Urbestimmungen

[170] Tritt ein Volk ein in die Geschichte,

Weise mit Kronen schreiten voran,

Ihrer Führung erstem Lichte

Reihen Zug an Zug sich an,

Immer gedrängter wogt es, je länger

Helden erscheinen, und Seher und Sänger

Füllen erstürmend die weitere Bahn.


Hilfreich auch kommt vieles entgegen,

Sterne, mitwandelnd, bestimmen das Jahr,

Und der Ähre wildsprossender Segen

Bietet sich selbst den Ermüdeten dar.

Da nun den gütigen Gottesgeschenken

Weihn sie zum dauernden Angedenken

Festlichen Tag und bekränzten Altar.


Alles Ursprünglich' und Eigne verkündet

Sein gewaltig Erwachen jetzt,

Alles Dauernde wird gegründet,

Alles Heilige festgesetzt.[170]

Unerschöpflicher Schätze Gaben

Werden den Seelen eingegraben,

Um sie zu wahren unverletzt.


Also zog Mose mit Israels Stämmen

Über die Wüste nach Kanaan,

So von des Kaukasus schneeigen Kämmen

Stürmte der rauhe Pelasger heran,

Und aus dem Dunkel urnächtiger Eichen

Über der Weltbesieger Leichen,

Brach der germanische Völkerorkan.


Dauernd bleibt uns, was Hellenen

Schönstes in Kunst und Leben erdacht,

Was trotz Fesseln und Arenen

Großes der mächtige Römer vollbracht.

Wenn die Fluten das Land zerstreuten,

Würde noch Shakespeare England bedeuten,

Luther und Kant die deutsche Macht.


Das sind die Male der Nationen,

Welche der Weltgeist in sie prägt,

Daß von ihrem Sein und Wohnen

Ewige Spuren der Erdball trägt,

Daß in unauslöschlichem Lichte

Ihre Taten die Weltgeschichte

Über der Schuld und dem Schicksal wägt.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 170-171.
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