Anti-Goeze
Achter

[250] Ex hoc uno capitulo comprobabo,

ferream te frontem possidere fallaciae.

Hierony. adv. Ruff.


Heida! wo wollte ich in meinem Vorigen hin? Es hat sich wohl, daß der Herr Hauptpastor den Namen Advokat in seiner eigentlichen Bedeutung nehmen sollte! Advokat heißt bei seines gleichen weiter nichts als Zungendrescher; und das, das bin ich ihm. Ein feiler Zungendrescher in Sachen des Ungenannten bin ich ihm; und er hat bloß die Güte, das minder auffallende Wort zu brauchen.

Was Wunder auch? Sein guter Freund, der Reichspostreiter, ehedem selbst ein Advokat, scheinet, ohne Zweifel aus eigner Erfahrung, eben den Begriff vom Advokaten zu haben; wie aus einem Epigramm zu sehen, welches er neulich in einem seiner Beiträge mit einfließen lassen. Ich weiß die schönen Zeilen nicht mehr; aber die Spitze war, daß nichts als Schreien zum Advokaten gehöre. Dieses Epigramm soll zu seiner Zeit zwischen der Börse und dem Rathause in Hamburg einiges Aufsehen gemacht haben, und es hätte dem Verfasser leicht eben so bekommen können, wie ihm mehrere Epigramme bekommen sind, wenn er nicht die Klugheit gehabt hätte, noch zur rechten Zeit zu erklären, daß er selbst das Epigramm nicht gemacht habe. Dieses schrieb man mir aus Hamburg, und setzte hinzu: »Das fand sich auch wirklich. Nicht der Reichspostreiter, sondern des Reichspostreiters Pferd, hatte das Epigramm gemacht.«

Doch das Pferd dieses Reiters kümmert mich eben so wenig, als der Reiter dieses Pferdes. Mag doch noch ferner eines mit dem andern immer durchstechen, und das Pferd, was es sich schämt gemacht zu haben, auf den Reiter, so wie der Reiter in gleichem[250] Falle auf das Pferd schieben. Ihr gemeinschaftlicher Sattel ist ein Maultier: damit gut! – Es sollte mir leid sein, wenn der Reichspostreiter nicht eben so wohl Miller's Jests, als den Dedekind gelesen hätte. –

Und so wende ich mich wieder zu dem geistlichen Herrn, dem dieser Postreiter nur manchmal vorspannt. Ja, ja, so ist es, und nicht anders. Wenn mich der Herr Hauptpastor den Advokaten des Ungenannten nennet, so meint er bloß einen gedungenen Zungendrescher, dem es gleich viel ist, was für einer Sache er seinen Beistand leihet; wenn es nur eine Sache ist, bei der er recht viele Ränke und Kniffe, von ihm genannt Heuremata, anbringen, und Richter und Gegenteil so blenden und verwirren kann, daß dieser gern mit dem magersten Vergleiche vorlieb nimmt, ehe jener das Urteil an den Knöpfen abzählt, oder blindlings aus dem Hute greift.

So ein Kerl bin ich dem Herrn Hauptpastor! Dahin zielet 1) seine ewige Klage, über meine Art zu streiten. Dahin zielet 2) sein Vorwurf, daß ich meinen Ungenannten mit unverdienten Lobsprüchen an das Licht gezogen. Dahin zielet 3) seine Beschuldigung, daß ich alle, welche bisher noch gegen ihn geschrieben, und sich der christlichen Religion wider ihn angenommen haben, mit dem bittersten Spotte abgewiesen.

Was meine Art zu streiten anbelangt, nach welcher ich nicht sowohl den Verstand meiner Leser durch Gründe zu überzeugen, sondern mich ihrer Phantasie durch allerhand unerwartete Bilder und Anspielungen zu bemächtigen suchen soll: so habe ich mich schon zur Hälfte darüber erklärt14. Ich suche allerdings, durch die Phantasie mit, auf den Verstand meiner Leser zu wirken. Ich halte es nicht allein für nützlich, sondern auch für notwendig, Gründe in Bilder zu kleiden; und alle die Nebenbegriffe, welche die einen oder die andern erwecken, durch Anspielungen zu bezeichnen. Wer hiervon nichts weiß und verstehet, müßte schlechterdings kein Schriftsteller werden wollen; denn alle gute Schriftsteller sind es nur auf diesem Wege geworden. Lächerlich also ist es, wenn der Herr Hauptpastor etwas verschreien will, was er nicht kann, und weil er es nicht kann. Und[251] noch lächerlicher ist es, wenn er gleichwohl selbst überall so viel Bestreben verrät, es gern können zu wollen. Denn unter allen nüchtern und schalen Papierbesudlern braucht keiner mehr Gleichnisse, die von nichts ausgehen, und auf nichts hinaus laufen, als Er. Selbst witzig sein und spotten, möchte er manchmal gern; und der Reichspostreiter, oder dessen Pferd, hat ihm auch wirklich das Zeugnis gegeben, »daß er die satyrische Schreibart gleichfalls in seiner Gewalt habe.« – Worauf sich aber wohl dieses gleichfalls beziehen mag? – Ob auf die anständige Schreibart, welche sonst in der Schrift des Herrn Hauptpastors herrschen soll? Ob auf die Gründe, mit welchen er streiten soll? – Darüber möchte ich mir denn nun wohl kompetentere Richter erbitten, als den Postreiter und sein Pferd. – Oder ob auf mich? Ob der Postreiter sagen wollen, daß der Herr Hauptpastor eben so gut als ich die satyrische Schreibart in seiner Gewalt habe? – Ja, darin kann der Postreiter und sein Pferd leicht Recht haben. Denn ich habe die satyrische Schreibart, Gott sei Dank, gar nicht in meiner Gewalt; habe auch nie gewünscht, sie in meiner Gewalt zu haben. Das einzige, was freilich mehrere Pferde Satyre zu nennen pflegen, und was mir hierüber zu Schulden kömmt, ist dieses, daß ich einen Postreiter einen Postreiter, und ein Pferd ein Pferd nenne. Aber wahrlich, man hat Unrecht, wenn man Offenherzigkeit, und Wahrheit mit Wärme gesagt, als Satyre verschreiet. Häckerling und Haber können nicht verschiedner von einander sein, mein gutes Pferd! Ich will dich besser lehren, was Satyre ist. Wenn dein Reiter, – sonst genannt der Schwager; weil er schwägerlich die Partei eines jeden hält, dem er vorreitet, – sagt, daß eine anständige Schreibart, in den Schriften des Herrn Hauptpastors herrsche; wenn er sagt, daß der Herr Hauptpastor mit Gründen streite: glaube mir; das, das ist Satyre. Das ist eben so platte Satyre, als wenn er dich einen Pegasus nennen wollte, indem du eben unter ihm in die Knie sinkest. Glaube mir, Scheckchen, du kennst diesen abgefeimten Schwager noch nicht recht: ich kenne ihn besser. Er hat sonst auch mir vorgeritten; und du glaubst nicht, was für hämische Lobsprüche sein ironisches Hörnchen da vor mir her geblasen. Wie er es mir gemacht hat, so macht er es allen; und ich betaure den Herrn Hauptpastor, wenn er, durch so ein boshaftes Lob eingeschläfert, sich nicht im Ernst[252] auf die Gründe gefaßt hält, die der Schwager in ihm schon will gefunden haben. Er kann ja allenfalls den Schwager auch nur fragen, welches diese Gründe sind. – Denn komm an, Scheckchen, – weil ich doch einmal angefangen habe, mit einem Pferde zu raisonieren – Sage du selbst, edler Houyhnhnm – (man muß seinen Richter auch in einem Pferde ehren) – sage du selbst, mit was für Gründen kann der Mann streiten, der sich auf meine Gegengründe noch mit keinem Worte eingelassen hat? der, anstatt zu antworten, nur immer seine alte Beschuldigungen wörtlich wiederholt, und höchstens ein Paar neue hinzusetzt, die er eben so wenig gut zu machen gedenkt? Seit der Zeit, da du sein erstes Kartel in die weite Welt getragen, das du großmütig einem noch stumpf gerittenern Pferde abnahmest, hat er nicht aufgehört, mich mündlich und schriftlich zu schmähen, ob ich ihm gleich auf jenes sein Kartel, wie ein Mann geantwortet zu haben glaube. Warum widerlegt er meine Axiomata nicht, wenn er kann? Warum bringt er nur immer neue Lästerungen gegen mich auf die Bahn? Warum paßt er mir in allen hohlen Wegen so tückisch auf, und zwingt mich, ihm nicht als einem Soldaten, sondern als einem Buschklepper zu begegnen? Ist das guter Krieg, wenn er den Männern des Landes aus dem Wege geht, um die Weiber und Kinder desselben ungestört würgen zu können? Der Begriff ist der Mann; das sinnliche Bild des Begriffes ist das Weib; und die Worte sind die Kinder, welche beide hervorbringen. Ein schöner Held, der sich mit Bildern und Worten herumschlägt, und immer tut, als ob er den Begriff nicht sähe! oder immer sich einen Schatten von Mißbegriff schafft, an welchem er zum Ritter werde. Er versprach einst, den Liebhabern solcher Leckerbissen eine ganze große Schüssel Fricassee von diesen Weibern und Kindern meines Landes vorzusetzen15. Aber er hat sein Versprechen wieder zurückgenommen: denn es ist freilich ganz etwas anders, hier und da ein Weib oder ein Kind in meinem Lande meuchlings zu morden; und ganz etwas anders, dieser Weiber und Kinder zusammen mehrere, oder gar alle, in die Pfanne zu hauen. Er fand bald, daß er auch davon die Nase weglassen müsse; und ich muß bekennen, daß er mich damit um[253] einen sehr lustigen Triumph gebracht hat. Denn die Gelegenheit wird mir sobald nicht wiederkommen, ohne Großsprecherei zeigen zu können, daß auch da, wo ich mit Worten am meisten spiele, ich dennoch nicht mit leeren Worten spiele; daß überall ein guter triftiger Sinn zum Grunde liegt, auch wenn nichts als lauter Ägyptische Grillen und Chinesische Fratzenhäuserchen daraus empor steigen. Das, wie gesagt, kann ich nicht mehr zeigen; und mit Analysierung der Proben, die der Herr Hauptpastor in der ersten blinden Hitze gegeben, will ich auch ein Pferd nicht aufhalten, das mehr zu tun hat. Lieber, wenn du meinest, edler Houyhnhnm, daß ich die Wiederlegung meiner Axiomen von ihm noch zu erwarten habe, will ich dich bitten, ihm durch den Schwager ein Wort im Vertrauen zukommen zu lassen, dieweil er es noch nutzen kann. – Aber warum durch den Schwager? Als ob ich dir minder zutraute, als dem Schwager? Als ob der Herr Hauptpastor dich mit mindrer Aufmerksamkeit hören würde, als den Schwager? – Sei du es also nur selbst, der dem Herrn Hauptpastor meine Wünsche und Erwartungen und Besorgnisse mitteilet. Sage du ihm nur selbst, wie sehr ich mich darauf freue, endlich auch einmal von ihm belehret zu werden. Ich bin äußerst unruhig, bis ich seine Gründe in aller ihrer Stärke gegen die meinigen abwägen kann, denen ich gleichfalls alle ihre Schärfe zu erteilen, nur auf Gelegenheit warte. Ich habe manches in den Axiomen hingeworfen, von welchem ich wohl weiß, daß es eine nähere Erörterung bedarf und verdienet; aber ich bin auch gefaßt darauf, und es sollte mir sehr leid tun, wenn er nirgends anbeißen, sich auf nichts, was eigentlich zur Sache gehöret, einlassen wollte. Gleichwohl muß ich es leider besorgen! Denn denke nur, edler Houyhnhnm; denke nur, was er mir eben itzt16 schon im voraus von seinem halb zu eröffnenden Feldzuge wissen läßt! Da steht auf einer Anhöhe eine armselige Vedette; die, die will er mit Heereskraft vors erste verjagen. Ich habe ein Histörchen erzählt von einem Hessischen Feldprediger, (könnte auch ein Braunschweigischer gewesen sein) der auf einer Insel, die in keiner Geographie steht, gute Luthersche Christen fand, die von dem Katechismus sehr wenig, und von der Bibel[254] ganz und gar nichts wußten. Nun ist ihm das Ding, weil der Reichspostreiter nichts davon mitgebracht hat, weil auch du ohne Zweifel nichts davon weißt, so unbegreiflich, als ob es gar nicht möglich wäre; und ich soll es ihm beweisen, wie man wirklich geschehene Dinge zu beweisen pflegt; mit glaubwürdigen Zeugen, mit rechtskräftigen Dokumenten und dergleichen. Kann ich das, so will er es glauben, es mag möglich sein oder nicht. Kann ich das aber nicht, so will er der ganzen Welt erklären, daß ich ein Betrüger bin, und mir die gesamten Hessischen Feldprediger, wegen dieser groben Verleumdung eines ihrer Kollegen, auf den Hals hetzen. Ja er treibt seine Rache wohl noch weiter, und gibt mich bei der Englischen Regierung an, der die Bermudischen Inseln schon seit 1609 ein wohltätiger Sturm samt und sonders geschenkt hat, daß ich ihr auch dieses Inselchen schaffen muß, ich mag es hernehmen, woher ich will. Wahrlich, edler Houyhnhnm, wenn er das tut, so bin ich ohne Rettung verloren! Denn sieh nur; welches du und der Schwager vielleicht auch nicht wissen: der Hessische Feldprediger ist seitdem bei Saratoga mit gefangen worden, und die bösen Amerikaner wechseln vor der Hand nicht aus. Gut, daß ihr beide das wenigstens wißt, und es mir bezeugen könnt! Wie kann ich nun dem Herrn Hauptpastor den Feldprediger sogleich zur Stelle schaffen? Er muß warten, bis der Handel mit den Amerikanern zu Ende ist, und die Hessen wieder zu Hause sind. Dann will ich mein möglichstes tun, ihn zu befriedigen; voraus gesetzt, daß der ausgewechselte Feldprediger auf der Heimreise nicht stirbt. Damit aber doch auch meine Widerlegung nicht so lange verschoben bleiben darf: was hindert, daß er indes die historische Wahrheit meiner Erzählung bei Seite setzt, und sie als bloße zweckmäßige Erdichtung betrachtet? Folget aus dem bloß möglichen Falle nicht eben das, was aus dem wirklichen Falle folgen würde? Ist die Frage, »ob Menschen, welche sehr lebhaft glauben, daß es ein höchstes Wesen gibt; daß sie arme sündige Geschöpfe sind; daß dieses höchste Wesen demohngeachtet, durch ein andres eben so hohes Wesen, sie nach diesem Leben ewig glücklich zu machen, die Anstalt getroffen – ob Menschen, welche das und weiter nichts glauben, Christen sind, oder keine?« – in beiden Fällen nicht die nämliche? Überlege es doch nur selbst, lieber – Gaul.[255]

Denn was brauchst du viel, dieses zu können, ein Houyhnhnm zu sein, der du doch einmal nicht bist? Überlege es nur; und suche es dem Herrn Hauptpastor so gut du kannst begreiflich zu machen. Auf jene Frage soll er antworten, auf jene Frage; und um die Kolonie sich unbekümmert lassen. – Hörst du? – Hiemit lebe wohl, Gaul; und grüß mir den Schwager![256]

14

Anti-Goeze II.

15

Etwas Vorl. Vorr. S. 170.

16

Lessings Schwächen S. 217.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 250-257.
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