[101] Karlsbad, im August 1869.
Ich nehme ohne weitere Einleitung die neulich begonnenen Erörterungen über die Emancipation der Frauen wieder auf. Sieht man der Frage der Frauen-Emancipation fest in das Auge, so zerfällt sie in verschiedene Abtheilungen. Es handelt sich erstens um die gleichmäßigen Bildungsmittel für die Frauen wie für die Männer, zweitens um die Freiheit, die angeborene Begabung und das durch Unterricht und Bildung erworbene Können und Wissen, gleich den Männern, zu eigenem Vortheil und zum Besten der Gesammtheit zu verwerthen, und endlich um das Recht, gleich den Männern bei der Gesetzgebung innerhalb des Staates, dessen Genossen die Frauen sind, einen Einfluß und eine Mitwirkung zu haben. Aber ehe wir die Bedeutung dieser einzelnen Punkte erörtern, ist es nothwendig, noch einmal auf die gegenwärtige Stellung der Frauen zurückzukommen, um denjenigen zu begegnen, deren Schiboleth der sogenannte »häusliche Beruf des Weibes« ist – und unter dieser großen Zahl von Bekennern[101] finden sich reichlich so viel Männer als Frauen – aus den begüterten Ständen.
Ich habe es in einem der früheren Briefe ausgesprochen: kaum in einer anderen wichtigen Angelegenheit hat man sich bisher so gedankenlos dem Vorurtheil überlassen, sich so gedankenlos mit landläufigen Phrasen abgefunden, als in der Beurtheilung der socialen und politischen Stellung der Frauen; und schlimmer noch als das gedankenlose Vorurtheil der Männer steift sich das hochmüthige Vorurtheil jener begüterten Frauen gegen die Emancipation der Frauen auf, an welche der Ernst des Lebens und die Noth des Lebens mit ihrer herzbedrückenden Sorge niemals herangetreten sind.
Es hat mir oft das Herz empört, wenn ich eben die Frauen jener Stände das Lob des häuslichen Heerdes singen hörte, an dem sie nie in ihrem ganzen Leben gestanden hatten; wenn ich sie, die sich aus Eitelkeit und Zerstreuungssucht nur zu häufig fast allen ihren häuslichen Pflichten zu entziehen wissen, von dem Beruf der Gattin und der Mutter salbungs- und gefühlvoll predigen hörte, während eine bezahlte Haushälterin ihr Haus versah, ein bezahltes entehrtes Frauenzimmer ihre Kinder nährte, eine bezahlte Gouvernante ihre Kinder überwachte und erzog; während sie selber die Morgen in ihren Equipagen auf der Promenade und die Abende am Toilettentisch mit dem Friseur, und danach mit oder ohne ihre Männer im Theater oder in der Gesellschaft zubrachten,[102] weil sie mit sich selber nchts anzufangen und ihrem Manne den einsamen Abend in dem eigenen Hause nicht auszufüllen wußten. Ich habe einmal neben einer solchen Frau gesessen, die für Alles und Jedes lebte, nur nicht für die Familie, deren Heiligkeit sie stets im Munde führte, und habe sie klagen hören, wie die Sorgen für die Kinder, welche unter der Obhut einer guten Wärterin wohl aufgehoben waren, doch recht groß und vielfach »absorbirend« wären. Und neben uns stand ein unschönes alterndes Mädchen, die Musiklehrerin der ältesten Kinder des Hauses. Sie hielt den jüngsten Knaben der Familie, einen schönen, zweijährigen Jungen, auf dem Arm; sie war den ganzen kalten Wintertag in Schnee und Regen umhergelaufen, um ihre Lehrstunden an den vier Enden der großen Stadt zu geben, und den Knaben an ihr Herz drückend und küssend, sagte sie zu mir, während ihre seelenvollen Augen leuchteten: »Gott! wenn man sich solch ein Kind kaufen könnte, wie wollte man dafür arbeiten!« – Wo war in diesem Falle die wahre Weiblichkeit, bei der Gattin und Mutter, die ihre Muße für Nichtigkeiten verwendete, oder bei dem armen emancipirten Mädchen, das wie ein Mann um des Lebens Nothdurft kämpfte, das früh und spät zu Fuß und unbegleitet durch die entlegensten Straßen gehen mußte, das von seiner schweren Arbeit dem Staate seine Steuer redlich zahlte und das in aller seiner Arbeit und Sorge noch das Herz hatte, für ein Kind arbeiten und leben zu wollen?[103]
Es ist lächerlich und widerwärtig, wenn man jene reichen und müßigen Frauen immer wieder davon sprechen hören muß, »daß mit der Gewerb- und Erwerbthätigkeit der Frauen der wahre weibliche Nimbus von den Frauen abgestreift würde«; und eben so widerwärtig ist es, wenn man Männer behaupten hört, Frauen, die etwas Ordentliches gelernt hätten, die selbst etwas Rechtes wären, verlören die Fähigkeit der wahren Hingebung an den Mann.
Ich habe jene Frauen oft gefragt: »Worin besteht der sogenannte besondere Nimbus, der den Frauen durch die Arbeit verloren gehen soll?« und sie sind niemals im Stande gewesen, mir dies geheimnißvolle Etwas deutlich zu erklären. Freilich, die Weichlichkeit und die Geziertheit müssen daran gegeben werden, wenn eine Frau nicht in der Lage ist, Andere für sich arbeiten zu lassen. Wer arbeiten muß, darf sich am Morgen nicht fragen, ob die leise Wolke, die auf seinem Gehirne liegt, wohl eine Migräne werden könnte? und darf nicht im weichen, mit Gardinen verhängten Lotterbette warten, ob die Migräne kommt. Mit den glasklaren, krallenartig zugespitzten Nägeln, welche am Morgen eine halbe Stunde Zeit hinnehmen und denen man es ansieht, daß nichts als Filet und Tapisserie damit gemacht werden können – nicht einmal ein rechtschaffenes Kinderhemdchen mit einer ordentlichen Kappnath läßt sich mit diesen chinesischen Nägeln nähen – kann man im Hause und für sich selbst nichts[104] schaffen; und auf die Toiletten, für deren tadellose Falten und Schleifen man den Tag über Rücksicht zu nehmen hat, müssen wir anderen arbeitenden Frauen freilich auch verzichten. Aber was hat das Taschentuch für fünfundzwanzig Thaler, was hat das Kleid, dessen bloßer Schneiderlohn vielleicht noch mehr beträgt, was haben alle die tausend Schnällchen und Flacons und Fächer und Blumentische und Goldfische und Schooßhunde, mit denen die reiche höhere Weiblichkeit sich selbstgefällig zu umgeben liebt, mit der herzlichen Achtung vor dem Manne, dem man angehört, zu schaffen? Was haben sie mit der Liebe für ihn, mit der hingebenden Sorge und Aufopferung für die Familie gemein, als deren Mutter und Mitbegründerin die Frau da steht? Mir ist, so weit meine Kenntniß von dem Wünschen und Begehren des weiblichen Geschlechtes reicht, und sie ist ausgedehnt genug, kein Mädchen vorgekommen, das nicht, selbst bei großer künstlerischer Begabung und nach beträchtlichen Erfolgen in seinem künstlerischen Berufe, gern bereit gewesen wäre, auf seine Unabhängigkeit zu verzichten, wenn sich ihm das Glück geboten hat, als Gattin eines geliebten Mannes in ein von ihm versorgtes Haus eintreten zu können. Caroline Ungher-Sabatier, Jenny Lind, Clara Schumann, die Malerinnen Wichmann, Baumann-Jerichau und die verstorbene Frau Stielke, ich selbst und eine recht große Zahl von anderen Schriftstellerinnen, haben unseren Männern und unseren Familien[105] nicht Anlaß gegeben, sich darüber zu beschweren, daß wir in einem selbständigen Berufe wie die Männer gearbeitet haben und arbeiten. Und wenn wir auch vielleicht weniger Zeit und nicht die Mittel, und nicht mehr Sinn als nöthig gehabt haben, uns der Eleganz und Mode in dem Grade zu befleißigen, wie die reichen müßigen Gegnerinnen der Frauen-Emancipation, so ist sicherlich das Empfinden, mit dem wir irgend ein für unser Haus und die Unseren von dem Ertrage unserer Arbeit erkauftes Stück von Hausrath oder sonstigem Bedarf, bei schlechtem Wetter und in sehr gewöhnlicher Kleidung über die Straße selbst nach Hause getragen haben, ganz gewiß nicht weniger weiblich, nicht weniger hoch und nicht weniger beglückend und ehrenwerth gewesen, als die lächelnde Heiterkeit, mit welcher die reichen und müßigen Frauen auf Kosten ihrer Männer ihr Haus versorgen.
Ich bin keine neidische Feindin des Reichthums und der Reichen, ich habe auch keinen Grund irgend einer Art dazu; aber ich lehne mich auf gegen das Vorurtheil der begüterten Frauen, das die wahre Weiblichkeit im Müßiggang und in der Sorgenfreiheit sucht – ja! sie bis zu einem solchen Grade in dem Müßiggange sucht, daß ich im großen Ganzen nirgend weniger wahre Bildung, nirgend weniger Lust sich zu unterrichten, weniger Theilnahme an dem Geistigen und Allgemeinen gefunden habe, als in den Kreisen der reichen bürgerlichen Frauen. Die Oper, das Clavier, ein bischen Gesang und der[106] englische und französische Roman, darüber geht es nur zu häufig nicht hinaus. Die Frauen der alten adeligen Familien, die Frauen der Gelehrten, der weniger bemittelten Familien in den kleinen Städten, in den Provinzen, in den Pfarrhäusern, sind in Betracht ihres wahren Werthes jenen Anderen in der großen Masse vielfach überlegen, und doch ist der Einfluß des reichen Bürgerstandes ein so großer; doch finden die Männer desselben in der gewinnbringenden Arbeit ihre Ehre. Und für die Frauen dieser selben Stände sollte die Arbeit etwas Erniedrigendes sein? Welch' eine wunderbare Logik! Sie ist eben so falsch, wie die vorhin erwähnte Behauptung vieler Männer, daß geistig entwickelte und selbständige Frauen keiner wahren Hingebung fähig seien.
Ich möchte umgekehrt fragen: Was hat Euch eine Frau, die kein eigenes Geistesleben führt, die nichts Rechtes weiß und nichts Rechtes kann, was hat sie Euch hinzugeben als eben ihren Körper? Und begehrt Ihr von der Ehe nichts als Befriedigung Eures sinnlichen Verlangens? Bedürft Ihr nicht der ernsten Erzieherin für Eure Söhne, der vorsichtigen Beratherin für Eure Töchter, der klugen Verwalterin Eures Erwerbes? – Kam die Stunde der Entmuthigung nie an Euch heran, in der Ihr an Eurem Weibe mehr zu haben wünschtet, als ein hülfloses Wesen, das rathlos Euer Leid und Eure Sorge beweinte und dessen ohnmächtiger Kummer Euch das Herz noch mehr belastete? Ist niemals Krankheit über[107] Euch hereingebrochen, die Euch die Todesstunde in Euren Gesichtskreis rückte, und habt Ihr dann nicht die Sehnsucht gefühlt, Euch sagen zu können: die Frau ist da, die Mutter ist da! Sie wird Rath schaffen, sie kann arbeiten und erwerben, wenn es Noth thut; sie wird führen und leiten und erziehen und Brod schaffen, wenn ich es nicht mehr kann.
Sehen wir aber von den Familienvätern ab und wenden uns zu jenen Männern, die trotz aller ihrer Tüchtigkeit, wie die Verhältnisse in unserem Vaterlande einmal liegen, oftmals nicht daran denken können, sich einen eigenen Heerd zu gründen, weil ihr Erwerb zum Unterhalte für eine Familie nicht ausreichend ist. Ich bin sicher, unter den Lesern dieser Zeitung finden sich Hunderte und Hunderte von Männern, von jungen Lehrern, Assessoren, Docenten u.s.w., die in der Lage gewesen sind, sich ein oder das andere Mal zu sagen: »Dieses Mädchen wäre eine Frau für dich, mit diesem Mädchen würdest du ein glückliches Leben führen können; aber du bist arm, sie ist es auch, mit deinen drei-, vier-, fünfhundert Thalern Einnahme kann in unseren Ständen eine Familie nicht bestehen, und das gute Mädchen kann nichts als eben haushalten und sparen – aber mit Haushalten und Sparen ist hier nichts gethan.« Was folgt daraus? Das »nur für die Familie erzogene Mädchen« kommt nicht dazu, die Mitbegründerin einer Familie zu werden, es bleibt unverheirathet trotz[108] aller seiner guten Eigenschaften, es verfehlt seinen eigentlichen weiblichen Beruf, weil es sich nicht bei Zeiten zur Arbeit und zum Erwerbe emancipirt hat.
Denn halten Sie es fest: die Emancipation der Frauen zu Arbeit und Erwerb ist das sicherste Mittel zur Beförderung der Ehe, zur Erhebung und Versittlichung des Familienlebens überhaupt.[109]
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