Winter im Gebirg

[56] Verklungen sind die holden Schwüre,

Die hier gar oft der Mond belauscht.

Statt Flüstern vor der Kammertüre,

Ist's nur der Brunnen, der da rauscht.

Wo keine Schöne kalt geblieben,

Ward ihr gebracht ein Edelweiß,

Wo wir den Kahn ans Land getrieben,

Knarrt nächtlich aufgeschreckt das Eis.


Und auch die Felder sind gefroren,

Der Wald, in dem man sich erging,

Wo man im Pfänderspiel verloren

Und einen Kuß dafür empfing.

Der Schnee bedeckt die Spur der Kohlen,

Wo Freudenfeuer hell geglüht,

Wo Primeln und wo Bergviolen

Am schönsten Busen einst geblüht.
[56]

Der Frühling wird sie wieder bringen,

Bald tost der Föhn und löst den Schnee;

Nur dich hört niemals wieder singen

Das Felstal und der grüne See.

In dieser Berge dunklem Rahmen

Wie schienst du hell das Bild dazu!

Ihr Echo ruft mir deinen Namen,

Sonst aber sind sie still wie du.


Und auch wie du vom Lilienkleide

In tiefem Schlummer zugedeckt,

So fern der Welt und allem Leide,

Von keinem Lebenshauch geweckt.

Nur etwas schwebt wie sanfte Klage

Um diese Höh'n, so still und rein:

Sie schließen meine schönsten Tage,

Die Rosen meiner Jugend ein!

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 56-57.
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