Vier Augen sind im Wege

[103] Der Panzer, den Graf Albrecht trug,

War schwer von Gold und Eisen.

Der Feind, den er zu Boden schlug,

Zum Teufel mußt' er reisen.

Sah sie vorbei den Ritter ziehn,

War jede Frau vernarrt in ihn.

Und jedes Auge taute,

Griff seine Hand die Laute.


Einst liebt' ihn eine Edeldam',

Im Schloß war Tanz und Prassen,

Und wollte, als er Abschied nahm,

Ihn nimmer ziehen lassen.

Doch er empfiehlt sich ehrfurchtsvoll,

Trotzt auch und grollt sie liebestoll.

Und jagt auf ihrer Stute

Ihm nach mit heißem Blute.
[103]

»Halt an, halt an! Graf Allbrecht mein,

Du hast mein Herz genommen,

Ich kann, ich will bei dir nur sein,

Laß Schmach und Schande kommen.

O, nimm mich auf dein Grauroß vorn,

Mit dir, mit dir durch Sturm und Dorn

Dein Helmbusch, sie mich flehen,

Soll um mein Blondhaar wehen.«


Graf Albrecht zog den Hengst steil an,

Und schaut das Weib von oben.

Doch hat er sie vom Sattel dann,

Vom Sattel nicht gehoben

Im Winde weht sein langer Bart,

Und finster spricht er, streng und hart:

Reit heim in dein Gehege,

Vier Augen sind im Wege.


Die schöne Burgherrin erblaßt,

Ihr Finger spielt am Zügel.

Den Goldfuchs wendet sie mit Hast,

Schon ist sie hinterm Hügel.

Es sieht der Graf ihr spöttisch nach

Und murmelt unterm Augendach:

Das traf das Herz ihr mitten,

Die kommt nicht mehr geritten.


Die Sommernacht liegt schwer und schwül,

Ein regungslos Erwarten.

Der Wittib ist zu heiß der Pfühl,

Ruhlos irrt sie zum Garten.

Und immer wilder wird ihr Sinn,

Zu ihm, zu ihm nur will sie hin.

Vier Augen sind im Wege,

So flüstert aller Stege.
[104]

Im Erker oben liegen weich

Zwei blondgelockte Knaben,

Die sich im Kinderhimmelreich

Zärtlich umschlungen haben.

O, Mutter, sieh dein Knabenpaar,

O, sieh das gelbe Ringelhaar,

Im Schlafe, wie sie glühen,

Gesund und frisch erblühen.


Zurück, was soll der Dolch, zurück –

Vier Augen sind im Wege.

Zurück, dort liegt dein einzig Glück –

Vier Augen sind im Wege.

Bei Jesus und Maria, halt!

Sie sticht – die Knaben werden kalt.

Zu gräßlich war die Sünde

Der Gräfin Orlamünde.


Sie wirft sich auf ihr rothes Roß

Im blutbefleckten Kleide.

Da sieht sie schon des Grafen Troß

Hinziehen durch die Heide.

»Halt an, halt an! Graf Albrecht mein,

Dein Herz, dein Herz wie Marmelstein,

Nun laß es menschlich pochen,

Vier Augen sind gebrochen.«


Graf Albrecht reißt den Hengst empor,

Entsetzt stand still sein Herze.

Dann beugt er sich zu ihrem Ohr

Und spricht mit grausem Scherze:

Unmenschlich Weib! Der Augen vier

Gehörten, meint' ich, mir und dir.

Und seine Eisen sanken

Dem Prunkroß in die Flanken.
[105]

Papst Gregor wohnt im großen Rom,

Sein Antlitz ist so milde.

Er betet heut im Petersdom

Allein zum Jesusbilde.

Wer sieht scheu sich im Tempel um,

Wahnsinnig und verzweiflungsstumm,

Wer ringt die weißen Hände,

Ach, daß sie Ruhe fände.


Sie sieht den Greis am Hochaltar

Unklar durch goldene Trallen,

Und ist mit aufgelöstem Haar

Zu Füßen ihm gefallen.

Er neigt ihr zu den alten Leib

So liebevoll: Was quält dich, Weib?

Es beichtet ihre Sünde

Die Gräfin Orlamünde.


Und lange schweigt der Papst Gregor,

Fern allem Erdenstrome.

Dann hebt die Frau sanft er empor,

Ein Engel singt im Dome:

Es ließ der Herr den Frevel zu,

Er gebe Frieden dir und Ruh.

Von Gregors Arm umfangen,

Ist sie zu Gott gegangen.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 103-106.
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