Der Haidegänger

[96] (Im deutschen Vers.)


Die Feder kritzelt: Hölle das!

Bin ich verdammt zum Kritzelnmüssen!

So greif' ich kühn zum Tintenfaß

Und schreib' mit dicken Tintenflüssen.

Wie läuft das hin, so voll, so breit!

Wie glückt mir alles, wie ich's treibe.

Zwar fehlt der Schrift die Deutlichkeit,

Was thut's! Wer liest denn, was ich schreibe?

Friedrich Nietzsche.


Zehn Jahre war ich gefangen, verbannt,

Lebte einsam mitten im Haideland,

Fand Freiheit nur dort, wo die Erika blüht,

Für mein immer mehr sich umdüsternd Gemüt.

So verrann mir der Tag, verrann mir die Stunde,

Kein Freund war mir nah, allein meine Hunde

Blieben Begleiter mir gut und treu,

Und ich ward matt und menschenscheu.

Aber die Haide, da wußt' ich Bescheid,

Du Trost mir in meiner Traurigkeit,

Alle Schlupfwinkel kannt' ich, kannte jeden Baum,

Lag oft im Krattbusch in Denken und Traum.

Da schrieb mit dem Stab in den Sand ich Gedichte,

Da hatt' ich wunderbare Gesichte.

Nun bin ich weit von ihr entfernt,

Und den Zauberspruch hab' ich verloren, verlernt,[99]

Und stehe wieder in Wirken und Welt,

Und des Lebens Stürme zerren mein Zelt.

Doch Abends, wenn's ruhig wird, fällt es mir ein,

Ich möcht' auf meiner Haide sein.


Kaum konnte mehr mich etwas erbauen,

Als in den Wolkenzug zu schauen.

Die Hände dann unter's Haupt verschlungen,

Hab' ich mir Lieder und Sagen gesungen:

Du Lämmerwölkchen im tiefsten Blau,

Wer steckte dich fest, ich merk' es genau,

Du rückst dich nicht, du bleibst auf der Stelle,

Du flockig Fleckchen der Himmelshelle,

Kannst dich nicht trennen, der Tag ist zu schön,

Bist nah schon den Göttern in seligen Höhn;

Bändelst an mit einem Stern,

Angelst dir gar den heißen Herrn.

Wer hält mir die Augen zu, nun, wird's bald?

»Ich bin's, ich komm' aus dem Ellernwald,«

Raunt mir's in's Ohr, »ich bringe dir Beeren.«

Zum Donner, du sollst dich zum Teufel scheeren;

Was erschreckst du mich! Doch sie fürcht't sich nicht,

Und beugt sich lachend mir über's Gesicht.

Und ich breite die Arme, ich hab' es gewußt,

Und ziehe das Mädel an meine Brust.

Die Haidehanne mit dem schwarzen Geflecht,

Die kommt mir grade gelegen und recht.

Am Runenstein hat der Fuchs seinen Bau,

Da spielen zuweilen wir Mann und Frau.

Und schlaf' ich, ein Räuber, ein im Grase,

Scheucht sie die Fliegen mir von der Nase.

Trifft es sich, stiehlt sie sich eine Gans

Aus dem umliegenden Dörferkranz.[100]

Das knallrote Tuch, das ich jüngst ihr gebracht,

Das hüllt ihr den Hals wie Siegespracht.

Mit dem Mohn im Haar, den Korallen im Ohr,

Ich wüßte nicht, Kleine, wen zög' ich dir vor.

Wir lernten uns kennen: Der Mond schien bleich

Auf die Wasserlilien im Todesteich,

Der versteckt liegt zwischen Birken und Buchen,

Dort wollt' ich, elend, Genesung suchen

Aus all' der ewigen Einsamkeit,

Und wahrlich, ich war damals bereit.

Da trat sie vor und hielt mich am Arm,

Und wieder kam Leben mir, weich und warm.

Am Eichenstamm hielten wir Hochzeitsnacht,

Seitdem hab' ich nicht mehr an's Sterben gedacht.

Lebe wohl, Hanninka, und morgen um sechse

Find' ich dich wieder, wilde Hexe ...

Wer wandert denn neben mir, Potz Daus.

Ich denke, ich geh' allein nach Haus:

Hinter dem Klemmer die klügsten Augen,

Scheinen einzig zum Spotten zu taugen,

Dies fatale Lächeln, der boshafte Mund,

Wie gießt er der Lüge Blei in den Schlund,

Wie macht er sich lustig über die Welt,

Wie purzelt vor ihm so mancher Protzheld.

Hast doch mein Herz, wie's nur schlagen kann,

Du einsamer, edler Pilgersmann.


Mein Freund, der Spötter.


Schon wieder sandtest du mir Gedichte,

Und wieder ist es die alte Geschichte:

Ich begreif' nicht, was euch Scribenten treibt,

Daß ihr immer und immer von neuem schreibt.

Es liest es, wahrhaftig, es liest es keiner,[101]

Und bin ich, ich Unglückseliger, einer,

So that ich's mein Bester, deinetwegen,

Du ließest sie auf den Tisch mir legen.

Offen gesagt, zu viel der Liebe

Drängt sich in deinem Versgetriebe.

Fortwährend die Grete, die Minna, die Süße,

Und stets Geflüster und Wonnegrüße.

Nein, wie gesagt, das ist mir zu viel,

Dies unaufhörliche Minnespiel.


Der Haidegänger.


Selbst du! Bekannt ist's dir bestimmt,

Was sich der Dichter als Vorwurf nimmt.

Scherz bei Seite, ich weiß wie du,

Daß nicht alles ruht auf dem Rendez-vous.

Aber was soll ich mit dir denn hadern,

Nun ja, ich habe Blut in den Adern,

Noch send' ich mit Ungestüm an die Süße,

Wie huldvoll du's nanntest: Wonnegrüße.

So wart' es denn ab, bis ich alt bin und steif,

Dann red' ich weltweise und himmelsreif.

Hast du nicht Wilhelm Busch gefragt,

Hat dir nicht Wilhelm Busch gesagt:

Was der bunte Vogel pfiff,

Fühl' ich und begreif' ich,

Liebe ist der Inbegriff,

Auf das andre pfeif' ich.


Mein Freund, der Spötter.


Na, na, du kennst es, erst Huren und dann ...


Der Haidegänger.


Betschwestern, hat man nicht Freude mehr dran.

Doch wen fühl' ich jetzt sich zu mir gesellen?

Ah, einen, der mich mißt mit der Ellen.


[102] Mein Freund, der Wackere.


Sieh da, du sandtest mir deine Gedichte,

Ich las sie alle mit ernstem Gesichte,

Eins nach dem andern; ganz brav und nett.

Doch nun mach' du mir die Arbeit wett,

Und gehe mit mir zu Skat und Bier.


Der Haidegänger.


Ich bitt' dich, das erlasse mir.

Mir wird übel, ich erzählt' es dir lange schon,

Treff' ich euch beim heiligen Spiel der Nation.


Der deutsche Litteraturprofessor.


O weh, was fand ich in deinen Gedichten!

Jämmerlich! Und streng muß ich richten:

Wo sind der Griechen klassische Linien,

Wo sind Italiens Purpur und Pinien?

Keine Ehrfurcht vor Schiller und vor den Alten,

Vor Brockes und allen den wohlbestallten.


Der Haidegänger.


Hör' auf! Du treibst mir das Blut zu Kopf!

Hör' auf! Oder ich nehme dich beim Schopf!

Ich will's dir sagen, was dich kränkt:

Ich bin noch nicht in's Grab gesenkt.

Ich lebe. Du kannst mich noch nicht verpacken,

Noch nicht meine modernde Leiche zwacken.

Aus Wut nun zerrst du an mir herum;

Mir wird von deinem Geschwätze dumm.


Der Moralist.


Mit Bedauern las ich deine Gedichte,

Und zeige dir an, daß ich ferner verzichte.

Wer solche Erotik schreibt, so maßlos und roh,

Der macht damit keinen Deutschen froh.

Das deutsche Liebeslied sei abstrakt,

Ein leises Brünnlein und kein Katarakt.[103]

Die Sonne, die Wonne, die Lilie, die Taube,

Mehr nicht, vielleicht noch die Gaisblattlaube,

Doch andeutend nur, nicht was drin geschieht,

Das griffe schon ein in verbotnes Gebiet.


Der Haidegänger.


Nun hab' ich's satt. Was ihr mich quält!

Ich habe mir die Stoffe gewählt,

Die mir gefallen, ich schrieb mir vom Herzen

Jubel und Jauchzen, Leid und Schmerzen

Ich zitterte in Himmelslust,

Sank ich der Liebsten an die Brust.

Und hatt' ich eine Gunst genossen,

Ist Tinte alsbald meiner Feder entflossen.

Da fragt' ich nicht lange, wem's gefällt,

Was kümmert und schiert mich die übrige Welt.

Dann leuchtet's in mir, und bin ich allein,

Weiß ich vor Freude nicht aus noch ein,

Ich singe, ich tanze, ich muß wen umarmen,

Und wär' es mein Ofen, der hat Erbarmen

Mit mir ...


Der Kritiker.


Da wäre doch sehr zu bedenken ...


Der Haidegänger.


Das fehlte noch, dir mein Ohr zu schenken.

Hebe dich fort und laß mich im Frieden,

Ich bin meilenweit gern von euch Klüglern geschieden.

Willkommt es euch jemals, in des Dichters Geist

Euch zu versetzen, wenn ihr nörgelt und beißt?

In sein Milieu, sein Land, in seine Natur?

Des Eindringens ist selten bei euch die Spur.

Dazu kommt, und das ist die Hauptsache fast,

Ob der, den ihr »vornehmt«, in eure Schule paßt,

In eure »Richtung«, Herr Gott, Herr Gott,[104]

So leidet der Dichter viel Schand' und Spott.

Und was noch alles sich häuft, ohne Zahl:

Politik, Religion, Philosophie, Moral.

Wenn ein Bürschlein, das noch nichts ahnt vom Leben,

Dem noch die Eierschalen kleben,

Urteilt und witzelt, salbadert und schreit,

Nun, dem öffnet die Augen die Zeit.

Aber so ein urlederner Alter,

Der geboren ist mit dem Federhalter,

Uns immer den gleichen Kohl vorsetzt,

Uns nie mit Neuem, Modernen letzt,

Wenn der sein hochweises Richtwort spricht,

Das halt' ich nicht aus, das ertrag' ich nicht.

Und endlich, im allgemeinen, das Kritikerheer,

Eine Laus versteht von Shakespeare mehr,

Als diese Gesellschaft von Poesie,

Sie lebe hoch! Krambambuli.

Und was erst soll ich vom Totschweigen sagen,

Pfui Teufel, wir kennen's und lassen das Fragen,

Gedenken auch nicht der Ehrabschneider,

Der Hämischen, Galligen, der Verkappten und Neider.

Mach', daß du weg kommst ...


Haidehanne.


Ich lief dir nach,

Dir schlagen die Flammen aus dem Dach.


Der Haidegänger.


Du gutes Mädel, ja, komm mit mir,

Komm mit, ich bin so fröhlich mit dir.

Die Nacht ist zu kalt im Ginsterkraut,

Sei heut einmal heimlich zu Haus meine Braut.


Haidehanne.


Was du nur hast an mir, bist ein feiner Herr.


[105] Der Haidegänger.


Nun hör' mir auf mit deinem Geplärr.


Haidehanne.


Ein armes, verlassenes Mädchen, nichts mehr.


Der Haidegänger.


Und deshalb lieb' ich dich just so sehr:

Deine braunen Augen, deine Wolfszähne,

Deinen vollen Mund, deine schwarze Strähne,

Dein derbes Fleisch, deinen kräftigen Nacken,

Deine Frühlingsbrust in der knappen Jacken,

Und – dein Seelchen, das mich vor allem entzückt,

Hab' ich an meine Brust dich gedrückt:

Du erzählst mir Geschichten aus Feld und Flur,

Von Reiher und Rebhahn, und was dir widerfuhr

In den letzten Tagen in Rohr und Moor,

Das alles plapperst du frisch mir vor.

Du bist die Natur, dein Geruch ist der Erden,

Wie sollt' ich da nicht glücklich werden,

Du bist gesund, die Welt draußen ist krank,

Dessen lieb' ich dich, hab' Dank.


Haidehanne.


Das versteh' ich nicht, was du sagst,

Doch wenn du betrübt bist und wenn du klagst,

Das weiß ich, findest du Tröstung bei mir,

In deiner Verlassenheit bleib' ich bei dir.

Ich kann dir nichts schenken, nur meiner Küsse Glut

Kann ich dir geben.


Der Haidegänger.


Du jung herrlich Blut.


Die Haide blüht. Das ist das Zeichen,

Daß der Sommer bald muß dem Herbste weichen.[106]

Ich besuche König Ringelhaar's Grab

Und schau' in die rote Steppe hinab.

Platt auf dem Leibe, die Ellenbogen

Vergraben in Kräutern und Gräserwogen,

Lieg' ich und stütz' in die Hände mein Kinn,

Genügen heißt heut meine Königin.

Wie still es ist, wie flimmert die Weite,

Kein Laut stört das sonnendurchglühte Gebreite.

Mir zu Häupten ein junger Vogelbeerstrauch

Mit sich rötender Frucht: der dürftige Rauch

Einer Dorfkate; ein Wäldchen im bläulichen Dunst;

Natur, Natur schlägt immer die Kunst.

Eine Heuschrecke fängt zu zirpen an,

Goldammergezwitscher dann und wann.

Mein Kopf fällt nach rechts, hebt sich im Ruck, fällt nach links

Irgend ein Ruf aus der Ruhe rings ...

Paß auf, wer beugt sich über mich,

Wer ist's, der eben zu mir schlich,

Er berührt mit dem Finger vorsichtig, zag

Meinen Hals; ich wälz' mich im Schlaf; wie vom Schlag

Fährt er zurück, und wieder vor

Biegt er sich vorsichtig an mein Ohr.

Ich rege mich nicht. Er tappt und tippt

An mir herum, er wiegt sich und wippt

Auf den Zehen, er lacht und schüttelt die Locken,

Und schleicht wieder fort wie auf leisesten Socken,

Und bringt mit sich seine Enaksschar;

Ich erkenn' ihn, es ist König Ringelhaar.

Was will er beginnen, der Riesenmann,

Fürwahr, er fängt zu exerzieren an:

Aufstellung in zwei Gliedern, gereckt,

Stirn hoch, Brust heraus, »Lanzen – streckt,«

»Arme – beugt,« »Kopf rechts – d–r–e–h–t.«[107]

Ich lache laut auf, und husch, wie verweht

Ist der Spuk, und meine Lider sinken

Von neuem, und ich seh' ein Kerlchen winken.

Iritt näher, komm her, wie siehst du aus,

Spie dich aus den Fenstern ein Irrenhaus?

Er hüpft geschwind an mich heran,

Nein, wie putzig schaut aus der kleine Mann:

Gelb rechts die Hose, links violett,

Auf den Haaren sitzt ihm ein braunes Barett,

Das eine Pfauenfeder schmückt,

Die fortschwingend nickt, wenn er sich hebt und bückt.

Sein Wamms ist schwarz und weiß gestreift;

Wenn er sich nach seiner Wulstnase greift,

Bauscht jedesmal sich ein Buckel ihm auf;

Ein Zepterchen führt er mit goldenem Knauf.

An einer Hundeblume riecht er beständig,

Bald grinst er leise, bald lacht er unbändig.

Mich kitzelt seine Pfauenfeder.

Flieh von mir, oder ich ziehe vom Leder.


Der Narr.


Ach du, hab dich nicht so,

Daß ich den Atem dir lasse, sei froh.

Verhalte dich ruhig, windiger Wicht,

Sonst blas' ich dich aus wie ein Dreierlicht.


Der Haidegänger.


Was willst du?


Der Narr.


Mich mit dir unterhalten,

Du Feigling, nicht dir den Schädel spalten.

Ich möchte gern von dir wissen,

Sind dir Eidechsen Leckerbissen?

Ich fing hier eine, und ich fühle gebannt

Ihr angstklopfend Herzchen in meiner Hand.
[108]

Der Haidegänger.


Pfui schäm' dich, gleich laß das Geschöpfchen frei.


Der Narr.


Nur immer fein sachte, Lieber, ei, ei,

Mit den Tieren hast du Mitleid, mit deinen Brüdern auch?

Oder ist's die Menschen zu quälen, bei euch Brauch?

Zum Beispiel, wie steht's mit deinen Gedichten?


Der Haidegänger.


Das geht dich nichts an, du hast nicht zu richten;

Wer sie nicht lesen will, läßt's halt bleiben;

Was soll's?


Der Narr.


Ich will mir die Zeit vertreiben.

Erlaube, daß ich mich ein we–nig mehr – auf – dich – bücke,

Deine Brust ein we–nig mehr drück–e.


Der Haidegänger.


Fort, ich ersticke.


Der Narr.


Willst du mir's versprechen,

Hinfüro keine Poeme mehr zu verbrechen,

Sonst ...


Der Haidegänger.


Ich er–stick–e


Der Narr.


Sonst ...


Der Haidegänger.


Ja, ja,

Laß mich los.


Der Narr.


Gut also, ich habe deine Deutschen gerächt;

Schlaf' weiter, dich hat der Schweiß geschwächt.[109]

Leb' wohl, ich habe zu thun in Venedig.

Doch ganz bist du noch nicht deiner Strafe ledig,

Deshalb ruf' ich dir meinen Gevattersmann,

Ich sage dir, daß der auch was kann.


Der Haidegänger.


Du Hundsfott! Wart'! Halt! Er verschwindet.

Und dort? Wer ist das? Mein Auge erblindet

Vor solcher Schönheit und Eigenheit,

Vor solcher Majestät und Seltsamkeit:

Neben mir, auf einem Hügel steht, schwebt?

Da, wo er zum höchsten Punkt sich erhebt,

Im vollstfreien Sonnenschein, abgehoben

Von Himmel und Haide, rätselverwoben

Eine Erscheinung in der Nachmittagsglut,

In hechtgrauer Kutte, mit dem Pilgerhut,

Und starrt unbeweglich geradeaus.

Ein Schnitter vielleicht, auf dem Wege nach Haus.

Doch ein Mäher trägt nicht solch Gewand.

Aber die Sense in seiner Hand,

Die er über die Schulter läßt fallen,

Um die fest, kräftig die kleinen Krallen

Ein Zaunkönig schlug, der wie verliebt

Mit dem Schwänzchen lustig seine Männchen giebt?

Die Sense mit dem Vögelchen drauf,

Mit dem blitzenden, glitzernden Lichterlauf,

Die Sense, die so schrecklich loht –

Jetzt dreht er sich zu mir, es ist der Tod.

Und langsam tritt er auf mich zu

Und setzt sich hin in gelassener Ruh.

Und läßt sein Augenglas, ist das Hohn,

Einschnippen wie ein blasierter Baron,

Und ist verwandelt, und hat seine Art

Wie ein hochstehender Herr in grauweißem Bart,[110]

Der viel in der Welt herumgekommen,

Der alle Meere hat durchschwommen,

Den nichts mehr rühren und reizen kann,

Der Gleichmut als Krone des Lebens gewann.

Sein Sprechen klingt etwas von oben her,

Er näselt ein wenig, sonst thut er en frère.


Der Tod.


Sage mir, Freundchen, würd' es dir passen,

Mit mir deine Heimat heut' zu verlassen,

Dir die Unterwelt anzusehn?

Willst du so, kannst du mit mir gehn.


Der Haidegänger.


Sehr gütig, doch zieh' für's erste ich vor,

Noch zu warten vor deinem Eingangsthor.


Der Tod.


Das nenn' ich aber ... ich dacht' entschieden,

Du wärest mit deinem Los nicht zufrieden,

Hinfristetest hier einsam und verbannt,

Sehntetest dich in ein schöneres Land,

Wo dich nichts mehr ärgert, dich nichts mehr quält,

Wo kein Schuh dich drückt, dir nichts mehr fehlt.

Deiner Brüder erbärmlichen Kleinigkeit

Und Kleingesinnungsart bist du befreit.

Wie unvornehm denkt meistens das Menschenpack,

Von oben herab bis zum Bettelsack,

Wie spießbürgerlich, poesielos, philisterhaft,

Ob es ein Fürst ist oder eine Schneidergesellschaft,

Und in Geldsachen erst recht,

Ob Nobile oder Sattelknecht.

Fühlst eine Minute du dich frei,

Gleich wirbeln die Wasser wieder herbei,

Die Sorgengedanken, und reißen dich fort[111]

Unaufhaltsam, unbarmherzig aus Hafen und Hort.

Du schreist nach Hilfe dich heiser und rauh,

Keiner wirft dir das Rettungstau.

Jeder muß mit sich selbst sich befassen,

Darf nicht sein Steuer im Strudel verlassen.

Möchtest du laut deine Freude äußern,

Du weißt, sie werden dich gleich duckmäusern;

Zeigst du dein singfrohes Herz der Welt,

Es wird dir sofort von den Leuten vergällt.

Doch muß ich sagen, im allgemeinen

Lernt ihr es schon auf Kindesbeinen:

Zu verheimlichen und zu schweigen,

Keinem euren Jubel zu zeigen.

Und wahrlich, verbergt, was euch selig macht,

Die Wölfe zerreißen es, gebt ihr nicht Acht.

Und die Weiber? Nimm an, für jeden Kuß

Erntest du prompt zehn Zentner Verdruß.

Und thun sie auch noch dir so schön und gut,

Ihr Gedanke ist doch immer: Mein neuster Hut.

Naschhaft, haben sie, wie findest du das,

Beständig den Finger im Syrupfaß;

Und ihre Lüsternheit erst, daß Gott erbarm:

Liegt dir dein Holdchen ergeben im Arm,

Sie blinzelt über deine Schulter umher,

Wirft nach neuer Beute den Augenspeer,

Und wär's dein bester Freund, der ihr gefiele,

Sie läßt um keinen Preis von ihrem Ziele.

Dein bester Freund, nebenbei gesagt,

Denkt dann, warum sei's nicht gewagt,

Steckt sich die Schuftfeder in den Schopf,

Und macht dich mit ihr ohne Bedenken zum Tropf.

Erinnerst du dich, es war in Gastein,

Du warst solch ein Schurke,
[112]

Der Haidegänger.


Halt ein, halt ein.


Der Tod.


Und weiter, hast du nie bedacht,

Welchen Hennengehirnchen du Reverenz gemacht?

Wie vielen, die besser verdient die Rute,

Dümmer waren als die dümmste Eselstute,

Opfertest du dein Geld, deine Zeit,

Deinen Geist, deine Selbstachtung, deine Arbeit.

Und dies ewige Lügen und Hintergehn,

Dies katzenfreundliche in die Augen Sehn

Und Umschmeicheln und kindisch-alberne Tollen,

Wenn sie etwas erreichen wollen.

Unglückliche Liebe, verratene Liebe, wie nenn' ich die Zahl

Der Liebesfoltern, der Liebesqual.

Das greuliche Schieltier, die Eifersucht,

Sei hier noch ganz besonders gebucht.

Kurz und bündig, der Liebe Born

Ist immer umbuscht von Stachel und Dorn.

Ich sollte meinen, du schlügest zu.


Der Haidegänger.


Ich bitt' dich inständig, laß mich in Ruh.

Du trittst das einzige Glück mit Füßen,

Du willst mir das einzige Glück entsüßen,

Du Troddel, das soll dir gewiß nicht gelingen.

Amor fliegt mit Zephyrschwingen

Unbekümmert über dein Höllenhaus,

Und foppt dich und narrt dich und lacht dich aus.

So ein Mädel, o die Lust,

Mit ihr zu tändeln Brust an Brust.

Was geht denn über den Sommertag,

Wo wir zwei miteinander durchziehn den Hag,

Einkehr halten im fremden Städtchen,[113]

Einkehr dort halten im »Raspelrädchen«.

Wir sind allein und deinem Unterweltsegen,

Dem grausigen werfen, wir Rosen entgegen.


Der Tod.


Poltre nur zu, ereifre dich nur,

Bin, trotz allem, auf rechter Spur,

Und da ich nun doch einmal bin in Fluß

Von Maid und Minne, Gezärtel und Kuß,

Sag' mir, ich bitte dich, dich zu bequemen,

Ehrlich, wie gefiel dir das Abschiednehmen?

Doch wart', ich will deine Denktafel wischen,

Und dein Gedächtnis ein wenig auffrischen:

Einst, in einem großen Saale,

Durchleuchtet vom Nachmittagssonnenstrahle,

Es schwieg der Garten, der Hof lag vertraut,

Es drang zu euch kein störender Laut,

Du hattest »Wohlauf noch« von Schumann gesungen,

Wie hat sie die weißen Hände gerungen,

Es war eine süße Baroneß,

Oder war's eine kleine blonde Komteß,

Gleichviel; die Trennungsstunde war da.

Als sie nun weinend zu Boden sah,

Hast männlich du mit dem Schmerze gerungen,

Hast mächtig deine Qual bezwungen.

Der Kampf aber half dir nicht hinüber,

Dein Auge ward feucht, dein Blick immer trüber,

Und als sie dir schluchzend hing am Nacken,

Quollen die Thränen dir über die Backen.

Hast jahrelang gedacht an die Stunde,

Bis endlich sich schloß die böse Wunde.

Ein ander Bild: Ein jung einfach Kind

Aus Volkestiefen ward hold dir gesinnt,

Wie's die Kleine hat angefangen,[114]

Daß du ihr in die Netze gegangen,

Nun ja, wie sich einführt solch' Tänzel:

Geäugel, Geampel, Gedreh' und Geschwänzel;

Sie weiß deine Wege, und sieht sie dich nah'n,

Giebt's Glutblicke, und zugleich wird bescheiden gethan;

Und ist im Erobern errötend, naiv,

Hält ganz beschämt das Köpfchen schief.

Ihr Männer seid meistens erstaunlich dumm,

Fädelt ein Evchen um euch herum.

Endlich merkst du's: sie hopst, hascht, husch

Vergeblich in den Syringenbusch;

Du gingst vorbei und sie thut, ach, ach,

Als wär' sie zum Blütenerspringen zu schwach.

Du halfst ihr, und – der Daus, sahst du's blitzen?

Klapp, mußtest du in der Falle sitzen.

Und mit stürmischem, heißem, heftigem Drange

Küßtest du ihr die frische Wange.

Sie gab dir alles, Seel' und Leib,

Und du hattest sie lieb, als wär' sie dein Weib.

Doch die Langweile gähnte: die Kluft war zu groß,

Du machtest aus ihren Maschen dich los.

Am Abschiedsabend fragtest du müssig,

Du warst ihrer längst schon überdrüssig:

Dein grobes Linnen, ei, ist mir nicht fremd,

Was säumen heut' Spitzen dein wirkenes Hemd?

Und sie wandte sich ab von deiner Stirn,

Und zögernd, leis' sprach die arme Dirn:

»D'weil i thu schlafa bei dir d'letzt' Nacht,

Han i a scheens Hemmad mir z'recht g'macht.«

Und so schlecht warst du nicht, dir stürzten die Thränen,

Und mußtest dich später lang nach ihr sehnen.

Und nun sollst du einen Schattenriß sehn,

Der wird, willst du jetzt nicht mit mir gehn:[115]

In einigen Jahren, ich kenne den Tag,

Reitest du aus in den grünen Hag.

Dein Dunkelfuchs trägt dich, zwei Pointer zur Seite,

Trabst du, wie stets, vergnügt in die Weite.

Im Walde begegnet ein Mädel dir,

Das thut dir behagen: »Bleib du bei mir.«

Die blinzelt dich an und lacht dir zu:

»Bübele, sag' mir, wie alt bist du?«

Und sie läuft davon, und läuft geschwind,

Und über dein Herz zieht ein eisiger Wind.

Du jagst ihr nach und holst sie ein,

Und brichst aus den Hecken ein Röselein:

»Nimm hin, nimm hin, mit der Rose hier,

Meine letzte Jugend geht mit ihr.«

Und du wendest dein Pferd, und reitest im Schritt,

Im Sattel reitet der Winter mit.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und sonst, was hast du denn noch auf Erden?

Kannst einer Stunde du fröhlich werden?

Kannst du dich ausleben auch nur einen Tag,

Wie du möchtest, wie dir kündet dein Herzensschlag?

Und sind nicht stets tausend Rücksichten zu nehmen,

Mußt du dich nicht zu vielem bequemen,

Du mußt, was dir ganz gegen den Strich,

Und das findest du alles nicht fürchterlich?


Der Haidegänger.


Schon recht.


Der Tod.


Du bist ein deutscher Dichter

Und wohnst inmitten der Splitterrichter,

Umgeben von Gleichgiltigkeit und Bier,

Sei versichert, viel wohnlicher ist es bei mir,

Hast du Geist, das kann niemand vertragen,

Sie packen dir wütend an Kranz und Kragen,[116]

Bist du arm, und machst dir das kleinste Vergnügen,

Was dann die alten Tanten zusammenlügen,

Wie sie dich verpetzen und beißen,

Dich giftig und bös' in den Kehricht schmeißen.

Du weilst unter lauter undankbarem Volke,

Komm mit, wir verschwinden in einer Wolke.


Der Haidegänger.


Nein, nein, ich will nicht. Hanne, Hann–e!


Der Tod.


Du willst nicht? Gestatte, daß ich sanft dich umspanne.


Der Haidegänger.


Jetzt verwandelt er sich zum Knochenmann.

Hanne, Hann–e ... da stürmt sie heran.

Ist aus dem Hannchen im hohen Norden

Eine Oberbayerin geworden?

Sie hält ihm die Faust unter die Nase.


Haidehanne.


Rie(a)ch!

Laßt'n glei liegn, du Malefizvie(a)ch!


Der Haidegänger.


Und der Tod läuft davon, wie knackt sein Gebein,

Und die Hanne immer hinter ihm drein,

Jetzt wirft sie den Pantoffel ihm nach ...


Haidehanne.


Wach auf, i fircht'mr, erwach', erwach'.


Der Haidegänger.


Hab' ich geschlafen, ach, dein liebes Gesicht,

Ich schrieb im Traum ein phantastisch Gedicht.


Ein Rabe streicht vor mir über den Schnee,

Die Spitzen seiner Fittige[117]

Berühren ihn fast; zollhoch nur

Fliegt er über die weiße Spur.

Sein Herz und mein Herz, sonst ringsum

Kein Herzschlag, kein Blutlauf, alles ist stumm.

Wo rollt nun die Welt, wo mühsalt das Streben,

Erstorben, erstarrt ist das ächzende Leben.

Wen seh' ich, wer stürmt dort aus dem Wald,

Ist das nicht mein Freund, der Staatsanwalt?

Sollte vielleicht, was will sein Gebaren?

Vor gerade sieben und neunzig Jahren

Ist hier in der Gegend, nach Sagen und Märchen,

An Gift verleibweht ein süßes Klärchen.

Will er die Reste exhumieren.

Nach Belladonna, Cyankali gieren?

Halt, Lieber!


Der Staatsanwalt.


Laß mich, wo begrub man das Klärchen?


Der Haidegänger.


Aber, Bester, das sind ja Sagen und Märchen.

Du düsterer Deutscher, bleib' einmal stehn,

Oder wünschst du, ein Weilchen mit mir zu gehn?

Ich habe ein Hühnchen mit dir zu pflücken,

Über Dinge zu reden, die mich bedrücken.

Zuerst Hut ab vor eurem Fleiß,

Vor eurem Augenauf, Sorgenschweiß,

Der uns schützt vor Dieben und Dolchen,

Wechfelfälschern und anderen Strolchen.

Daß dies Spürgeschäft euer Lebenszweck,

Ist Geschmacksache; mir wär's schrecklich, im Dreck

Immer wühlen zu müssen Tag und Nacht,

Ich bin nicht zum Büttel und Beildiener gemacht.

Hut ab vor eurem Takt, eurer Unerschrockenheit,

Und, gern sag' ich's, vor eurer Menschlichkeit,[118]

Die, wenn's nur irgend in die Sache paßt,

Ihr immer willig walten laßt.

Aber beurteilt mir nicht die Litteratur,

Hier fehlt euch der Kenntnis jede Spur,

Wie den andern Deutschen zumeist,

Die geht über euren Schnüffelgeist.

Könntet ihr Shakespeare und Goethe mit Erfolg berennen,

Ihr ließet, »weil sie unsittlich,« sofort sie verbrennen.

Dagegen laßt sämtliche Kerle brummen,

Die das Volk verseuchen, das Volk verdummen

Mit dem Kolportageroman, mit dem Bilderjournal,

Da stiftet ein fröhliches Bluttribunal.

Zerstreut, vernichtet den Teufelsbund,

Verbietet auf einmal den ganzen Schund,

Denn Gefahr...


Der Staatsanwalt.


Du weißt doch, Brod und Spiele ...


Der Haidegänger.


Ich seh' schon, wir kommen nicht zum Ziele.

Du selbst, wie mir scheint, wie sicher ich glaube,

Bist Abonnent der Hollunderlaube.

Dein Leibdichter, gewiß, ist Herr Borstenbinder,

Ei, schreibt der 'mal scheen für die deutschen Kinder.


Der Staatsanwalt.


Mein Gönner, du scheinst nicht in Stimmung zu sein.


Der Haidegänger.


Allerdings, ich bliebe jetzt lieber allein,

Denn ich sehe hinten –


Der Staatsanwalt.


Das Klärchen?


Der Haidegänger.


Die Hanne.


[119] Der Staatsanwalt.


Und möchtest deshalb, daß ich schnell mich verbanne.

Leb' wohl. In Hamburg übermorgen,

Bei Pfordte, Cölln, bei Gotthilf Borgen?


Der Haidegänger.


Bravo, da bin ich dabei, und Porter und Ale

Und Austern dazu, ich steh' zu Befehl.

Behüt' dich Gott.

Wie steuert das Mädel schnell,

Das wurzelt in ihrem Naturell.

Mein Wildfang, ich gebe dich heute nicht los,

Meine Sehnsucht nach dir ist übergroß.

Nun rasch durch den kalten Wintertag

Zu mir in den warmen, vertrauten Verschlag.

Lombroso liegt auf meinem Tisch,

Den ich just lese, weg mit dem Wisch,

Wenn wir glückselig, eins mit dem andern,

Vier, fünf Himmelsmeilen wandern.

Amor hat längst schon die Ampel entfacht,

Komm mit in die lustigste Liebesschlacht.

Aus deinem Haar reiße die Nadeln ich fort,

Es flutet herab ... aber wer liegt dort?

Einer, der sich im Schnee verloren?

Sieh' nur, ein Mensch, doch nicht erfroren?

Hanne, rüttel' ihn tüchtig ... Du, wach' auf!

He, Hilfe ist da ... Hanne, wir reiben ihn, fix drauf!


Der deutsche Dichter (erwachend, sehr schwach).


Blaublümelein – kosen – wallend am Busen.


Haidehanne.


Jessas, Maria und Joseff, der ist narret.


Der Haidegänger.


Nein, bei den Musen,

Das kann nur ein deutscher Dichter sein.

Sprich, wenn's dir möglich ist ohne Pein.


[120] Der deutsche Dichter.


Liebchen – kost – am Mondscheinbusen – wallen –


Der Haidegänger.


Ach, Aermster, wie schwach deine Worte hallen.

Keine Silbe mehr, ruhig, wir sind bei dir,

Bist bald im behaglichen Zimmer bei mir.

Hanne, hier, gieb ihm meine Pudelmütze,

Zuhause kochst du ihm Hafergrütze,

Dann pumpen wir acht Gläser Grogk ihm ein,

Und Feuer schießt wieder in's matte Gebein.

Der Arme denkt an Lorbeerkränze

Jenseits der jütischen Landesgrenze.

Er will sich in Dänemark niederlassen,

Weil seine Landsleute den Dichter hassen.

Dänemark, wie die anderen Länder,

Schenkt seinen Dichtern Pensionen, Stipendien, Ordensbänder.

Deutschland hat für sie nur Spott und Schand',

Drum verläßt er totkrank sein Vaterland.


Was weiß ein Mensch vom andern Goethe.


In meinem Leben einmal nur

Hört' ich Gesang auf der Haideflur:

Ein Hirtenjunge trieb seine Kühe

Mit Uhä, Uhä durch die Morgenfrühe.

Sonst singt mein Heimatbruder nicht viel,

Das Dasein ist ihm kein Puppenspiel.

Fast immer von grauen Wolken umhangen,

Trägt er nach Lustausbrüchen wenig Verlangen.

Treu ist er, schweigsam, beständig, solid,

Zuwider sind ihm Lärm und Lied.

Dir, Ländchen, segn' ich den schweren Pflug

Bis an meinen letzten Atemzug.[121]

In meinem Leben einmal nur

Hört' ich Gesang auf der Haideflur:

Ein Hirtenjunge trieb seine Kühe

Mit Uhä, Uhä durch die Morgenfrühe.

Die Lerchen trillerten um uns her,

Steigend und stürzend im Aethermeer.

Ich fand, erst acht Uhr, zum Frühstück traun,

Drei alte Weiber, drei alte Männer am Zaun.

Die Männer heckthor links, die Weiber rechts,

Begaben sie sich des Sensengefechts,

Und kauten gemütlich ihr Butterbrot.

Ein Spitzhündchen vor ihnen hat Hungersnot,

Dem werfen sie gutmütig unter schmierigem Lachen

Brocken und Bissen in den Rachen.

Und weiter ging ich, der Tag ward heiß,

Bis ich hielt in einem Föhrenkreis:

Fünf, sechs Bäumchen standen hier

Und schenkten ihren Schatten mir.

Und ich lagerte mich und zog aus der Tasche

Eine gut gefüllte Rotsponflasche.

Und ich streckte mich aus, um die Rast zu genießen;

Schon wollt' ich die müden Lider schließen,

Als mein Auge auf eine Erscheinung geht,

Die zwischen zwei Nadelholzstämmchen steht.

Das Gewand, das ein braungoldner Gürtel hält,

Hemdartig ihr bis auf die Knöchel fällt,

Hat lichtgrüne Farbe, wie das Buchenblatt,

Wenn es eben die Knospe durchbrochen hat.

Sie stützt sich auf ein nacktes Schwert

Mit beiden Händen. Ein Opferheerd

Qualmt hinter ihr und sendet den Rauch,

Den feinspärlichen, graublauen, durch den Strauch.

Ernst sieht sie mich an und klar und kalt,[122]

Daß ich aufschnelle, als risse mich wer mit Gewalt:

Was schaust du, reglos, so streng mich an,

Deine finstere Stirn thut mich in Bann,

Unerträglich ist mir dein fester Blick.


Die Erscheinung.


Ich künde dir deines Lebens Geschick:

Eh' noch der Sterne Licht enttaucht,

Hast deinen Odem du ausgehaucht.


Der Haidegänger.


Lügnerin du! zerfließe in nichts,

Du bist nicht der Bote des Allgerichts.

Du äffst mich. Fort! ich springe sonst vor.


Die Erscheinung.


Zurück! Zu Boden vor mir, du Thor.


Der Haidegänger.


Noch keinem fiel ich je zu Füßen,

Ich habe nichts vor dir abzubüßen.


Die Erscheinung.


Trotz' nur hinein dich in die ewige Nacht,

Leichtsinnig hast du deine Zeit verbracht,

Leichtsinnig ...


Der Haidegänger.


Hab' ich die Stunde genossen,

Dessen bin froh ich; unter allen den Possen

War stets mir zuwider der dumme Narr,

Der den Kopf hängen ließ im furchtbaren Wirrwarr,

Der nicht das wenige Begehrenswerte sich fischte,

Das unter den Greueln der Tag ihm tischte,

Das Wenige!! Und dies Wenige nahm ich wahr,

Frisch weg wie ein übermütiger Husar.

Wo ein Mädel am Weg ich fand,

Das mir gefiel, ich nahm es flugs an die Hand:

Komm mit ein Streckchen ...


[123] Die Erscheinung.


Leichtfüßiger Wicht,

Mir gefiel deine Wüstheit schon lange nicht.

Wie rasch ist stets deine Treue verweht.


Der Haidegänger.


Das lag in meiner Individualität.


Die Erscheinung.


Sich selbst beherrschen, sich selbst bezwingen,

Das hätte vor allem dir sollen gelingen.

Dir fehlte der sittliche Grundgedanke,

Du schwanktest wie eine lose Ranke.

Entsagung, die blasse Nonne, zwang nie

Dich trostwehmütig, demütig auf's Knie.


Der Haidegänger.


Halt ein mit deinen Kapuzinerergüssen,

Ich war Mensch, das heißt entsagen müssen.

Ost hab' ich mich auf mich selbst besonnen,

Habe den Sieg über mein Fleisch gewonnen.

Was weißt denn du, was predigst du mir

Wie ein langweiliger Fakir.

Sind nicht verschieden unser Saft,

Unsre Schwächen, unsre Kraft, unsre Leidenschaft?

Dem tobt im Innern beständig ein Meer,

Dem andern fällt die Überwindung nicht schwer,

Weil er eiskühlen Sinnes ...


Die Erscheinung.


Genug der Worte,

Du stehst jetzt vor der schwarzen Pforte,

Hast Rechnung am Eingang abzulegen.


Der Haidegänger.


Mich kann dein weiser Sermon nicht erregen.

Bis zuletzt bleib' ich mit dir in Fehde,[124]

Und geb' unbekehrbar dir diese Rede:

Mich reut's, hörst du, mich reut's, daß ich entschlossen

Das Dasein nicht viel frecher genossen:

Daß ich mich nicht sofort nach der Rose bückte,

Die nach mir ein Skrupellosrer sich pflückte;

Daß ich nicht öfter den Becher schwang;

Nicht öfter anstimmte den Rundgesang;

Daß ich nicht durstiger trank aus der Flut;

Dem Tugendhelden nicht spie auf den Hut,

Wenn mit seinen Litaneien er kam

Und mich in seinen Betstuhl nahm.

Wie die Körner im Stundenglas verrinnen ...


Die Erscheinung.


Still', Knabe: dein unsinnig Beginnen

Bringt dich um alles, um Himmel und Heil,

Doch sei dir ein letztes Wünschen zu Teil:

Wie willst du sterben: das ist mein Schluß.


Der Haidegänger.


Im Gefecht, in der Schlacht den tötlichen Schuß,

Und daß ich nicht lange mich quälen muß,

Hat mich das Blei in die Brust getroffen.


Die Erscheinung.


Dein Wunsch sei erfüllt, Gewißheit dein Hoffen.


Der Haidegänger.


Zigarrette gefällig, Charlatan?

Ich wenigstens zünde mir eine an.

Du schwindest, Phantom? Und der Opferrauch

Verzieht sich, verflattert im Tannenstrauch.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Meine Augen weiten sich, ich greif' mir ans Herz,

Mein Mund bleibt stehn, ich werde zu Erz,

Und wieder Bewegung: an die Stirn fährt die Hand,[125]

Mein linker Fuß hat sich vorgewandt.

Was hör' ich, sind es Kriegsgesänge,

Ich beuge mich vor, was sind das für Klänge:

Der Avanciermarsch klingt fernher leise, leise,

Ich kenne den Takt, ich kenne die Weise ...

Meinen Hengst, meinen Hengst, mit Pauken und Schlag

In voller Rüstung den letzten Tag!

Immer näher, immer näher tönt es heran,

Himmel gieb Gnade: ich bin Feldhauptmann,

Laß mich bleiben im Bette der Ehren,

Du wirst es, du kannst es mir nicht verwehren,

Mein undiensam Leben vergräbt der Sand,

Ich sterbe für Kaiser und Vaterland.


Musketier Senske.


Herr Hauptmann haben Ruschnar befohlen.


Der Haidegänger.


Was, Heinrich, kamst du auf Satanssohlen?

Sahn wir in Kolberg uns nicht zuletzt,

Mein treuer Bursche, und hier stehst du jetzt?

Meinen Helm, die Schärpe, meinen Degen!

Den Fuß in den Bügel, dem Feind entgegen!

Ich klopfe beruhigend Rouge et noir den Hals

Ob des ersten nahen Flintenknalls.

In funkelnder Linie, beim Element,

Das ist mein altes Regiment.

Ich presche, um mich zu melden, vor,

Will mit einziehn durch das Siegesthor.

Der Oberst reicht mir freundlich die Hand,

Mir sind die Thränen niedergerannt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Mit meiner Kompagnie nun schwimm' ich allein

In der blutenden Haide querfeldein;[126]

Einem offnen Tempelchen zu, das auf einem Hügel

Als Ziel sich zeigt, lenk' ich den Zügel.

Aufgelöst in einer einzigen Plänklerkette,

Pflastern wir eine Schädelstätte.

Immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,

Nur immer die Richtung auf's Tempelhaus,

Über gräßlich zerissne, verstümmelte Leichen,

Über verstreutes Gepäck und tausend Schlachtzeichen;

Über Pferdeleiber, klaffende Wunden,

Immer weiter, immer ruhig zu schon seit Stunden.

Fällt eine Granate zwischen uns ein:

»Nicht umsehn, Kerls, nach dem Schwesterlein.«

Wen sie küßte, wischt sich nicht mehr die Lippen,

Ihre Geilheit riß ihm das Herz aus den Rippen.

Der rasende Regen der Gewehrgeschosse

Ist auch just keine Theaterposse.

Und ruhig weiter geht unser Geschwärm,

Immer ruhig zu durch den furchtbaren Lärm,

Bald durch brennende Dörfer, zerstampfte Felder,

Durch Dorn und Dickicht, durch Wüsten und Wälder.

Müssen wir durch einen Bach, einen Graben,

Können wir schnell uns den Gaumen laben.

Und immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,

Nähern wir uns dem Tempelhaus.

Voran ich im Schritt auf Rouge et noir,

Wir beide scheinen gefeit, untreffbar.

Spanisch tänzelnd, spritzt mein Hengst den Schaum

Über Zaum und Zügel auf Sattel und Saum.

Über seinen Hals halt' ich den Degen quer,

Reite wie der Dei von Tunis daher.

Trägt eines Feindes abgehauenen Kopf

Meine Linke, den wolligen Haarschopf,

Längseits der Decke? Tröpfelt neben meinem Pferde[127]

Aus dem verzerrten Haupte das Blut auf die Erde?

Etwas vorgebeugt, den Helm im Nacken,

Den Schweiß abtrocknend auf Stirn und Backen,

Reit' ich im Schritt, die Augen gradaus,

Immer gerichtet auf's Tempelhaus.

Und immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,

Sind wir jetzt nah dem Tempelhaus.

Wir geraten in einen Brodem hinein,

Es raucht aus den Kräutern und Blümelein,

Es erstickt uns fast der dicke Qualm,

Der Fuß gleitet aus im glitscherigen Halm.

Mein Pferd bäumt sich plötzlich steilauf,

Dann bricht es zusammen, rafft nicht sich mehr auf.

Nun zieh' zu Fuß ich meiner Kompagnie voran,

Wir arbeiten keuchend den Hügel hinan,

Und sind im mörderischen Handgemenge ...

Geschützgäule schlagen über die Stränge,

Versitzter, verfahrener Train zwischen Leichen,

In die Luft ragende Rohre, zersplitterte Speichen,

Rote Lachen, Trümmer, mittenin ein Hund,

Der seinem Herrn nachheult im Kunterbunt.

Ein ganz leiser Schlag trifft meine Brust,

Ich bin meiner Sinne nicht mehr bewußt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Als ich erwache, ist alles fort,

Ich lieg' in des Tempels heiligem Ort,

Und schau' in die weite Ebene hinab,

Alles ist still wie Gruft und Grab.

Die Abendsonne scheint sanft und milde

Über mein holsteinisch Haidegefilde.

Ein Luftzug kühlt den Tempel sacht;

Nichts erinnert mich an die Schlacht.

Doch, doch, wer lehnt an der Säule so stur,

Mein erschoss'ner Hornist, oder schläft er nur?[128]

Und im Grase, neben mir, auf den Rücken gereckt,

Liegt tot mein Bursche ausgestreckt,

Die Arme gebreitet, die Finger gekrallt,

Griff er ein in die Erde als letzten Halt.

Die gebrochnen Augen starren anklagend und leer

Hinauf in's streifige Cirrusmeer.

Und auch die beiden Getreuen verschwinden,

Ich kann nichts Außergewöhnliches finden.

Meine Hände hab' ich auf die Brust gepreßt,

Meine Handschuhe, fühl' ich, sind feucht, sind durchnäßt,

Das Blut sickert langsam aus einer Wunde,

Nun weiß ich, es ist meine Sterbestunde.

Hanne, Hann–e ... Ist keiner bei mir ...


Haidehanne.


Halt dei Goschen, i bin ja bei dir;

Du dörfst nix redn, hab doch Muat,

Die böse G'schicht wird g'wiß noch guat.

I verbind dir dei Wund, laß mir dei Sachn,

Sollst mir mei Herzl so schwer nit machn.


Der Haidegänger.


Die wenigen Minuten, eh' ich versinke,

Eh' dort ich bin, wo ich Lethe trinke,

Will ich sprechen.


Haidehanne.


Jessas, Lethe, hier hab i Wein.


Der Haidegänger.


Und bis zuletzt fällt immer mir ein

Eine Stelle aus einem deiner Briefe:

»Tausend Grüße und Küsse von mir,

Mußt das halt obi klaubn vom Papier,

Derweil bis dus Morgen kriegst aufs Maul.«

Sonst warst du im Schreiben ziemlich faul,

Hanne, hier, in meiner Rocktasche, den Quark,

Nimm ihn heraus, es sind achtzigtausend Mark,[129]

Die schenk' ich dir mit warmer Hand,

Kann sie nicht mitnehmen in's andre Land.


Haidehanne.


Du Fadling, o mei' ...


Der Haidegänger.


Was, du willst flennen,

Willst mir noch Thränen auf die Seele brennen,

Weißt, ich kann keinen traurig sehn;

Nimm das Geld, mußt nun alleine gehn,

Kauf' dir einen frechhübschen Knaben,

Und thut er nicht gut, muß er Prügel haben.

Na, du wirst schon ...


Haidehanne.


I ra'f mit ihm, i werdn schon kriegn.


Der Haidegänger (äußerst schnell, entsetzt).


Hanne, Hanne, bleib dicht, dicht bei mir ... aus den Wassern biegen,

Aus dem Schilf sich, aus den Zweigen weiße Leiber,

Blasse Gesichter, das sind die Weiber,

Die geliebt ich habe und dann verlassen,

Wie sie ... wie sie ... wie sie ... nach meinen Händen ... fassen ...

Hanne, Hanne, jag' sie fort.


Haidehanne.


Der Teifi spitackelt hier;

Fritzl, mei Fritzl, i bin ja bei dir.


Der Haidegänger.


Nun lehn' ich mich an deine Brust,

Es verzuckt, es verzittert die Erdenlust.

Versenkt mich hier unters Haidekraut,

Des Menschengezeters brüllt her kein Laut.

Im Herbst fliegt der Tütvogel, wie hört' ich ihn gerne,[130]

Über mein Dunkel im Dämmer der Sterne.

Nachtverschluckt schlaf' ich, nur du kennst mein Grab,

Brich dir einen Erikastrauß von ihm ab.

Dank, Mädel, dir, für deine rohfrische Natur,

Sie roch wie die kraftgährende Ackerflur.

Das hat mich entzückt zu dir gezogen,

Das hab' ich entzückt aus dir gesogen.

Die Sonne sinkt, meine Hünenmale

Feiern Andacht im letzten Abendstrahle.

Hanne, hilf mir auf, stütz' mich, mein Leben verloht,

Ein Grashälmchen, nichts weiter, rupft sich der Tod;

Du aber bleib' immer in deinem Bestand,

Mein großes, schönes, heißgeliebtes deutsches Vaterland.


Am Hochgebirge, Juli 1890.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Der Haidegänger und andere Gedichte, Leipzig 1890, S. 96-131.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon