Anti-Goeze
Neunter

Qui auctorem libri dogmaticum absconditum mihi revelat, non tam utilitati meae, quam curiositati servit: immo non raro damnum mihi affert, locum faciens praejudicio auctoritatis.

Heumannus de libr. an. et pseud.


Die Klage, über meine Art zu streiten, konnte ich nur in dieser nämlichen Art beantworten; und ich lasse es mir gar wohl gefallen, daß der Herr Hauptpastor meine Antwort selbst, zu einem Beweise seiner Klage macht. Warum sollte ich ihm nicht, mit gutem Vorsatze, noch mehrere Beweise zu einer Klage liefern, die ich verachte?

2. Aber der Vorwurf, daß ich den Ungenannten mit unverdienten und unmäßigen Lobsprüchen beehret, in der doppelt schelmischen Absicht, bei flachen Lesern ein günstiges Vorurteil für ihn zu erschleichen, und die Gegner abzuschrecken, die sich etwa wider ihn rüsten möchten: dieser Vorwurf ist ernsthafter und verdienet eine ernsthaftere Antwort. Nur Schade, daß ich diese ernsthaftere Antwort nicht so einleuchtend zu machen im Stande bin. Denn dieses zu können, müßte schon das ganze Werk des Ungenannten der Welt vor Augen liegen, indem sich alle meine Lobsprüche bloß und allein auf eine Beschaffenheit desselben beziehen, aus einer Beschaffenheit desselben entsprungen sind. Und aus welcher? Aus einer solchen, die sich gar wohl auch von einem Werke denken läßt, das in der Hauptsache sehr weit vom Ziele schießt. Ich habe es ein freimütiges, ernsthaftes, gründliches, bündiges, gelehrtes Werk genannt: lauter Eigenschaften, aus welchen die Wahrheit der darin abgehandelten Materie noch keines Weges folget; und die ich gar wohl auf den Verfasser übertragen dürfen, ohne ihn deswegen als einen Mann[291] anzunehmen oder zu empfehlen, auf den man sich in allen Stücken verlassen könne. Es setzen daher auch diese Lobsprüche im geringsten nicht voraus, daß ich ihn näher, oder aus mehrern Werken kenne; noch weniger, daß ich ihn persönlich kenne, oder gekannt habe.

Denn so empfindlich es auch immer dem Herrn Hauptpastor mag gewesen sein, daß ich geradezu gesagt »mein Ungenannter sei des Gewichts, daß in allen Arten der Gelehrsamkeit, sieben Goezen nicht ein Siebenteil von ihm aufzuwägen vermögend sind«: so getraue ich mir doch diese Äußerung einzig und allein aus dem gut zu machen, was mir von seinem Werke in den Händen ist. Der Herr Hauptpastor muß nur nicht, was ich von allen Arten der Gelehrsamkeit sage, auf alle Minutissima dieser Arten ausdehnen. So möchte es z.E. mir allerdings wohl schwer zu erweisen sein, daß mein Ungenannter von allen Plattdeutschen Bibeln eine eben so ausgebreitete gründliche Kenntnis gehabt, als der Herr Hauptpastor. Kaum dürften ihm die verschiednen Ausgaben der Lutherischen Bibelübersetzung selbst, so vollkommen bekannt gewesen sein, als dem Herrn Hauptpastor; welcher so außerordentliche Entdeckungen darin gemacht, daß er auf ein Haar nun angeben kann, um wie weit mit jeder Ausgabe die Orthodoxie des seligen Mannes gewachsen. Aber alles dieses sind doch nur Stäubchen aus der Literargeschichte, welchen mein Ungenannter nur siebenmal siebenmal so viel andere Stäubchen eben daher entgegen zu setzen haben dürfte, um mich nicht zum Lügner zu machen. Und so mit den übrigen Kenntnissen allen! Selbst mit denen, die der Ungenannte actu gar nicht, sondern nur virtualiter besaß. Die Ursache ist klar. Er war ein selbstdenkender Kopf; und selbstdenkenden Köpfen ist es nun einmal gegeben, daß sie das ganze Gefilde der Gelehrsamkeit übersehen, und jeden Pfad desselben zu finden wissen, so bald es der Mühe verlohnet, ihn zu betreten. Ein Wievielteilchen eines solchen Kopfes dem Herrn Hauptpastor zu Teil worden, bleibt seinem eignen unparteiischen Ermessen anheimgestellt. Gnug daß 7 mal 7 nur 49 macht; und auch ein Neunundvierzigteilchen meines Ungenannten noch aller Hochachtung wert, und siebenmal mehr ist, als man an allen Orten und Enden der Christenheit zu einem Pastor oder Hauptpastor erfodert.[292]

Doch halt! Ich habe ja meinen Ungenannten auch einen ehrlichen unbescholtenen Mann genannt: und dieses setzt doch wohl voraus, daß ich ihn näher und persönlich kenne? – Auch dieses nicht! Und ohne mich viel mit dem Quilibet praesumitur etc. zu decken, will ich nur gleich sagen, was für Grund in seinem Werke ich gefunden habe, ihm auch diese Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nämlich; obschon mein Ungenannter freilich alle geoffenbarte Religion in den Winkel stellet; so ist er doch darum so wenig ein Mann ohne alle Religion, daß ich schlechterdings niemanden weiß, bei dem ich von der bloß vernünftigen Religion so wahre, so vollständige, so warme Begriffe gefunden hätte, als bei ihm. Diese Begriffe trägt das ganze erste Buch seines Werkes vor; und wie viel lieber hätte ich dieses erste Buch an das Licht gebracht, als ein andres Fragment, welches mir seine voreiligen Bestreiter abgedrungen haben! Nicht so wohl, weil die spekulativen Wahrheiten der vernünftigen Religion darin in ein größer Licht durch neue und geschärftere Beweise gestellet worden: sondern vielmehr, weil mit einer ungewöhnlichen Deutlichkeit darin gezeigt wird, welchen Einfluß diese Wahrheiten auf unsere Pflichten haben müssen, wenn die vernünftige Religion in einen vernünftigen Gottesdienst über gehen soll. Alles, was er von diesem, von diesem Einflusse insbesondere, sagt, trägt das unverkennlichste Merkmal, daß es aus einem eben so erleuchteten Kopfe, als reinem Herzen geflossen; und ich kann mir unmöglich einbilden, daß in eben diesem Kopfe bei eben diesen erhabenen Einsichten, in eben diesem Herzen bei eben diesen edeln Neigungen, tolle vorsetzliche Irrtümer, kleine eigennützige Affekten hausen und herrschen können. In eodem pectore, sagt Quinctilian, nullum est honestorum turpiumque consortium: et cogitare optima simul ac deterrima non magis est unius animi, quam ejusdem hominis bonum esse ac malum. – Das also, das war es, warum ich meinen Ungenannten einen ehrlichen unbescholtenen Mann nennen zu können glaubte, ohne aus seinem bürgerlichen Leben Beweise dafür zu haben!

Freilich glaubte ich einmal, ihn in der Person des Wertheimischen Bibelübersetzers näher zu kennen; und noch kürzlich hätte mich die ungesuchte Äußerung eines hiesigen ehrlichen Mannes in solchem Glauben bestärken können. Dieser Mann hat ehedem,[293] wie noch gar wohl bekannt, mit Schmiden vielen Umgang gepflogen; und ich habe sein schriftliches Zeugnis in Händen. Doch Herr Mascho hat durch so viel Schlüsse a priori meinen Wahn, oder wofür er es sonst halten mag, so kräftig bestritten, daß ich ganz und gar keine Achtung für dergleichen Schlüsse in rebus facti haben müßte, wenn ich nicht wenigstens sollte zweifelhaft geworden sein. Zwar hinken einige dieser Schlüsse ein wenig sehr; z.E. der, welcher von der Wolfischen Philosophie hergenommen ist, die sich Schmid so ganz zu eigen gemacht hatte, und von welcher bei meinem Ungenannten keine Spur zu finden sein soll. Denn mit Erlaubnis des Herrn Mascho, das eben angeführte erste Buch ist ganz auf Wolfische Definitionen gegründet; und wenn in allen Übrigen die strenge mathematische Methode weniger sichtbar ist, so hat ja wohl die Materie mit Schuld, die ihrer nicht fähig war. Auch muß ich dem Herrn Mascho aufrichtig bekennen, daß ich nicht einsehe, wie mein Vorgeben, die Handschrift des Ungenannten habe wenigstens ein Alter von 30 Jahren, darum nicht Statt finden könne, weil Wettsteins und des Spruches I. Johann. V. 7, darin gedacht werde. Es ist wahr, Wettsteins neues Testament kam erst 1751 heraus; aber die Prolegomena waren doch bereits 1730 erschienen, und die Streitigkeit über den Spruch Johannis ist ja wohl noch älter. Allein, was würde es helfen, wenn ich auch in diesen Kleinigkeiten Recht bekäme? Herr Mascho weiß so unzählig andere Particularia von meinem Ungenannten, welche alle auf den Wertheimischen Schmid nicht passen, daß schwerlich an diesen weiter gedacht werden kann; wenn uns Herr Mascho nur noch vorher zu sagen beliebt, woher er diese Particularia hat.

Von mir hat er sie gewiß nicht. Sondern vermutlich hat er sie von einem gewissen E. der in den Altonaer Beiträgen (St. 30) den Verfasser der Fragmente »einen leider! nur zu bekannten Ungenannten nennet«: wenn dieser E. nicht vielmehr, was er so dreist in die Welt schreibt, von dem Herrn Mascho hat. Nach Belieben! Nur daß sich keiner auf mich berufe. Denn ich, für mein Teil, so bald ich merkte, daß ich mich in meiner Vermutung mit Schmiden wohl möchte übereilet haben, machte mir das Gesetz, einer solchen Vermutung nie wieder nachzuhängen. Ja ich faßte so fort den Entschluß, auch wenn ich den wahren Namen ganz[294] zuverlässig erführe, ihn dennoch nun und nimmermehr der Welt bekannt zu machen. Und bei diesem Entschlusse, so mir Gott hilft, bleibt es; gesetzt auch, daß ich ihn wirklich erfahren hätte.

Welche elende Neugierde, die Neugierde nach einem Namen! nach ein Paar Buchstaben, die so oder so geordnet sind! Ich lasse es gelten, wenn wir zugleich mit dem Namen, und durch den Namen erfahren, wie weit wir dem Zeugnisse eines Lichtscheus trauen können. Aber da, wo von Zeugnissen, von Dingen, die lediglich auf Zeugnissen beruhen, gar nicht die Rede ist; wo die Vernunft auf ihrem eignen Wege nur Gründe prüfen soll: was soll da der Name des, der das bloße Organ dieser Gründe ist? Er nutzt nicht allein nichts; sondern schadet auch wohl öfters, indem er einem Vorurteile Raum gibt, welches alle vernünftige Prüfungen so jämmerlich abkürzt. Denn entweder der Ungenannte wird als ein Mann erkannt, dem es auch sonst weder an Willen noch an Kraft die Wahrheit zu erkennen, gefehlt hat: und sogleich läßt sich der Pöbel, dem das Denken so sauer wird, von ihm blindlings hinreißen. Oder es findet sich, daß der Ungenannte schon sonst wo übel bestanden: und sogleich will eben der Pöbel ganz und gar weiter mit ihm nichts zu schaffen haben; der festen schönen Meinung, daß dem, der an einem Sinne verwahrloset ist, notwendig alle fünfe mangeln müssen. – So urteilen selbst Literatores, die es sonst für keine kleine Sache halten, auf anonyme und pseudonyme Schriftsteller Jagd zu machen: und ich sollte unphilosophischer urteilen und handeln, als diese Männer, welche so zu reden ein Recht haben, unnütze und unphilosophische Entdeckungen zu machen? Prudentis est, sagt Heumann an dem nämlichen Orte, woher das Lemma dieses Stücks gekommen ist, ita quosvis dogmaticos libros legere, quasi auctor plane sit ignotus. Hier ist das quasi wirklich. Der Leser braucht nicht erst wieder zu vergessen, was er nicht weiß.

Und nun stelle man sich vor, was ich für Augen möge gemacht haben, als ich, im Gefühl dieser meiner Gesinnungen, folgende Stelle des Herrn Hauptpastors las.17 »Zuletzt erinnere ich den Herrn L. noch, daß es nun für ihn Pflicht sei, den Verfasser der Fragmente zu nennen, da er mit der Entdeckung seines Namens[295] gedrohet, und es versucht hat, seinen Gegnern dadurch Furcht einzujagen, da es ihm nicht unbekannt sein kann, was für gelehrte unbescholtene Männer für Verfasser dieser Mißgeburten ausgegeben worden. Die Schuld, daß ihre Asche so unverantwortlich besudelt wird, fällt auf ihn zurück, wofern er mit der Wahrheit länger zurück hält; und er kann solche zu offenbaren, um so viel weniger Bedenken tragen, da er seinen Autor und dessen Arbeit schon vorläufig mit solchen Lobsprüchen beehret hat.«

Wie? Ich soll gedroht haben, den Verfasser der Fragmente zu nennen? Wo das? Und darauf soll ich meine Pflicht gründen, mit seinem Namen nicht länger hinter dem Berge zu halten? darauf? Wie die Pflicht, so der Bewegungsgrund zu Erfüllung derselben! Ich habe gewarnet, dem Ungenannten nicht gar zu bubenmäßig und schülerhaft zu begegnen, damit man sich nicht allzu sehr schämen müsse, wenn man endlich einmal erführe, wer er gewesen. Heißt das drohen? Heißt das drohen, daß man es durch mich erfahren soll? Daß ich endlich den Namen aussprechen will? – Wenn der Herr Hauptpastor hier nicht mit gutem Wissen und Vorsatz eine Lüge hingeschrieben hat: so ist es doch ein Beweis, wie er mich lieset. Er lieset nie das, was ich geschrieben habe: sondern immer nur das, was er gerne möchte, daß ich geschrieben hätte.[296]

17

Frei. Beitr. 5. B. 75.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 257-258,291-297.
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