Elfter Brief

[110] Karlsbad, im August 1869.


Ich stellte Ihnen neulich die Behauptung auf, die Emancipation der Frauen zu Arbeit und Erwerb sei das sicherste Mittel zur Beförderung der Ehe, sie ist aber eben so und noch weit mehr ein erhebendes Element für die große Zahl jener Frauenzimmer, welche in unserer Staatsgesellschaft immer unverheirathet bleiben werden.

Man hat das alte Sprüchwort: »Viel Töchter sind kein Gelächter!« und dieses Sprüchwort ist innerhalb der nicht begüterten gebildeten Familien des Mittelstandes nur zu wahr. Man denkt es sich lange nicht genug aus, welchen Einfluß es auf die Töchter in solchen eben nur wenig begüterten Häusern üben muß, wenn sie von der einen Seite unablässig von dem »einzig naturgemäßen Beruf der Frau« sprechen hören, und wenn sie auf der anderen Seite sehen, wie ihr Dasein, ihr Unterhalt und vollends der Gedanke an ihre einstige Versorgung nicht nur ihren Eltern, sondern ihren Brüdern, ja, selbst der ganzen Familie ein Gegenstand schwerer, unablässiger Sorge ist; und wie herzlich zufrieden und erfreut man[110] sich bezeigt, wenn sie sich auch nur erträglich gut, sogar auf Kosten ihrer wahren Neigung verheirathen, d.h. versorgen. Welch' eine Herzenskränkung für ein Mädchen darin liegt, als eine Last für seine Familie betrachtet zu werden, das übersieht man leichtsinnig oder auch geflissentlich; und doch ist dies thatsächlich der Fall. Denn »was fängt man mit der dritten oder vierten Tochter an?« – Alle können sie doch nicht das Feuer am Heerde überwachen und die Zimmer aufräumen und Wäsche nähen und im Hause helfen! –

Kommt nun ein zur Thätigkeit, zum Handeln angelegtes und geneigtes Mädchen in diese üble Lage, so ist es ganz unmöglich, daß es unter dem Druck und Unsegen derselben nicht schwer leiden, daß es sich nicht unglücklich über die Nutzlosigkeit seines Lebens fühlen und es nicht bitter empfinden sollte, ein Mißgeschick zu tragen, das im Grunde eben in seinem Dasein besteht. Ich habe, wie ich schon in einem der früheren Briefe gesagt, nur um ein solches Lebensbild hinzustellen, nur um das Schicksal des einzelnen Mädchens in einer töchterreichen und nicht begüterten Familie zu schildern, vor einer Reihe von Jahren »Meine Lebensgeschichte« geschrieben und darf zur Erklärung meiner heutigen Behauptungen getrost auf sie verweisen. – Man gefällt sich darin, von dem »Zartgefühl des weiblichen Herzens« zu sprechen, und sagt sich nicht, welch eine Verletzung jeder Empfindung, der Lebenslust, der Kindesliebe, des Ehrgefühles für die[111] Mädchen in töchterreichen Familien darin liegt, sich nicht darüber täuschen zu können, daß sie den Jahren weit mehr ein Gegenstand der Sorge als eine Freude sind. – Und weshalb das Alles? – Weil das kurzsichtige Vorurtheil sich in den sogenannten gebildeten Ständen – ich muß dies immer wiederholen – gegen die Erwerbthätigkeit der Töchter auflehnt so lange der Vater lebt, während sie zu derselben von der Noth gezwungen werden, sobald der väterliche Ernährer seine arbeitsmüden Augen schließt.

Daß die Frauen sich selbst ernähren dürfen, wenn sie es müssen, d.h. wenn Niemand da ist, der sie versorgt, das hat man ihnen freilich selbst in jenen Ständen nicht streitig machen können, welche man füglich die höhere Klasse der verschämten Armen nennen dürfte. In den Reihen der Handwerkerfamilien, der untersten Beamten u.s.f. haben die Frauen und die Töchter zu allen Zeiten Gewerbe und Erwerb getrieben, nur in unseren Kreisen schreckt man noch davor zurück; und wenn man schließlich bei der wachsenden Theuerung des Lebensbedarfes es jetzt bereits zuzugeben genöthigt ist, daß die Töchter gebildeter Familien sich selbst ernähren dürfen und sollen, eben weil die Noth sie dazu zwingt, so wird doch immer noch die Frage aufgeworfen: Wie sollen und dürfen sie sich selber helfen? – Nun, mich dünkt, darauf wäre die Antwort nicht eben allzu schwer. Gerade wie die Männer, [112] nach ihren Anlagen und Kenntnissen, d.h. wie sie wollen und können!

Und damit sind wir wieder zu der ersten Vorbedingung der Emancipation der Frauen zurückgekommen: zu der Nothwendigkeit gleicher Bildungsanstalten für die Frauen wie für die Männer, in den Lebensjahren, in welchen die Vorbereitungen für die eigentlichen Berufsstudien gemacht werden müssen.

Ich habe es nicht einmal, nein viele hundert Mal von Männern wie von Frauen ernsthaft – und wie das Vorurtheil sich immer äußert – mit Leidenschaft aussprechen hören, daß die wissenschaftliche Befähigung der Frauen nicht eben so groß sein könne, als die der Männer, da man bisher von weiblichen Geschichtsforschern, weiblichen Mathematikern, weiblichen Philosophen, weiblichen Componisten und Tragödiendichtern nichts gehört habe. Es klang dies wirklich, als erwartete man, daß dem Weibe durch irgend eine Offenbarung oder Eingebung ganz von selber kommen solle, was der Mann durch ein eifriges, lebenslängliches Studium mühevoll erlangt. Man hat den Frauen bisher alle Möglichkeit, ja, selbst die Berechtigung verweigert, sich in den Wissenschaften auch nur einigermaßen gründlich auszubilden; und statt sich darüber zu verwundern, daß sich doch noch überall Frauen gefunden haben, die trotz dieses Mangels an geistiger Förderung sich aus eigener Kraft so weit emporgebracht haben, daß sie sich bedeutenden Männern ebenbürtig an[113] die Seite stellen dürfen, spricht man ihnen vielmehr die Befähigung ab, unter günstigeren Verhältnissen mehr als bisher, ja, vielleicht in mannigfachen Bereichen eben so viel als der Mann zu leisten. Man giebt es zu, daß jede Thierrace durch fortgesetzte Cultur ihrer Fähigkeiten, schon durch die bloße Vererbung der cultivirten Fähigkeit sich veredelt und verfeinert – und man vergleicht die Fähigkeiten der Männer, die durch eine dreitausendjährige Bildung von Geschlecht zu Geschlecht sich haben steigern können, mit denen der Frauen, welchen diese Gunst durchaus nicht zu Theil geworden ist; und man wundert sich nicht darüber, daß diese uncultivirten Mütter doch noch eigene geistige Begabung genug besaßen, bedeutenden Söhnen und Töchtern das Leben und die ersten Elemente der Bildung zu geben. – Erst wenn man wenigstens drei, vier Generationen gut und gründlich gebildeter, wohl unterrichteter, in Seelenfreiheit und vor dem oft bitteren Drucke häuslicher Kränkung und Noth bewahrter Frauen zu beurtheilen haben wird, erst dann wird es vernünftig sein, einen Vergleich zwischen den Fähigkeiten der beiden Geschlechter anzustellen.

Bis jetzt ist alles, was über die geringere Begabung der Frauen ausgesprochen wird, unüberlegt und ungerecht. Denn fast in allen Ländern ist die Bildung der Frauen in vielen Klassen noch so weit zurück, daß das Bedürfniß nach wirklichem Wissen, nach geistiger Entwicklung, nach Selbständigkeit, bestimmt kaum von einem Zehntheil der[114] ganzen weiblichen Bevölkerung wirklich lebhaft und dringend empfunden wird.

Es sind zumeist nur schwere Lebenserfahrungen und bittere Noth, ehrenwerthe Ausnahmen natürlich zugestanden, welche bisher in Deutschland das Verlangen nach geistiger Bildung, nach Emancipation zur Arbeit, oder gar nach Antheil an den staatlichen Berechtigungen in denjenigen Frauen hervorgerufen haben, welche die Emancipation, die Freigebung aus Sclavenfesseln, ersehnen und sie fordern. War es aber etwa anders mit den Negersclaven? war es anders mit den Leibeigenen in Rußland? – Und doch rief die ganze aufgeklärte Männerwelt; Befreiung der Negersclaven! Aufhebung der Leibeigenschaft! Auch wenn die Neger noch wer weiß wie weit hinter den Weißen zurückgeblieben sind! Auch wenn die Leibeigenen ihren wahren Vortheil noch so schlecht verstehen, daß Tausende von ihnen vor der Freiheit zurückschrecken, in welcher sie für sich selbst zu sorgen und einzustehen haben werden! – Hat doch der strenge Gott der Juden Sodom und Gomorha vor der Zerstörung verschonen wollen, wenn sich unter den Tausenden von Sündern auch nur zehn Gerechte fänden; und die christliche Menschheit sollte Bedenken tragen, Tausenden von Frauen ihrer Menschenwürde gemäß den freien Gebrauch ihrer Fähigkeiten zuzuerkennen, weil es allerdings noch Hunderttausende von Frauen giebt, deren Fähigkeiten unvollständig ausgebildet sind, und eben so viele Hunderttausende,[115] die nicht Lust und nicht die Neigung haben, von ihren mehr oder weniger gut entwickelten Fähigkeiten einen verständigen Gebrauch zu machen, weil sie sich mit Recht äußerst zufrieden und glücklich fühlen in der bequemen Häuslichkeit, in dem Genuß des Wohllebens, das ihnen von der Arbeitsamkeit und Großmuth ihrer Männer vorbereitet wird!

Wer aber denkt denn auch nur im entferntesten daran, diese Art von Frauen, die unter die eifrigsten Gegner der Emancipation zu rechnen sind, zu einer anderen als der ihnen zusagenden Thätigkeit, zu einer Aenderung ihrer Lebensgewohnheiten zu nöthigen oder gar zu zwingen? Wer zwingt denn die Männer zur Arbeit als das Bedürfniß? Wer zwingt die Väter, ihren Söhnen eine gründliche Bildung zu geben? sie zum Erwerb und für den Staatsdienst und für den Gebrauch ihrer Staatsbürgerrechte zu erziehen? – Es leben ja auch Männer genug, die nichts Rechtes gelernt haben, die ihr Leben zwischen dem Club und dem Café und dem Opernhause, wohl frisirt und parfumirt und gut behandschuht, in ungestörtem frohem Müßiggang verbringen, wenn sie die Mittel dazu haben. Niemand nöthigt ihnen irgend ein Amt auf, Niemand zwingt sie, an die Wahlurne zu treten – und es wird sicher keine Frau gezwungen werden, auf ihr sanftes Haremsleben innerhalb unserer europäischen reichen und schönen Welt zu verzichten; wenn auch jene anderen Frauen,[116] deren Sinn ernster, deren Entwickelung höher, deren Geldbesitz geringer ist, und die Niemand haben, der für sie arbeiten, sorgen und erwerben kann, den Ruf erheben: Es ist Zeit, daß man uns den freien Gebrauch der Fähigkeiten verstatte, die wir besitzen, sei es, daß sie uns angeboren sind, oder daß wir sie erworben haben! Das können, das müssen wir verlangen, nicht mehr, nicht weniger! – Es wird sicherlich mit der Frauen-Emancipation für diejenigen Frauen, die in ihren jetzigen Lebensgewohnheiten und Ansichten und Thätigkeiten bleiben wollen, nicht das Mindeste geändert werden. Es wird sie Niemand anhalten mehr zu sein, mehr zu leisten, freier zu werden, als sie und die Männer es wünschen, in deren Obhut und Fürsorge sie sich wohl befinden.

Aber merkwürdig genug habe ich gerade unter diesen Frauen sehr häufig und meist ohne allen vernünftigen Anlaß ein ganz plötzliches Aufblitzen von Freiheitsdurst bemerkt. In den Jahren, in denen ich noch unverheirathet war und auf meinem einsamen Lebenswege hart um des Lebens Nothdurft zu kämpfen und mir jedes Jahr den unerläßlichen Bedarf des Jahres zu erarbeiten hatte, nahm ich einmal Abschied von einer reichen Frau, als ich für die Erweiterung meiner Anschauungen meine Reise nach England anzutreten auf dem Punkte stand. – Ach! rief die Dame, sie war bedeutend älter als ich und machte sich und ihrem Manne das Leben herzlich schwer, ach! wenn ich Ihre Lebensfreiheit hätte! –[117] Was wollten Sie denn mit derselben machen? fragte ich. O, es muß doch ein Glück sein, so frei wie Sie kommen und gehen zu können, wie man Lust hat! – Nehmen Sie Sich doch die Freiheit, Ihr Mann wird Sie nicht daran hindern! versetzte ich. – Sie zuckte die Schultern. Man kann das doch nicht. Allein reisen, ohne Bedienung, ohne Begleitung, wenn mein Mann mich auch gehen ließe, ich bin das nicht gewohnt! – Sehen Sie wohl, bedeutete ich, Ihre Gewohnheiten sind mächtiger in Ihnen als Ihr Freiheitsbedürfniß; also bleiben Sie ruhig bei Ihren Gewohnheiten und gönnen Sie mir die Freiheit, die ich nothwendig haben muß, um ehrenvoll und nützlich durch die Welt zu kommen. – Und dies sei auch allen den zahlreichen guten und besten Frauen zum Troste zugerufen, welche sich vor der Freiheit, die wir brauchen, scheuen, weil sie derselben nicht bedürfen.

»Im Uebrigen,« so schloß der alte Cato jede seiner Reden, »bin ich der Ansicht, daß Karthago zerstört werden muß!« – »Im Uebrigen,« so möchte ich jeden meiner Briefe schließen, »bin ich der Ansicht, daß wir zunächst Realschulen für die Frauen, und wenn diese reichlich besucht werden, dann auch Gymnasien für die Frauen haben müssen – damit das Werk der Emancipation, wie jeder andere verständige Bau, auf einem soliden Fundamente aufgerichtet werde.«[118]

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 110-119.
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