Zuraunungen nicht immer so viel entgegen zu setzen wußte, als ich gewünscht hätte. Uns, dachte ich, muß ein Dritter entweder näher zusammen, oder weiter aus einander bringen: und dieser Dritte kann niemand sein als das Publikum.

Verliere ich nun aber nicht alle den Nutzen, den ich mir aus diesem Schritte versprach, wenn ich nicht auf jedes Wort, auf jede Miene aufmerksam bin, mit welcher man ihn im Publico empfängt? Ich muß jeden fragen, der über ihn stutzt, oder über ihn lacht, oder über ihn erschrickt, oder über ihn poltert: wie verstehen Sie das? wie beweisen Sie das? Auch werde ich mich mit der ersten der besten Antwort des ersten des besten Gegners schwerlich begnügen können. Denn wenn sie auch wirklich die beste wäre: so ist das Beste doch nicht immer gut; und ich kenne für tausend Zweifel die besten Antworten sehr wohl, ohne eine einzige gute darunter zu finden.

Daß man mir aber nur nicht eine so schwer zu befriedigende Nachforschung als einen Beweis dessen vorwerfe, was ich so eifrig abzulehnen suche! Ich erzeige mich auch dadurch so wenig als den Advokaten des Ungenannten, daß ich mich vielmehr, (weil es doch einmal Advokat heißen soll) als den Advokaten der Religion damit erweise, die der Ungenannte angreift. Denn was hat er zu tun, der rechtschaffene Advokat, ehe er eine Sache übernimmt? Nachdem er seinen Klienten lange genug angehöret,[304] sich ein Langes und Breites von ihm vorsagen lassen, in die Länge und in die Quere ihn ausgefragt19, in aliam rursus ei personam transeundum est, agendusque adversarius, proponendum, quidquid omnio excogitari contra potest, quicquid recipit in ejusmodi disceptatione natura. Gerade so, auch ich! Aber werden Verteidigern der Religion sodann am schärfsten widersprechen wird, wird es darum mit der Religion nicht am schlimmsten meinen. Denn ich werde nur darum die Verteidiger der Religion interrogare quam infestissime, ac premere, weil auch hier, dum omnia quaerimus, aliquando ad verum, ubi minime expectavimus, pervenimus; weil auch hier optimus est in discendo patronus incredulus.

Nun habe ich freilich dieser Pflicht gegen mich selbst zur Zeit noch wenig Genüge leisten können. Aber ich hoffe, in Zukunft es besser zu tun; und es mit aller der Kälte, mit alle dem Glimpfe gegen die Personen zu tun, die mit jener Strenge und Wärme für die Sache bestehen können, welche allein Quinctilian bei seinem infestissime kann gedacht haben.

»Ei nun ja!« höre ich den Herrn Hauptpastor rufen – und bin bei dem zweiten Gliede dieser Rüge. »Ei nun ja! Da verlasse sich einer darauf, und binde mit ihm an! Wir haben die Erfahrung davon; ich und sein Nachbar. Wie höhnend, wie verachtend, wie wegwerfend hat er wider uns geschrieben!«

Fühlen Sie das, Herr Hauptpastor? Desto besser. So habe ich meinen Zweck mit Ihnen erreicht; aber noch lange nicht getan, was Sie verdienen. Denn einmal gehören Sie zu den Gegnern meines Ungenannten noch gar nicht. Sie haben bis diese Stunde ihn noch in nichts widerlegt; Sie haben bloß auf ihn geschimpft. Sie sind bis diese Stunde nur noch als mein Gegner anzusehen; nur noch als der Gegner eines Gegners des Ungenannten. Und nächst dem haben Sie wider diesen Gegner des Ungenannten sich Dinge erlaubt, die Sie zum Teil kaum gegen den Ungenannten sich hätten erlauben müssen. Sie haben mich feindseliger Angriffe auf die christliche Religion beschuldiget. Sie haben mich förmlicher Gotteslästerungen beschuldiget; Sagen Sie selbst: wissen Sie infamierendere Beschuldigungen, als diese? Wissen Sie Beschuldigungen,[305] die unmittelbarer Haß und Verfolgung nach sich ziehen? Mit diesem Dolche kommen Sie auf mich eingerannt, und ich soll mich nicht anders, als den Hut in der Hand, gegen Sie verteidigen können? soll ganz ruhig und bedächtig stehn bleiben, damit ja nicht Ihr schwarzer Rock bestaubt werde? soll jeden Atemzug so mäßigen, daß ja Ihre Perrucke den Puder nicht verliere? Sie schreien über den Hund, »er ist toll!« wohl wissend, was die Jungen auf der Gasse daraus folgern: und der arme Hund soll gegen Sie auch nicht einmal blaffen? blaffend Sie nicht Lügen strafen? Ihnen nicht die Zähne weisen? Das wäre doch sonderbar. Hieronymus sagt, daß die Beschuldigung der Ketzerei (wie viel mehr der Irreligion?) der Art sei, in qua tolerantem esse, impietas sit, non virtus. Und doch, doch hätte ich mich lieber dieser Gottlosigkeit schuldig machen, als eine Tugend nicht aus den Augen setzen sollen, die keine ist? Anständigkeit, guter Ton, Lebensart: elende Tugenden unsers weibischen Zeitalters! Firnis seid ihr; und nichts weiter. Aber eben so oft Firnis des Lasters, als Firnis der Tugend. Was frage ich darnach, ob meine Darstellungen diesen Firnis haben, oder nicht? Er kann ihre Würkung nicht vermehren; und ich will nicht, daß man für meine Gemälde das wahre Licht erst lange suchen soll. – Sagen Sie an, Herr Hauptpastor, was habe ich gegen Sie geschrieben, warum Sie nicht nach wie vor Hauptpastor in Hamburg sein und bleiben könnten? Ich hingegen könnte das nicht sein, könnte das nicht bleiben, was ich bin; wenn Ihre Lüge Wahrheit wäre. Sie wollen mir die Nase abschneiden, und ich soll Ihrer nicht mit ein wenig assa foetida räuchern? –

Dieses ist nun freilich der Fall meines Nachbars nicht ganz. Aber ihn habe ich auch nirgends so behandelt, als den Herrn Hauptpastor. Bloß sein wiederholter Vorwurf, daß der Ungenannte, die Wahrheit, die er gar wohl einsehe, nur nicht einsehen wolle; bloß dieser Vorwurf, welcher einen Menschen so ganz in einen Teufel verwandelt; bloß dieser Vorwurf, von dessen Gifte, wie ich bewiesen habe, ein großer Teil auf mich zurücke spritzt: hat mich im Fortgange des Wortwechsels bitterer gegen ihn gemacht, als ich zu sein mir vorgenommen hatte. Und wie bitter bin ich denn gegen ihn gewesen? Das bitterste ist doch wohl, daß ich von ihm gesagt habe, »er schreibe im Schlafe«? Mehr nicht?[306] Und daraus will der Herr Hauptpastor schließen, daß das Testament Johannis, in welchem die allgemeine brüderliche Liebe so sehr empfohlen wird, von mir unmöglich sein könne? Nun wohl: so hat Hieronymus, aus welchem ich das Testament Johannis genommen, eben so wenig von dieser Liebe gehabt, als ich; und ich bin lange zufrieden, daß ich deren doch eben so viel habe, als Hieronymus; wenn schon nicht ganz so viel, als der Herr Hauptpastor Goeze, der seine Herren Kollegen aus brüderlicher Liebe eher ewig schlafen macht, als ihnen das Schlafen vorwirft. Denn gerade sagt Hieronymus einem seiner Gegner nicht mehr und nicht weniger, als ich meinem Nachbar gesagt habe. Dem Vigilantius nämlich schreibt er mit dürren Worten: Ego reor, et nomen tibi κατ' αντιφρασιν impositum. Nam tota mente dormitas et profundissimo non tam somno stertis, quam lethargo. Auch wiederholt der heilige Mann das böse Wortspiel überall, wo er von dem Vigilantius spricht; und wenn ich recht gezählt habe, mag er ihn wohl eben so oft ausdrücklich Dormitantius nennen, als ich meinen Nachbar in seinem Schlafe zu stören, mir die Freiheit genommen habe. Ich fürchte auch im geringsten nicht, daß der Nachbar selbst diesen kleinen Spaß so hoch aufgenommen haben sollte, daß er sich mit mir nicht weiter abzugeben beschlossen hätte. Darunter würde ich allerdings zu viel verlieren; und lieber will ich gleich hier, mit folgenden Worten des Augustinus, ihn um Verzeihung bitten: Obsecro to per mansuetudinem Christi, ut si te laesi, dimittas mihi, nec, me vicissim laedendo, malum pro malo reddas. Laedes enim, si mihi tacueris errorem meum, quem forte inveneris in scriptis meis. –

Nun eben wollte ich noch die Frage tun; welchem Gegner meines Ungenannten sonst, ich auf eine unanständige abschreckende Art begegnet bin? als mit eins ein Ritter, das Visier weder auf noch nieder geschoben, in den Kampfplatz gesprengt kömmt, und gleich von weiten, in dem wahren Ton eines Homerischen Helden mir zuruft:20 »Ich sollte –? Woher wissen Sie –? Warum taten Sie –? Nicht wahr –?« Und hierauf ein Geschrei über Verleumdung, und ein Hochzeitbitter-Beweis, daß ein Subrector in einer Reichsstadt eben so viel sei, als ein Bibliothekar,[307] der Hofrat heiße!– Ei, meinetwegen noch zehnmal mehr! Aber gilt das mir? Ich kenne Sie nicht, edler Ritter. Mit Erlaubnis, wer sind Sie? Sie sind doch wohl nicht gar Herr M. Friedrich Daniel Behn, des Lübeckischen Gymnasii Subrector? Wahrlich? O wie betaure ich, daß ich den Herrn Subrector durch meinen vierten Anti-Goeze, wider alle mein Wollen, so in den Harnisch geschrieben habe! Aber bedenken Sie doch nur! Ich habe Sie nirgends genannt; ich habe Ihre Schrift nirgends angezogen; ich habe Ihre Worte nirgends gebraucht. Sie sagen selbst, daß die Meinung, die ich lächerlich mache, Ihre Meinung nicht sei. Und leicht möglich, daß sie es wirklich nicht ist; obgleich der Herr Hauptpastor Goeze sie um ein großes so vorstellt, indem er uns sagt, wie sehr Sie in Ihrem zweiten Abschnitte den Unfug beklagen, daß man die christliche Religion in deutscher Sprache bestreite. Wie, wenn ich es also nur mit diesem Manne zu tun hätte, der alles für Unfug erklärt, was nicht in seinen Kram taugt? Wie, wenn ich es nur mit denen zu tun hätte, die mir diese nämliche Meinung hundertmal mündlich geäußert haben? Woher erhellet denn, daß ich der Welt zu verstehen geben wollen, als ob auch Sie dieser nämlichen Meinung wären? Daher, weil ich sie einem Subconrector in den Mund gelegt habe? Aber Sie sind ja nicht Subconrector, sondern Subrector. Warum muß ich denn diesen lieber in jenen herabgewürdiget, als unter jenem diesen gar nicht gemeint haben? Darf ich denn einen Pedanten nicht Subconrector nennen, weil Herr Behn Subrector ist? Oder wollen Sie den Unterscheid zwischen objektiver und subjektiver Religion schlechterdings zuerst erfunden, zuerst gebraucht haben; so daß ich Sie notwendig dadurch kenntlich gemacht hätte, daß ich ihn nachgebraucht? – Ich merke, mein lieber Herr Subrector, Sie sind ein wenig sehr stolz; aber doch noch hitziger als stolz; und mich jammert Ihrer Klasse. So oft ein Knabe lacht, muß er über den Herrn Subrector gelacht haben, – et vapulat.

19

Quinctilianus L. XII.

20

Anti-Lessing.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff..
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