Karnevalstraum

[38] (Zu einem Bild)


Ich mach den Karneval sobald nicht wieder mit.

So schlimm ist mir mein Lebtag nicht gewesen,

Und solche Träume hab ich nie geträumt:


Auf einem harten, kahlen Wege, der der Stadt,

Die ihn nicht halten konnte, fast entlaufen ist

Und nun, ein Bettler, in den Himmel wandert, schreiten

Ein Mann, ein Weib. – Der Mann: robust, gemein,

Ein Raubtier, das sich auf das Fressen freut.

Das Weib: graziös und schlank, halbnackt, im Domino.

Herzlose Blicke stechen aus verbrauchten Augen ...

Kein Laster, kein Verbrechen ist ihr neu –

Und jedes hält wie ein Paket in einem Arm

Ein Bein von mir. Mein Körper schleift am Boden.


Und immer, wenn ich stöhnend meinen Kopf

Versuche zu erheben oder mit den Händen mich

Verzweifelt an die Erde klammern will,

Fühl ich des Mannes starke Knochen fester

Um meinen Fuß sich legen ... fühle, wie des Weibes

Grausames, kühles Fleisch sich plötzlich enger preßt,

Und mutlos, hoffnungslos sink ich zusammen –


Die beiden aber schreiten schweigend weiter,

Zu jeder Greueltat mit Lust bereit.
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Quelle:
Alfred Lichtenstein: Gesammelte Gedichte. Zürich 1962, S. 38-39.
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