Seerose

[26] Rote Rosen, stolz und prächtig,

Blühen in der Gärten Rund,

Eine weiße wiegt sich nächtig,

Wurzelnd in der Welle Grund.


Ihre zarten bleichen Wangen

Färbte nie der Erde Lust,

Nur ein stilles Traumverlangen

Blieb das Sehnen ihrer Brust.
[26]

Gerne spräch' sie mit den Sternen,

Aber wenn sie kaum erwacht,

Müssen jene sich entfernen,

Folgend ihrer Mutter Nacht.


Goldne Blätter wirft hernieder

Vom Gestad ein stolzer Baum,

Und sie hascht darnach, und wieder

War es nichts als nur ein Traum.


Denn das Laub, wie Purpur glühend,

Färbte nur der Herbst so rot,

und sie selbst sinkt nun verblühend

Mit hinunter in den Tod.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 26-27.
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